Handels- und Gesellschaftsrecht

Schadensersatzansprüche aus Steuerberaterhaftung gegen Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung

Aktenzeichen  8 O 1503/19

Datum:
14.7.2021
Gerichtsart:
LG Erfurt 8. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 278 BGB
§ 280 Abs 1 BGB
§ 634 Nr 4 BGB
§ 675 Abs 1 BGB
§ 8 Abs 1 PartGG
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Spruchkörper:
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Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der klagende Insolvenzverwalter macht – im Wege der Feststellungsklage – Schadensersatzansprüche aus Steuerberaterhaftung gegen die beklagte Steuerberatungsgesellschaft als Vertragspartnerin und über § 8 PartGG gegen deren beide Partner geltend. Zudem verlangt er von der Beklagten zu 1. Freistellung von den außergerichtlichen Kosten.
Die Beklagte, eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung, beriet die Insolvenzschuldnerin – … – seit 2012 in steuerlichen Angelegenheiten. Die Beklagte hatte zudem die Buchführung inne und erstellte die Jahresabschlüsse wie Bilanzen.
Gegenstand des Unternehmens war die Erbringung von Personaldienstleistungen. Es gab trotz einiger Erfolge durchgängig Liquiditätsprobleme und unternehmerische Sorgen. Die Insolvenzschuldnerin wurde nicht nur von der Beklagten beraten und betreut, sondern auch von weiteren außenstehenden Experten.
Aufgrund eines Fremdantrages der AOK Plus vom 4. Oktober 2017 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 1. Dezember 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet (Az.: 404 IN 1917/17) – wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. In demselben Zeitraum gab es auch einen Eigenantrag der Geschäftsführerin, der Zeugin …, nämlich vom 19. Oktober 2017. Im Übrigen gingen ein später zurückgezogener Fremdantrag und eine entsprechende Androhung bereits Anfang Januar 2017 voraus.
Der Kläger behauptet eine Insolvenzreife – und damit einhergehend Antragspflicht – spätestens seit dem Jahr 2014, nämlich aufgrund Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.
Die bilanzielle Überschuldung habe schon zum 31. Dezember 2014 vorgelegen. Es habe keine auflösbaren stillen Reserven gegeben. Zahlungsunfähigkeit iSd. § 17 InsO habe ebenfalls schon seit 2014 bestanden. Die Insolvenzschuldnerin habe ihre Zahlungen weitgehend eingestellt. Der Kläger stützt sich hierbei auf folgende Indizien:
– Offene Beitragsnachforderung der Deutschen Rentenversicherung – nach Betriebsprüfung – mit Bescheid vom 6. Januar 2014,
– In den Jahren 2013 und 2014 zahlreiche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und Vollstreckungsankündigungen,
– Steuerstundungen in den Jahren 2016 und 2017,
– Nichtausführung von Lastschriften im Jahr 2015,
– Nichteinhaltung von Ratenzahlungsvereinbarungen für das Jahr 2015,
– Im Jahr 2015 Androhung eines Antrages auf Entzug der Gewerbeerlaubnis wegen Unzuverlässigkeit,
– Ursprüngliche Stellung eines Insolvenzantrages durch die IKK Classic am 18. Januar 2017, mit bereits voraus gehender Androhung eines Insolvenzantrages durch die BARMER am 12. Januar 2017.
Der Kläger stützt sich für seine Schadensersatzansprüche maßgeblich auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 26. Januar 2017 (Az. IX ZR 285/14) und erhebt zusammengefasst zwei Vorwürfe einer schuldhaften Pflichtverletzung seitens der Beklagten: Fehlerhafte Jahresabschlüsse und unterlassene Aufklärung über die Insolvenzantragspflicht.
Der Kläger ist zum einen der Ansicht, die Beklagten hätten die Jahresabschlüsse und Bilanzen der Insolvenzschuldnerin spätestens seit dem Jahr 2013 bzw. dem Jahr 2014 nicht mehr zu Fortführungswerten erstellen dürfen. Vielmehr wäre ein Ansatz zu Liquidationswerten geboten gewesen. Die erfolgte Bilanzierung zu Fortführungswerten sei rechtlich nicht zulässig gewesen. Es hätten nämlich erhebliche Zweifel an der Fortführungsprognose bestanden. Die Beklagten hätten aufgrund der von ihnen übernommenen Buchführung Kenntnis von den finanziellen Problemen gehabt, etwa der Vollstreckungsmaßnahmen.
Wäre der Ansatz im Jahresabschluss zu Liquidationswerten erfolgt, hätte die Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin – die Zeugin … – hieraus die Insolvenzreife erkannt und unverzüglich gehandelt, d. h. Insolvenzantrag gestellt.
Der Kläger hebt hier maßgeblich ab auf den Jahresabschluss für das Jahr 2014, der allerdings erst zum 29. März 2016 erstellt und überreicht wurde. Vor diesem Hintergrund beschränkt der Kläger die Feststellung einer Schadensersatzpflicht auf Schäden seit dem 29. März 2016.
