Handels- und Gesellschaftsrecht

Widerruf eines Studienvertrages mit privater Hochschule (Fernabsatzvertrag)

Aktenzeichen  7 O 550/21

Datum:
17.1.2022
Gerichtsart:
LG Gera
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LGGERA:2022:0117.7O550.21.00
Normen:
§ 355 BGB
§ 312c BGB
§ 615 S 2 BGB
EURL 83/2011
§ 355 BGB
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Spruchkörper:
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Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand


Die Klägerin verlangt Studiengebühren für die Monate Oktober 2020 bis März 2021.
Die Klägerin ist eine staatlich anerkannte Hochschule, bei der sich die Beklagte für ein Studium der Humanmedizin beworben hatte. Auf Einladung der Klägerin nahm die Beklagte am 13.12. und 14.12.2019 in den Räumlichkeiten der Klägerin an einem Auswahlverfahren teil. Die Klägerin bot der Beklagten mit E-Mail vom 16.12.2019 einen Studienplatz für das Wintersemester 2020/21 mit Start zum 01.10.2020 an und übersandte mit Schreiben vom 19.12.2019 zwei von ihr unterzeichnete Vertragsexemplare mit der Bitte um Rücksendung eines gegengezeichneten Exemplars. Die Beklagte unterschrieb ein Exemplar am 08.01.2020 und sandte dieses an die Klägerin. Für die weiteren Einzelheiten des Studienvertrages wird auf die als Anlage K3 vorliegende Vertragsurkunde Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 15.09.2020 erklärte die Beklagte den Widerruf ihrer auf Abschluss des Studienvertrages gerichteten Willenserklärung und kündigte den Vertrag hilfsweise. Für die weiteren Einzelheiten wird auf das als Anlage K4 vorliegende Schreiben der Beklagten Bezug genommen.
Die Klägerin wies den Widerruf als unwirksam zurück und äußerte, dass die Kündigung erst zum Ende des ersten Semesters wirksam werde. Sie verlangte vorgerichtlich erfolglos die Zahlung monatlicher Studiengebühren von 1.500,- EUR das Wintersemester 2020/21.
Nach Klageerhebung vor dem Landgericht H. hat dieses sich mit Beschluss vom 12.05.2021 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Gera verwiesen.
Die Klägerin meint, der Studienvertrag sei nicht ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen, weil die Beklagte am Auswahlgespräch teilgenommen habe und dort die Möglichkeit bestanden habe, sich über die Leistungserbringung der Klägerin zu informieren. Auch habe die Klägerin kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem, weil sie keine Möglichkeit des Vertragsschlusses online habe. Dass die Klägerin den Studienplatz nachbesetzt habe, sei für den erhobenen Anspruch unerheblich, weil die Nachbesetzung mit einer bereits vertraglich gebundenen Studienbewerberin erfolgt sei, deren Studienbeginn für das Sommersemester 2021 vorgesehen gewesen sei, so dass es infolge der Nachbesetzung zu keiner Vollauslastung des Studiengangs im Sommersemester 2021 gekommen sei.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1.500,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.10.2020, weitere EUR 1.500,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.11.2020, weitere EUR 1.500,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.12.2020, weitere EUR 1.500,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.01.2021, weitere EUR 1.500,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.02.2021 und weitere EUR 1.500,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.03.2021 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll des Termins vom 26.11.2021, die schriftsätzlichen Einlassungen der Parteien und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch unbegründet.
1.) Das Landgericht Gera ist nach §§ 23, 71 Abs. 1 GVG sachlich und örtlich gem. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO zuständig.
