Europarecht

Unlautere Herabsetzung durch pauschalen Vorwurf des Angebots von Fälschungen

Aktenzeichen  37 O 2254/21

Datum:
5.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2021, 10646
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Wirft ein Kunsthändler einem anderen Kunsthändler öffentlich vor, dieser biete Fälschungen an, kann hierin eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG liegen.  (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der unterstellt wahre Vorwurf, bei angebotenen Kunstwerken handele es sich um Fälschungen, kann eine unlautere Herabsetzung (§ 4 Nr. 1 UWG) des Anbieters sein, wenn er auf einer Kooperation beruht und sich die Vorwürfe in erster Linie gegen den Kooperationspartner richten. (Rn. 21 – 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Verfügungsbeklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250.000,- EUR und für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, geschäftlich handelnd zu behaupten, bzw. folgende Behauptung zu verbreiten:
a) „Die Kooperation W(…)/M(…)-J(…) ist ein Geschäftsmodell, um die Kunden hinters Licht zu führen“;
b) „(…) ist es notwendig, abgeschlossene Ermittlungen und Recherchen über das Fälschernetzwerk bzw. die Vertriebsmechanismen offenzulegen“;
c) „Auch von E(…) sind uns die Bild-Kunst Daten bekannt.“, wenn dies im Zusammenhang mit der Aussage getroffen wird, „Wie uns berichtet wurde, zahlt M(…)-J(…) die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaben der Bild-Kunst bei Z. nicht. Hier handelt es sich um 4% des Verkaufserlöses jedes Z.-Verkaufs. Ein No-Go für jeden seriösen Kunsthändler.“
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsbeklagte.

Gründe

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist begründet.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 27.04.2021 wurde im Rahmen der Entscheidungsfindung gewürdigt und gab keinen Anlass zur Wiedereröffnung der Verhandlung (§ 156 ZPO).
I. Der Antrag ist begründet. Die Verfügungsklägerin hat das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs (1.) sowie eines Verfügungsgrundes (2.) hinreichend glaubhaft gemacht.
1. Der Verfügungsklägerin steht gegen die Verfügungsbeklagte ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 UWG zu, da die von der Verfügungsbeklagten getätigten Äußerungen gem. §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 1 UWG unlauter sind und Wiederholungsgefahr besteht.
a) Die von der Verfügungsbeklagten getätigten Äußerungen sind gem. §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 1 UWG unlauter. Verfügungsklägerin und Verfügungsbeklagte sind Mitbewerber nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Bei den Äußerungen handelt es sich um geschäftliche Handlungen i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG, die Dienstleistungen und geschäftliche Verhältnisse der Verfügungsklägerin herabsetzen und verunglimpfen.
aa) Verfügungsklägerin und Verfügungsbeklagte sind Mitbewerber i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG, da zwischen diesen als Anbieter von Kunstwerken H. Z. zum Verkauf aufgrund von Substituierbarkeit ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht. Sowohl die Verfügungsklägerin als auch die Verfügungsbeklagte sind im stationären Kunsthandel tätig und veräußern Kunstwerke von H. Z.; die Verfügungsklägerin versteigert Kunstwerke ferner über die Onlineplattform e….
Im Übrigen ist auch der zum Behinderungswettbewerb i. S. v. § 4 UWG entwickelte weite Mitbewerberbegriff erfüllt, wonach ein konkretes Wettbewerbsverhältnis auch dann zu bejahen ist, wenn die Ware oder Dienstleistung des handelnden Unternehmers einen wettbewerblichen Bezug zur Ware oder Dienstleistung eines anderen Unternehmers aufweist und mit der Förderung des eigenen Absatzes die Beeinträchtigung des fremden Absatzes einhergehen kann (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Aufl. 2021, § 2 Rn. 109b). Dieser Bezug kann demnach insbesondere dadurch hergestellt werden, dass sich der Verletzer durch seine Handlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt (BGH, WRP 2015, 1326 Rn. 19 – Hotelbewertungsportal; BGH, WRP 2017, 1085 Rn. 16 – Wettbewerbsbezug; BGH, WRP 2018, 1322 Rn. 17 – Werbeblocker II).