Zum anderen ist der Kläger der Auffassung, die Beklagten hätten die Insolvenzschuldnerin – aufgrund ihrer allgemeinen Hinweis- und Warnpflichten – wegen der ihnen bekannten Indizien auf einen möglichen Insolvenzgrund, die Insolvenzreife und die daran anknüpfende Prüfungs- und Antragspflicht der damaligen Geschäftsführerin hinweisen müssen.
Aufgrund dieser beiden Pflichtverletzungen – so der Kläger – seien die Beklagten schadensersatzpflichtig für sämtliche seit dem 29. März 2016 entstandenen Schäden. Auf eine Bilanzierung zu Liquidationswerten hin oder in Reaktion auf allgemeine Warnhinweise hätte die Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin unverzüglich Insolvenzantrag gestellt.
Zur vorläufigen Berechnung des Insolvenzverschleppungsschadens zieht der Kläger einen Vergleich der Vermögenslage im März 2016 – Zeitpunkt der gebotenen, aber unterlassenen Antragstellung – und der Vermögenslage im Dezember 2017 – Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung – heran. Der Kläger gelangt ohne nähere Darlegung zu einem Streitwert von 3.200.000,00 €. Eine abschließende Bewertung sei noch nicht möglich, eine Feststellungsklage daher zulässig.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger sämtliche Schäden seit dem 29.03.2016 zu ersetzen, die durch eine verschleppte Insolvenzantragstellung entstanden sind,
2. die Beklagte zu 1. zu verurteilen, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten … von der Verbindlichkeit aus der Kostenrechnung vom 12.12.2019, Rechnungsnummer K 9/19, in Höhe von 14.726,90 € freizustellen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten sind der Ansicht, dass der Beklagte zu 3. bereits nicht nach § 8 Abs. 2 PartGG passivlegitimiert sei. Er habe nicht an der Betreuung der Insolvenzschuldnerin mitgewirkt.
Die Beklagten streiten jedwede Pflichtverletzung ihrerseits ab. Es mangele bereits an einem Fehler der Bilanzierung und – allgemein – der Beratung. Selbst bei einem berechtigten Vorhalt fehle es an der weiter erforderlichen Kausalität, denn die Geschäftsführerin der Klägerin hätte ohnehin keinen Insolvenzantrag gestellt.
Mit Blick auf den Vorwurf fehlerhafter Jahresabschlüsse sind die Beklagten der Auffassung, eine Bilanzierung zu Fortführungswerten sei angesichts der Gesamtsituation des Unternehmens zulässig gewesen. Im Übrigen sei es unerheblich, dass die Jahresabschlüsse für die Jahre 2013 bis 2016 nicht zu Liquidationswerten erstellt worden seien. Diese Jahresabschlüsse hätten nämlich – deutlich erkennbar – nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge in Höhe von 917.641,15 € (2013) bis zu 1.292.585,56 € (2016) ausgewiesen. Selbst bei der erfolgten Bilanzierung zu Fortführungswerten sei so die rechnerische Überschuldung der Insolvenzschuldnerin ohne weiteres erkennbar gewesen, zumal es keine stillen Reserven gegeben habe. Eine Bilanzierung zu Liquidationswerten wäre auch nur geringfügig höher ausgefallen. Somit bestehe bereits kein kausaler Zusammenhang zwischen den vom Kläger gerügten Fortführungswerten bzw. den von den Beklagten erstellten Jahresabschlüssen und einem von der Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin unterlassenen Insolvenzantrag.
Ein Beratungsverschulden scheide gleichfalls aus. Der allein verantwortliche Beklagte zu 2. habe die Insolvenzschuldnerin bzw. deren Geschäftsführerin durchgängig auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht sowie Pflicht zur Antragstellung hingewiesen. Etwaige Beratungs- und Aufklärungspflichten zu Insolvenzfragen seien umfassend erfüllt worden. Dies sei mit mehreren Schreiben erfolgt, angefangen mit einem – unstreitig der Insolvenzschuldnerin zugegangenen – Schreiben vom 15. Januar 2014 (Anlage K 8), weiter mit Schreiben vom 5. Mai 2015, vom 18. Juni 2015, vom 16. Juli 2015 und vom 9. Februar 2017 (Anlagen B 1 bis B 4), die ebenfalls zugegangen seien.
Jedenfalls mangele es an einer Kausalität zwischen etwaiger Pflichtverletzung und fehlender Antragstellung, dh. einer Insolvenzverschleppung. Die Geschäftsführerin hätte auch bei Bilanzierung zu Liquidationswerten oder (noch) deutlicherer Aufklärung keinen Antrag gestellt.
Darüber hinaus berufen sich die Beklagten auf ein ihre Haftung vollständig ausschließendes Mitverschulden der Klägerseite. Selbst bei einem Fehler ihrerseits hätte die primäre Verantwortung bei der Geschäftsführerin gelegen.
