Aktenzeichen M 8 S 16.50302
EMRK EMRK Art. 3
GRCh GRCh Art. 4
Dublin II-VO Dublin II-VO Art. 19
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3, Art. 13, Art. 18, Art. 21, Art. 24, Art. 25
Leitsatz
Ein Aufnahmeersuchen ist nur dann fristwahrend, wenn das Gesuch alle dem ersuchenden Staat bekannten Informationen und Hinweise enthält, die für eine Zuständigkeitsentscheidung erheblich sein können. Ist das Aufnahmeersuchen unvollständig bzw. weist es inhaltliche Fehler auf, wird die Frist für die Anbringung des Aufnahmegesuches nicht gewahrt. (redaktioneller Leitsatz)
Eine Überstellung nach Ungarn ist derzeit wegen systemischer Mängel des ungarischen Asylsystems unmöglich. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. Mai 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 2. Mai 2016 verfügte Anordnung der Abschiebung nach Ungarn im Rahmen eines sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben iranischer Staatsangehöriger und wurde am … April 2016 an der Bundesstraße … in Nähe der Ortschaft … von Beamten der Bundespolizei angetroffen und überprüft. Nach seinen eigenen Angaben gegenüber der Bundespolizei ist der Antragsteller gemeinsam mit einem weiteren iranischen Staatsangehörigen mit einem Taxi von Wien nach Deutschland eingereist. Im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung am 7. April 2016 gab der Antragsteller an, sein Reiseziel sei Schweden. Er wolle dort heiraten, auch seine Familie lebe dort. Er haben den Iran vor drei Monaten verlassen und sei über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Ungarn und Österreich nach Deutschland gekommen. Gemeinsam mit einem Freund sei er mit einem Pkw in die Türkei gebracht worden, wo er sich ca. 10 Tage aufgehalten habe. Dann sei er mit einem Schlauchboot nach Griechenland gefahren, wo er sich ca. 10 Tage aufgehalten habe. Anschließend sei er mit dem Zug nach Mazedonien gefahren, wo er sich, da die Grenzen geschlossen waren, ca. 1 Monat aufgehalten habe. Mit Hilfe eines Schleusers seien er und sein Freund nach Ungarn gebracht worden, wo sie von der Polizei festgenommen und in ein Camp gebracht worden seien. Dort seien ihnen Fingerabdrücke genommen und Bilder gemacht worden. Von Ungarn aus seien die beiden von Schleusern nach Österreich gebracht worden, wo sie sich ca. 10 Tage – vermutlich in Wien – aufgehalten hätten. Schließlich seien sie mit einem Kfz nach Deutschland gebracht worden.
Eine EURODAC-Recherche durch die Bundespolizei ergab einen Treffer der ersten Kategorie für Ungarn, EURODAC-Nr. … vom 8. März 2016.
Nach der Niederschrift über ein persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens, der sich weder das Datum noch der Mitarbeiter des Bundesamts … (Bundesamt) entnehmen lässt, gab der Antragsteller an, er wolle nach Schweden, wo sich ein Bruder und eine Schwester aufhielten. Er wolle nicht nach Ungarn. Die Frage, ob der Antragsteller in Deutschland Asyl beantragt habe, wurde mit „Nein“ beantwortet.
Am 11. April 2016 wurde vom Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an Ungarn gerichtet. Im Akt findet sich hierzu lediglich eine Eingangsbestätigung Ungarns vom 11. April 2016. Eine weitergehende Antwort ist in der vorgelegten Akte des Bundesamts nicht enthalten.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 2. Mai 2016 wurde in Ziffer 1. die Abschiebung nach Ungarn angeordnet und in Ziffer 2. das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, nach den Erkenntnissen des Bundesamts (EURODAC-Datenbankabgleich) lägen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) vor. Am 11. April 2016 sei ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1d Dublin-III-VO an Ungarn gerichtet worden. Bis zum 25. April 2016 habe keine Antwort der ungarischen Behörden festgestellt werden können, daher sei gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO davon auszugehen, dass die ungarischen Behörden dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben hätten und die im Bescheid genannte Person wieder aufnehmen würden. Die Abschiebung nach Ungarn sei gemäß § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG anzuordnen, da dieser Staat gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die gegen eine Überstellung nach Ungarn sprächen, seien nicht ersichtlich. Im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung habe der Antragsteller angegeben, zu Familienmitgliedern nach Schweden reisen zu wollen und dort eine Ehe schließen zu wollen. Ein Schutzersuchen sei nicht geäußert worden. Bei den Familienmitgliedern handle es sich um eine volljährige Schwester und um einen volljährigen Bruder. Die Dublin-III-VO definiere diese Personengruppe lediglich als Verwandte. Eine schützenswerte Familieneinheit liege demnach nicht vor. Dem Antragsteller sei es zuzumuten, in Ungarn das Verfahren der Familienzusammenführung zu betreiben. Bezüglich der beabsichtigten Eheschließung wird ausgeführt, dass die voreheliche Verbindung im Herkunftsland noch nicht bestanden habe und auch deshalb keine schützenswerte Familieneinheit vorliege. Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, die Überstellung nach Ungarn als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchens durch Ungarn oder der endgültigen negativen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder einer Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung habe, durchzuführen (Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO). Eine Abschiebung habe gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zur Folge, dass der Drittstaatsangehörige nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten dürfe. Das Bundesamt habe das Einreiseverbot gemäß § 75 Ziffer 12 AufenthG im Fall einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zu befristen.
