Aktenzeichen 3 O 6084/17
BGB § 286, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 291 S. 1
Leitsatz
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 250.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.07.2014 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 250.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I. Anspruch auf Zahlung in Höhe von 250.000,- €
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Rückzahlung in Höhe von 250.000,- € gemäß §§ 143 Abs. 1 S. 1, 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu.
1. Bei der Entnahme vom 08.01.2014 handelt es sich um eine Rechtshandlung i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO.
2. Diese ist gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.
a) Die Entnahme wurde am 08.01.2014 getätigt und damit weniger als 1 Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 24.04.2018.
b) Bei der Entnahme handelt es sich um die Befriedigung der Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr einer einem Darlehen „wirtschaftlich entsprechenden“ Forderung i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.
aa) § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist grundsätzlich auf die Insolvenzschuldnerin anwendbar gemäß § 39 Abs. 4 S. 1 InsO, da einzige persönliche haftende Gesellschafterin eine Kapitalgesellschaft ist.
bb) Der Beklagte war und ist Kommanditist der Insolvenzschuldnerin und damit Gesellschafter.
cc) Die Entnahme erfolgte zu Lasten des Guthabens auf dem Verrechnungskonto des Beklagten bei der Insolvenzschuldnerin. Das Guthaben auf diesem Verrechnungskonto stellt eine Forderung des Beklagten gegenüber der Insolvenzschuldnerin dar, welche wirtschaftlich einem Darlehen entspricht.
Um eine Forderung, welche wirtschaftlich einem Darlehen entspricht, handelt es sich insbesondere, wenn ein Gesellschafter der Gesellschaft die geschuldete Erfüllung einer Forderung stundet oder mit ihr eine Fälligkeitsvereinbarung trifft; dies gilt auch dann, wenn das zugrunde liegende Geschäft kein Darlehensvertrag ist (BGH DStR 2015, 702 Tz. 70; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 14. Aufl. 2015, § 39 Rz. 38). Denn eine solche Stundung, auf welche die Gesellschaft keinen Anspruch hat, bewirkt wirtschaftlich gesehen, dass der Gesellschaft ein wirtschaftlicher Wert für eine gewisse Zeit – weiterhin – überlassen wird.
Nach diesen Grundsätzen entspricht auch das Stehenlassen von Gewinnen wirtschaftlich der Gewährung eines Darlehens (vgl. Uhlenbruck/Hirte, InsO, 14. Aufl. 2015, § 39 Rz. 38). Dies gilt zumindest für den Fall, dass der Gesellschafter auf Grund eines Gewinnverwendungsbeschlusses gegenüber der Gesellschaft einen Anspruch auf Gewinnausschüttung hat, diesen aber stundet (OLG Koblenz NZG 2014, 998); denn ab dem Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses kann der Gesellschafter, soweit dies beschlossen wurde, die Auszahlung des Gewinns verlangen, sodass dieser wirtschaftlich ihm zuzuordnen ist (vgl. BGH NZG 1998, 314, 315). Ob darüber hinaus eine wirtschaftliche mit einem Darlehen vergleichbare Forderung i.S.d. § 29 Abs. 1 Nr. 5 vorliegt, wenn keine Gewinnausschüttung, sondern ein Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung beschlossen wird, ist in der Rechtsprechung streitig (vgl. OLG Koblenz NZG 2014, 998 für den Fall eines Alleingesellschafter-Geschäftsführers einerseits und OLG Schlewig-Holstein, DStR 2017, 1489 andererseits). Hierauf kommt es indes nicht an.
Denn vorliegend haben die Gesellschafter der Insolvenzschuldnerin am 24.04.2013 beschlossen, dass der Gewinn des Geschäftsjahres 2012 vollständig auf die Verrechnungskonten der Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligungsquote zu buchen ist. Der Beklagte war daher nach § 13 des Gesellschaftsvertrages dazu berechtigt, die Auszahlung der Hälfte des auf ihn entfallenden Gewinnes in Höhe von 401.059,15 € zzgl. des Betrages, der der auf seine Beteiligung zu entrichtenden Einkommenssteuer entspricht. Insgesamt war daher die Entnahme von 250.000,- € nach § 13 des Gesellschaftsvertrages zulässig; dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig. Durch das vorübergehende Stehenlassen dieses Betrages auf dem Verrechnungskonto, dessen Auszahlung der Beklagte ab dem Gewinnverwendungsbeschluss und damit bereits mehr als 8 Monate vor der Entnahme jederzeit verlangen hätte können, hatte der Beklagte daher eine Forderung gegenüber der Insolvenzschuldnerin, welche einem Darlehen wirtschaftlich entspricht.
dd) Durch die Entnahme bzw. Auszahlung dieses Betrages wurde die Forderung des Beklagten auf Auszahlung erfüllt.
ee) Ein Gesellschafterdarlehen i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 ist nicht wegen § 39 Abs. 4 S. 2 InsO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO im Falle einer Sanierung nicht anwendbar. Voraussetzung ist unter anderem, dass ein Gläubiger bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung Gesellschaftsanteile zum Zweck ihrer Sanierung erwirbt. Bei einem solchen Gläubiger muss es sich zwar nicht zwingend um einen reinen „Fremdgläubiger“ handeln; der Erwerb durch einen Altgesellschafter genügt. Dies gilt allerdings nur für solche Altgesellschafter, welche mit nicht mehr als 10% am Haftkapital beteiligt sind (MünchKomm/Ehricke, InsO, 3. Aufl. 2013, § 39 Rz. 55 m.w.N.).
