Europarecht

Zur Bezeichnung von Produkten aus zusammengefügten Fleischstücken

Aktenzeichen  20 ZB 19.131

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2022, 97
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LFGB § 11 Abs. 1 Nr. 1, § 15
LMIV Art. 2 Abs. 2 lit. o, Art. 7 Abs. 1 lit.a, Art. 17 Abs. 5, Anh. VI

 

Leitsatz

Steht aufgrund einer unionsrechtlichen Bestimmung fest, wie ein Lebensmittel nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 LMIV zu bezeichnen ist, kann die Verwendung einer nicht normierten, aber im Mitgliedstaat bestehenden verkehrsüblichen Bezeichnung nicht wegen eines Verstoßes gegen das Irreführungsverbot aus Art. 7 Abs. 1 lit. a LMIV i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB verlangt werden. (Rn. 7)

Verfahrensgang

RO 5 K 16.2012 2018-11-15 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 15. November 2018 festgestellt, dass die Bezeichnung „Delikatess Putenbraten – aus Fleischstücken zusammengefügt“ für das von der Klägerin hergestellte Produkt aus Putenfleisch, bei dem die eingesetzten Putenteilstücke entsprechend dem Gutachten des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 4. August 2015 nach dem Füllen, aber noch vor dem Garen zu weniger als 80 Gewichtsprozent ein Gewicht von > 200 g aufweisen, nicht gegen Art. 7 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV) i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB verstoße und nicht um den Zusatz „Formfleisch“ zu ergänzen sei. Der Gesetzgeber habe mit Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Anhang VI Teil A Ziffer 7 LMIV eine Bezeichnung zwingend vorgeschrieben. Den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs komme keine normative Wirkung zu. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Bezeichnung „Formfleisch“ eine verkehrsübliche Bezeichnung i.S. des Art. 2 Abs. 2 lit. o LMIV darstelle.
Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Beklagte ist der Auffassung, zur Bestimmung der verkehrsüblichen Bezeichnung sei auf die Verkehrsauffassung in Deutschland abzustellen, welche aus Fleischstücken zusammengesetzte Produkte seit vielen Jahren mit dem Signalwort „Formfleisch“ bezeichne. Deshalb sei zur Klarstellung und zur Vermeidung der Irreführung deutscher Verbraucher zusätzlich zu der unionsrechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung das Lebensmittel als „Formfleisch Putenbraten – aus Fleischstücken zusammengefügt“ zu bezeichnen. Es sei von einem grundsätzlichen Klärungsbedarf auszugehen. Bei Wegfall der Bezeichnungspflicht „Formfleisch“ bestehe für die Hersteller kein Anreiz mehr, die von der DLG-Arbeitsgruppe bzw. dem Arbeitskreis der auf dem Gebiet der Lebensmittelhygiene und der vom Tier stammenden Lebensmittel tätigen Sachverständigen (ALTS) festgelegten Grenzwerte für die Stückgrößen einzuhalten, bei deren Einhaltung die Formfleisch-Kennzeichnung unterbleiben könne. Der unstreitig verpflichtende Zusatz „aus Fleischstücken zusammengefügt“ würde auch im Ergebnis untergehen, weil für ihn lediglich eine Schriftgröße mit einer x-Höhe von 1,2 mm erforderlich sei (Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Anhang IV LMIV).
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils werden mit dem Zulassungsvorbringen nicht begründet.
Ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot des § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Nr. 1 VO (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV) liegt schon deshalb nicht vor, weil das streitgegenständliche Produkt mit der nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 LMIV rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung nach Anhang VI Teil A Ziffer 7 i.V.m. Art. 17 Abs. 5 LMIV bezeichnet ist und den unionsrechtlichen Kennzeichnungsvorschriften entspricht (vgl. BGH, U.v. 16.1.2020 – I ZR 74/16 – LMuR 2020, 163 Rn. 28 ff.).
a. Für Produkte, die in Deutschland bis zum Inkrafttreten der LMIV als „Formfleisch“ zu kennzeichnen waren (dazu OLG Düsseldorf, U.v. 27.6.2000 – 20 U 22/00 – juris; Bertling, „Zum Erfordernis der ausreichenden Kenntlichmachung von sogenanntem Formfleisch“ – ZLR 1988, 554-556), legt Art. 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 und Anhang VI Teil A Ziffer 7 LMIV fest, dass Fleischerzeugnisse, Fleischzubereitungen und Fischereierzeugnisse, die den Anschein erwecken könnten, dass es sich um ein gewachsenes Stück Fleisch oder Fisch handelt, die jedoch tatsächlich aus verschiedenen Stücken bestehen, die durch andere Zutaten, einschließlich Lebensmittelzusatzstoffe und Enzyme, oder durch andere Mittel zusammengefügt sind, folgenden Hinweis tragen: auf Deutsch „aus Fleischstücken zusammengefügt“ oder „aus Fischstücken zusammengefügt“.
b. Nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 LMIV, der für spezielle Vorschriften für die Bezeichnung eines Lebensmittels und die Angaben, die dazu zu machen sind, auf Anhang VI LMIV verweist (zur Bedeutung der Überschrift in Anhang VI „Bezeichnung des Lebensmittels und spezielle zusätzliche Angaben – Teil A – Verpflichtende Angaben zur Ergänzung der Bezeichnung des Lebensmittels“ Meisterernst in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand November 2020, Art. 17 LMIV Rn. 73f.) ist die Bezeichnung „aus Fleischstücken zusammengefügt“ eine durch geltende Rechtsvorschriften der Union vorgeschriebene Bezeichnung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 lit. n LMIV. Für die Annahme, das Weglassen der Bezeichnung „Formfleisch“ stelle einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Nr. 1 LMIV dar, ist deshalb kein Raum. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es auf eine verkehrsübliche Bezeichnung oder eine etwa bestehende Verkehrsauffassung i.S. des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 LMIV dazu, wie Produkte aus zusammengefügten Fleischstücken in Deutschland bezeichnet werden bzw. in der Vergangenheit bezeichnet wurden, nicht ankommt (EuGH, U.v. 4.9.2019 – C-686/17 – LMuR 2019, 255 mit Besprechung von Rochus Wallau unter Bezugnahme auf Sosnitza in ZLR 2018, 743, 754; Meisterernst in Zipfel/Rathke, a.a.O. Art. 17 Rn. 18, 29). Etwaige Fehlvorstellungen der Verbraucher nimmt der Gesetzgeber in solchen Fällen hin (Rathke in Zipfel/Rathke, LMIV, Stand November 2020, Art. 7 Rn. 65). Anderenfalls stünde jede regulative Entscheidung des Gesetz- oder Verordnungsgebers unter dem „Vorbehalt“, unter Rückgriff auf eine angebliche Irreführung ausgehebelt zu werden.
c. Welche rechtliche Bedeutung dem Leitsatz 2.19 des Deutschen Lebensmittelbuchs für Fleisch und Fleischerzeugnisse zukommt, bedarf wegen der unionsrechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung vorliegend keiner Entscheidung. Um Vorschriften mit normativer Geltungsanordnung handelt es sich bei den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs gemäß § 15 LFGB jedenfalls nicht; sie könnten grundsätzlich auch dann nicht zur Festlegung der rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Satz 1 dienen, wenn eine entgegenstehende unionsrechtliche Vorschrift nicht existierte (Meisterernst in Zipfel/Rathke, a.a.O. Art. 17 Rn. 23). Auf die nach dem zitierten Leitsatz vorgenommene weitergehende Differenzierung, wonach als „Formfleisch“ jedenfalls Lebensmittel gekennzeichnet werden müssten, bei dem die eingesetzten Teilstücke nach dem Abfüllen in den Darm und vor dem Garen eine Stückgröße von 80 Gew.-% < 200g (Putenbrust) aufweisen, kommt es daher nicht an. Sie findet im Unionsrecht keine Stütze. Die Bezeichnung „aus Fleischstücken zusammengefügt“ ist vielmehr unabhängig von den verwendeten Stückgrößen zu führen (dazu auch Grube in Voit/Grube, LMIV, Stand 2016, Art. 17 Rn. 222).
Der vom Beklagten über den Bundesrat in das Rechtssetzungsverfahren auf EU-Ebene eingebrachte Antrag, nach deutscher Verkehrsauffassung bislang als „Formfleisch“ in Verkehr befindliche Produkte nach der Lebensmittelinformationsverordnung als „Formfleischaus zusammengesetzten Fleischstücken“ zu bezeichnen, ist in die Regelungen der LMIV nicht aufgenommen worden (BR-Drs. 568/10 vom 21. September 2010 und 18. Januar 2011).
Nach dem Bericht des Präsidiums der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission vom 1. Dezember 2020 hat der Fachausschuss in seiner 67. Sitzung am 8. und 9. September 2020 den Vorschlag erarbeitet, in Anpassung an Anhang VI Teil A Ziffer 7 LMIV das Signalwort „Formfleisch“ zu streichen (vgl. https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittel-kennzeichnung/deutsche-lebensmittelbuch-kommis-sion/fachausschuss-fleisch-fleischerzeugnisse-sachstandsbericht.html). Ohne dass es streitentscheidend darauf ankäme, wird man dem Kläger, der bei der Produktbezeichnung die Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Anhang VI Teil A Ziffer 7 beachtet, vor diesem Hintergrund schwerlich eine Irreführung durch Unterlassen in Bezug auf Eigenschaften des Lebensmittels im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a LMIV vorhalten können, auch wenn der entsprechende Leitsatz bislang nicht geändert wurde („Bekanntmachung von Änderungen bestimmter Leitsätze des Deutschen Lebensmittelbuches“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom 23. September 2020, BAnz AT 29.10.2020 B4). Die in Anhang VI zur LMIV getroffenen speziellen Regelungen zur Bezeichnung von Lebensmitteln sollen mit der Pflicht zur Ergänzung der Bezeichnung gerade eine Irreführung der Verbraucher vermeiden (Meisterernst in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand November 2020, Art. 17 LMIV, Rn. 74).
2. Tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind ebenso wenig ersichtlich wie grundsätzlicher Klärungsbedarf (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), weil die vom Beklagten mit dem Zulassungsantrag formulierten Fragen bereits durch die zitierte Rechtsprechung des EuGH und des BGH geklärt sind (vgl. auch Meisterernst in Zipfel/Rathke, a.a.O., Art. 2 Rn. 100).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.


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