Nach der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid am 9. Mai 2016 zugestellt.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 12. Mai 2016, am selben Tag bei Gericht eingegangen, hat der Antragsteller beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 2. Mai 2016 aufzuheben;
2. die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Abschiebungsanordnung sei rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Rechten, da in Ungarn systemische Mängel im Asylverfahren herrschten, so dass eine Abschiebung nicht zumutbar sei. Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen systemische Schwachstellen im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 411/10 u. a.), die eine Rücküberstellung verbieten würden. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung zahlreicher Verwaltungsgerichte und auf Grundlage von weiteren Erkenntnismitteln sei davon auszugehen, dass dem Antragsteller aufgrund der zum 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Gesetzesänderung in Ungarn im Falle seiner Rücküberstellung eine mehrmonatige Inhaftierung drohe, ohne dass effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stehe. Bei Einschaltung eines Rechtsanwalts gebe es ein System der Verlängerung der Haft, ohne dass die Eingabe des Rechtsanwalts oder individuelle Gründe berücksichtigt würden, was mit den EU-rechtlichen Vorgaben des Flüchtlingsschutzes nicht zu vereinbaren sei und einer Überstellung entgegenstehe. Unter Hinweis auf eine Veröffentlichung des European Council on Refugees and Exiles (ecre) und unter Bezugnahme auf die Änderung des ungarischen Asylrechts zum 1. August 2015 wird dargelegt, dass sich die Situation in Ungarn erheblich verschlechtert habe. Aus einem Bericht von Human Rights Watch vom 1. Dezember 2015 ergebe sich, dass Asylsuchende und Migranten auf der Grundlage des neuen Asylgesetzes wochenlang inhaftiert würden. Durch die geänderte Gesetzeslage würden Asylsuchende faktisch von der Möglichkeit ausgeschlossen, Schutz zu bekommen.
Mit Schreiben vom 13. Mai 2016 wurden vom Bundesamt die Verfahrensakten übersandt. Eine ausdrückliche Antragstellung erfolgte nicht.
Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2016 haben die Bevollmächtigten des Antragstellers einen Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam im Verfahren VG 6 K 1775/15.A vorgelegt.
Der Sachbearbeiter des Bundesamtes teilte der Geschäftsstelle telefonisch mit, der Antragsteller sei versehentlich am 31. Mai 2016 nach Ungarn abgeschoben worden, werde aber vom Bundesamt wieder zurückgeholt. Auf Nachfrage des Einzelrichters vom 5. Juli 2016 teilte das Bundesamt mit E-Mail vom 7. Juli 2016 mit, Ungarn sei um schnelle Rückführung gebeten worden, die Rückführungskosten würden durch das Bundesamt übernommen. Aufgrund von nicht durch das Bundesamt zu vertretenden Verzögerungen auf ungarischer Seite habe der Antragsteller bislang noch nicht nach Deutschland zurückgeführt werden können, die Bemühungen zur Rückführung liefen weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der zulässige, insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG eingelegte Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Mai 2016 hat in der Sache Erfolg.
1. Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, da die Klage im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Erfolg haben wird. Nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) davon auszugehen, dass sich der angefochtene Bescheid im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird und der Antragsteller hierdurch in seinen Rechten verletzt ist. Die erfolgte Abschiebungsanordnung auf der Grundlage des § 34a AsylG ist voraussichtlich rechtswidrig. Deren Rechtswidrigkeit hat auch die Rechtswidrigkeit der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zur Folge.
2. In materieller Hinsicht ordnet das Bundesamt auf der Grundlage des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG gilt dies auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen, aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG bedarf es keiner vorherigen Androhung und Fristsetzung.
2.1 Vorliegend ist zunächst fraglich, ob der Antragsteller vom Anwendungsbereich des § 34a AsylG bzw. dem Anwendungsbereich des AsylG erfasst wird. Nach § 1 Abs. 1 AsylG gilt dieses Gesetz für Ausländer, die Schutz vor politischer Verfolgung nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz (GG) oder internationalen Schutz nach der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 beantragen. Gemäß § 13 Abs. 1 AsylG liegt ein Asylantrag vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor einer Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG droht.
Auch ohne Asylantrag in Deutschland wird der Antragsteller als sog. „Aufgriffsfall“ vom Anwendungsbereich des § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG erfasst. Im Rahmen der Änderung des Asylverfahrensgesetzes im Jahr 2013 wurde zur Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie (2011/95/EU) in § 34a Abs. 1 AsylG Satz 2 in seiner auch jetzt noch geltenden Fassung ausdrücklich mit der Begrünung eingefügt, dass diese Vorschrift eine gesetzliche Aufgabenzuweisung für das Bundesamt darstellt und der Erfassung der so genannten „Aufgriffsfälle“ dienen soll, in denen ein Ausländer im Inland angetroffen wird, der in einem anderen Staat – in dem die Dublin-VO Anwendung findet – einen Asylantrag gestellt hat, nicht aber in Deutschland (BT-Drs. 17/13556, S. 7).
2.2 Geht man daher davon aus, dass die so genannten „Aufgriffsfälle“ über § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG erfasst sind, obwohl das AsylG an sich nur auf Personen Anwendung findet, die in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben (vgl. Müller, in: Hofmann [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 34a AsylVfG/AsylG, Rn. 10), so ist weiter zu prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer entsprechenden Abschiebungsanordnung vorliegen. Voraussetzung ist hiernach, dass der Antragsteller einen Asylantrag in Ungarn gestellt hat und es muss feststehen, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
Bei dem ermittelten EURODAC-Treffer „…“ handelt es sich um einen Treffer der Kategorie 1 im Sinne von Art. 24 Abs. 4 Satz 3 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180 vom 29.06.2013, S. 1), wonach der Antragsteller am 8. März 2016 in Ungarn einen Asylantrag gestellt hat.
Nach Art. 18 Abs. 1b Dublin-III-VO hat der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat die Verpflichtung, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrages in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin-III-VO wieder aufzunehmen. Allerdings ergibt sich aus Art. 18 Dublin-III-VO keine unmittelbare Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens; vielmehr bestimmt sich diese zunächst nach den Bestimmungen des Kap. III, weshalb sich eine Zuständigkeit Ungarns aus den Art. 7 ff. Dublin-III-VO ergeben müsste, an die dann die weiteren Pflichten des zuständigen Mitgliedstaates in Kap. V und das Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren in Kap. IV anknüpfen.
