Europarecht

XI ZB 35/18

Aktenzeichen  XI ZB 35/18

Datum:
27.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:270421BXIZB35.18.0
Normen:
§ 127 aF InvG
§ 280 Abs 1 BGB
§ 311 Abs 2 BGB
§ 132 GVG
Art 103 GG
Spruchkörper:
11. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 19. Januar 2021, Az: XI ZB 35/18, Beschlussvorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 17. Januar 2018, Az: 13 Kap 2/15vorgehend LG Hamburg, 11. Juni 2015, Az: 334 OH 1/15

Tenor

Die Gehörsrüge des Musterklägers gegen den Beschluss des Senats vom 19. Januar 2021 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe

1
Die innerhalb der Frist des § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO formgerecht eingelegte Gehörsrüge des Musterklägers hat in der Sache keinen Erfolg, weil der Senat den Anspruch des Musterklägers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 321a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 3 ZPO).
2
1. Indem der Senat in seinem die Rechtsbeschwerde zurückweisenden Beschluss auf den Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung vor einer Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB erkannt hat, ohne darauf im Rechtsbeschwerdeverfahren vorab hinzuweisen, hat er nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen.
3
Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ist freilich verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf – selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – nicht zu rechnen brauchte (Senatsbeschluss vom 20. November 2018 – XI ZB 9/17, juris Rn. 7; BVerfG, NJW 2003, 3687 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier indessen nicht erfüllt:
4
Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 23. Oktober 2018 (XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 54 ff.) eingehend dargelegt und begründet, dass und warum die spezialgesetzliche Prospekthaftung – dort: nach § 127 Abs. 1 InvG in der Fassung vom 21. Dezember 2007 – in ihrem Anwendungsbereich nicht nur die allgemeine bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung im engeren Sinne, sondern auch einen Schadensersatzanspruch – dort: gegen die Kapitalanlagegesellschaft – wegen Aufklärungspflichtverletzung durch Verwenden eines fehlerhaften Verkaufsprospekts bei Anbahnung des Vertragsverhältnisses – dort: des Investmentvertrags – gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB ausschließt. In seinem Beschluss vom 19. Januar 2021 in dieser Sache (XI ZB 35/18, WM 2021, 726 Rn. 22 ff.) hat der Senat keine davon abweichenden neuen Grundsätze entwickelt, sondern – wie im Übrigen schon in seinem Beschluss vom 6. Oktober 2020 (XI ZB 28/19, WM 2020, 2411 Rn. 50) – lediglich die allgemeine Geltung der in seinem Beschluss vom 23. Oktober 2018 dargelegten Grundsätze für einen weiteren Anwendungsfall – Ausschluss der Haftung der Gründungsgesellschafter als Prospektverantwortliche gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB neben ihrer Haftung aus spezialgesetzlicher Prospekthaftung – bestätigt.
5
Dass die in der Literatur (vgl. nur Assmann in Assmann/Pötzsch/U.H. Schneider, WpÜG, 3. Aufl., § 12 Rn. 68; Groß in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 16 WpHG Rn. 4 mit Fn. 17; ders., Kapitalmarktrecht, 7. Aufl., § 16 WpPG Rn. 3a mit Fn. 17; Henning, WM 2019, Sonderbeil. Nr. 4, S. 3, 13; Hoffmann-Theinert/Beyer, EWiR 2019, 265, 266) rezipierten Erwägungen zur ausschließlichen Anwendung der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nicht nur für § 127 Abs. 1 InvG aF gelten, sondern für sämtliche spezialgesetzlichen Haftungstatbestände Geltung beanspruchen, wurde in der Literatur vor Erlass des Beschlusses vom 19. Januar 2021 eingehend (und zustimmend) diskutiert (Buck-Heeb/Dieckmann, ZHR 184 [2020], 646, 679 ff./681 ff./683 ff.; Dieckmann, BKR 2019, 102, 104; Voß, WuB 2019, 559, 560; vgl. im Sinne einer Verallgemeinerung auch die Antwort der Bundesregierung im Juni 2019 auf eine Kleine Anfrage BT-Drucks. 19/10920, S. 12). Die Kenntnisnahme der einschlägigen Senatsrechtsprechung und der an sie anknüpfenden Literatur ist von den beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälten auch ohne besonderen Hinweis zu erwarten (vgl. Senatsbeschluss vom 3. März 2020 – XI ZR 189/19, juris Rn. 2 mwN). Zu dem Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 und der in seinem Anschluss in der Literatur geführten Debatte hätte der Musterkläger entgegen seiner Behauptung auch nach Ablauf der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde vortragen können. Rechtsausführungen einer Partei sind an Rechtsmittelfristen nicht gebunden (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. September 2016 – V ZR 3/16, juris Rn. 13).
6
