Familienrecht

Rückforderung des an das Kind ausgezahlten Kindergeldes vom Kindergeldberechtigten

Aktenzeichen  III R 29/15

Datum:
10.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 37 Abs 2 AO
§ 89 Abs 1 S 1 AO
§ 70 Abs 2 EStG 2009
§ 74 Abs 1 EStG 2009
EStG VZ 2010
EStG VZ 2011
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1 NV: Rechtsgrundlos gezahltes Kindergeld ist auch dann vom Kindergeldberechtigten als Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO zurückzufordern, wenn die Familienkasse das Kindergeld auf seine Anweisung hin an das Kind ausgezahlt hat.
2. NV: § 37 Abs. 2 AO setzt kein Verschulden auf Seiten des Leistungsempfängers voraus. Der Rückzahlungsanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn den Leistungsempfänger an der Fehlleistung kein Verschulden trifft bzw. wenn er diese nicht einmal erkannt hat.
3. NV: Wird die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kindergeldberechtigten aufgehoben, wird damit gleichzeitig die Abzweigung gegenstandlos. Die Familienkasse ist nicht verpflichtet, den Kindergeldberechtigten auf die Möglichkeit eines erneuten Abzweigungsantrags hinzuweisen.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 2. Juli 2014, Az: 3 K 3261/11, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Familienkasse wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. Juli 2014  3 K 3261/11 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog von der Beklagten und Revisionsklägerin (Familienkasse) für ihre im September 1986 geborene Tochter T Kindergeld.
2
T stellte am 3. Mai 2007 bei der Familienkasse den Antrag, das Kindergeld an sie abzuzweigen.
3
In einem Bescheid vom 14. Mai 2007, mit dem die Familienkasse gegenüber der Klägerin Kindergeld für T ab Februar 2007 festsetzte, hieß es unter anderem wörtlich: “Das Kindergeld wird weiterhin an T abgezweigt”.
4
Mit Bescheid vom 20. August 2007 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit Ablauf des Monats September 2007 auf, da T im September 2007 das 21. Lebensjahr vollendete. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
5
T begann am 1. September 2008 eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Die Ausbildung sollte nach dem Ausbildungsvertrag voraussichtlich am 31. August 2011 enden.
6
T beantragte bei der Familienkasse im September 2008 formlos Kindergeld. Die von der Familienkasse der Klägerin daraufhin übersandten Antragsvordrucke sandte T mit einem von ihr unterzeichneten Schreiben vom 3. November 2008 der Familienkasse zurück. Als Anschrift der Antragstellerin ist in dem von der Klägerin unterschriebenen Antrag die Adresse der T eingetragen. Ferner erhielt der Antrag die Eintragung, das Kindergeld solle nicht der Klägerin, sondern T gezahlt werden.
7
Mit Kindergeldverfügung (Kassenanordnung vom 5. Dezember 2008) zahlte die Familienkasse das Kindergeld auf das in dem Kindergeldantrag angegebene Konto der T. Unter den Personaldaten war als Anschrift in der Kindergeldverfügung “X-Str. …” eingetragen. Hierbei handelte es sich um die Anschrift der T.
8
Nachdem die Familienkasse erfahren hatte, dass das Ausbildungsverhältnis der T durch Kündigung zum 31. Oktober 2010 beendet worden war, hob sie mit Bescheid vom 27. Januar 2011 die Kindergeldfestsetzung ab November 2010 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gegenüber der Klägerin auf und forderte für den Zeitraum November 2010 bis Januar 2011 gezahltes Kindergeld in Höhe von 552 € gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurück.
9
Die Klägerin legte gegen den vorgenannten Bescheid Einspruch ein. Zur Begründung trug sie insbesondere vor, sie sei weder verpflichtet noch wirtschaftlich in der Lage, das Kindergeld zurückzuzahlen. Sie habe seit längerer Zeit keinerlei Kontakt mehr zu T. Daher habe sie auch keinen Einfluss auf T und keine Kenntnisse über ihr Ausbildungsverhalten. Dementsprechend habe sie die Familienkasse angewiesen, das Kindergeld direkt T zu zahlen.
10
Die Familienkasse wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19. September 2011 als unbegründet zurück.
11
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 1459 veröffentlichten Urteil vom 2. Juli 2014  3 K 3261/11 statt.
12
Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung von Bundesrecht. Da im vorliegenden Fall kein Abzweigungsantrag gestellt worden sei, sei die Klägerin nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH– (Beschluss vom 28. Dezember 2009 III B 108/08, BFH/NV 2010, 641) Leistungsempfängerin nach § 37 Abs. 2 AO, weil das Kindergeld auf Grund ihrer Zahlungsanweisung dem Kind gezahlt worden sei. Die frühere Abzweigung sei mit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung wirkungslos geworden, ohne dass es insoweit eines weiteren aufhebenden Verwaltungsakts bedurft hätte (BFH-Urteil vom 24. August 2001 VI R 83/99, BFHE 196, 278, BStBl II 2002, 47). Es bestehe selbst bei einer vorherigen Abzweigung keine Pflicht der Familienkasse, auf die Möglichkeit einer erneuten Abzweigung hinzuweisen. Nach der Rechtsprechung des BFH sei eine solche allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn eine Abzweigung nach den Verhältnissen des Einzelfalls geboten sei (BFH-Beschluss vom 10. April 2012 III B 131/11, BFH/NV 2012, 1129).
13
Die Familienkasse beantragt, das Urteil des FG vom 2. Juli 2014  3 K 3261/11 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
14
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.


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