Familienrecht

Kein Anspruch auf Akteneinsicht in Jugendhilfeakten

Aktenzeichen  M 18 K 15.1795

Datum:
14.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X SGB X § 8, § 25 Abs. 1, Abs. 3
SGB VIII SGB VIII § 65 Abs. 1

 

Leitsatz

Das für einen Anspruch auf Akteneinsicht notwendige rechtliche Interesse (§ 25 Abs. 1 S. 1 SGB X) ist nur gegeben, wenn die Einsichtnahme bezweckt, eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu erhalten. Ein solches steht einem Elternteil im Falle der Unterbringung eines Kindes nicht zu, wenn dieser nicht sorgeberechtigt ist und mit der Unterbringung einverstanden war. (redaktioneller Leitsatz)
Ein Anspruch auf Akteneinsicht wird durch § 25 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen, wenn es um die Preisgabe von im Rahmen persönlicher oder erzieherischer Hilfe anvertrauter Daten geht und kein Ausnahmefall des § 65 Abs. 1 SGB VIII vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO konnte das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Klage ist zulässig. Dabei kann es dahinstehen, ob es sich um eine Leistungsklage handelt, da die Gewährung von Akteneinsicht in der Regel schlichtes Verwaltungshandeln ist, oder ob das Schreiben der Beklagten vom 17. Februar 2014 einen Verwaltungsakt darstellt mit der Folge, dass hier eine Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage statthaft wäre. Die Klagefrist ist auch in diesem Fall gewahrt.
Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einsicht in die begehrten Unterlagen.
Als Gegenstand der begehrten Akteneinsicht kommt nur das vom Kläger als „Inobhutnahmeprotokoll“ bezeichnete Schriftstück in Betracht, da die Beklagte nur insoweit Akteneinsicht verweigert hat.
Die übrigen Unterlagen befinden sich nicht in den Akten der Beklagten.
Die Unterbringung der Kinder am 22. Oktober 2007 erfolgte zwar, um eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden bzw. auszuschließen, jedoch wurde sie von der Beklagten auf Antrag des insoweit sorgeberechtigten Ergänzungspflegers durchgeführt, dem sowohl das Aufenthaltsbestimmungs- wie auch das Recht zur Beantragung von Jugendhilfeleistungen für die Kinder des Klägers gerichtlich übertragen worden war. Es bedurfte deshalb keines gerichtlichen Beschlusses, die Unterbringung war ohne einen solchen rechtmäßig. Daher gibt es einen gerichtlichen Beschluss ebenso wenig wie ein sog. „Übergabeprotokoll“, von dem unklar ist, was es enthalten sollte. Vorhanden sind in den Akten der Beklagten die Eintrittsanzeigen der Kinder in die Einrichtung, die Beklagte hat eine Einsichtnahme in diese Schriftstücke nicht verwehrt.
Zu dem Protokoll vom 16. Januar 2008 über das Gespräch in der Kanzlei der damaligen Bevollmächtigten der Mutter der Kinder hat diese in der eidesstattlichen Versicherung erklärt, ein Schreiben über die Versendung in den Akten gesehen zu haben. In den dem Gericht vorliegenden Akten ist weder ein solches Protokoll enthalten, noch ergeben sich aus einem Fehlblatt oder aus der Nummerierung der Seiten Hinweise auf dessen Existenz. Es ist somit davon auszugehen, dass dieses Protokoll, wie von der Beklagten vorgetragen, in den Akten nicht vorhanden ist.
Als Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Einsicht in das „Inobhutnahmeprotokoll“ des Jugendamtes kommt § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Soweit das Akteneinsichtsrecht reicht, können die Beteiligten auch selbst Auszüge oder Abschriften fertigen oder sich durch die Behörde Ablichtungen erteilen lassen, § 25 Abs. 5 Satz 1 SGB X.
Das durch diese Vorschrift eingeräumte Akteneinsichtsrecht besteht nur während eines laufenden Verwaltungsverfahrens (BVerwG v.4.9.2003, 5 C 48/02, juris). Ein Verwaltungsverfahren im Sinne von § 8 SGB X ist die nach außen wirkende Tätigkeit von Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsakts oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsakts oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein und endet damit auch (von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 8, Rn. 9).