Vorliegend kann sich eine Zuständigkeit Ungarns aus Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben. Darin ist geregelt, dass für den Fall, dass auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 22 Abs. 3 Dublin-III-VO genannten Verzeichnissen einschließlich der Daten nach der VO (EU) Nr. 603/2013 festgestellt wird, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend, die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaates illegal überschritten hat, dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO endet diese Zuständigkeit 12 Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertrittes.
2.3 Der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG setzt weiter voraus, dass die Durchführbarkeit der Rückführung feststeht. Sie muss daher rechtlich zulässig und zeitnah tatsächlich möglich sein, wobei die praktische Möglichkeit der Rückführung vor allem von der Einhaltung der Fristen im Rahmen der Dublin-III-VO und von der Zustimmung des Staates abhängt, in den abgeschoben werden soll (vgl. Müller, in: Hoffmann [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 34a AsylVfG/AsylG Rn. 11).
Fraglich ist, ob das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 23 Dublin-III-VO oder nach Art. 24 Dublin-III-VO gestellt hat. Während Art. 23 zur Anwendung kommt, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat ein erneuter Asylantrag gestellt wurde, regelt Art. 24 den Fall, dass im ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Antrag gestellt wurde. Im Formular für Wiederaufnahmegesuche findet sich lediglich der Eintrag, der Antrag erfolge nach Art. 18 Abs. 1d Dublin-III-VO. Nach beiden Vorschriften (Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO bzw. Art. 24 Abs. 2 Dublin-III-VO) ist jedenfalls eine Zweimonats-Frist zu beachten, die mit dem Wiederaufnahmegesuch vom 11. April 2016 grundsätzlich eingehalten wurde. Da Ungarn auf das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb von 2 Wochen geantwortet hat, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO davon auszugehen, dass Ungarn dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben hat, was gleichzeitig die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
Allerdings ist für Aufnahmeersuchen nach Art. 21 Dublin-III-VO anerkannt, dass ein solches nur dann fristwahrend angebracht worden ist, wenn das Gesuch alle dem ersuchenden Staat bekannten Informationen und Hinweise enthält, die für eine Zuständigkeitsentscheidung erheblich sein können (vgl. Bruns, in: Hoffmann [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 27a AsylVfG/AsylG Rn. 15). In Art. 21 Abs. 3 Dublin-III-VO ist vorgesehen, dass für das Gesuch um Aufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat ein Formblatt zu verwenden ist, das Beweismittel oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung des Antragstellers enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat gemäß den in dieser Verordnung definierten Kriterien zuständig ist. Ist das Aufnahmeersuchen unvollständig bzw. weist es inhaltliche Fehler auf, wird damit die Frist für die Anbringung des Aufnahmegesuches nicht gewahrt (gegen eine Fristwahrung VG Frankfurt/Oder, B.v. 31.8.2011 – 7 L 235/11.A – juris; vgl. auch Bruns, a. a. O., m. w. N. gegenteiliger, aber nicht veröffentlichter Entscheidungen für eine Fristwahrung auch in diesen Fällen). Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Oder setzt der Eintritt der Fiktionswirkung des Art. 20 Abs. 1c Dublin-II-VO (entspricht Art. 25 Abs. 2 der Dublin-III-VO) und damit die Begründung der Zuständigkeit des angefragten Mitgliedstaates voraus, dass in dem Wiederaufnahmegesuch Hinweise enthalten sind, aus denen der ersuchte Mitgliedstaat entnehmen kann, dass er zuständig ist. Dies könne nur sinnvoll dahingehend verstanden werden, dass die entsprechenden Hinweise richtig und vollständig sein müssten (VG Frankfurt/Oder, B.v. 31.8.2011 – 7 L 235/11.A – juris Rn. 6). Im konkreten Fall kam das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder zu dem Ergebnis, dass bei einem Wiederaufnahmegesuch die vollständige Angabe des Reiseweges des Antragstellers zu den erforderlichen Angaben gehört, weshalb das damalige Wiederaufnahmegesuch für unvollständig gehalten wurde, so dass im Ergebnis die Zuständigkeit der Antragsgegnerin bejaht wurde.
Für das Wiederaufnahmegesuch regelt Art. 25 Abs. 5 Dublin-III-VO, dass ein Standardformblatt zu verwenden ist, das Beweismittel oder Indizien im Sinne der beiden Verzeichnisse nach Artikel 22 Absatz 3 und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung der Person enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat auf Grundlage der in dieser Verordnung festgelegten Kriterien zuständig ist. Insoweit ist die Situation im Wiederaufnahmeverfahren durchaus mit der in einem Aufnahmeverfahren vergleichbar, so dass die hierzu entwickelten Grundsätze herangezogen werden können.
Vorliegend wurde im Wiederaufnahmeformular der Reiseweg des Antragstellers nicht angegeben, obwohl der Antragsteller diesen im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung vollständig angegeben hatte. Damit stellt sich das Wiederaufnahmegesuch im Hinblick auf die fehlenden Angaben zum Reiseweg voraussichtlich als unvollständig dar. Damit wurde aber mit dem Wiederaufnahmeersuchen voraussichtlich nicht die Zweimonats-Frist des Art. 24 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin-III-VO gewahrt, so dass gemäß Art. 24 Abs. 3 Dublin-III-VO die Antragsgegnerin dem Antragsteller voraussichtlich Gelegenheit zu geben hat, einen neuen Asylantrag zu stellen.