Abschließend beziehen sich die Beklagten auf die Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes zur Haftung des Geschäftsführers. Dieser Senat gehe im Zusammenhang mit der Haftung des Geschäftsführers davon aus, dass einer insolventen GmbH durch das Anwachsen der Verbindlichkeiten als Folge einer verspäteten Insolvenzanmeldung kein ersatzfähiger Schaden in Form der Vertiefung der Überschuldung entstehe, den diese gegenüber ihrem Geschäftsführer geltend machen könne. Dies sei auf eine Haftung von Steuerberatern übertragbar, so dass jedwede Haftung von vornherein ausscheide. Die anderslautende Rechtsprechung des – für Insolvenzrecht zuständigen – IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes sei daher nicht überzeugend.
Das Gericht hat die Beklagten zu 2. und 3. angehört und zudem die Zeugin … vernommen. Insoweit wird auf das Protokoll der Sitzung vom 26. Mai 2021 verwiesen.
Im Übrigen wird wegen sämtlicher Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
An dem erforderlichen Feststellungsinteresse bestehen keine Zweifel. In der Sache kann es offenbleiben, ob die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur (Nicht)Haftung des Geschäftsführers für „Insolvenzverschleppungsschäden“ auf einen externen Steuerberater übertragbar ist.
Die Klage ist nämlich aus mehreren sonstigen Gründen abzuweisen. Der Beklagte zu 3. ist bereits nicht passiv legitimiert. Eine Haftung der Beklagten zu 1. und zu 2. aus §§ 280 Abs. 1, 278, 634 Nr. 4, 675 Abs. 1 BGB i.V.m. § 8 Abs. 1 PartGG scheidet aus, weil es an einer schuldhaften Pflichtverletzung, jedenfalls an der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und unterlassener Insolvenzantragstellung fehlt.
Im Einzelnen:
1.
Das Feststellungsinteresse begegnet keinen Bedenken. Solche werden von den Beklagten auch nicht erhoben.
Der Kläger vermag den behaupteten Schaden derzeit noch nicht abschließend und konkret zu beziffern. Der Inhalt seines Feststellungsbegehrens richtet sich ersichtlich auf die Verantwortung der Beklagten für eine Verschlechterung der Vermögenssituation der Insolvenzschuldnerin in der Zeit zwischen gebotener Insolvenzantragstellung im März 2016 und späterer tatsächlicher Insolvenzantragstellung im Dezember 2017. In dieser Zeit können weitere Verbindlichkeiten der Gesellschaft aufgebaut worden sein, während vorhandenes Vermögen weiter abgeflossen ist. Es kommt hinzu, dass zahlreiche Rechtshandlungen angefochten worden sind, was sich im Ergebnis auf die Vermögenslage auswirken kann.
Eine abschließende Bezifferung des so zu ermittelnden Schadens vor Abschluss des Insolvenzverfahrens ist daher nur der Dimension nach möglich, aber nicht nach der konkreten Höhe (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 29. November 2019 – 17 U 80/19, juris).
Es tritt hinzu, dass sich der Kläger zur Klageerhebung veranlasst sah, um eine ansonsten drohende Verjährung abzuwenden.
2.
Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob es dem Insolvenzverwalter an der Befugnis fehlt, zugunsten der Altgläubiger und Masse und zu Lasten der Neugläubiger gegen einen Steuerberater einen Schadensersatzanspruch wegen der Verursachung eines „Insolvenzverschleppungsschadens“ oder eines Insolvenzvertiefungsschadens geltend zu machen (s. hierzu OLG Stuttgart, Urteil vom 27. Oktober 2020 – 12 U 82/20, juris Rn. 76 ff.).
Der für die Steuerberaterhaftung zuständige IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs geht davon aus, dass der Insolvenzverwalter den „Insolvenzverschleppungsschaden“, der der Insolvenzschuldnerin durch die auf der Unternehmensfortführung beruhende Vergrößerung der Verbindlichkeiten erwachse, geltend machen könne (BGH, Urteil vom 6. Juni 2013 – IX ZR 204/12, juris Rn. 28). Der Schaden der Schuldnerin bemesse sich nach der Differenz zwischen ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt rechtzeitiger Antragstellung im Vergleich zu ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt des tatsächlich gestellten Antrags (BGH, Urteil vom 6. Juni 2013 – IX ZR 204/12, juris Rn. 28).
Bei der Haftung des Geschäftsführers nimmt der II. Zivilsenat hingegen an, dass der Insolvenzverwalter gerade nicht befugt sei, einen Insolvenzvertiefungsschaden als Schaden der Gesellschaft geltend zu machen (BGH, Urteil vom 30. März 1998 – II ZR 146/96, juris). Vielmehr seien allein die Neugläubiger befugt, ihren Vertrauensschaden vom Geschäftsführer geltend zu machen. Hintergrund ist, dass es eine ungerechtfertigte Bevorteilung der Altgläubiger gegenüber den – eigentlich primär durch die verspätete Antragstellung geschädigten – Neugläubigern darstellen würde, wenn man es dem Insolvenzverwalter gestattete, den Vertiefungsschaden geltend zu machen und zur Masse zu ziehen. Denn dadurch würde sich die Altgläubigerquote erheblich erhöhen, während die eigentlich primär geschädigten Neugläubiger u.U. kaum profitieren würden, weil zu befürchten sei, dass sie wegen ihres Rest-Vertrauensschadens leer ausgingen (BGH, Urteil vom 30. März 1998 – II ZR 146/96, juris Rn. 12; Meixner, DStR 2018, 1025, 1026 f.; Brügge, VersR 2018, 705, 706).