Das Klagebegehren betrifft die Einsicht in Unterlagen im Zusammenhang mit der Herausnahme der Kinder aus dem Haushalt ihrer Mutter und ihre Unterbringung in einem Kinderheim. Das vom Ergänzungspfleger als Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts eingeleitete Verwaltungsverfahren wurde mit den bestandskräftigen Bescheiden der Beklagten vom 13. November 2007 beendet, mit denen Hilfe zur Erziehung in Form von Kurzzeitunterbringung in einem Kinderheim gewährt wurde. Damit stellt sich schon die Frage, ob vorliegend das Verwaltungsverfahren bezüglich der Kurzzeitunterbringung beendet ist, so dass allenfalls ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über das Akteneinsichtsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 1 SGB X außerhalb des Verwaltungsverfahrens in Betracht kommt oder ob man aufgrund der noch laufenden Jugendhilfe das Verwaltungsverfahren umfassender sieht und noch von einem laufenden Verfahren ausgeht. Letztlich kann dies ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der nicht sorgeberechtigte Kläger im Verfahren der Hilfe zur Erziehung als Beteiligter im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII anzusehen ist, da er als leiblicher Vater der Kinder, wenn auch nicht ausdrücklich im SGB VIII geregelt, zumindest aus sozialpädagogischer Sicht trotz weitgehenden Sorgerechtsentzugs auf Antrag oder von Amts zu beteiligen ist (so VG Hannover, B. v.10.3.2015, 10 B 1268/15 m. w. N., juris).
Dem Kläger fehlt nämlich in jedem Fall das rechtliche Interesse für die Akteneinsicht. Ausgehend von dem Prinzip einer beschränkten Aktenöffentlichkeit (von Wulffen, a. a. O. Rn. 2) setzt das Recht auf Akteneinsicht deren Erforderlichkeit, ein rechtliches Interesse, voraus, das nur gegeben ist, wenn die Einsichtnahme bezweckt, eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu erhalten. Ein derartiges rechtliches Interesse hat der Kläger weder vorgetragen, noch ist es sonst wie ersichtlich. Ein Vorgehen des Klägers gegen die Unterbringung seiner Kinder, mit der er zudem einverstanden war, ist aufgrund seines Sorgerechtsentzugs nicht möglich, auch andere, nicht völlig aussichtslose rechtliche Schritte, die die Einsicht in das „Inobhutnahmeprotokoll“ notwendig machen würden, sind nicht vorgetragen oder denkbar. So kann bereits aus diesem Grund die Klage keinen Erfolg haben.
Darüber hinaus scheitert das Begehren auch an § 25 Abs. 3 SGB X. Danach ist die Behörde zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet, soweit die Vorgänge wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Person geheim gehalten werden müssen. Die Vorschrift umfasst jedes öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche nach der Sachlage anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher und ideeller Art. Besonderem Schutz, also einer besonderen Geheimhaltung, unterliegen Sozialdaten, die dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zwecke persönlicher oder erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, § 65 SGB VIII. Nach der gesetzgeberischen Wertung des § 65 Abs. 1 SGB VIII unterliegen personenbezogene Daten Dritter, hier die in dem „Protokoll“ enthaltenen Daten der Kinder, einem besonderen Schutz, da im Jugendhilferecht Offenheit gegenüber den Mitarbeitern der Behörde, aber auch Vertrauen auf deren Verschwiegenheit Voraussetzung für den Erfolg von Jugendhilfemaßnamen ist. Im Rahmen persönlicher oder erzieherischer Hilfe anvertraute Daten dürfen daher von Gesetzes wegen nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen weitergegeben werden (§ 65 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 SGB VIII). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
Aus den genannten Gründen war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 188 VwGO gerichtskostenfrei.
Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt konnte mangels vollstreckbarer Auslagen der Beklagten unterbleiben.

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