Zu Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-VO (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1-10) hatte der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013, (C-394/12 – Abdullahi) noch entschieden, dass diese Bestimmung dahin auszulegen war, dass ein Asylbewerber der Zuständigkeit eines Mitgliedstaats als des Mitgliedstaats der ersten Einreise dieses Asylbewerbers in das Gebiet der Europäischen Union nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte ausgesetzt zu werden. Nunmehr hat der Europäische Gerichtshof zu Art. 27 Abs. 1 Dublin-III-VO in seinem Urteil vom 7. Juni 2016 entschieden, dass diese Bestimmung im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriteriums und insbesondere des in Art. 12 der Verordnung festgelegten Kriteriums einer Visumserteilung geltend machen kann (C-63/15 – juris Tz. 61). Der Europäische Gerichtshof konstatiert in diesem Urteil, dass sich der Unionsgesetzgeber im Rahmen der Dublin-III-VO nicht darauf beschränkt hat, organisatorische Regeln nur für die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten zu normieren, um den zuständigen Mitgliedstaat bestimmen zu können, sondern sich dafür entschieden hat, die Asylbewerber an diesem Verfahren zu beteiligen, indem er die Mitgliedstaaten dazu verpflichtete, die Asylbewerber über die Zuständigkeitskriterien zu unterrichten, ihnen Gelegenheit zur Mitteilung der Informationen zu geben, die die fehlerfreie Anwendung dieser Kriterien erlauben, und ihnen einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die am Ende des Verfahrens möglicherweise ergehende Überstellungsentscheidung zu gewährleisten (EuGH, U.v. 7.6.2016 – C-63/15 – juris Tz. 51). Im Hinblick auf die vorgenannte Entscheidung vom 7. Juni 2016 ist der Antragsteller somit nicht gehindert, über das Vorliegen systemischer Mängel im ersuchten Aufnahmeland hinaus auch sonstige Fehler im Vollzug der Dublin-III-VO geltend zu machen.
2.4 Hinzu kommt, dass eine Überstellung an Ungarn, sollte dies der nach der Dublin-III-VO zuständige Mitgliedstaat sein, sich zur Überzeugung des Gerichts gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO wegen systemischer Schwachstellen des ungarischen Asylsystems derzeit als unmöglich erweist. Gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO hat der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat für den Fall, dass es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, die Prüfung der in Kap. III vorgesehenen Kriterien fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 Dublin-III-VO wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat, wenn keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kap. III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden kann.
Die Antragsgegnerin ist daher voraussichtlich gehalten, die Prüfung der in Kapitel III der Dublin-III-VO vorgesehenen Kriterien fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO) oder ob sie selbst für das Asylverfahren zuständig geworden ist (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 Dublin-III-VO).
Nach Art 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO ist die Überstellung unmöglich, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Ungarn systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikel 4 der EU-Grundrechtscharta (GRCh) mit sich bringen. Der Regelung liegt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zugrunde, wonach die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich aufgrund des Prinzips gegenseitigen Vertrauens bestehende Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh), der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht, nicht unwiderleglich ist, sondern für den Fall, dass dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein kann, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, widerlegt werden kann (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – N.S. u. a., NVwZ 2012, 417 – juris Rn. 79 ff.; vgl. auch EuGH, U.v. 14.11.2013 – C-4/11 – Puid, NVwZ 2014, 129). Die Schwachstellen bzw. Mängel des Asylsystems müssen dabei nicht kumulativ Asylverfahren und Aufnahmebedingungen betreffen, sondern können auch alternativ vorliegen (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9: „Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen“; VG München, B.v. 18.1.2016 – M 24 S 15.50827 u. a. – juris Rn. 25).
Eine Widerlegung der Vermutung ist allerdings an hohe Hürden geknüpft. Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die einschlägigen EU-Richtlinien genügen, um die Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat zu verhindern (EuGH, a.a.O; BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn.6). Ein hinreichend schwerer Verstoß gegen das Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Art. 4 GRCh (bzw. des inhaltsgleichen Art. 3 EMRK, vgl. Art. 52 52 Abs. 3 S. 1 GRCh) ist im asylrechtlichen Zusammenhang etwa gegeben bei einer systemischen Nichtbeachtung des Refoulementverbots. Es können aber auch die allgemeinen Haft- und Lebensbedingungen für Asylbewerber eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen (EGMR, U.v. 21.1.2011 − M.S. S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 286 ff. und 342 ff.; EGMR, U.v. 3.7.2014 – Mohammadi/Austria, 71932/12 – abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-145233, Rn. 60 und 71 ff.). Systemische Schwachstellen liegen also insbesondere dann vor, wenn dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, wenn das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder wenn er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (OVG NRW, U.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A – juris Rn. 126; VG München, B.v. 18.1.2016 – M 24 S 15.50827 u. a. – juris Rn. 26; U.v. 11.9.2015 – M 23 K 15.50045 – juris Rn. 24).
„Systemisch“ sind Schwachstellen, die den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft treffen, sondern die sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren lassen. Dies setzt voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9).
2.4.1 Auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnismittel sprechen wesentliche Gründe dafür, dass das ungarische Asylsystem derzeit wegen der zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Änderungen der ungarischen Asylgesetzgebung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Dublin-Rückkehrern den Zugang zu einem Asylverfahren verwehrt, das die materielle Prüfung ihres Asylantrages gewährleistet (VG München, B.v. 18.1.2016 – M 24 S 15.50827 u. a. – juris Rn. 28). Insbesondere besteht nach summarischer Prüfung im Hinblick auf die Regelungen zum sicheren Drittstaat und die Einstufung Serbiens als sicherer Drittstaat die Gefahr, dass der Antragsteller, der nach eigenen Angaben über Serbien nach Ungarn eingereist ist, ohne inhaltliche Prüfung seines Antrags nach Serbien abgeschoben und damit gegen das Refoulment-Verbot des Art. 33 GFK verstoßen wird.
