Handels- und Gesellschaftsrecht

Vollziehung, Untersuchungshaft, Berufung, Schadensersatzforderung, Hinterlegung, Glaubhaftmachung, Betrug, Marktmanipulation, Antragsgegner, Antragsteller, Staatsanwaltschaft, Schaden, Erlass, Anspruch, strafbare Handlung, abweichenden Beurteilung

Aktenzeichen  3 U 4456/21

Datum:
27.9.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 29074
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

27 O 7128/21 2021-06-14 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 14.06.2021, Az. 27 O 7128/21, aufgehoben.
2. Wegen einer Schadensersatzforderung des Arrestklägers und Berufungsklägers gegen den Antragsgegner und Berufungsbeklagten in Höhe von 89.539,81 € wird der dingliche Arrest in das gesamte persönliche Vermögen des Arrestbeklagten und Berufungsbeklagten angeordnet.
3. Die Vollziehung des Arrestes wird durch Hinterlegung durch den Arrestbeklagten in Höhe von 89.539,81 € gehemmt.
4. Die Entscheidung über den Antrag auf Forderungspfändung obliegt dem Landgericht München I.
5. Der Arrestbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Zur näheren Darstellung sowohl des Sachverhaltes als auch der erstinstanzlichen Prozessgeschichte wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Ergänzend und zusammenfassend ist folgendes auszuführen:
Mit Schriftsatz vom 20.05.2021 beantragte der Arrestkläger den Erlass eines dinglichen Arrestes gegen den Antragsgegner. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin gegen den Arrestbeklagten eine Schadensersatzforderung in Höhe von 89.539,81 € zustehe, die darauf begründet sei, dass der Arrestbeklagte als Vorstandsvorsitzender der W. AG und zugleich als größter Einzelaktionär in den Jahren 2002 bis Juni 2020 zusammen mit zwei ehemaligen W.-Managern bandenmäßigen Betrug und Fälschung der Geschäftsbilanzen seit mindestens 2015 sowie Marktmanipulation begangen habe. Die W. AG habe dadurch finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver dargestellt werden sollen, umso regelmäßig Kredite von Banken und sonstigen Investoren zu erlangen und daraus fortwährend eigene Einkünfte zu generieren. Tatsächlich sei dem Antragsgegner jedoch klar gewesen, dass der W. Konzern Verluste erziele. Zur Glaubhaftmachung nahm die Antragstellerin auf eine Pressemitteilung der Stadtmannschaft München I vom 22.07.2020 Bezug. Der Antragsgegner sitzt seit dem 22.07.2020 aufgrund dieser Vorwürfe in Untersuchungshaft.
Dem Antragsteller sei aufgrund vorangegangen Aktienkaufs unter Zugrundelegung des Kurswertes von 1,15 € je Aktie am Tag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der oben genannte Verlust entstanden. Bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände hätte der Antragsteller die Aktien nicht erworben. Zur Glaubhaftmachung legt der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung vor (Anlage ASt. 40). Ein Arrestgrund liege deshalb vor, da die Vollstreckung eines Schadensersatzanspruches gegen den Antragsgegner aufgrund seiner österreichischen Staatsbürgerschaft und der zahlreichen Immobilien, welche der Beklagte im Ausland besitze, wesentlich erschwert würde.
Mit Endurteil vom 14.06.2021 wies das Landgericht München I den Antrag auf Erlass eines Arrestes zurück. Dieses Endurteil wurde dem Antragstellervertreter am 09.08.2021 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 09.07.2021 legt der Antragssteller gegen das Endurteil des Landgerichts München I Berufung und begründete diese zugleich.
Der Antragsteller beantragt,
1.Das Endurteil des Landgerichts München I vom 14.06.2021, Az. 27 O 7128/21 wird aufgehoben.
2.Wegen einer Schadensersatzforderung des Arrestklägers und Berufungsklägers in Höhe von 89.539,81 € gegen den Arrestbeklagten und Berufungsbeklagten wird der dingliche Arrest in das gesamte persönliche Vermögen des Arrestbeklagten und Berufungsbeklagten angeordnet.
3.Die Vollziehung des Arrests wird Hinterlegung durch den Arrestbeklagten in Höhe von 89.539,81 € gehemmt.
4.In Vollziehung des Arrests werden die Ansprüche des Arrestbeklagten gegen die C.bank AG, …, aus sämtlichen Kontenverbindungen, bis zum Höchstbetrag von 89.539,81 € gepfändet.
Der Beklagte beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Zur Ergänzung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
II.
Die von dem Antragsteller eingelegte Berufung ist zulässig und in der Sache begründet.
1. Die Berufung ist begründet. Dem Antrag auf Anordnung des Arrestes war nach §§ 916, 917, 923 ZPO stattzugeben. Der Antragsteller hat Arrestanspruch und Arrestgrund ausreichend glaubhaft gemacht.
1) Der Arrestanspruch ergibt sich zumindest aus § 826 BGB. Es kann dahinstehen, ob daneben auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 iVm § 331 Nr. 1, 4 HGB, § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG oder iVm § 264 a StGB oder § 263 StGB besteht.