Dieser Streit braucht nicht entschieden zu werden, da eine Haftung der Beklagten ohnehin nicht in Betracht kommt.
3.
Eine Haftung des Beklagten zu 3. scheidet nach § 8 PartGG aus. Dieser Beklagte war nämlich nicht oder nur unwesentlich in die Beratungstätigkeit eingebunden. Maßgeblicher Berater der Insolvenzschuldnerin war der Beklagte zu 2. Eine Haftungserweiterung auf den Beklagten zu 3. ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der Beklagte zu 2. einzelner Mitarbeiter bediente, die zugleich für den Beklagten zu 3. tätig waren oder in einem gemeinsamen Arbeitsverhältnis standen.
a) Waren nur einzelne Partner mit der Bearbeitung eines Auftrags befasst, so haften nur sie für berufliche Fehler neben der Partnerschaft, § 8 Abs. 2 PartGG. Bearbeitungsbeiträge anderer Partner von untergeordneter Bedeutung ändern hieran nichts.
Voraussetzung einer Haftungsbeschränkung gemäß § 8 Abs. 2 PartGG ist danach, dass der in Anspruch genommene Partner nicht mit der Bearbeitung des Auftrags befasst war oder nur einen Bearbeitungsbeitrag von untergeordneter Bedeutung geleistet hat. Sinn der in § 8 Abs. 2 PartGG angeordneten Haftungsbeschränkung ist es, den betroffenen Angehörigen der freien Berufe Planungssicherheit zu vermitteln und ihre jeweiligen Haftungsrisiken kalkulierbar zu machen (BT-Drucks. 13/9820, S. 21). Das Haftungsrisiko der Partner, die mit der Sache nicht befasst waren, soll eingeschränkt werden (BGH, Urteil vom 12. September 2019 – IX ZR 190/18, juris Rn. 7 ff.).
b) Im Lichte dieser Maßstäbe kommt dem Beklagten zu 3. die Haftungsbeschränkung des § 8 Abs. 2 PartGG zugute. Der Beklagte zu 3. war nicht mit der Beratung der Insolvenzschuldnerin betraut. Die ausschließliche Verantwortlichkeit des Beklagten zu 2. ergibt sich bereits aus den vorgelegten Urkunden. In diesen ist nur der Beklagte zu 2. als Berater und Gesprächspartner angeführt.
Weiter haben die Beklagten zu 2. und 3. im Zuge ihrer Anhörung in glaubhafter Weise dargelegt, dass die betreuten Mandate nach Berufsträgern, dh unter ihnen aufgeteilt werden. Es erfolge zu Beginn der Mandatsbearbeitung eine entsprechende Zuweisung an einen spezifischen Partner, mit dessen Mitarbeitern. Diese Zuständigkeit bestehe sodann fort. Der andere Partner sei nicht involviert – eine branchenübliche Vorgehensweise.
Im Einzelfall könne es zu einem kollegialen Austausch kommen. Dies sei jedoch mit Blick auf das streitgegenständliche Mandat und insbesondere den Jahresabschluss für 2014 nicht der Fall gewesen.
4.
Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagten zu 1. und 2. auf Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 278, 634 Nr. 4 (Bilanz), 675 Abs. 1 BGB i.V.m. § 8 Abs. 1 PartGG – wegen Pflichtverletzungen im Rahmen des Mandates bzw. der von der Insolvenzschuldnerin in Auftrag gegebenen Erstellung der diversen Abschlüsse und Jahresbilanzen – kommt nicht in Betracht.
a) Es fehlt bereits an jedweder Pflichtverletzung. Die Beklagte hatte zwar ein umfassendes vertragliches Mandat. Ein Verstoß gegen das sich hieraus ergebende Pflichtenprogramm ist jedoch nicht ersichtlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die im Januar 2017 vom Bundesgerichtshof aufgestellten, verschärften Anforderungen an das Pflichtenprogramm von Steuerberatern erst in der Zeit danach Geltung entfalten konnten.
Die Beklagten haben zu keinem Zeitpunkt ihre allgemeinen Aufklärungs-, Hinweis- und Warnpflichten schuldhaft vernachlässigt noch zu Unrecht Jahresabschlüsse zu Fortführungswerten erstellt.
Unstreitig hatte die Beklagte zu 1. ein umfassendes Mandat inne. Das Mandat umfasste zunächst die unterjährige Buchhaltung für die Insolvenzschuldnerin (Lohn-, Gehalts-, Finanz- und Anlagenbuchführung). Darüber hinaus war die Beklagte zu 1. mit der Erstellung des Jahresabschlusses betraut. Aus diesem Mandat ergaben sich erhebliche Pflichten, zur Beratung wie zur korrekten Erstellung von Abschlüssen.