Da der Beklagte bereits vor dem Anteilserwerb mit 77% am Haftkapital der Insolvenzschuldnerin beteiligt war, greift § 39 Abs. 4 S. 2 InsO nicht ein.
3. Durch die Entnahme wurden die Gläubiger der Insolvenzschuldnerin benachteiligt i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO.
a) Eine Benachteiligung in diesem Sinne liegt vor, wenn die Befriedigung der Insolvenzgläubiger verkürzt (vermindert), vereitelt, erschwert, gefährdet oder verzögert wird (Uhlenbruck/Hirte/Ede, InsO, aaO, § 129 Rz. 160 m.w.N.). Die Auszahlung der 250.000,- € bewirkte, dass das Vermögen der Insolvenzschuldnerin um diesen Betrag vermindert wurde; für die Befriedigung der Forderungen der Gläubiger stand folglich weniger Vermögen zur Verfügung.
b) Eine Gläubigerbenachteiligung scheidet – entgegen der Ansicht des Beklagten – auch nicht deswegen aus, da die Entnahme dazu diente, um die Gesellschaft von zukünftigen Forderungen des Herrn … auf Zahlung des Geschäftsführergehalts zu befreien.
aa) Die Beurteilung, ob eine Rechtshandlung objektiv die Gläubiger benachteiligt, ist nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden (BGH NZM 2014, 393 Tz. 7). Dabei ist grundsätzlich eine Einzelbetrachtung der jeweiligen Rechtshandlung vorzunehmen. Eine Gläubigerbenachteiligung ist daher nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Rechtshandlung der Insolvenzmasse in Zusammenhang mit anderen Ereignissen (auch) Vorteile gebracht hat (Ausschluss der Vorteilsausgleichung) (BGH NZI 2013, 694, 695; Uhlenbruck/Hirte/Ede, InsO, aaO, § 129 Rz. 238). Lediglich die unmittelbar mit der Rechtshandlung verbundenen Vorteile können berücksichtigt werden und eine Gläubigerbenachteiligung ausschließen, wenn hierdurch der Gesellschaft ein gleichwertiger Vermögenswert zufließt und sich die Befriedigungsaussichten der Gläubiger nicht verschlechtern (BGH NJW 2003, 1865, 1866; Uhlenbruck/Hirte/Ede, InsO, aaO, § 129 Rz. 162, 238). Dies betrifft vor allem vereinbarte Gegenleistungen für die Leistung der Schuldnerin (Uhlenbruck/Hirte/Ede, InsO, aaO, § 129 Rz. 238).
Erlangt die (spätere) Insolvenzschuldnerin für ihre Leistung zwar keine Gegenleistung im formell vertraglichen Sinn, erhält sie jedoch einen anderen gleichwertigen Vorteil, der unmittelbar in zurechenbarer Weise mit dem Vermögensopfer zusammenhängt, scheidet eine unmittelbare Benachteiligung ebenfalls aus (BGH NJW 2003, 1865, 1866; Uhlenbruck/Hirte/Ede, InsO, aaO, § 129 Rz. 238). Für diesen erforderlichen unmittelbaren und zurechenbaren Zusammenhang genügt es allerdings nicht, wenn das Vermögensopfer gezielt zur Erlangung des Vorteils eingesetzt worden ist, sondern es muss auch zu einem unmittelbaren, den Vermögensabfluss ausgleichenden Vermögensvorteil gekommen sein (BGH NJW 2003, 1865, 1866; Uhlenbruck/Hirte/Ede, InsO, aaO, § 129 Rz. 238).
bb) Nach diesen Maßstäben hat der BGH beispielsweise eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung abgelehnt, wenn der Betrieb des Schuldners nur mit Zustimmung eines Lieferanten günstig zu verwerten ist und dieser seine Einwilligung davon abhängig macht, dass ihm der Schuldner ausstehende Schulden bezahlt, und wenn der Betrieb ohne die „erkaufte” Einwilligung tatsächlich weniger wert gewesen wäre als der tatsächlich erzielte Kaufpreis abzüglich der Tilgungsleistung (BGH WM 1960, 377). Umgekehrt entfällt die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Bezahlung der Schulden aus Stromlieferungen zum Beispiel nicht deshalb, weil sonst die – berechtigte – Einstellung der Stromversorgung in dem Betrieb des Schuldners zu einem Produktionsausfall geführt hätte (BGH BB 1952, 868).
cc) Vorliegend hat die Insolvenzschuldnerin nach diesen Maßstäben keinen mit der Entnahme unmittelbar und zurechenbar zusammenhängenden Vermögensvorteil erlangt.