Die von der Verfügungsbeklagten verfassten, verfahrensgegenständlichen Schreiben sind mit dem Briefkopf und den Adressdaten der Galerie der Verfügungsbeklagten versehen. Da die Verfügungsbeklagte die zum Nachlass H. Z. gehörenden Kunstwerke selbst veräußert und die Schreiben auch an die Online-Auktionsplattform e… weiterleitete, über welche die Verfügungsklägerin ihren ausschließlichen Onlinevertrieb vornimmt, waren die Äußerungen zur Beeinträchtigung des Absatzes der Verfügungsklägerin und der gleichzeitigen Förderung des Absatzes der Verfügungsbeklagten geeignet. Dass es der Verfügungsbeklagten subjektiv ggf. auf den rein ideellen Schutz des Nachlasses vor Fälschungen ankam, ist vor diesem Hintergrund ohne Belang.
bb) Bei den Äußerungen der Verfügungsbeklagten handelt es sich um ein Verhalten zugunsten des eigenen Unternehmens im Zusammenhang mit einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes von Waren objektiv zusammenhängt, mithin um geschäftliche Handlungen i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Da die Schreiben der Verfügungsbeklagten mit dem Briefkopf und den Adressdaten ihrer Galerie versehen waren und diese die zum Nachlass H. Z. gehörenden Kunstwerke selbst veräußert, bestand im Hinblick auf die verfahrensgegenständlichen Äußerungen im Zeitpunkt der Äußerung ein hinreichender Unternehmensbezug sowie Zusammenhang mit einem Geschäftsabschluss.
Die auch an die Online-Auktionsplattform e… weitergeleiteten Äußerungen waren vor diesem Hintergrund auch objektiv zur Förderung des eigenen Absatzes geeignet, weil die geschäftliche Entscheidung sonstiger Marktteilnehmer wie e… zuungunsten der ihre Waren über e… vertreibenden Verfügungsklägerin – und somit mittelbar zugunsten der Verfügungsbeklagten – beeinflusst werden kann (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, aaO, § 2 Rn. 53). Dass es der Verfügungsbeklagten subjektiv auf den rein ideellen Schutz des Nachlasses vor Fälschungen ankam, ist vor diesem Hintergrund ohne Belang.
cc) Die verfahrensgegenständlichen Äußerungen der Verfügungsbeklagten setzen die Dienstleistungen und geschäftlichen Verhältnisse der Verfügungsklägerin ungerechtfertigter Weise unlauter im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG herab.
(1) Bei allen drei Äußerungen handelt es sich um Werturteile mit Tatsachenkern.
(a) Unter Tatsachen sind Vorgänge oder Zustände zu verstehen, die dem Wahrheitsbeweis zugänglich sind. Im Gegensatz zu Tatsachenbehauptungen sind Werturteile nicht dem Beweis ihrer objektiven Richtigkeit zugänglich, sondern durch das Element des Wertens, Meinens und Dafürhaltens geprägt (BGH, WRP 2018, 682 Rn. 29 – Verkürzter Versorgungsweg II). Soweit in einem Werturteil zugleich die Behauptung einer Tatsache enthalten ist (Werturteil mit Tatsachenkern), gelten die Grundsätze zu Tatsachenbehauptungen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, aaO, § 4 Rn. 1.17).
