Handels- und Gesellschaftsrecht

Vergütungsanspruch – Insolvenz – Haftung des Insolvenzverwalters – Schadenersatz

Aktenzeichen  5 Sa 7/22

Datum:
29.3.2022
Gerichtsart:
Thüringer Landesarbeitsgericht 5. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LAGTH:2022:0329.5SA7.22.00
Normen:
§ 61 InsO
§ 611a BGB
Spruchkörper:
undefined

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Gera, 23. Januar 2019, 7 Ca 215/18, Urteilanhängig BAG, kein Datum verfügbar, 6 AZN 321/22

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 23.01.2019 – 7 Ca 215/18 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von dem Beklagten als Schadenersatz den Bruttolohnbetrag für Januar und Februar 2016 in Höhe von insgesamt 3.900,00 EUR brutto.
Der Kläger war bei der Firma ……, Inhaber ……, seit Juli 2014 beschäftigt. Er bezog eine monatliche Bruttovergütung von 2.600,00 EUR. Am 1. März 2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des …… eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte entschloss sich, das Unternehmen fortzusetzen. Der Kläger und andere Kollegen setzten ihre Arbeit in gewohntem Umfang fort. In den Monaten Januar 2016 und Februar 2016 erbrachte der Kläger seine Arbeitsleistung. Mit Schreiben vom 16.02.2016 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Verbindlichkeiten nicht mehr beglichen werden können und Masseunzulänglichkeit angezeigt worden ist. Unter dem 22.02.2016 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Der Beklagte stellte den Kläger am 1. März 2016 mit sofortiger Wirkung von der Arbeitsleistung frei. Für den Monat Januar erhielt der Kläger keine Vergütung. Für den Monat Februar erhielt er eine Lohnzahlung von 700,00 EUR netto.
Mit Schreiben vom 25.02.2016 (Anlage K 7, Bl. 43 d.A.) forderte der Kläger den Ausgleich der Vergütung für Januar 2016 und mit Schreiben vom 16.03.2016 (Anlage B 8, Bl. 44 d.A.) die Zahlung der fehlenden Vergütung für Februar 2016. Der Beklagte erteilte dem Kläger Lohnabrechnungen für beide Monate. Auf die Anlagen K 3 und K 4 (Bl. 8f d.A.) wird insoweit verwiesen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.03.2016 forderte der Kläger seine fehlende Vergütung aus der Masse und als Schadensersatz vom Beklagten persönlich (Anlage K 4, Bl. 10f d.A.). Mit Schreiben vom 21.04.2016 lehnte der Beklagte den Ausgleich der Forderung ab.
Unter dem 05.12.2017 hat der Kläger Klage am Amtsgericht Gera auf Zahlung der offenen Vergütung für Januar und Februar 2016 erhoben. Mit Beschluss vom 26.06.2018 hat sich das Amtsgericht Gera für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Gera verwiesen.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, der Beklagte hafte als Insolvenzverwalter persönlich auf Zahlung der Vergütung gemäß § 61 InsO. Der Beklagte habe die drohende Masseunzulänglichkeit bereits Ende 2015 erkennen können.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 3.900,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2016 zu bezahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat erstinstanzlich gemeint, ein Anspruch des Klägers bestehe nicht. Der Beklagte hat behauptet, die Masseunzulänglichkeit sei für ihn nicht erkennbar gewesen. Diese beruhe auf einem Ausfall einer Forderung, die zur Deckung der Löhne eingeplant gewesen sei und am 15.02.2016 ausstand. Die erwartete Zahlung sei erst am 18.02.2016 eingegangen. Er habe in laufender Abstimmung mit dem Insolvenzschuldner und seiner Buchhalterin gestanden. Diese habe ihm monatliche Liquiditätsplanungen vorgelegt, an deren Richtigkeit kein Grund für Zweifel bestand. Noch unmittelbar vor Begründung der nun offenen Januarlöhne habe man sich am 30.12.2015 im Unternehmen zur Planung der weiteren Monate getroffen. Zudem seien Ansprüche des Klägers aufgrund der Reglungen des BRTV verfallen.
Das Arbeitsgericht Gera hat der Klage vollumfänglich stattgegeben und zur Begründung im Urteil ausgeführt, dass der Beklagte gemäß § 61 Inso zur Zahlung verpflichtet ist. Der Beklagte habe nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass er bei Begründung der Zahlungsverpflichtung die Masseunzulänglichkeit nicht hätte erkennen können. Er habe sich nicht entsprechend § 61 Satz 2 InsO entlasten können. Soweit der BRTV-Bau zur Anwendung gelangen sollte, könne dahinstehen, ob Ansprüche innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht worden seien, da der Beklagte die Lohnforderungen abgerechnet hat.
Gegen das am 14.02.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 28.02.2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 13.04.2019 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Mit der Berufung wiederholt der Beklagte seine erstinstanzlich vorgebrachten Argumente und führt zudem an, dass das Arbeitsgericht verkannt habe, dass der geltend gemachte Schaden kein ersatzfähiger Schaden nach § 61 InsO sei. Unter Hinweis auf die Entscheidung des BAG vom 19.01.2006, 6 AZR 600/04 führt der Beklagte aus, dass ersatzfähig nur das negative Interesse sei, was der Kläger nicht geltend gemacht habe und wozu er nichts vorgetragen habe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 23.01.2019, Az. 7 Ca 215/18 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 23.01.2019, Az.: 7 Ca 215/18, zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er meint, die Entscheidung des BAG vom 19.01.2006 sei hier nicht einschlägig. Der Kläger habe seine Forderung nur aufgrund des negativen Interesses geltend gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG, § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 ZPO.