2. Im Übrigen gaben die vom Musterkläger zitierten Entscheidungen des II. und III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs dem Senat keine Veranlassung zu einer Anfrage bzw. Vorlage nach § 132 Abs. 2 und 3 GVG betreffend die Frage des Rangverhältnisses von spezialgesetzlicher Prospekthaftung gemäß den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung und Haftung der Gründungsgesellschafter gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung. Auf dem Unterbleiben eines Hinweises, auf den der Musterkläger wie in seiner Anhörungsrüge vorgetragen reagiert hätte, kann der Beschluss des Senats vom 19. Januar 2021 nicht beruhen.
7
Für den vom Musterkläger zitierten Hinweisbeschluss des II. Zivilsenats vom 3. Januar 2020 (II ZR 98/19, juris) und das vom Musterkläger angeführte Urteil des III. Zivilsenats vom 13. August 2020 (III ZR 148/19, WM 2020, 1862) gilt dies schon deshalb, weil ihnen kein tragender Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem mit Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 aufgestellten tragenden Rechtssatz abwiche. Der III. Zivilsenat verneinte in seinem Urteil vom 13. August 2020 (aaO, Rn. 23) explizit die Anwendbarkeit des Verkaufsprospektgesetzes, so dass er keinen Anlass hatte, zu einem Konkurrenzverhältnis von gesetzlicher Prospekthaftung und einer Haftung wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung Stellung zu nehmen. Der Hinweisbeschluss des II. Zivilsenats vom 3. Januar 2020, der als solcher schon nicht geeignet wäre, eine Divergenzvorlage zu rechtfertigen, verneinte im Ergebnis eine Haftung (aaO, Rn. 16 ff.). Anlass für eine die Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen vorbereitende Anfrage gemäß § 132 GVG besteht nicht, sofern eine Frage lediglich die Begründung der Entscheidung betrifft, deren Ergebnis jedoch nicht berührt. Bei der dann fehlenden Entscheidungserheblichkeit ist eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen im Gegenteil unzulässig (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 17. Januar 2012 – XI ZR 254/10, WM 2012, 746 Rn. 11 [dort zu § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO]; BGH, Beschluss vom 27. März 2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 299).
8
Aber auch das Urteil des II. Zivilsenats vom 19. November 2019 (II ZR 306/18, WM 2020, 169) gab und gibt keinen Anlass für ein Verfahren nach § 132 Abs. 2 und 3 GVG. Der vom Musterkläger mit der Anhörungsrüge geltend gemachte Gegensatz zwischen der Rechtsprechung des Senats und der des II. Zivilsenats besteht nicht. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 19. Januar 2021 (XI ZB 35/18, WM 2021, 726 Rn. 26 im Anschluss an Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 57) nicht in Frage gestellt, dass Gründungsgesellschafter wie die Musterbeklagten Anlegern aus anderen Gründen als durch Verwenden einer Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung – etwa wegen unrichtiger mündlicher Zusicherungen – nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB (und gegebenenfalls § 278 BGB) haften können. Insoweit schließt die spezialgesetzliche Prospekthaftung “eine Haftung aus c.i.c. nicht aus” (grundsätzlich BGH, Urteil vom 2. Juni 2008 – II ZR 210/06, BGHZ 177, 25 Rn. 15; vgl. dazu den vor dem Erlass des Beschlusses in dieser Sache veröffentlichten Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2020 – XI ZB 28/19, WM 2020, 2411 Rn. 50). Der Haftung der Gründungsgesellschafter nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB “aus c.i.c.” verbleibt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des II. Zivilsenats damit ein selbständiger Anwendungsbereich.
9
In der Literatur ist angeregt worden, der II. Zivilsenat möge die Reichweite der Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB im Anschluss an den Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 (XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 54 ff.) in diesem Sinne klarstellen (Buck-Heeb/Dieckmann, ZHR 184 [2020], 646, 684). Der II. Zivilsenat hat diese Klarstellung dem Senat überlassen, indem er das hiesige Musterverfahren dem Senat unter Verweis auf dessen Zuständigkeit für die spezialgesetzliche Prospekthaftung zur Übernahme angeboten hat. Ein Verfahren nach § 132 GVG kam daneben nicht in Betracht.
10
3. Die Kostenentscheidung, die nur zulasten des Musterklägers und nicht auch zulasten der auf seiner Seite beigetretenen Beigeladenen zu treffen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2017 – XI ZB 17/15, juris), beruht mangels einer spezielleren Regelung in § 26 KapMuG auf einer entsprechenden Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – I ZR 73/20, juris Rn. 8).
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