(b) Alle drei Äußerungen der Verfügungsbeklagten sind durch ein Element des Meinens geprägt: Bei der Äußerung des Antrags Ziff. 1 a) gibt diese die Einschätzung ab, dass die Kooperation W(…)/M(…)-J(…) ein Geschäftsmodell sei, „um die Kunden hinters Licht zu führen.“ Mit der Aussage des Antrags Ziff. 1 b) gibt diese ferner ihre Meinung kund, dass es „notwendig“ sei, abgeschlossene Ermittlungen und Recherchen über das Fälschernetzwerk bzw. die Vertriebsmechanismen offenzulegen. Auch im Hinblick auf die Äußerung des Antrags Ziff. 1 c) gibt die Verfügungsbeklagte eine eigene Einschätzung ab, indem sie kundtut, dass ihr „von E(…) (…) die Bild-Kunst Daten bekannt“ seien und seitens Frau M(…)-J(…) die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaben der Bild-Kunst bei Z. nicht gezahlt würden, was ein „No-Go für jeden seriösen Kunsthändler“ sei.
Zugleich dominiert jedoch bei sämtlichen Äußerungen ein der Meinungskundgabe zugrundeliegender Tatsachenkern. Bei der Äußerung des Antrags Ziff. 1 a) steht die Tatsachenbehauptung im Vordergrund, dass die Kooperation W(…)/M(…)-J(…) ein rechtswidriges bzw. betrügerisch agierendes Geschäftsmodell sei, bei der Äußerung des Antrags Ziff. 1 b) das Vorliegen eines „Fälschernetzwerks“ sowie bei der Äußerung des Antrags Ziff. 1 c), dass seitens Frau M(…)-J(…) die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaben der Bild-Kunst bei Z. nicht gezahlt würden und von E(…) die Bild-Kunst Daten bekannt seien. Vor diesem Hintergrund sind die Äußerungen im Ergebnis als Tatsachenbehauptungen zu behandeln.
(2) Bei allen drei Äußerungen handelt es sich um unlautere Herabsetzungen der Verfügungsklägerin, die auch vor dem Hintergrund eines etwaigen Schutzes des Nachlasses von H. Z. vor Fälschungen nicht gerechtfertigt sind.
(a) Herabsetzung ist die sachlich nicht gerechtfertigte Verringerung der Wertschätzung des Mitbewerbers durch ein abträgliches Werturteil oder eine abträgliche wahre oder unwahre Tatsachenbehauptung (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, aaO, § 4 Rn. 1.12). Ob eine Herabsetzung oder Verunglimpfung vorliegt, beurteilt sich nach dem Eindruck der angesprochenen oder erreichten Verkehrskreise (BGH, WRP 1973, 270, 271 – Der sanfte Bitter; BGH, WRP 1999, 414, 416 – Vergleichen Sie; BGH, WRP 2012, 77 Rn. 22 – Coaching-Newsletter), soweit diese als Marktpartner des betroffenen Mitbewerbers in Betracht kommen. Maßgeblich ist die Sichtweise des durchschnittlich informierten, verständigen und aufmerksamen Adressaten der Äußerung (BGH, GRUR 2005, 609, 610 – Sparberaterin II; BGH, WRP 2012, 77 Rn. 22 – Coaching-Newsletter; BGH, WRP 2018, 682 Rn. 35 – Verkürzter Versorgungsweg II), nicht dagegen die Sichtweise des betroffenen Mitbewerbers.
Dies erfordert eine Gesamtwürdigung, bei der die Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Inhalt und die Form der Äußerung, ihr Anlass und der Zusammenhang zu berücksichtigen sind (BGH, WRP 2018, 682 Rn. 40 – Verkürzter Versorgungsweg II). Im Rahmen der Gesamtwürdigung sind auch die widerstreitenden Interessen und die betroffenen Grundrechte der Beteiligten, nämlich die Meinungsfreiheit des Äußernden (Art. 5 Abs. 1 GG) und der Schutz des geschäftlichen Rufs des Mitbewerbers nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG zu berücksichtigen (BGH, WRP 2018, 682 Rn. 15, 31 – Verkürzter Versorgungsweg II). Unerheblich sind regelmäßig die Vorstellungen und Absichten des Handelnden, mithin kommt es nicht darauf an, ob er um die Bedeutung oder Wirkung seines Handelns wusste oder die Absicht hatte, den Mitbewerber herabzusetzen.