Die Vorwürfe des Klägers gehen allerdings fehl. Soweit den Beklagten Aufklärungs-, Hinweis- und Warnpflichten im Zusammenhang mit einer drohenden Insolvenz oblagen, haben sie diese nicht schuldhaft verletzt. Im Gegenteil ist von einer überobligationsmäßigen Erfüllung auszugehen. Mit Blick auf das Pflichtenprogramm der Steuerberater ist zwischen der Zeit vor Januar 2017 und danach zu differenzieren.
Im Einzelnen:
aa) Der Kläger erhebt zum einen den Vorwurf, die Beklagten hätten die Insolvenzschuldnerin und deren Geschäftsführerin nicht auf die Insolvenzreife hingewiesen und somit ihre Hinweis- und Warnpflichten verletzt. Hierzu führt er an, in dem – im März 2016 vorgelegten – Jahresabschluss zum 31. Dezember 2014 habe sich kein Hinweis auf die Insolvenzreife und deren Folgen gefunden, insbesondere kein Hinweis darauf, ob die ersichtliche Unterbilanz durch stille Reserven ausgeglichen werden konnte. Ein solcher Hinweis ergebe sich auch nicht aus den weiteren zur Verfügung stehenden Unterlagen. Auch ansonsten hätten die Beklagten im fraglichen Zeitraum – März 2016 bis Oktober 2017 – nicht auf eine drohende Insolvenz und Antragspflicht hingewiesen. Die Hinweise in dem unstreitig zugegangenen Schreiben aus 2014 seien zu unspezifisch erfolgt.
(1) Zu diesem ersten Monitum ist zunächst festzuhalten, dass es vor Januar 2017, dh der neuen und von früheren Judikaten abweichenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, keine spezifische Pflicht eines Steuerberaters zur Erteilung insolvenzrechtlicher Hinweise gab. Solche Hinweise gehörten nicht zum damals anerkannten Pflichtenprogramm. Hieraus folgt, dass den Beklagten für behauptete Versäumnisse vor Januar 2017 von vornherein kein Vorwurf schuldhaften Fehlverhaltens gemacht werden kann.
Für die Zeit vor Januar 2017 galt nämlich nach einer Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes vom 7. März 2013 (BGH, Urteil vom 07. März 2013 – IX ZR 64/1, juris Leitsatz und Rn. 19):
„Das steuerberatende Dauermandat von einer GmbH begründet bei üblichem Zuschnitt keine Pflicht, die Mandantin bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz auf die Pflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, eine Überprüfung in Auftrag zu geben oder selbst vorzunehmen, ob Insolvenzreife besteht.“
„Die im Schrifttum mehrheitlich und vereinzelt auch in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, der Steuerberater habe im Rahmen seiner Vertragspflichten zur Beratung und Schadensverhütung kraft seines überlegenen Wissens den Geschäftsführer einer GmbH darüber aufzuklären, dass er verpflichtet sei, zur Klärung der Insolvenzreife eine Überschuldungsbilanz aufzustellen und bei Feststellung der Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft fristgerecht zu beantragen, wenn Überschuldung der Gesellschaft gemäß § 19 Abs. 2 InsO unmittelbar drohe oder bereits eingetreten … ist mit der Beschränkung der Pflichten des Steuerberaters auf die steuerliche Beratung bei einem allgemeinen steuerrechtlichen Mandat nicht in Übereinstimmung zu bringen. Auch aus der vertraglichen Nebenpflicht, den Mandanten vor Schaden zu bewahren, ergibt sich nicht die Verpflichtung des Steuerberaters, auf einen möglicherweise bestehenden Anlass zur Prüfung der Insolvenzreife hinzuweisen … Eine – möglicherweise auch drittschützende – Haftung des Steuerberaters für einen Insolvenzverschleppungsschaden kann deshalb nur eintreten, wenn dieser ausdrücklich mit der Prüfung der Insolvenzreife eines Unternehmens beauftragt ist.“
(2) Für den jeweiligen Pflichtenumfang stellt das Oberlandesgericht Koblenz überzeugend auf die maßgebliche Rechtsprechung ab (OLG Koblenz, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 8 U 2071/19, juris Rn. 24, s. weiter OLG Koblenz, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 3 U 47/20, juris Rn. 20):
„Eine Pflichtverletzung des Beklagten folgt auch nicht aus einem unterlassenen Hinweis auf eine bestehende Insolvenzreife. Der Beklagte hatte sich zu Inhalt und Gegenstand des ihm erteilten Mandates an der zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit geltenden Gesetzeslage sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung zu orientieren. Ende März 2013 war die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom Januar 2017 zu den heute relevanten Pflichten des Steuerberaters bei Jahresabschlusserstellung nicht bekannt und auch nicht absehbar.“
(3) Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagten eine ihrer vor Januar 2017 bestehenden Aufklärungs-, Hinweis- und Beratungspflichten verletzt haben. Die Beklagten waren von vornherein nicht verpflichtet, auf eine etwaige Insolvenzreife hinzuweisen.
