Familienrecht

Unterbliebene Anhörung im Aufenthaltsbestimmungsverfahren

Aktenzeichen  7 UF 175/21

Datum:
29.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42102
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 33 Abs. 3, § 58, § 59, § 60, § 69 Abs. 1 S. 3, § 159 Abs. 1, § 160 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Das Wort „soll“ in § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG bedeutet nicht, dass das Gericht nach seinem Ermessen von der persönlichen Anhörung absehen darf, sondern nur aus schwerwiegenden Gründen. (Rn. 15)
2. Bei unentschuldigtem Nichterscheinen der Eltern oder eines Elternteils ist ggf. ein Ordnungsgeld zu verhängen, § 33 Abs. 3 FamFG. (Rn. 16)
3. Unter Abwägung der Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG, dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie einerseits sowie den Belastungen der Beteiligten durch eine Anhörung vor dem Senat andererseits kann eine Zurückverweisung an das Familiengericht sachgerecht sein. (Rn. 20)
1. Das Amtsgericht hat sich vor der Übertragung eines Aufenthaltsbestimmungsrechts unbedingt einen persönlichen Eindruck von allen Kindern zu verschaffen. Jedenfalls ist die unterbliebene Anhörung in der Endentscheidung gem. § 159 Abs. 3 S. 1 FamFG ausreichend zu begründen. (Rn. 10 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von der Anhörung eines Elternteils darf das Gericht nach § 160 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 FamFG nur absehen, wenn schwerwiegende Gründe dies begründen. Das Nichterscheinen unter Hinweis auf eine Erkältung stellt jedenfalls einen solchen Grund nicht dar und kann, sofern der Nachweis für die Erkrankung nicht erbracht wird, allenfalls durch ein Ordnungsgeld nach § 33 Abs. 3 FamFG geahndet werden. (Rn. 13 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

