Handels- und Gesellschaftsrecht

Berufung, Rechtsanwaltskosten, Annahmeverzug, Fahrzeug, Ermessen, Frist, Geschwindigkeit, Feststellung, Berufungsverfahren, Erstattung, Gutachten, Zahlung, Arglist, Revision, Zug um Zug, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg

Aktenzeichen  8 U 6938/20

Datum:
6.4.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 29930
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

4 O 79/20 2020-11-16 Endurteil LGPASSAU LG Passau

Tenor

I. Die Berufung der Klagepartei gegen das Endurteil des Landgerichts Passau vom 16.11.2020 wird zurückgewiesen.
II. Die Klagepartei trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 22.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1. Die Berufung der Klagepartei ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussweg als unbegründet zurückzuweisen da der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht er fordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Der Senat hält das Urteil des Landgerichts zumindest im Ergebnis für offensichtlich zutreffend. Er nimmt Bezug auf dieses. Bezug genommen wird ferner auf die Hin weise des Senats vom 03.03.2021, wonach er die Berufung i.S.v. § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält. Der weitere Schriftsatz der Klagepartei vom 30.03.2021 ergab keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung:
a) Soweit die Klagepartei nunmehr noch im Berufungsverfahren neu vorträgt, ist vorauszuschicken, dass die der Klagepartei eingeräumte Frist zur Stellungnahme gemäß § 522 II 2 ZPO nicht etwa eine Art „zweite Berufungsbegründung“ ermöglicht. Soweit in dem weiteren Schriftsatz im Berufungsverfahren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel enthalten sind, sind diese deshalb gemäß §§ 530, 296 I ZPO zwingend zurückzuweisen (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 530 Rnr. 4; Rimmelspacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2012, § 522 Rnr. 28). Darauf hatte der Senat als nobile officium auch bereits in seinen Allgemeinen Verfahrenshinweisen ausdrücklich aufmerksam gemacht.
b) Der Verweis der Klagepartei auf den Beschluss des BGH vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, zum Daimler-Motor OM 651, steht der Zurückweisung der Berufung nicht entgegen.
Der Senat hat sich – wie offenkundig nicht zur Kenntnis genommen – mit diesem Beschluss eingehend auseinandergesetzt (vgl. Ziff. 2.1.a), S. 4 ff.). Er hat im Einzelnen geprüft, ob dem Vortrag der Klagepartei – wie bei Verwendung eines Thermofensters erforderlich – weitere Umstände i.S.d. Rechtsprechung des BGH zu entnehmen sind, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen könnten (vgl. Ziff. 2.1.b.(2), S. 9 ff.).
Die Klagepartei hat danach aber weder schlüssig dargelegt, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren unzutreffende oder unzureichende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht hat. noch hat sie hierfür hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorgebracht. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats (dort Ziff. 2.1.b. (2)(d), S. 11 ff.) wird verwiesen.
Hervorgehoben sei nur, dass allein die von einer Klagepartei geäußerte Ansicht, die Beklagte habe den Verbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung dem KBA bewusst vorenthalten und diesem zu verschleiern versucht, auch nach der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht hinreichender Anhaltspunkt für einen, ein sittenwidriges und vorsätzliches Verhalten der Beklagten begründenden Umstand ist. In dem vom BGH entschiedenen Fall hat vielmehr der dortige Kläger unter ausdrücklicher Bezugnahme auf einen von der Beklagten in einem Parallelverfahren vorgelegten und ein nach seiner Behauptung vergleichbares Fahrzeug betreffenden Typgenehmigungsbogen geltend gemacht. die Beklagte habe im Typgenehmigungsverfahren in Bezug auf die Abgasrückführung lediglich angegeben, diese sei „kennfeldgesteuert“. aus dieser Angabe gehe nicht hervor, ob überhaupt ein anderes Verhalten des Abgasrückführungs systems bei anderen Temperaturen, und wenn ja. welchen, stattfinde.
Vorliegend wurde indessen lediglich an verschiedenen Stellen Rechtsprechung zitiert, in welcher von einer, dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge vorangegangenen Täuschung der Typgenehmigungsbehörde die Rede ist. Diese Entscheidungen bezogen sich auf den Motor EA 189 mit der dortigen Prüfstandsoftware, d.h. auf Fälle, in denen es selbstredend darum ging, gezielt zu täuschen. Soweit zudem in zahlreichen landgerichtlichen Urteilen und einigen Entscheidungen von Oberlandesgerichten (vgl. BB S. 10 f., Bl. 166 ff.) eine Täuschung der Typgenehmigungsbehörde bei Vorliegen eines Thermofensters angenommen worden sein soll, wurde nicht vorgetragen, inwieweit die dortigen Ausführungen auf den vorliegenden Fall übertragbar sein sollen, d.h. es war schon nicht ersichtlich, um welche Motoren welcher Hersteller mit welchen Thermofenstern es sich dort gehandelt hat.
Aus der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung kann daher die Berufung nichts für sich herleiten.
c) Gleiches gilt, soweit nunmehr ebenso pauschal wie verspätet darauf verwiesen wird, dass nach neuesten Informationen des Bayerischen Rundfunks und des „Spiegel“ die eingereichten Widersprüche der Beklagten gegen die vom KBA erlassenen Rückrufbescheide zurückgewiesen worden seien. Was genau Gegenstand dieses Verwaltungsverfahrens ist, ist weiterhin weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass eine unzulässige Abschalteinrichtung, z.B. in Gestalt eines „übergroßen Thermofensters“ nicht per se sittenwidrig wäre, hat der BGH im Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, bereits entschieden. Daraus lassen sich auch keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Herstellers bzw. der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung ziehen. Auf die diesbezüglichen Darlegungen im Hinweisbeschluss (dort Ziff.2.1.b. (2)(a), S. 9 ff.) wird Bezug genommen.