Die Insolvenzschuldnerin erlangte von dem Beklagten, der die ausgezahlten 250.000,- € unmittelbar erhielt, keine Gegenleistung.
Vielmehr verwandte der Beklagte die entnommenen 250.000,- € dazu, um den Kaufpreis für einen Anteilskaufvertrag, durch den der Beklagte von Herrn … dessen Anteile an der Insolvenzschuldnerin erwarb, zu bezahlen. Die Entnahme diente damit unmittelbar nicht der Insolvenzschuldnerin, sondern dem Beklagten persönlich, der als Gegenleistung Anteile an der Insolvenzschuldnerin erhielt.
Das Gericht verkennt nicht, dass die Insolvenzschuldnerin von den Gehaltsforderungen des Herrn … auf Grund dessen Ausscheidens als Geschäftsführer befreit wurde, dass Herr … zu diesem Ausscheiden nur bei gleichzeitigem Verkauf seiner Gesellschaftsanteile an den Beklagten bereit war, und dass der Beklagte den Anteilserwerb (möglicherweise) nur vornahm, da er den Kaufpreis mit Entnahmen aus der Insolvenzschuldnerin finanzieren wollte. Die Befreiung von zukünftigen (Gehalts-)Forderungen des Herrn … stellt gleichwohl nur einen mittelbaren und keinen unmittelbaren Vermögensvorteil dar. Zudem darf nicht verkannt werden, dass die Insolvenzschuldnerin durch das Ausscheiden des Herrn … als Geschäftsführer einen Vermögensnachteil erlitt, nämlich den Verlust des Anspruchs gegen Herrn … auf Tätigwerden als Geschäftsführer.
Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem grundsätzlichen Zweck des Insolvenzverfahrens. Dieser besteht in der gleichmäßigen Verteilung des Vermögens auf die Gläubiger: Die Fortführung des Unternehmens ist demgegenüber nur untergeordnet und ein Weg, um die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung zu erreichen (BGH NJW 2003, 1985, 1867). Die Entnahme von 250.000,- € aus dem Gesellschaftsvermögen zum Zwecke der Befriedigung eines Gläubigers (d.h. des Herrn … als Entschädigung für den Verzicht auf künftige Entlohnung als Geschäftsführer) schadet den übrigen Gläubigern, für deren Befriedigung entsprechend weniger Vermögen vorhanden ist; dass möglicherweise ein Teil des entnommenen Betrages auch zur Befriedigung der Forderungen des Herrn … verwandt werden hätte müssen, ändert hieran nichts.
4. Bei der Entnahme handelt es sich um kein Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO.
Ein Bargeschäft setzt gemäß § 142 Abs. 1 InsO voraus, dass der Insolvenzschuldner für seine Leistung unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung erhält. Leistung und Gegenleistung müssen durch Parteivereinbarung unmittelbar miteinander verknüpft sein (BGH NJW 2014, 2579, 2580; Uhlenbruck/Ede/Hirte, InsO, aaO, § 142 Rz. 11).
Eine solche Gegenleistung war bei der Entnahme nicht vereinbart.
Der Verzicht des Herrn … auf sein zukünftiges Geschäftsführergehalt erfolgte vielmehr im Rahmen einer Vereinbarung des Herrn … mit dem Beklagten, wonach der Beklagte dem Herrn … gegen Zahlung von 250.000,- € dessen Anteile an der Insolvenzschuldnerin abkaufen sollte und Herr … (auch) als Geschäftsführer aus dieser ausscheiden sollte.
5. Rechtsfolge der Anfechtbarkeit der Entnahme vom 08.01.2014 ist gemäß § 143 Abs. 1 S. 1, dass der Beklagte an den Insolvenzverwalter die entnommenen 250.000,- € zurückzuzahlen hat.
II. Zinsanspruch
Der Beklagte hat einen Anspruch auf Zinsen im tenorierten Umfang.
1. Der Zinsanspruch folgt für die Zeit vom bis zum 04.04.2017 aus § 143 Abs. 1 S. 2 a.F. und für die Zeit danach aus § 143 Abs. 1 S. 2 und 3 n.F. i.V.m § 286 BGB.
Gemäß § 143 Abs. 1 S. 2 InsO gelten die Vorschriften über Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, entsprechend. Demnach ist der Beklagte zur Zahlung von Zinsen ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung entsprechend §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291 S. 1 BGB verpflichtet.
Gemäß § 143 Abs. 1 S. 3 i.d.F. vom 05.04.2017 ist eine Geldschuld allerdings nur zu verzinsen, wenn tatsächlich Rechtshängigkeit oder Verzug eingetreten war. Diese Vorschrift gilt gemäß § 103j Abs. 2 EGInsO erst für die Zeit ab dem 05.04.2017. Der Beklagte war indes bereits zuvor gemäß § 286 BGB am 23.09.2016 in Verzug mit der Rückzahlung geraten. Denn der Kläger hat die Rückzahlung durch den Beklagten mit Schreiben vom 08.09.2016 unter Fristsetzung bis 23.09.2016 angemahnt.
2. Die Zinshöhe folgt aus § 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
III. Nebenentscheidungen
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
3. Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO bestimmt.