Familienrecht

Beschwerde, Testament, Sorgerecht, Kindeswohl, Eltern, Auslegung, Entziehung, Kind, Sorgerechtsentzug, Erblasserin, Mutter, Zulassung, Wert, Bestellung, erheblicher Interessengegensatz

Aktenzeichen  7 WF 434/22

Datum:
20.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15640
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB §§ 1629 Abs. 2, 1796

 

Leitsatz

Ein Sorgerechtsentzug für ein Erbscheinerteilungsverfahren muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Er ist nicht erforderlich, wenn zu erwarten ist, dass die Eltern im Interesse des Kindes handeln, und ihr Einfluss auf die Entscheidung gering ist.

Verfahrensgang

154 F 379/22 2022-03-30 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Eltern und Beschwerdeführer wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Nürnberg vom 30.03.2022 (Az. 154 F 379/22) aufgehoben.
II. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Bestellung eines Ergänzungspflegers für ihr Kind anlässlich eines Erbscheinserteilungsverfahrens.
Die Beschwerdeführer sind die Eltern des am …2004 geborenen Kindes T… T… Die Mutter ist nach dem Testament ihrer am …2021 verstorbenen Mutter, Frau K… W…, deren Haupterbin. Daneben sollen ihre Tochter T… und ihre weitere Tochter S…, die Enkeltöchter der Erblasserin, je nach Wert des hinterlassenen Gesamtvermögens Wertpapiere im Wert von 200.000 Euro und gegebenenfalls weitere 75.000 Euro erben.
Auf Hinweis des Nachlassgerichts auf eine eventuelle Interessenkollision der Erben ist mit Beschluss des Familiengerichts vom 30.03.2022 wegen der Kollision der Interessen der Mutter mit derer ihrer minderjährigen Tochter beiden Eltern für das Erbscheinserteilungsverfahren vor dem Amtsgericht Nürnberg die Vertretungsmacht entzogen, Ergänzungspflegschaft angeordnet und eine Rechtsanwältin als Pflegerin ausgewählt worden. Je nach Auslegung des Testaments könne sich eine unterschiedliche Höhe der Zuwendung an das Kind und damit an die Mutter ergeben. Die Entziehung der Vertretungsmacht nur der Mutter sei nicht sinnvoll, da davon auszugehen sei, dass sich bei einer Vertretung nur durch den Vater aufgrund des Näheverhältnisses zur Mutter der Interessengegensatz fortsetzen würde. Er müsste sich dann gegebenenfalls zu Gunsten seiner Ehefrau oder seiner Tochter aussprechen. Bei der Bestellung der Großeltern als Ergänzungspfleger würde sich diese Interessenkollision entsprechend fortsetzen. Kostengesichtspunkte hätten bei der Auswahl des Ergänzungspflegers in den Hintergrund zu treten, da die Neutralität der Ergänzungspflegerin hier höher zu werten sei.
Gegen diesen, den Eltern jeweils am 06.04.2022 zugestellten Beschluss wenden sich die Eltern mit ihrer am 03.05 2022 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde.
Sie erklären, dafür Verständnis zu haben, dass ein Interessenkonflikt und eine Benachteiligung des betroffenen Kindes verhindert werden solle. Sie sind jedoch der Ansicht, dass sie selbst für die Aufteilung des Erbes die für die Enkelinnen T… und S… günstigste Auslegung vornehmen wollen. Eine Ergänzungspflegschaft sei einfach nicht nötig, zumal diese Pflegschaft bezahlt werden müsse.
II.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff. FamFG i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG zulässig. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses.
1. Die Entziehung der Vertretungsmacht der Eltern und die Bestellung eines Ergänzungspflegers richten sich nach § 1629 Abs. 2 Satz 3 i.V. mit § 1796 Abs. 2 BGB. Demnach soll einem Elternteil das Sorgerecht nur entzogen werden, wenn das Interesse des Kindes zum Interesse des Elternteils als gesetzlichem Vertreter in erheblichem Gegensatz steht (BGH FamRZ 2008, 1156 Rn. 14). Das Amtsgericht hat hierzu zu Recht ausgeführt, dass sich je nach Auslegung des Testaments eine unterschiedliche Höhe der Zuwendung an das Kind und damit an die Mutter ergeben kann. Der Senat sieht das Vorliegen des Gegensatzes der Interessen von Mutter und Kind i.S.v. § 1796 Abs. 2 BGB, da die Höhen des jeweiligen Erbanteils voneinander abhängig sind.