Das ungarische Parlament hat am 6. Juli 2015 weitreichende Verschärfungen des ungarischen Asylrechts und weitgehende Beschleunigungen des Asylverfahrens sowie Hindernisse im Zugang zum Asylverfahren beschlossen, die zum 1. August 2015 in Kraft getreten sind und am 4. September 2015 weitere Maßnahmen beschlossen, die am 15. September 2015 in Kraft getreten sind (vgl. hierzu das Helsinki Committe Ungarn: No Country for Refugees – Information Note vom 18.9.2015, abrufbar unter: http://helsinki.hu/en/nocountryforrefugeesinformationnote; Building a Legal Fence – Information Note vom 7.8.2015, abrufbar unter: http://helsinki.hu/wpcontent/uploads/HHC-HU-asylumlawamendment-2015-Augustinfonote.pdf; zum ungarischen Asylrecht, insbesondere zur Regelung sicherer Drittstaaten, vgl. die deutschsprachige Wiedergabe der Bestimmungen in EuGH, U.v. 17.3.2016 – C-695/15 PPU – juris Rn. 15 ff.; zur Rechtslage in Ungarn vgl. auch Prof. Dr. Küpper, Rechtsgutachten über ungarisches Asylrecht vom 2. Oktober 2015, Institut für Ostrecht München, erstattet für das VG Düsseldorf im Verfahren 22 K 3263/15.A). Danach soll unter anderem das Asylverfahren annulliert werden, wenn Asylsuchende die ihnen zugewiesenen Aufenthaltsorte länger als 48 Stunden verlassen; gleichzeitig dürfen Flüchtlinge bis zum Ende ihres Asylverfahrens inhaftiert werden.
Durch die ungarische Regierung wurde im Verordnungswege eine Liste für sichere Drittstaaten beschlossen, darunter Serbien als Beitrittskandidat für die Europäische Union. Nach § 2 der ungarischen Regierungsverordnung Nr. 191/2015 zur Bestimmung der als sicher eingestuften Herkunftsstaaten und der sicheren Drittstaaten auf nationaler Ebene vom 21. Juli 2015 (191/2015. [VII. 21.] kormányrendelet a nemzeti szinten biztonságosnak nyilvánított származási országok és biztonságos harmadik országok meghatározásáról; im Folgenden: ungarische Regierungsverordnung vom 21. Juli 2015) sind sichere Drittstaaten im Sinne von § 2 Buchst. i des ungarischen Asylgesetzes u. a. die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und deren Beitrittskandidaten – mit Ausnahme der Türkei -, die Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums sowie die Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika, die die Todesstrafe nicht anwenden.
§ 3 Abs. 2 der Regierungsverordnung vom 21. Juli 2015 regelt: „Hatte sich der Antragsteller, bevor er in das Hoheitsgebiet Ungarns eingereist ist, im Hoheitsgebiet eines sicheren Drittstaats im Sinne der Liste der sicheren Drittstaaten der Europäischen Union oder des § 2 aufgehalten oder dessen Hoheitsgebiet durchquert, so kann er im Asylverfahren nach dem Asylgesetz nachweisen, dass in seiner besonderen Situation in diesem Land keine Möglichkeit wirksamen Schutzes im Sinne von § 2 Buchst. i des Asylgesetzes bestand.“
Nach § 51 Abs. 1 des Gesetzes Nr. LXXX von 2007 über das Asylrecht (Menedékjogról szóló 2007. évi LXXX. törvény, Magyar Közlöny 2007/83, im Folgenden: ungarisches Asylgesetz) entscheidet die Asylbehörde über die Zulässigkeit des Antrags sowie darüber, ob die Voraussetzungen vorliegen, um über die Begründetheit des Antrags im beschleunigten Verfahren zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung der Dublin-Verordnungen nicht vorliegen.
Nach § 51 Abs. 2 Buchst. e ungarisches Asylgesetz ist der Antrag ist unzulässig, wenn es für den Antragsteller einen Drittstaat gibt, der für ihn einen sicheren Drittstaat darstellt. Nach § 51 Abs. 4 ungarisches Asylgesetz darf der Antrag nur dann nach Abs. 2 Buchst. e für unzulässig erklärt werden, wenn der Antragsteller
a) sich in einem sicheren Drittstaat aufgehalten hat und es ihm in diesem Staat möglich gewesen wäre, wirksamen Schutz entsprechend den Bestimmungen von § 2 Buchst. i in Anspruch zu nehmen,
b) das Hoheitsgebiet eines solchen Staates durchquert hat und es ihm in diesem Staat möglich gewesen wäre, wirksamen Schutz entsprechend den Bestimmungen von § 2 Buchst. i in Anspruch zu nehmen,
c) dort über verwandtschaftliche Verbindungen verfügt und in das Gebiet dieses Staates einreisen darf oder
d) ein sicherer Drittstaat die Auslieferung des Antragstellers beantragt.
Es besteht in Ungarn aufgrund der Aufnahme von Serbien in die Liste der sicheren Drittstaaten und die vorstehenden Bestimmungen damit die Gefahr, dass der Antragsteller nach einer Überstellung nach Ungarn dort keinen Zugang zu einem Asylverfahren erhält, in dem eine inhaltliche Prüfung seiner Fluchtgründe vorgenommen wird, sondern er stattdessen ohne inhaltliche Prüfung seiner Fluchtgründe nach europäischen Mindeststandards nach Serbien abgeschoben wird (VG München, B.v. 18.1.2016 – M 24 S 15.50827 u. a. – juris Rn. 41; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid v. 2.12.2015 – 22 K 3263/15.A – juris Rn. 56; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid v. 21.09.2015 – 8 K 5062/15.A – juris Rn. 30 ff.; VG München, U.v. 18.9.2015 – M 23 K 15.50045 – juris Rn. 26 ff.; B.v. 22.6.2016 – M 8 S 16.50295, BA S. 20).