Grundsätzlich zulässig ist es, im Wettbewerb wahre Tatsachenbehauptungen über den Mitbewerber, sein Unternehmen und seine Leistungen mitzuteilen, auch wenn sie zu einer Geschäftsschädigung führen können (BGH, GRUR 2009, 1186 Rn. 25 – Mecklenburger Obstbrände). Zulässig sind wahre, aber geschäftsschädigende Tatsachenbehauptungen allerdings nur soweit, als dass ein sachlich berechtigtes Informationsinteresse der angesprochenen Verkehrskreise im Hinblick auf eine geschäftliche Entscheidung besteht (vgl. BGH, GRUR 1966, 633, 635 – Teppichkehrmaschine; BGH, GRUR 1964, 392, 394 – Weizenkeimöl). Die Äußerung muss daher für die Information der angesprochenen Verkehrskreise erforderlich oder doch nützlich sein, um eine sachgerechte, informierte Nachfrageentscheidung zu treffen. Andernfalls besteht die Gefahr einer unsachlichen und damit den Wettbewerb verfälschenden Beeinflussung der Kunden. Schließlich muss sich die Kritik nach Art und Maß im Rahmen des Erforderlichen halten (BGH, GRUR 1962, 45, 48 – Betonzusatzmittel; BGH, GRUR 1968, 262, 265 – Fälschung; BGH, GRUR 1990, 1012, 1013 – Pressehaftung I).
(b) Unter Anwendung dieser Maßstäbe stellen die verfahrensgegenständlichen Äußerungen – selbst wenn man die vorgetragene Tatsache, dass die Authentizität von Kunstwerken Z. durch Frau M(…)-J(…) gefälscht würde, hypothetisch als wahr unterstellt – nach einer Gesamtwürdigung eine ungerechtfertigte Herabsetzung der Verfügungsklägerin dar.
(aa) Nach dem Eindruck der durchschnittlich informierten, verständigen und aufmerksamen Adressaten der Äußerungen, zu denen sich auch die Mitglieder der erkennenden Kammer zählen, beziehen sich diese nicht nur auf Frau M(…)-J(…), sondern vielmehr auch auf die Verfügungsklägerin.
Dies ergibt sich im Hinblick auf die Äußerung des Antrags Ziff. 1 a) aus der Formulierung die „Kooperation W(…)/M(…)-J(…) ist ein Geschäftsmodell“, woraus ein objektiver Adressat der Äußerung ein gemeinschaftliches, willentliches Zusammenwirken zwischen der Verfügungsklägerin und Frau M(…)-J(…) schlussfolgert.
Entsprechendes gilt auch für die in diesem Zusammenhang erfolgte Äußerung des Antrags Ziff. 1 b) bzgl. der Notwendigkeit der Offenlegung der abgeschlossenen Ermittlungen und Recherchen über das „Fälschernetzwerk bzw. die Vertriebsmechanismen“, da bei den Adressaten aus dem Zusammenhang zur o. g. Äußerung des Antrags Ziff. 1 a) der Eindruck erweckt wird, die mit Frau M(…)-J(…) tatsächlich zusammenarbeitende Verfügungsklägerin sei Teil dieses Netzwerks.
Im Hinblick auf die Äußerung des Antrags Ziff. 1 c) wird die Verfügungsklägerin namentlich in unmittelbaren Zusammenhang zur Aussage genannt, dass Frau „M(…)-J(…) die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaben der Bild-Kunst bei Z. nicht [zahle]“ und dies ein „No-Go für jeden seriösen Kunsthändler“ sei. Indem im unmittelbaren Anschluss die Äußerung erfolgt, dass der Verfügungsbeklagten „[a]uch von E(…) (…) die Bild-Kunst Daten bekannt [seien]“, wird der Eindruck vermittelt, dass es sich bei der Verfügungsklägerin um einen unseriösen Kunsthändler handele, der die gesetzlichen Abgaben selbst nicht leiste.