II.
Die Berufung ist begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf den geltend gemachten Betrag von 3.900,00 Euro brutto für den Zeitraum Januar und Februar 2016 als Schadenersatz nach § 61 InsO.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Entscheidung des BAG vom 19. Januar 2006 im vorliegenden Fall einschlägig. In dem Urteil (BAG, Urteil vom 19.Januar 2006 – 6 AZR 600/04 –, BAGE 117, 14 – 19) wird zutreffend wie folgt ausgeführt:
Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 6. Mai 2004 – IX ZR 48/03 – (BGHZ 159, 104) erkannt, dass die Haftung des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO in der Rechtsfolge auf das negative Interesse gerichtet ist. § 61 InsO führt zu einem Schadenersatzanspruch. Den Umfang des Schadenersatzanspruchs regelt § 249 BGB. Schließt der Insolvenzverwalter einen Vertrag, obwohl er erkennen kann, dass die Insolvenzmasse nicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit ausreicht, so kann ihm nur der Vertragsschluss als solcher vorgeworfen werden, nicht aber die Unfähigkeit zur Befriedigung des Vertragspartners. Haftungsrechtlich tritt er zu keinem Zeitpunkt an die Stelle der Masse und muss daher nur den Schaden ersetzen, den der Massegläubiger dadurch erleidet, dass er auf die Zulänglichkeit der Masse vertraut (Franke/Böhme Anm. zu OLG Celle 13. Juli 2004 – 16 U 11/04 – DZWIR 2004, 425, 427). Die Schadenersatzpflicht wird für den Fall angeordnet, dass der Insolvenzverwalter in Kenntnis der drohenden Masseunzulänglichkeit weitere Masseverbindlichkeiten begründet und damit pflichtwidrig handelt. Er hätte davon absehen müssen. Daher ist der Gläubiger so zu stellen, wie er ohne die die Masseverbindlichkeit begründende Handlung stünde.
Die Haftung auf das negative Interesse gilt auch für Arbeitsverträge. Es ist zwar richtig, dass sich die Entscheidung des Neunten Senats des Bundesgerichtshofs vom 6. Mai 2004 – IX ZR 48/03 – (BGHZ 159, 104) auf eine Warenlieferung bezieht, die auf eine Bestellung des Insolvenzverwalters zurückging, während es hier um ein Arbeitsverhältnis bzw. Lohnansprüche aus einem Arbeitsverhältnis geht, das bereits mit der Insolvenzschuldnerin begründet worden war. Für Dauerschuldverhältnisse wie das Arbeitsverhältnis gilt indes im Ergebnis nichts anderes.
Ist zum Beispiel ein Mietverhältnis fortgesetzt worden und sind dadurch Mietzinsansprüche entstanden, so ist der Insolvenzverwalter, wenn eine Haftung nach § 61 InsO dem Grunde nach besteht, nur verpflichtet, den Vermieter so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn der Insolvenzverwalter das Mietverhältnis gekündigt hätte. Ein Schaden wäre dem Vermieter aber nur entstanden, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, die Räume anderweitig zu vermieten. Denn nur dann wäre die unterbliebene Kündigung kausal für den Mietzinsausfall (OLG Celle 13. Juli 2004 – 16 U 11/04 – DZWIR 2004, 425).
Der Insolvenzverwalter hat im Rahmen von § 61 InsO den Vertrauens- und nicht den Nichterfüllungsschaden zu ersetzen. Für Arbeitsverträge gilt daher, dass der Arbeitnehmer nachweisen muss, dass er seine Arbeitskraft anderweitig gegen Entgelt hätte einsetzen können. Allerdings kann auch das entgangene Arbeitslosengeld als negatives Interesse ersetzt verlangt werden; der Arbeitnehmer muss dann aber darlegen und beweisen, dass er die hierzu erforderlichen Schritte unternommen hätte (Schoppmeyer, Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Auflage 2019, § 61 Rn. 47)
Es kann somit dahinstehen, ob der Beklagte die Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 61 Satz 1 InsO pflichtwidrig begründet hat. Außerdem kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte den Entlastungsbeweis nach § 61 Satz 2 InsO geführt hat. Es kann auch dahinstehen, ob die Ausschlussfrist des BRTV galt und eingehalten wurde.
Denn der Kläger kann von dem Beklagten keine Lohnzahlung verlangen.
Der Kläger verkennt, dass er nicht mit Erfolg die Erfüllung des Vertrages, die arbeitsvertragliche Gegenleistung, den Lohn verlangen kann. Denn hierbei handelt es sich um den Nichterfüllungsschaden, der vom Insolvenzverwalter nicht zu ersetzen ist.
Die Pflicht des Insolvenzverwalters, der erkennen kann, dass er die Verbindlichkeit aus einem von ihm aufrechterhaltenen Arbeitsverhältnis nicht (voll) aus der Masse wird erfüllen können, geht dahin, den Arbeitsvertrag zu kündigen, nicht aber dahin, die Erfüllung des Vertrages, d.h. die Zahlung des Arbeitsentgelts persönlich zu garantieren. Der Kläger kann ggf. nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Beklagte das Arbeitsverhältnis nicht pflichtwidrig fortgeführt hätte. Dazu hat der Kläger nichts vorgetragen. Er hat weder vorgetragen, dass er seine Arbeitskraft im Januar und Februar 2016 anderweitig gegen Entgelt hätte einsetzen können. Noch hat er vortragen, dass ihm für den Zeitraum Arbeitslosengeld entgangen ist.
Nach alledem war das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.


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