Im Gegenteil ist aus den im Prozess vorgelegten Unterlagen ersichtlich, dass die Beklagten sogar „überobligationsmäßig“ aufgeklärt haben. Dies belegt bereits das – unstreitig zugegangene – Schreiben des Beklagten zu 2. vom 15. Januar 2014 (Anlage K 8). In diesem Schreiben wird die aktuelle betriebswirtschaftliche Lage eingeschätzt, und abschließend ausdrücklich auf eine mögliche Zahlungsunfähigkeit und Insolvenzanmeldung hingewiesen.
Weitere Belege für eine zwar nicht geschuldete, aber tatsächlich erfolgte Aufklärung über das Insolvenzrisiko und die damit einhergehenden Pflichten der Geschäftsführung sind den Schreiben vom 5. Mai 2015, vom 18. Juni 2015 sowie vom 16. Juli 2015 zu entnehmen (Anlagen B 1 bis B 3).
Soweit der Kläger in unspezifischer Weise einen Zugang dieser Schreiben bestreitet, vermögen sie damit nicht gehört zu werden. Der Beklagte zu 2. führte im Zuge seiner Anhörung in überzeugender Weise aus, das sein Unternehmen und die Insolvenzschuldnerin im gleichen Haus ansässig waren. Für die Insolvenzschuldnerin bestimmte Schreiben habe man daher persönlich überreicht, etwa durch die zuständige Sekretärin. Wichtige Vorgänge habe man dokumentiert. Dies wurde in der Verhandlung auch mit dem Postausgangsbuch untermauert.
Angesichts dieses erheblichen und detaillierten Vorbringens hätte es dem Kläger oblegen, näher zum angeblichen Nichtzugang vorzutragen, was nicht erfolgte. Der Kläger vermag sich jedenfalls nicht darauf zu berufen, in seinen Unterlagen diese Schreiben nicht vorgefunden zu haben. Er müsste zumindest seine Bemühungen und deren Ergebnis nachvollziehbar darlegen (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2012 – V ZR 179/11). Das bloße Bestreiten des Zugangs ist daher unzulässig.
Es kommt hinzu, dass die auch hierzu befragte ehemalige Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin – nach Einsichtnahme in die diversen Schreiben der Beklagten – sogar bestätigte, dass ihr Schreiben der Beklagten persönlich übergeben wurden. Die Zeugin vermochte sich zudem an den Inhalt der Schreiben vom 5. Mai 2015 (Anlage B 1) und vom 16.07.2015 (Anlage B 3) zu erinnern.
Nach alledem geht die Kammer vom Zugang sämtlicher vorgelegten Schreiben aus.
In dem der Zeugin bekannten Schreiben vom 5. Mai 2015 heißt es:
„Nach § 19 InsO müssen Sie als Geschäftsführerin laufend überprüfen, ob die bei Ihnen unzweifelhaft bestehende bilanzielle Überschuldung auch zu einer rechtlichen Überschuldung und damit zu einer Insolvenzantragspflicht nach § 19 InsO führt. Für eine positive insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose muss die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit innerhalb des Prognosezeitraumes wahrscheinlicher sein als der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit. Nach unseren Informationen erfolgt eine regelmäßige Erstellung des Finanzstatus und dessen Überwachung durch Sie und Ihren Fachberater Controlling, Herrn S…, m… GmbH.“
Mehr konnte von den Beklagten nicht erwartet werden, selbst im Lichte der folgenden Rechtsprechungsänderung.
(4) Für die Zeit nach Januar 2017 ist – auch nach den nunmehr heraufgesetzten Maßstäben – ebenfalls kein regelwidriges Verhalten ersichtlich.
Der Bundesgerichtshof postuliert zwar mit Urteil vom 26. Januar 2017 eine allgemeine Hinweis- und Warnpflicht (BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – IX ZR 285/14, BGHZ 213, 374-394, juris Leitsatz und Rn. 43 ff.):
„Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist (teilweise Aufgabe von BGH, Urteil vom 7. März 2013, IX ZR 64/12, WM 2013, 802).“
„Anders als das Berufungsgericht meint, kommt zudem eine Haftung des Beklagten aus § 280 Abs. 1, § 675 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Hinweis- und Warnpflicht in Betracht. Auch wenn der vom Steuerberater erstellte Jahresabschluss mangelfrei war, können den mit der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragten Steuerberater Hinweis- und Warnpflichten treffen.