d) Soweit nunmehr offenkundig das Vorliegen einer sog. Umschaltlogik bei Verweis auf ein aktuelles Daimler Diesel-Gutachten, welches auf Veranlassung des LG Stuttgart erstellt worden ist. behauptet werden soll, so datiert dieses Gutachten bereits vom 12.11.2020 und ist dieser verspätete Vortrag aus dargelegten Gründen ohnehin nicht mehr berücksichtigungsfähig.
(1) Im Übrigen ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, wie seitens der Klagepartei ausgeführt, dass die dort beschriebene Programmierung für alle Euro 5 und Euro 6 Fahrzeuge der Beklagten und sämtliche der darin verbauten Motortypen festgestellt worden wäre.
Begutachtet wurde dort ein Fahrzeugmodell MB E 250 bei einer Erstzulassung am 27.06.2013. Dem Sachverständigen ist es nicht gelungen, eine A2L- oder winOLS-Datei für das vorliegende Fahrzeugmodell MB E 250 zu beschaffen. Er hat stattdessen die Kennfeldbeschreibungen aus den Dateien ähnlicher Fahrzeugmodelle mit gleichem Motor und Baujahr transferiert. In der A2L-Datei wird – wie von ihm weiter ausgeführt – ein Solltemperaturkennfeld beschrieben, das sich auch bei mehreren Modellen der gleichen Motorreihe und der Schadstoffklasse Euro 5 finden lässt, so zum Beispiel bei einem Modell C 200 und einem E 280.
Die Aussagen des Sachverständigen beziehen sich damit auf einen bestimmten Motor, ohne dass ersichtlich wäre, dass es sich dabei um den hier streitgegenständlichen Dieselmotor OM642 handeln würde oder dies seitens der Berufung auch nur behauptet worden wäre.
Hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer oder mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug sind damit auch dem diesbezüglichen Vortrag der Klagepartei nicht zu entnehmen. Es geht nämlich nicht an, sämtliche Motoren einer Motorenfamilie/einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale und ohne Berücksichtigung der möglicherweise äußerst unterschiedlichen technischen Rahmenbedingungen dem Generalverdacht einer unzulässi gen Abschalteinrichtung zu unterwerfen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Hinweisbeschluss (dort 2.1.a) (4)(c), S. 6 ff.) wird ergänzend verwiesen.
(2) Außerdem wurde auch in diesem Sachverständigengutachten keine Prüfstandserkennungsfunktion i.S.d. Rspr. des BGH festgestellt:
a) Die Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nämlich gerade nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen, die VW im Motor EA189 zunächst zum Einsatz gebracht hatte. Während letztere, wie unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steu erung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Denn eine solche Funktion führt gerade nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern sie arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand) entspricht die Rate der Abgasrückführung danach im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rz. 27, zum Software-Update für den VW-Motor EA189).
Eine an den Bedingungen des Prüfstands orientierte Ausgestaltung eines Thermofensters – sog „Prüfstandsoptimierung“ – auf die im Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand) – ist danach also jedenfalls nicht per se sittenwidrig. Selbst wenn sie verwaltungsrechtlich unzulässig wäre, würde sie für sich genommen somit nicht ausreichen, um das Verdikt der Sittenwidrigkeit zu begründen.
b) Nichts anders hat der Sachverständige des LG Stuttgart hier festgestellt, wenn er meint, die Motorsteuerung erkenne die mit dem Prüfstandbetrieb einhergehende geringe Drehzahl und den geringen Luftmassenstrom, also die niedrige benötigte Motorleistung. Sie regele dann die Kühlmittelsolltemperatur auf 70 Grad Celsius anstatt der sonst eingestellten Solltemperatur von 100 Grad Celsius. Außerdem werde die Kühlerjalousie, die im normalen Fahrbetrieb meistens geschlossen sei, bei hoher Motorlast und damit einhergehender erhöhter Wärmeproduktion geöffnet.
Das Alles würde nichts daran ändern, dass diese Funktionen in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise arbeiten würden. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand) entspräche die Rate der Abgasrückführung danach im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, Rz. 27, zum Software-Update für den VW-Motor EA189).
Rechtlich zutreffend hat dies z.B. auch das OLG Stuttgart (Urteil vom 11.12.2020 – 3 U 101/18, Rz. 63) zu dem Motor OM651 eingeordnet:
„Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats nach § 286 ZPO fest, dass die vom Kläger behaupteten Programmierungen, wonach anhand der Geschwindigkeiten und Beschleunigungswerte erkannt werde, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im realen Betrieb befände, so dass das Fahrzeug häufig im „unsauberen“ Modus sei, während auf dem Prüfstand in den „sauberen“ Modus geschaltet werde (Funktion Slipguard). und die Abschaltung der Abgasreinigung nach 26 Kilometern (Funktion Bit 15) erfolge, nicht vorliegen. Gleiches gilt für die vorgebrachte Regelung der Kühlmittelsolltemperatur, zu der der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung eingehend befragt wurde. Der Sachverständige konnte keine wie auch immer geartete Prüfstanderkennung feststellen, die in Bezug auf den NOx-Ausstoß zu bewusst herbeigeführten Unterschieden zwischen dem Rollenprüfstand und dem Straßenbetrieb führt“.
2. Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Rechtslage ist spätestens durch den Beschluss des BGH vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, hinreichend geklärt.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
München, den 7. April 2021


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