1) Es ist hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsgegner als Vorstandsvorsitzender der W. AG zusammen mit weiteren Vorständen und Mitarbeitern seit dem Jahr 2015 wissentlich das Unternehmen finanzkräftiger dargestellt hat, als es in Wirklichkeit war. Die Bezugnahme auf die staatsanwaltschaftliche Presseerklärung insbesondere vom 22.07.2020 reicht in diesem Fall aber zur Glaubhaftmachtung auch des subjektiven Tatbestandes des § 826 BGB aus.
1) Dem Antragsteller ist durch die systematische Falschinformation seitens des Antragsgegners der geltend gemachte Schaden entstanden. Die Antragsschrift führt aus, das der Verfügungskläger im Zeitraum 20.09.2018 bis 22.06.2020 Wertpapierkäufe betreffend die W. AG in Höhe von 89.539,81 € vorgenommen hat. Zur Glaubhaftmachung wurden entsprechende Orderbelege vorgelegt (Anlagen ASt. 2 – 36). Unter Berücksichtigung des allgemein bekannten Verlustes der Aktie sieht der Senat daher einen möglichen Schaden als ausreichend glaubhaft gemacht an. Dafür, dass die streitgegenständlichen Investitionen im Vertrauen auf den dargelegten Sachverhalt getätigt wurden bzw. dass der Antragsteller bei Kenntnis der wahren Umstände hiervon Abstand genommen hätte, spricht zudem bereits die Vermutung Aufklärung richtigen Verhaltens.
1) Ein Arrestgrund liegt vor.
1) Der Arrestgrund wird durch das bisherige Verhalten des Antragsgegners indiziert. Es besteht regelmäßig ein Arrestgrund, wenn das dem Arrestanspruch zugrundeliegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung darstellt, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet (BGH, Beschluss vom 24.03.1983 – III ZR 116/92, KG Berlin, Beschluss vom 07.01.2010 – 23 W 1/10, OLG München, Beschluss vom 13.10.2016 – 15 W 1709/16). Aufgrund der strafrechtlichen Ermittlungen ist eine vorsätzliche Straftat zulasten des Vermögens der Antragsteller hinreichend wahrscheinlich. Ob im Ergebnis ein Betrug nach § 263 BGB oder ein Anlagebetrug nach § 264 a StGB inmitten stehen wird, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden, ist aber auch für die Qualifizierung als Straftet zulasten der Antragsteller ohne Belang. Hat sich der Antragsgegner eines Vermögensdeliktes zulasten der Antragsteller strafbar gemacht, ist die Annahme gerechtfertigt, der Antragsgegner werde sein rechtswidriges Verhalten fortsetzen und daher die Vollstreckung vereiteln oder erschweren (KG a.a.O.). Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass diese Prognose unrichtig sein könnte, sind vorliegend nicht gegeben. Zwar hat sich der Antragsgegner dem Strafverfahren gestellt und verhält sich nunmehr kooperativ. Im Hinblick auf die Massivität der Vorwürfe, das offensichtlich über Jahre hinweg mit großer krimineller Energie vorgenommene Verschleiern, Verschweigen und Beschönigen der wirklichen Unternehmenslage und angesichts der im Juni 2020 für den Antragsgegner bestehenden ausweglosen Lage, kann allein die Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen.
1) Soweit das Erstgericht in seinem Endurteil darauf verweist, dass ein Arrestgrund nicht bestehe, da der Antragsgegner aufgrund der seit Juli 2020 andauernden Untersuchungshaft über sein Vermögen nicht verfügen könne, so überzeugt dies nicht. Allein die Untersuchungshaft hindert den Arrestbeklagten weder rechtlich noch tatsächlich daran, Vermögensverfügungen ggf. über beauftragte Personen vorzunehmen und lässt daher den Arrestgrund nicht entfallen.
1) Der Senat geht weiterhin davon aus, dass auch ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Arrest besteht. Dabei war nicht zu entscheiden, ob das Rechtsschutzbedürfnis dann entfällt, wenn sämtliche Vermögenswerte bereits durch Seiten der Staatsanwaltschaft arrestiert worden sind. Gerichtsbekanntermaßen entstehen dem Antragsgegner derzeit aus Endurteilen, welche das Landgericht München I im Widerspruchsverfahren über Arreste erlässt, Kostenerstattungsansprüche gegen die jeweiligen Arrestkläger. Diese können jedoch durch einen bestehenden Arrest gepfändet werden. Dass diese ebenfalls von Seiten der Staatsanwaltschaft München I arrestiert worden sind, wird nicht vorgetragen.
2. Die Abwendungsbefugnis basiert auf § 923 ZPO. Die Entscheidung über den Antrag auf Forderungspfändung bleibt dem Landgericht München I überlassen (§ 572 Abs. 3 ZPO, § 20 Abs. 1 Nr. 16 RpflG). Zwar ist eine gleichzeitige Entscheidung auch über die Pfändung im Arrestbeschluss grundsätzlich möglich, dies gilt aber nicht in der Rechtsmittelinstanz (Vollkommer in Zöller, § 930, Rz. 3). Diese Ansicht ist zwar nicht unumstritten (zum Streitstand siehe Seiler in Thomas/Putzo, § 930, Rz. 2), ihr ist aber aus Rechtsschutzgründen zu folgen. Andernfalls würden die Rechtsschutzmöglichkeiten des Schuldners unangemessen eingeschränkt, da gegen einen Pfändungsbeschluss in der Beschwerdeinstanz nur noch die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO statthaft wäre. Da die beantragte einstweilige Verfügung unter der Bedingung des (zumindest teilweisen Erfolges) der Pfändungsanträge gestellt wurde, war über sie in der Rechtsmittelinstanz nicht zu entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.


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