001 F 213/21 2021-08-06 Bes AGLICHTENFELS AG Lichtenfels

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Kindsvaters wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Lichtenfels vom 06.08.2021 einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht Lichtenfels zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – zurückverwiesen.
2. Der Beschwerdewert wird auf 4.000 Euro festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Das vorliegende Verfahren wegen der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die K1, geb. am …, K2, geb. am … und K3, geb. am …, wurde auf Antrag der Kindsmutter A vom 19.07.2021 hin eingeleitet.
Die Kindsmutter trägt vor, die verheirateten und gemeinsam sorgeberechtigten Eltern A und B lebten derzeit noch in der Ehewohnung in … getrennt. Sie beabsichtige, mit den gemeinsamen Kindern die Ehewohnung zu verlassen, womit der Kindsvater nicht einverstanden sei.
Das Amtsgericht hat den Kindern eine Verfahrensbeiständin bestimmt und diese, ebenso wie das Jugendamt und die Kindsmutter in nichtöffentlicher Sitzung vom 06.08.2021 angehört.
Der zum Termin form- und fristgerecht geladene Kindsvater erschien unter Hinweis auf eine Erkältung (Bl. 33 d.A.) nicht. Eine Anhörung der drei Kinder ist bisher nicht erfolgt. Ein Sachverständigengutachten wurde nicht erholt.
Mit Beschluss vom 06.08.2021 hat das Amtsgericht sodann dem Antrag der Kindsmutter entsprechend das Aufenthaltsbestimmungsrecht für alle drei Kinder der Mutter allein übertragen.
Auf die Gründe des Beschlusses (Bl. 37 ff. d. A.) wird Bezug genommen.
Gegen diesen ihm am 11.08.2021 zugestellten Beschluss hat der Kindsvater mit Schriftsatz vom 23.08.2021, eingegangen am selben Tag beim Amtsgericht Lichtenfels, Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Er wendet sich gegen die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter. Weder Jugendamt noch Verfahrensbeistand hätten mit ihm über die Sache gesprochen. Das Amtsgericht gehe daher von einem unzutreffenden Sachverhalt aus (Bl. 48 d.A.). Im Übrigen wird auf die Beschwerdebegründung (Bl. 48 d. A.) Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 10.12.2021 bzw. 23.12.2021 haben sowohl die Verfahrensbeiständin als auch der Verfahrensbevollmächtigte der Kindsmutter die Zurückverweisung des Verfahrens an das Familiengericht beantragt.
II.
Die gem. §§ 58 ff., 63 Abs. 1, 64 FamFG zulässige Beschwerde des Vaters ist begründet, weil das Verfahren des Amtsgerichts an wesentlichen Mängeln leidet und zur Entscheidung umfangreiche und aufwendige Ermittlungen des Senats notwendig wären.
1.) Gem. § 159 Abs. 1 FamFG in der ab 01.07.2021 anzuwendenden Fassung hatte das Familiengericht alle drei Kinder persönlich anzuhören, um sich einen persönlichen Eindruck von den Kindern zu verschaffen.
Sieht das Gericht von der persönlichen Anhörung ab, so ist dies in der Endentscheidung zu begründen, § 159 Abs. 3 Satz 1 FamFG. Unterbleibt eine Anhörung allein wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen, § 159 Abs. 3 Satz 2 FamFG.
Das Amtsgericht hat keines der drei Kinder angehört bzw. sich einen persönlichen Eindruck von ihnen verschafft. Dies ist unterblieben, obwohl eine Anhörung bzw. die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks aufgrund des Verfahrensganges ohne Weiteres hätte erfolgen können. Eine Begründung für die unterbliebene Anhörung der drei Kinder findet sich in der Endentscheidung nicht, derartige Gründe sind auch nicht ersichtlich. Das Amtsgericht hätte sich vor der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts daher unbedingt einen persönlichen Eindruck von allen drei Kindern verschaffen müssen.
2.) Ein weiterer Verfahrensmangel besteht darin, dass das Amtsgericht entgegen § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG den Kindsvater nicht persönlich angehört hat.
Die Anhörung beider Eltern dient im Wesentlichen der Aufklärung des Sachverhalts und ist unverzichtbar (vgl. Zöller/Lorenz, ZPO, 33. Aufl., RN 1 zu § 160 FamFG). Gemeint ist eine mündliche Anhörung, damit sich das Gericht einen persönlichen Eindruck verschaffen kann (vgl. Zöller/Lorenz, a.a.O., RN 3).
Das Wort „soll“ in § 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG bedeutet nach zutreffender Auffassung hierbei nicht, dass das Gericht nach seinem Ermessen von der persönlichen Anhörung absehen darf, vielmehr darf von der Anhörung des Vaters nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden, § 160 Abs. 3 FamFG (vgl. zum Ganzen: Keidel/Engelhardt, FamFG, 20. Aufl., RN 3 zu § 160 FamFG).
Bei unentschuldigtem Nichterscheinen des Kindsvaters ist ggf. ein Ordnungsgeld zu verhängen, § 33 Abs. 3 FamFG.
3.) Das Verfahren leidet daher an wesentlichen Mängeln im Sinne von § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG. Auch wäre für eine Entscheidung des Senats eine umfangreiche und aufwändige Beweiserhebung erforderlich:
Denn im Anschluss an die Kindesanhörung wird sämtlichen Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör hierzu zu geben sein. Verfahrensbeistand und Jugendamt wird Gelegenheit zu geben sein, sich darüber hinaus zum Ergebnis der Anhörung des Kindsvaters zu äußern.
Das Gericht wird sodann neu zu erwägen haben, ob im Hinblick auf die Anregung des Kindsvaters (Bl. 76 d.A. unten) und den Bericht des Jugendamtes vom 15.11.2021 (Bl. 89 f d.A.) die Erholung eines Sachverständigengutachtens aufgrund der Amtsaufklärungspflicht erforderlich ist.
Eine Anhörung der drei Kinder vor dem Senat wäre schon aus örtlich bedingten Gründen mit einer erheblichen Belastung zu Lasten der betroffenen Kinder verbunden. Gleiches gilt für die Anhörung des Kindsvaters. Unter Abwägung der Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG, dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie einerseits sowie den Belastungen der Beteiligten durch Anhörung vor dem Senat andererseits erscheint eine Zurückverweisung an das Familiengericht sachgerecht.
4.) Eine Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ist nicht veranlasst, vgl. Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., RN 10 zu § 69 FamFG.
Die Beschwerdewertfestsetzung fußt auf §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde, § 70 Abs. 2 FamFG, liegen nicht vor.


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