2.4.2Diese Einschätzung wird auch durch die neueren Erkenntnismittel bestätigt (vgl. etwa die Nachweise in VG München, B.v. 18.1.2016 – M 24 S 15.50827 u. a. – juris Rn. 40 f.: Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Hungary, 1. November 2015, abrufbar unter: http://www.asylumineurope.org/reports/country/hungary; Amnesty International (AI), Fenced Out – Hungarys violations of the rights of refugees and migrants, 7.Oktober 2015, abrufbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/eur27/2614/2015/en/; European Council on Refugees and Exiles (ecre), Crossing Bundaries – The new asylum procedure at the border and restrictions to accessing protection in Hungary, 1. Oktober 2015, abrufbar unter: http://ecre.org/component/downloads/downloads/1056; Hungarian Helsinki Commitee (HHC), No Country for Refugees, New asylum rules deny protection to refugees and lead to unprecedented human rights violations in Hungary, Information Note, 18. September 2015, abrufbar unter: http://helsinki.hu/wpcontent/uploads/HHC_Hungary_Info_Note_Sept-2015_No_country_for_refugees.pdf). Danach ist die Drittstaatenregelung, insbesondere im Hinblick auf Serbien, als ernstzunehmendes Hindernis für die Durchführung eines den Mindestanforderungen entsprechenden Asylverfahrens anzusehen. Es besteht die Besorgnis, dass die Qualifizierung von Serbien als sicherem Drittstaat für Dublin-Rückkehrer gleichsam zu einer automatischen Ablehnung des Asylantrags ohne materielle Prüfung der Fluchtgründe führt. Einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine auf die Drittstaatenregelung gestützte Ablehnung sieht das ungarische Rechtssystem nicht vor. Für Dublin-Rückkehrer, die über Serbien nach Ungarn gelangt sind, was bis September 2015 auf 99% der Asylsuchenden zutrifft, besteht demnach die beachtliche Gefahr einer Kettenabschiebung nach Serbien, die ein indirektes Refoulement nach sich ziehen kann (AIDA, a. a. O. S. 24 f., 44 ff.; AI, a. a. O. S. 16; ecre a. a. O. S. 37; HHC a. a. O. S. 1 f.). Weiter ist den genannten Erkenntnismitteln zu entnehmen, dass die am 1. August 2015 in Kraft getretene Drittstaatenregelung in der Praxis auch rückwirkend auf Asylanträge angewandt werden soll, die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung gestellt worden sind (AIDA, a. a. O. S.24; vgl. auch das Rechtsgutachten über ungarisches Asylrecht vom 2. Oktober 2015, a. a. O., S. 21 f.).
2.4.3Vor allem aber hat der UNHCR, dessen Wertungen im Kontext der Prüfung des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO von besonderer Relevanz sind (EuGH, U.v. 30.5.2013 – C-528/11 – Halaf vs. Bulgarien, NVwZ-RR 2013, 660 – juris Tz. 44), bereits im Vorfeld Gesetzesänderungen Bedenken angemeldet und sich insoweit als „tief besorgt“ bezeichnet (vgl. UNHCR vom 3.7.2015: UNHCR urges Hungary not to amend asylum system in haste, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/559641846.html). Bereits diese Stellungnahme bestätigte, dass die Empfehlung, die der UNHCR bereits im August 2012 ausgesprochen hatte, nämlich von Rücküberstellungen von Asylsuchenden nach Serbien abzusehen und Serbien nicht als sicheren Drittstaat zu betrachten (UNHCR, Serbia as a Country of Asylum – Observations on the Situation of Asylum-Seekers ans Beneficiaries of International Protection in Serbia, August 2012, abrufbar unter: http://www.unhcrcentraleurope.org/pdf/resources/legaldocuments/unhcrhandbooksrecommendationsandguidelines/serbiaasacountryofasylum-2012.html), nach wie vor Gültigkeit hat.
In seinem jüngsten Bericht „Hungary as a Country of Asylum – Observations on restrictive legal measures and subsequent practice implemented between July 2015 and March 2016“ vom Mai 2016 (abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57319d514.html) hat der UNHCR in Tz. 71 ausdrücklich an seiner damaligen Empfehlung festgehalten, dass Asylsuchende nicht nach Serbien zurückgebracht werden sollten. Insoweit ist auch in Serbien eine sehr weitgehende Regelung sicherer Drittstaaten, die etwa auch die Türkei – trotz deren geografischen Vorbehalt bei der Ratifizierung der GFK -, Griechenland und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien umfasst, problematisch. Diese Regelung hat nach dem vom European Council on Refugees and Exiles (ecre) herausgegebenen Landesbericht vom März 2016 dazu geführt, dass über die Jahre zahlreiche Asylanträge abgelehnt wurden, ohne dass die zuständige Asylbehörde die Begründetheit des Anspruchs geprüft hätte (aida – Asylum Information Database, Country Report: Serbia, March 2016 abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/reportdownload/aida_sr.pdf). Letztendlich bestehen auch an der Leistungsfähigkeit des Asylverfahrens in Serbien erhebliche Zweifel. Nach dem vorstehenden Länderbericht vom März 2016 wurden 2015 583 Asylanträge gestellt, von denen 58 verbeschieden wurden (16 mit Zuerkennung des Flüchtlingsstatus, 14 mit Zuerkennung subsidiären Schutzes, 28 Ablehnungen).
Hinzu kommt, dass nach einer Meldung auf der aida-Homepage vom 12. Mai 2016 Ungarn Rücküberstellungen im Rahmen der Dublin-III-VO nach Griechenland angeordnet hat, obwohl seit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2011 kein anderer Mitgliedstaat Überstellungen nach Griechenland vornimmt (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/news/29-05-2016/hungarydecisionsreinstatingdublintransfersgreece).
