Familienrecht

Aktenrückgabe an AG zur Nachholung einer Entscheidung über Pflichtverteidigerbestellung im Bußgeldverfahren

Aktenzeichen  2 Ss OWi 1399/17

Datum:
25.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StV – 2018, 144
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 103 I

 

Leitsatz

Ein mit der (Zulassungs-) Rechtsbeschwerde eingelegter Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist als Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers auszulegen, über den das Tatgericht zu entscheiden hat. Hat das Tatgericht noch nicht über diesen Antrag entschieden, beruht die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist nicht auf einem Verschulden des Betroffenen i.S.v. § 44 I 1 StPO; die Nachholung der versäumten Handlung durch Einreichung einer Rechtsbeschwerdebegründungsschrift ist dem Betroffenen erst zumutbar, wenn über seinen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers entschieden ist. Das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren erfordert daher die Rückgabe der Sache an das Amtsgericht zur weiteren Sachbehandlung, weil mangels Nachholung der versäumten Handlung Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist – vorerst – nicht gewährt werden kann (§ 45 II 2 StPO). (Rn. 3 – 5)

Tenor

Das Verfahren wird zur weiteren Sachbehandlung an das Amtsgericht zurückgegeben.

Gründe

I.
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 07.07.2017 wegen unbefugter Hilfeleistung in Steuersachen zu einer Geldbuße von 150 €. Das Urteil wurde in der Hauptverhandlung vom 07.07.2017 in Anwesenheit des nicht anwaltlich vertretenen Betroffenen verkündet; ihm wurde ausweislich des Protokolls über die Hauptverhandlung mündlich sowie durch Aushändigung des Vordrucks,OWi 22′ eine Rechtsmittelbelehrungerteilt. Mit Schreiben vom 14.07.2017, eingegangen bei dem Amtsgericht am selben Tage, teilte der Betroffene mit, dass er die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantrage. Für das Verfahren beantrage er Prozesskostenhilfe. Soweit und sobald Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei, werde er dem Gericht einen beizuordnenden Rechtsanwalt benennen. Soweit und sobald Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei, werde der beigeordnete Rechtsanwalt einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde „stellen“. Vom Vorwurf der unerlaubten Steuerberatung sei er freizusprechen. Die Begründung für das „summarische PKH-Prüfverfahren“ werde er bis zum 14.08.2017 bei Gericht einreichen. Unter dem 31.07.2017 verfügte die Tatrichterin die förmliche Zustellung des Urteils an den Betroffenen, welche am 02.08.2017 erfolgte. Mit Telefax-Nachricht vom 14.08.2017 übermittelte der Betroffene dem Amtsgericht zur „Begründung für das summarische PKH-Prüfverfahren“ umfangreiche Ausführungen zur Sache, in denen er sich gegen seine Verurteilung wendet und auch eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht moniert. Das Amtsgericht hat über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entschieden, sondern unter dem 16.08.2017 veranlasst, dass die Akten durch Vermitt lung der Staatsanwaltschaft dem Rechtsbeschwerdegericht zur Entscheidung über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vorgelegt werden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter dem 18.09.2017 beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 07.07.2017 als unzulässig zu verwerfen, da das Rechtsmittel zwar form- und fristgerecht eingelegt, nicht aber formgerecht begründet worden sei. In seiner Gegenerklärung vom 06.10.2017 macht der Betroffene im Wesentlichen geltend, er habe bisher lediglich einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt, der nicht den formalen Begründungserfordernissen eines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde genügen müsse, und über den nicht entschieden sei. Im Übrigen sei ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde von ihm bisher nicht eingelegt worden; vielmehr sollte nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe erst der beigeordnete Rechtsanwalt ggf. im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsantrag den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ordnungsgemäß stellen.
II.
Das Verfahren ist an das Amtsgericht zurückzugeben. Die Voraussetzungen für eine Aktenvorlage an das Rechtsbeschwerdegericht (§ 347 Abs. 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG) und für eine Sachentscheidung des Senats liegen noch nicht vor, da der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zwar wirksam eingelegt ist, das Amtsgericht aber bisher nicht über den gleichzeitig mit der Rechtsmitteleinlegung gestellten Antrag des Betroffenen auf „Bewilligung von Prozesskostenhilfe“ entschieden hat, welcher als Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG auszulegen ist.
1. Das Schreiben des Betroffenen vom 14.07.2017, welches bei dem Amtsgericht am letzten Tag der Wochenfrist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 07.07.2017 eingegangen ist (§ 341 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG), ist entgegen der von dem Betroffenen in seiner Gegenerklärung vom 06.10.2017 vertretenen Auffassung nicht nur als Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers, sondern zugleich als Antrag auf Zulas sung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 07.07.2017 auszulegen.
a) Entscheidend für die Auslegung einer Erklärung sind nach der Vorschrift des § 300 StPO, die für alle Rechtsbehelfe und Anträge und auch im Bußgeldverfahren gilt, der Gesamtinhalt der Verfahrenserklärung und die Erklärungsumstände, soweit sie innerhalb der für die Einlegung des Rechtsmittels geltenden Frist erkennbar werden; im Zweifel ist die Erklärung so auszulegen, dass der erstrebte Erfolg möglichst erreichbar ist (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 300 Rn. 3 m.w.N.).