Sämtliche Äußerungen sind geeignet, den geschäftlichen Ruf der Verfügungsklägerin zu beeinträchtigen.
(bb) Nach einer Gesamtabwägung sind die gegenständlichen Tatsachenbehauptungen – selbst wenn man die vorgetragene Tatsache, dass die Authentizität von Kunstwerken Z. durch Frau M(…)-J(…) gefälscht würde, hypothetisch als wahr unterstellt – nicht mehr verhältnismäßig und somit herabsetzend.
Einerseits ist das auf Art. 5 Abs. 1 GG beruhende berechtigte Interesse der Verfügungsbeklagten zu berücksichtigen, wahre Tatsachen über die Verfügungsklägerin als Mitbewerberin mitzuteilen. Bedeutung kommt dabei dem Umstand zu, dass die Verfügungsbeklagte den Nachlass des Künstlers Z. erworben hatte und daher ein besonderes Interesse daran hat, den Ruf des Künstlers im Hinblick auf Fälschungen zu schützen – auch um Werteinbußen der erworbenen Kunstwerke, die seitens der Verfügungsbeklagten veräußert werden, durch eine Verwässerung des Marktes durch Fälschungen zu verhindern. Die Information der Verkehrskreise von etwaigen Fälschungen kann vor diesem Hintergrund ein berechtigtes Interesse darstellen. Der Verfügungsbeklagten bleibt es vor diesem Hintergrund grds. auch unbenommen, etwaige Verdachtstatsachen den Ermittlungsbehörden – wie vorliegend im Hinblick auf das Schreiben vom 06.02.2021 geschehen – im Wege einer Strafanzeige mitzuteilen.
Andererseits ist der Schutz des geschäftlichen Rufs der Verfügungsklägerin nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG zu berücksichtigen. Hierbei kommt dem großen Empfängerkreis der Schreiben der Verfügungsbeklagten Bedeutung zu, die auch an die Internetplattform e… weitergeleitet wurden, über welche die Verfügungsklägerin ihren Online-Vertrieb ausschließlich betreibt. Mithin waren die Äußerungen in besonderem Maße geeignet, den Ruf und Absatz der Verfügungsklägerin zu beeinträchtigen. Auch ist zu sehen, dass die Äußerungen im Hinblick auf die ehrverletzenden Vorwürfe gegenüber der Verfügungsklägerin pauschal gehalten sind und insoweit konkreter Tatsachen, welche eine Beteiligung der Verfügungsklägerin am behaupteten gemeinschaftlichen Vertrieb von Kunstfälschungen nahelegen, entbehren. Vor diesem Hintergrund ist mangels einer Nachprüfbarkeit der Äußerungen im Hinblick auf die Verfügungsklägerin seitens der Empfänger der Schreiben ein Informationsinteresse der angesprochenen Verkehrskreise nicht ersichtlich. Ferner halten sich die Äußerungen auch nach Art und Maß nicht mehr im Rahmen des Erforderlichen: Die verwendete Wortwahl der Äußerung des Antrags Ziff. 1 a), bei der „Kooperation W(…)/M(…)-J(…) [handele es sich um] ein Geschäftsmodell, um die Kunden hinters Licht zu führen“, wie auch die Äußerung des Antrags Ziff. 1 b) bzgl. der Notwendigkeit der Offenlegung der abgeschlossenen Ermittlungen und Recherchen über das „Fälschernetzwerk bzw. die Vertriebsmechanismen“ sind aufgrund ihres Vorwurfs des strafrechtlich relevanten Verhaltens erheblich geeignet, den geschäftlichen Ruf der Verfügungsklägerin zu beeinträchtigen. Entsprechendes gilt auch bzgl. des mit der Äußerung des Antrags Ziff. 1 c) suggerierten Vorwurfs gegenüber der Verfügungsklägerin, die gesetzlichen Abgaben gleichsam nicht zu entrichten sowie ein unseriöser Kunsthändler zu sein.