2.4.4 Soweit jüngere Entscheidungen das Vorliegen systemischer Mängel des ungarischen Asylrechts im Hinblick auf die Einstufung Serbiens als sicheren Drittstaat ablehnen, stützen sich diese in erster Linie auf die Auskunft des Auswärtigen Amts an das Verwaltungsgericht Regensburg vom 27. Januar 2016 im Verfahren RO 4 K 15.50580 (VG Osnabrück, U.v. 18.5.2016 – 5 A 68/16 – juris Rn. 38; VG München, B.v. 17.3.2016 – M 1 S 16.50032 – juris Rn. 19). Nach der Auskunft vom 27. Januar 2016 lehne Serbien die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn im Wege der Einzelfallprüfung ab, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass die Antragsteller tatsächlich über Serbien nach Ungarn eingereist seien. Da Serbien in der Regel keine Registrierung der durchreisenden Flüchtlinge vorgenommen habe und Ungarn auch keine Nachweise vorlägen, könne dieser Nachweis in der Regel nicht erbracht werden. Die Asylbehörde sei in diesen Fällen von Gesetzes wegen verpflichtet, die Entscheidung aufzuheben und das Asylverfahren weiter zu betreiben, wenn der sichere Drittstaat die Übernahme ablehne.
Gegen den Befund, dass eine Rückführung nach Serbien tatsächlich nicht möglich sei, bestehen aber insoweit Bedenken, als nach den Ausführungen des UNHCR in seinem Bericht vom Mai 2016 (a. a. O., S. 25) zwischen 15. September 2015 und 31. März 2016 220 Personen von Ungarn nach Serbien im Rahmen der Wiederzulassungsvereinbarung überstellt wurden. Der UNHCR führt hierzu weiter aus, dass es hinsichtlich Asylsuchender, deren Asylanträge wegen der Drittstaatenregelung für unzulässig erklärt worden sind und die ihre Rückkehr nach Serbien erwarten, unklar bleibt, wie lange diese warten müssen, bis die zuständige Behörde ihre Entscheidung in ihrem Fall zur Unzulässigkeit aufhebt und in der Sache selbst prüft, ob sie die Voraussetzungen des Flüchtlingsstatus oder subsidiären Schutzes erfüllen. Sofern solche Personen inhaftiert sind, ist die Gesetzmäßigkeit ihrer Inhaftierung nach dem UNHCR ebenfalls ein Problem, da nach der Rückführungsrichtlinie Haft aus Gründen der Abschiebung nur als letzte Maßnahme und nur dann in Betracht kommt, wenn eine angemessene Aussicht auf Abschiebung besteht.
Angesichts der Tatsache, dass tatsächlich Abschiebungen nach Serbien stattfinden, erscheint es nicht vertretbar, darauf zu vertrauen, der Antragsteller werde tatsächlich hiervon nicht betroffen. Nach den rechtlichen Vorgaben in Ungarn ist eine Abschiebung nach Serbien als sicherem Drittstaat als Regelfall vorgesehen. Diesen systemischen Mangel kann eine vermeintliche tatsächliche Unabschiebbarkeit und damit die normative Kraft des Faktischen jedenfalls im Eilverfahren nicht beseitigen. Gegebenenfalls sind im Hauptsacheverfahren weitere Erkenntnisse bzw. Auskünfte über die Vollzugspraxis in Ungarn und über den Umfang von Abschiebungen sowie den hiervon betroffenen Personenkreis, insbesondere ob Dublin-Rückkehrer betroffen sind, einzuholen bzw. auszuwerten.
2.4.5 Dieser aktuellen Einschätzung stehen die Entscheidungen des EuGH (U.v. 10.12.2013 – C-394/12, Abdullahi – juris), des EGMR (U.v. 3.7.2014 – Nr. 71932/12, Mohammadi /Österreich) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 12.6.2015 – 13a ZB 15.50097 – juris), die das Vorliegen systemischer Schwachstellen verneint haben, nicht entgegen, da sie von den neueren Entwicklungen der ungarischen Asylgesetzgebung zum 1. August 2015 überholt wurden. Das Risiko eines möglichen Refoulements nach Serbien bestand seinerzeit nicht, da Ungarn nach dem damals geltenden Recht von der Drittstaatenregelung Abstand genommen hatte. Die diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Umstände haben sich durch die Rückkehr Ungarns zur Drittstaatenregelung maßgeblich geändert, so dass nach derzeitiger Sachlage wieder beachtliche Gründe für systemische Schwachstellen sprechen (VG München, B.v. 18.1.2016 – M 24 S 15.50827 u. a. – juris Rn. 44).
2.4.6 Ebenso stehen dieser Einschätzung weder das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. März 2016 (C-695/15 PPU, NVwZ 2016, 753 – juris) noch die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Mai 2016 (20 ZB 16.50034 – juris; 20 ZB 16.50036 – juris; 20 ZB 16.50037 – juris) entgegen.
In seinem Urteil in einem Eilvorabentscheidungsverfahren nach Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs hat der Europäische Gerichtshof auf Vorlage eines ungarischen Gerichts sich zur Anwendung und Auslegung von Art. 3 Abs. 3 Dublin-III-VO geäußert. Nach Art. 3 Abs. 3 Dublin-III-VO behält jeder Mitgliedstaat das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen. Nach dem Urteil vom 17. März 2016 ist Art. 3 Abs. 3 Dublin-III-VO dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat das Recht, eine Person, die um internationalen Schutz nachsucht, in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen, auch ausüben kann, nachdem er im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens anerkannt hat, dass er nach Dublin-III-VO für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, der von einer Person gestellt wurde, die diesen Mitgliedstaat verließ, bevor über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz in der Sache entschieden worden war. Zudem ist Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 dahin auszulegen, dass er der Zurück- oder Ausweisung einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, in einen sicheren Drittstaat nicht entgegensteht, wenn der Mitgliedstaat, der diese Person in den zuständigen Mitgliedstaat überstellt, während des Wiederaufnahmeverfahrens weder über die im letztgenannten Mitgliedstaat bestehende Regelung der Zurück- oder Ausweisung von Antragstellern in sichere Drittstaaten noch über die Praxis seiner zuständigen Behörden in diesem Bereich unterrichtet wurde. Schließlich ist Art. 18 Abs. 2 Dublin-III-VO dahin auszulegen, dass er im Fall der Wiederaufnahme einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, nicht vorschreibt, dass das Verfahren zur Prüfung ihres Antrags in dem Stadium wieder aufgenommen wird, in dem es eingestellt worden war.