b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend von einer wirksamen Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 07.07.2017, verbunden mit einem Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers, auszugehen. Der Betroffene erklärt in seinem Schreiben vom 14.08.2017 ausdrücklich, er „stelle Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde“. Auch wenn er zugleich ankündigt, dass der beizuordnende Rechtsanwalt einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde „stellen“ wird, „sobald und soweit PKH bewilligt worden ist“, ist diese Erklärung unbeschadet des Vorbringens des Betroffenen in der Gegenerklärung vom 06.10.2107 nicht dahingehend zu verstehen, dass der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde von der gleichzeitig beantragten Bewilligung von Prozesskostenhilfe bzw. Beiordnung eines Pflichtverteidigers abhängig gemacht wird. Denn einerseits war dem über seine Rechtsmittel belehrten und die Einlegungs-frist bis zum letzten Tag ausnutzenden Betroffenen bekannt, dass es jedenfalls für die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde der Mitwirkung eines Verteidigers oder Rechtsanwaltes nicht bedurfte, und andererseits findet das Wort „stellen“ im allgemeinen Sprachgebrauch nicht nur im Sinne von „einlegen“, sondern auch im Sinne von „begründen“ Verwendung. Soweit der Betroffene im Übrigen für die von ihm vertretene gegenteilige Auslegung seiner Erklärung auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Einlegungsfrist abhebt, würde bei einer Fallkonstellation wie der vorliegenden die Gewährung von Wiedereinsetzung in die Versäumung der Einlegungsfrist aber schon deshalb ausscheiden, weil der Betroffene seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe am letzten Tag der Einlegungsfrist bei dem Amtsgericht angebracht hat und ihm darüber hinaus ohne weiteres zuzumuten war, dass er jedenfalls den Antrag auf Zulassung der
a) Rechtsbeschwerde auch vor der Entscheidung über den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers stellt, sodass von einer unverschuldeten Versäumung der Ein-legungsfrist nicht auszugehen gewesen wäre, der Betroffene mithin seines Rechtsmittels verlustig gegangen wäre.
2. Dem wirksam eingelegten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mangelt es aber an einer formgerechten Rechtsbeschwerdebegründung – entweder zu Protokoll der Geschäftsstelle gegenüber dem Rechtspfleger bei dem Amtsgericht oder mittels einer vom Verteidiger oder von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift (§ 345 Abs. 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG). Eine solche ist innerhalb laufender Rechtsbeschwerdebegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG) nicht bei dem Amtsgericht eingegangen, sodass der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 07.07.2017 unzulässig ist.
3. Gleichwohl ist der Senat jedoch an der von der Generalstaatsanwaltschaft beantragten Verwerfungsentscheidung gemäß § 349 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG gehindert.
a) Die Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist beruht nämlich nicht auf einem Verschulden des Betroffenen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 StPO), denn bisher ist nicht über den von ihm bereits mit der Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellten Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers entschieden. Für diese Entscheidung ist der Vorsitzende des Gerichts, dessen Urteil angefochten ist, zuständig (BGH, Beschluss vom 10.03.2005 – 4 StR 506/04; OLG Hamm NJW 1963, 1513; vgl. auch Meyer-Goßner/Sc/7/7?/ff § 141 Rn. 6), da eine mündliche Verhandlung vor dem Rechtsbeschwerdegericht nicht durchzuführen ist (§ 80 Abs. 4 Satz 1 O- WiG).
b) Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung ergibt sich aus dem Recht des Betroffenen auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör die Verpflichtung des Amtsgerichts, über die Verwerfung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 346 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf Bestellung eines
b) Pflichtverteidigers zu entscheiden, weil der Betroffene darauf vertrauen darf, dass, falls sein Antrag abgelehnt wird, hierüber so rechtzeitig eine Entscheidung getroffen wird, dass er noch innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist entweder selbst einen Verteidiger beauftragen oder die Rechtsbeschwerdebegründung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erklären kann. Ein gleichwohl ergangener Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts ist durch das Rechtsbeschwerdegericht auf einen zulässigen Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG aufzuheben, wenn Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann, weil die versäumte Handlung (formgerechte Rechtsbeschwerdebegründung) noch nicht nachgeholt ist (BayObLG NStZ-RR 2002, 287 im Anschluss an BayObLG NStZ 1995, 300; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.04.2003 – 3 Ss 95/02 [bei juris]; OLG Koblenz NStZ-RR 2008, 80; OLG Hamm NStZ-RR 2011, 86).
c) Nichts anderes kann im Ergebnis gelten, wenn das Amtsgericht – wie hier – eine Verwerfungsentscheidung nach § 346 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG nicht getroffen, sondern die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Rechtsbeschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt hat. Auch hier ist das Rechtsbeschwerdegericht an der Verwerfung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 349 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG als unzulässig wegen Nichteinreichens einer formgerechten Rechtsbeschwerdebegründungsschrift gehindert. Die Wahrung des Rechts des Betroffenen auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren erfordert vielmehr die Rückgabe der Sache an das Amtsgericht zur weiteren Sachbehandlung, weil mangels Nachholung der versäumten Handlung Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist -vorerst – nicht gewährt werden kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Nachholung der versäumten Handlung ist dem Betroffenen erst zumutbar, wenn über seinen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers entschieden worden ist.
III.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Gewährung von Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist nur möglich ist, wenn der Wiedereinsetzungsantrag binnen einer Woche ab Zustel lung der Entscheidung des Amtsgerichts über die Bestellung eines Pflichtverteidigers angebracht wird, während für die Nachholung der versäumten Handlung (Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde in der nach § 345 Abs. 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG gebotenen Form) eine Frist von einem Monat ab Zustellung der Entscheidung über die Bestellung eines Pflichtverteidigers gilt. Auch nach der Entscheidung gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG obliegt daher das weitere Verfahren zunächst dem Amtsgericht, das nach Ablauf der genannten Fristen nach § 347 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG zu verfahren haben wird.
IV.
Eine Kostenentscheidung durch den Senat ist nicht veranlasst.

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