Vor diesem Hintergrund sind die Äußerungen der Verfügungsbeklagten nicht mehr gerechtfertigt und stellen unlautere Herabsetzungen dar.
b) Die infolge des Wettbewerbsverstoßes für eine Wiederholungsgefahr streitende tatsächliche Vermutung (BGH, GRUR 1997, 379, 380 – Wegfall der Wiederholungsgefahr II) wurde vorliegend seitens der Verfügungsbeklagten insbesondere mangels Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nicht widerlegt.
2. Die Verfügungsklägerin hat hinreichend das Vorliegen eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht. Die für die Verfügungsklägerin streitende tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit nach § 12 Abs. 1 UWG (vgl. BGH GRUR 2000, 151, 152 – Späte Urteilsbegründung) ist vorliegend nicht widerlegt.
a) Insoweit ist seitens der Rechtsprechung anerkannt, dass die Vermutung der Dringlichkeit widerlegt ist, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es „ihm nicht eilig ist“ (BGH, GRUR 2000, 151, 152 – Späte Urteilsbegründung). Dies ist der Fall, wenn er längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grob fahrlässig nicht kennt, nämlich sich bewusst der Kenntnis verschlossen hat. Nach ständiger Rechtsprechung der für die Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts zuständigen Senate des Oberlandesgerichts München kann nicht mehr von Dringlichkeit ausgegangen werden, wenn ein Antragsteller länger als einen Monat ab Erlangung der Kenntnis von der Verletzungshandlung und der Person des Verletzers zuwartet, bevor er den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt (vgl. OLG München, WRP 2019, 798 Rn. 23 – Wissenschaftsverlage; WRP 2016, 1557 Rn. 111 – Kein Vollgas; GRUR-RR 2008, 310, 312 – Jackpot-Werbung). Die Darlegung und Glaubhaftmachung der für die Ausräumung der Dringlichkeitsannahme erforderlichen Umstände obliegt dem Antragsgegner.
b) Mit Schriftsatz vom 23.02.2021 hat die Verfügungsklägerin innerhalb der einmonatigen Dringlichkeitsfrist Klage erhoben. Unschädlich war hierbei, dass der Schriftsatz im Hinblick auf die Anträge Ziff. 1 a) nicht enthielt und die Verfügungsklägerin diesen erst außerhalb der Dringlichkeitsfrist mit Schriftsatz vom 16.03.2021 insoweit ergänzte. Denn aus der Begründung des Schriftsatzes vom 23.02.2021 ist klar ersichtlich, dass sich die Verfügungsklägerin mit ihrem Unterlassungsbegehren auch ausdrücklich gegen die weitere, dem (später ergänzten) Antrag Ziff. 1 a) zugrundeliegende Äußerung wenden möchte. Dass dieser im Schriftsatz vom 23.02.2021 noch nicht ausdrücklich als Antrag erfasst ist, stellt ein offensichtliches Büroversehen dar. Dies ergibt sich ferner aus der Formulierung der Anträge im Schriftsatz vom 23.02.2021, die mit Antrag Ziff. 1 b) beginnen, sowie aus der Versicherung der Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin, wonach der Entwurf des Schriftsatzes 23.02.2021 den Antrag Ziff. 1 a) enthalten habe und der Schriftsatz infolge eines Büroversehens ihrer bisher stets zuverlässigen Rechtsanwaltsfachangestellten ohne den entsprechenden Antrag an das Gericht expediert worden sei.
Vor diesem Hintergrund fehlt es auch im Hinblick auf Antrag Ziff. 1 a) an einem vorwerfbaren Verhalten des längeren Zuwartens seitens der Verfügungsklägerin, das zur Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG vorliegend geeignet wäre. Ein Erfordernis des rein formalistischen Abstellens auf den Zeitpunkt der Antragstellung im Hinblick auf den jeweiligen Streitgegenstand ergibt sich weder aus dem Gesetz noch der o. g. höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung und ließe die der Rechtsprechung zugrundeliegenden teleologischen Erwägungen vollständig außer Betracht.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.


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