Im Kern hat der Europäische Gerichtshof damit bestätigt, dass der Vorbehalt des Art. 3 Abs. 3 Dublin-III-VO auch dann greift, wenn im Rahmen des Dublin-Verfahrens ein Antragsteller von einem anderen Mitgliedstaat nach Ungarn überstellt wird. Der Europäische Gerichtshof hat sich in diesem Urteil aber nicht dazu geäußert, ob Serbien einen sicheren Drittstaat im Sinne dieser Bestimmung darstellt (vgl. dazu auch die kritische Anmerkung von Gutmann, NVwZ 2016, 756 f.).
Lediglich die Generalanwältin hat in ihren Schlussanträgen zu diesem Verfahren vom 8. März 2016 ausgeführt, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 60) Bestimmung nur dann einschlägig sein und es Ungarn ermöglichen könne, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn Serbien als ein „sicherer Drittstaat“ im Sinne von Art. 38 der Richtlinie 2013/32 angesehen werden könne und darauf hingewiesen, dass die im nationalen Recht enthaltene Einstufung Serbiens als sicherer Drittstaat den mit der Sache befassten Richter nicht davon freistelle, eine eigene Analyse vorzunehmen, um sich davon zu überzeugen, dass eine Person in dem betreffenden Drittstaat nach den in Art. 38 der Richtlinie 2013/32 aufgeführten Grundsätzen behandelt werde (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 8.3.2016 – juris Tz. 53). Zu Art. 39 der Richtlinie 2013/32 hat sie darauf hingewiesen, dass diese Vorschrift eine vereinfachte Regelung vorsehe, um Anträge von Antragstellern aus sicheren europäischen Drittstaaten zurückzuweisen, wenn sie unrechtmäßig in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gelangt sind. Damit Serbien einen sicheren europäischen Drittstaat darstellt, müssten nach Art. 39 der Richtlinie 2013/32 kumulativ drei Voraussetzungen vorliegen: Erstens müsse das Land die Genfer Flüchtlingskonvention ohne geografischen Vorbehalt ratifiziert haben und deren Bestimmungen einhalten, zweitens müsse es über ein gesetzlich festgelegtes Asylverfahren verfügen, und drittens müsse es die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ratifiziert haben und die darin enthaltenen Bestimmungen, einschließlich der Normen über wirksame Rechtsbehelfe, einhalten. In diesem Zusammenhang weist die Generalanwältin abschließend darauf hin, nur wenn diese Voraussetzungen kumulativ vorlägen, könne Ungarn sich zum einen auf Art. 39 der Richtlinie berufen, um von einer umfassenden Prüfung des Antrags abzusehen, und zum anderen in Erwägung ziehen, den Antragsteller gemäß Art. 3 Abs. 3 der Dublin-III-Verordnung nach Serbien auszuweisen. Soweit § 2 der ungarischen Regierungsverordnung hierzu keine einschlägigen Informationen enthalte, sei es Sache des mit dem Antrag befassten Gerichts, vorab zu prüfen, ob diese drei Voraussetzungen auf Serbien zutreffen (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 8.3.2016 – juris Tz. 56).
Auch die Nichtzulassungsbeschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Mai 2016 (20 ZB 16.50034 – juris; 20 ZB 16.50036 – juris; 20 ZB 16.50037 – juris) kommen nicht zu dem Ergebnis, dass Serbien ein sicherer Drittstaat sei, sondern führen unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. März 2016 (C-695/15 PPU) aus, warum Serbien unter Zugrundelegung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht als sicherer Drittstaat eingestuft werden könne, sei vom Kläger nicht in der für eine Nichtzulassungsbeschwerde erforderlichen Weise dargelegt worden. Mit den Beschlüssen wurden die Nichtzulassungsbeschwerden hinsichtlich der in den Verfahren aufgeworfenen Frage, ob die Gefahr einer Abschiebung nach Serbien gegen das in Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention völkerrechtlich anerkannte Prinzip des Non-Refoulement verstoße, letztendlich deshalb abgelehnt, da insoweit eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht dargelegt worden sei.
3. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 GG an eine ablehnende Entscheidung in einem Asyl-Eilverfahren erhöhte Anforderungen, wenn die Auskunftslage zwischenzeitlich von einer Vielzahl anderer Verwaltungsgerichte für eine stattgebende Entscheidung als hinreichend angesehen wird (BVerfG, B.v. 214.2016 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 14). Jedenfalls in Fällen, in denen die Auskunftslage dem im Eilverfahren zuständigen Einzelrichter als nicht hinreichend eindeutig erscheinen darf, wird eine weitere Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren und eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung geboten sein oder zumindest nahe liegen. Denn in einer solchen Situation ist es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts mit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht vereinbar, wenn das im Eilverfahren erst- und letztinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO beziehungsweise das Bestehen eines Anordnungsanspruchs im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO verneint und es damit ermöglicht, dass praktisch kaum rückgängig zu machende Fakten geschaffen werden (BVerfG, B.v. 21.4.2016 – 2 BvR 273/16 – juris Rn. 14).
Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben erscheint daher vorliegend im Eilverfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung geboten (vgl. auch VG Frankfurt/Oder, B.v. 31.5.2016 – 7 L 75/16.A – juris Rn. 23; VG Frankfurt/Oder, B.v. 31.5.2016 – 7 L 14/16.A – juris Rn. 23; VG Frankfurt/Oder, B.v. 31.5.2016 – 7 L 58/16.A – juris Rn. 21, wo bei offenen Erfolgsaussichten der Hauptsache die aufschiebende Wirkung angeordnet wurde).
4. Nachdem der Antrag vollumfänglich Erfolg hat, sind die Kosten der Antragsgegnerin gemäß § 154 Abs. 1 VwGO aufzuerlegen.
Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
5. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.