Eine Hinweispflicht des Steuerberaters besteht auch außerhalb des beschränkten Mandatsgegenstandes, soweit die Gefahren dem Steuerberater bekannt oder für ihn offenkundig sind oder sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdrängen und wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sein Auftraggeber sich der Gefahr nicht bewusst ist … Dies gilt insbesondere, wenn die Gefahr Interessen des Auftraggebers betrifft, die mit dem beschränkten Auftragsgegenstand in engem Zusammenhang stehen …
Diese Voraussetzungen können bei einem Steuerberater erfüllt sein, der beauftragt ist, einen Jahresabschluss zu erstellen. Trotz inhaltlich richtiger Bilanz können zugunsten des Mandanten Hinweis- und Warnpflichten bestehen, wenn der Steuerberater einen Insolvenzgrund erkennt oder für ihn ernsthafte Anhaltspunkte für einen möglichen Insolvenzgrund offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist. Solche Anhaltspunkte können für den Steuerberater etwa dann offenkundig sein, wenn die Jahresabschlüsse der Gesellschaft in aufeinanderfolgenden Jahren wiederholt nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge aufweisen. Dies kommt weiter in Betracht, wenn für den Steuerberater offenkundig ist, dass die bilanziell überschuldete Gesellschaft über keine stillen Reserven verfügt. Maßgeblich für die Frage, ob eine Hinweis- und Warnpflicht des Steuerberaters besteht, sind dabei nur die von ihm für den zu erstellenden Jahresabschluss zu prüfenden Umstände.“
(5) In Würdigung dieser – neuen – Maßstäbe und Leitlinien traf die Beklagten bereits keine allgemeine Hinweis- und Warnpflicht. Es dürfte jedenfalls ab Januar 2017 zwar offenkundige Anhaltspunkte für einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht der Geschäftsführerin gegeben haben. Jedoch mussten die Beklagten keineswegs annehmen, dass diese mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst war. Die Jahresabschlüsse der Gesellschaft in aufeinanderfolgenden Jahren wiesen wiederholt und über Jahre hinweg nicht durch Eigenkapital – oder stille Reserven – gedeckte hohe Fehlbeträge auf. Im Jahr 2016 betrug der Fehlbetrag immerhin 1.292.585,56 €.
Die Überschuldung konnte der geschäftlich versierten Geschäftsführerin nicht verborgen geblieben sein, zumal sie wusste, dass keine stillen Reserven vorhanden waren. Zudem wurde die Insolvenzschuldnerin bereits mit Schreiben der Barmer vom 12. Januar 2017 (!) ausdrücklich auf die notwendige Insolvenzantragspflicht hingewiesen. Weiter hat die IKK Classik am 18. Januar 2017 einen ersten Insolvenzantrag gestellt, was der Geschäftsführerin auch mitgeteilt worden war. Aufgrund dieser Vorgänge wusste die Geschäftsführerin positiv um die Insolvenzreife wie ihre eigene, damit einhergehende Antragspflicht. Es kommt hinzu, dass die Insolvenzschuldnerin durchgängig durch andere außenstehende Experten beraten wurde, was die Beklagten wussten und worauf sie immer wieder verwiesen, wie aus dem oben zitierten Schreiben vom 5. Mai 2015 ersichtlich. So soll eine Drittfirma im März 2017 sogar eine Fortführungsprognose, möglicherweise ein Sanierungskonzept erstellt haben.
Die Beklagten hatten nach alledem keinen Grund zur Annahme, dass die drohenden Gefahren der Insolvenzschuldnerin nicht bewusst waren.
(6) Im Übrigen haben die Beklagten – erneut überobligatorisch – auf die drohende Insolvenz auch ab Januar 2017 wiederholt hingewiesen. Dies ergibt sich bereits aus dem Schreiben des Beklagten zu 2. vom 9. Februar 2017 (Anlage B 4), von dessen Zugang bei der Insolvenzschuldnerin die Kammer – wie dargelegt – ausgeht. Darin wird nämlich auf mehrere Besprechungen im Januar 2017 Bezug genommen, in denen ebenfalls detaillierte Hinweise auf die Insolvenzantragspflicht erfolgten:
„Sehr geehrte Frau …, wie in den bisherigen Gesprächen mit Herrn … und/oder Herrn … laufend, zuletzt unter anderem am 9. Januar 2017, 13. Januar 2017 und 26. Januar 2017 wiederholt erörtert, existieren gesetzlich zwei wesentliche Tatbestände zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens …“.
Im Übrigen hat der Beklagte zu 2. in glaubhafter Weise bekundet, seit Jahren sei mit der Geschäftsführerin besprochen worden, dass eine bilanzielle Überschuldung vorliege. Weiter sei die Zeugin darauf hingewiesen worden, dass sie ständig ihren Liquiditätsstatus überprüfen müsse.
bb) Der weitere – zweite – Vorwurf des Klägers geht dahin, dass die Beklagten im März 2016 pflichtwidrig einen fehlerbehafteten Jahresabschluss für das Jahr 2014 – und die Folgejahre – erstellt hätten. Anstelle von Fortführungswerten hätten sie Liquidationswerte in Ansatz bringen müssen. Mithin seien handelsrechtliche Bewertungsvorschriften – § 252 HGB – verletzt worden, der Jahresabschluss sei mangelhaft. Den Beklagten sei die Unterbilanz wie das Fehlen stiller Reserven bekannt gewesen. Eine positive Fortführungsprognose sei ausgeschieden. Die Schuldnerin sei bereits 2014 insolvenzreif gewesen.
Dieser Vorwurf geht ebenfalls ins Leere.
(1) Das vom Kläger auch hier herangezogene Urteil des Bundesgerichtshofes vom 27. Januar 2017 vermag keine Geltungskraft für die Zeit davor zu entfalten. Im Übrigen gibt es zu wenig Anhaltspunkte dafür, dass der Jahresabschluss für 2014 angesichts einer bestehenden Insolvenzreife der Insolvenzschuldnerin objektiv zu Unrecht von Fortführungswerten ausging. Jedenfalls waren die Beklagten nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln, zumal Dritte mit dieser Aufgabe betreut wurden, worauf die Beklagten vertrauen durften.