Ein erheblicher Interessengegensatz ist gegeben, wenn das eine Interesse nur auf Kosten des anderen Interesses durchgesetzt werden kann und die Gefahr besteht, dass die sorgeberechtigten Eltern das Kindesinteresse nicht genügend berücksichtigen können. Derartige Interessengegensätze dürfen nicht allgemein vermutet werden, sondern müssen jeweils im Verfahren konkret festgestellt werden. § 1796 BGB setzt – anders als § 1795 BGB – einen sich aus dem Einzelfall ergebenden Interessenwiderstreit voraus. Das Familiengericht muss die Frage einer Entziehung der Vertretung für jeden Elternteil gesondert prüfen und die Entziehung auf einen Elternteil beschränken, wenn in der Person des anderen Elternteils kein Grund für eine Entziehung gegeben ist (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2019, 1246 Rn. 18 m.w. Nw.). Eine entsprechende Prüfung hat das Familiengericht vorgenommen.
2. Die Vertretung des Kindes kann den sorgeberechtigten Eltern aber nur dann und nur insoweit entzogen werden, als ein erheblicher Interessengegensatz besteht und wenn zusätzlich nicht zu erwarten ist, dass die Eltern trotz des Interessengegensatzes im Interesse des Kindes handeln (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2011, 1305; Götz, in: Grüneberg 81. Aufl. § 1629 BGB Rn. 15).
Bei allen Eingriffen in das Elternrecht ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt zu wahren, so dass von einer Entziehung der Vertretungsmacht abzusehen ist, wenn trotz des konkret festgestellten Interessenwiderstreits zu erwarten ist, dass die Sorgerechtsinhaber dennoch im Interesse ihres Kindes handeln werden. Bei der Entscheidung des Familiengerichts über die Entziehung ist auch der Gesichtspunkt des Familienfriedens zu berücksichtigen (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 51 m.w. Nw.).
Angesichts der Ausführungen der Beschwerdeführer erwartet der Senat ein am Kindeswohl orientiertes Verhalten der Eltern im Erbscheinserteilungsverfahren.
3. Hinzu kommen weitere Erwägungen im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerade im vorliegenden Verfahren. Anders als in Fällen, in denen von den Sorgerechtsinhabern über eine Erbausschlagung (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2011, 1305) oder über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 51) entschieden werden sollte, ist die Auslegung des Testaments nicht Sache der Erben, sondern des Nachlassgerichts. Die anstehende und vorzunehmende Anhörung der Erben ist zweifelsohne ein wichtiger Verfahrensbestandteil eines Nachlassverfahrens (vgl. BVerfG FamRZ 2000, 731). Das ändert jedoch nichts daran, dass die Auslegung, also die Feststellung des rechtlich geltenden Inhalts einer Verfügung von Todes wegen, eine richterliche Tätigkeit im Bereich der Rechtsanwendung darstellt. Dies gilt schon für die einfache (erläuternde) Auslegung, erst recht für die ergänzende Auslegung und die Umdeutung (vgl. Leipold, in: Münchener Kommentar zum BGB 8. Aufl. § 2084 BGB Rn. 166). Den Einfluss des Ergebnisses der Anhörung der Eltern und des Kindes angesichts der in Kopie vorliegenden letztwilligen Verfügung (Bl. 12 d.A.) schätzt der Senat vergleichsweise gering ein.
IV.
Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wurde gemäß § 20 Abs. 1 FamGKG abgesehen.
Gründe für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Der Beschluss ist deshalb mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar.


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