(2) Die Beklagten führen zudem überzeugend an, dass es keinen nennenswerten Unterschied gemacht hätte, wenn für die Jahresabschlüsse 2014 bis 2016 Liquidationswerte angesetzt worden wären. Diese Jahresabschlüsse hätten nämlich offensichtlich nicht durch Eigenkapital gedeckte hohe Fehlbeträge ausgewiesen. Die rechnerische Überschuldung der Insolvenzschuldnerin sei bereits zu Fortführungswerten deutlich erkennbar gewesen und wäre zu Liquidationswerten nur geringfügig höher ausgefallen.
b) Selbst wenn den Beklagten eine schuldhafte Pflichtverletzung zur Last fiele, führte dies nicht zum Erfolg der Klage. In jedem Fall fehlt es nämlich an der erforderlichen Kausalität, d. h. an einem Zusammenhang zwischen einem etwaigen Fehler und dem Unterlassen einer Antragstellung.
aa) Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass die Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin – sei es aufgrund noch deutlicherer und konkreterer Hinweise und Warnungen, sei es aufgrund einer Bilanzierung mit Liquidationswerten – in dem allein relevanten Zeitraum zwischen März 2016 und Oktober 2017 ihrerseits einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hätte.
Wie auch die Vernehmung der Geschäftsführerin als Zeugin ergab, war sie damals omnimodo facturus, d. h. fest entschlossen, ihr zeitweise durchaus erfolgreiches Unternehmen fortzuführen. Sie habe „nie ans Aufgeben gedacht“ und einfach „nicht loslassen“ können.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Geschäftsführerin wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung rechtskräftig verurteilt wurde. Bei einer solchen Vorsatztat können das Vermögen treffende Folgen nicht auf den steuerlichen Berater abgewälzt werden, da diese Folgen nicht vom Schutzzweck der steuerlichen Beratungspflichten umfasst werden. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits 1996 entschieden (BGH, Urteil vom 14. November 1996 – IX ZR 215/95, juris Rn. 15):
„Diese Pflicht endet zwar dort, wo der Mandant selbst sich über die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Vorgehens im Klaren ist; denn dann bedarf er keiner Aufklärung. Begeht er deshalb – allein oder gemeinsam mit dem Steuerberater oder von diesem angestiftet – eine (vorsätzliche) Steuerhinterziehung, so kann er die sein Vermögen treffenden steuerstrafrechtlichen Folgen nicht auf seinen Berater abwälzen.“
Es tritt hinzu, dass die Geschäftsführerin in den Jahren 2016 und 2017 zweimal bei einer anderweitigen Steuerberaterin war, um sich beraten zu lassen. Diese Steuerberaterin habe sie mit den Worten gewarnt, ihre Zahlen seien so schlecht, dass sie nicht beraten werden dürfe.
Eine „Vermutung beratungsgerechten Verhaltens“ scheidet daher von vornherein aus.
bb) Spätestens mit dem Hinweis der weiteren Steuerberaterin in den Jahren 2016 und 2017 und mit dem Schreiben der Barmer sowie dem Insolvenzantrag der IKK Klassik aus Januar 2017 waren der Geschäftsführerin die drohenden Gefahren und ihre eigenen Pflichten überaus deutlich vor Augen gestellt worden. Wenn sie gleichwohl erst zum 19. Oktober 2017 einen Eigenantrag stellte, so zeigt dies, dass sie auch auf einen früheren oder zusätzlichen Hinweis der Beklagten nicht reagiert hätte.
cc) Zudem ließ sich die Zeugin durchgängig extern beraten, durch Unternehmensberater und selbst anwaltlich. Es erschließt sich nicht, dass die Steuerberater in Haftung genommen werden sollen, während externe Berater mit der Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens und der Begleitung der Unternehmensführung betraut waren.
dd) Dies alles gilt auch für eine etwaige Bilanzierung zu Liquidationswerten im März 2016. Es ist nicht erkennbar, dass die Geschäftsführerin dies allein zum Anlass für eine Antragstellung genommen hätte. Schließlich war der Zeugin die „Schieflage“ ihres Unternehmens bereits im März 2016 bekannt, jedenfalls aufgrund der hohen, im Jahresabschluss 2014 auch ausgewiesenen Fehlbeträge. Der Zeugin war bekannt, wie sie im Zuge ihrer Vernehmung darlegte, dass diese Fehlbeträge nicht durch stille Reserven ausgeglichen oder wenigstens teilweise aufgefangen waren.
Nach alledem waren sowohl der Feststellungsantrag als auch der Freistellungsantrag unbegründet, die Klage insgesamt abzuweisen.
Es kommt mangels Haftung nicht mehr darauf an, ob der Geschäftsführerin der Insolvenzschuldnerin ein so gravierendes Mitverschulden vorzuhalten ist, dass dahinter jedwede Haftung der Beklagten ohnehin zurückträte.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, während sich der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 ZPO ergibt.


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