2.) Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Studiengebühren i.H.v. monatlich 1.500,- EUR für die Monate Oktober 2020 bis März 2021. Denn die Beklagte hat ihre auf Abschluss des Studienvertrages gerichtete Willenserklärung wirksam vor Beginn des Wintersemesters 2020/21 widerrufen, so dass der Studienvertrag mangels Bindung der Beklagten an ihre Annahmeerklärung (§ 355 Abs. 1 S. 1 BGB) letztlich nicht wirksam zustande gekommen ist.
Die Beklagte hatte ein Recht zum Widerruf gemäß § 312g Abs. 1 BGB, weil der Studienvertrag unter den Voraussetzungen eines Fernabsatzvertrages gemäß § 312c BGB geschlossen wurde.
Die Klägerin handelte als Unternehmerin i.S.v. § 14 Abs. 1 BGB, während die Beklagte Verbraucherin i.S.v. § 13 BGB war. Zwischen ihnen erfolgten die Vertragsverhandlungen und der Vertragsschluss ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln. Denn die Klägerin informierte mit E-Mail vom 16.12.2019 über die Annahme für das Studium zum Wintersemester 2020/21 (Anlage K2) und sie übermittelte per Post den von ihr vorunterzeichneten Studienvertrag zur Unterschrift und Rücksendung, was die Beklagte entsprechend umsetzte (Anlage K3).
Der rechtlichen Einordnung, dass die Vertragsverhandlungen und der Vertragsschluss unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln erfolgten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte die Klägerin am 13.12. und 14.12.2019 persönlich aufgesucht hat. Denn es fanden hierbei unstreitig, keine Vertragsverhandlungen zwischen den Parteien statt. Im vorliegenden Fall reicht die bloße Möglichkeit zu Erkundigungen und Gesprächen über Inhalte der zu erbringenden Dienstleistung der Klägerin – anders als diese meint – nicht aus. Denn der Besuch der Beklagten bei der Klägerin diente der vorgeschalteten Prüfung, ob die Klägerin ihr überhaupt einen Vertrag anbieten würde. Die von der Klägerin für ihre Rechtsmeinung vorgebrachten Zitate betreffen andere, hier nicht einschlägige Fallgestaltungen.
Für die Auslegung des § 312c Abs. 1 BGB sind auch die in Ziffer 20 niedergelegten Erwägungsgründe der Verbraucherrechte-Richtlinie (Richtlinie 2011/83/EU, zit. nach juris) bedeutsam. Hier wird u.a. ausgeführt: Diese Begriffsbestimmung [von Fernabsatzverträgen] sollte auch Situationen erfassen, in denen der Verbraucher die Geschäftsräume lediglich zum Zwecke der Information über die Waren oder Dienstleistungen aufsucht und anschließend den Vertrag aus der Ferne verhandelt und abschließt. Vorliegend besteht eine dem genannten Fall entsprechende Situation.
Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verfügte die Klägerin über ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem i.S.v. § 312c Abs. 1 BGB. Ein solches liegt vor, wenn der Unternehmer in personeller und sachlicher Ausstattung innerhalb seines Betriebes die Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte zu bewältigen (BT-Drucks. 14/2658, 30). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Die Klägerin hat im Termin vom 26.11.2021 mitgeteilt, dass häufig die Ergebnisse des Auswahlverfahrens abgewartet werden müssen und in diesen Fällen ein Vertragsschluss per Post erfolgt (Seite 4 des Protokolls). Das ist ausreichend, zumal an die Annahme eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems insgesamt keine hohen Anforderungen zu stellen sind (BGH, NJW 2019, 303 Rn. 19, beck-online).
Soweit die Klägerin argumentiert, sie habe kein Fernabsatzsystem, weil es keine Möglichkeit gebe, Studienverträge online abzuschließen, geht sie fehl. Denn auch per Post versandte Briefe sind Fernkommunikationsmittel i.S.v. § 312c Abs. 2 BGB, so dass die organisatorischen Voraussetzungen der Klägerin für den von ihr selbst als häufig benannten Fall des Abschlusses von Studienverträgen per Post das Tatbestandsmerkmal des für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfüllen.
Die Beklagte hat den Widerruf mit Schreiben vom 15.09.2020 (Anlage K4) erklärt. Das Schreiben ist unstreitig am 16.09.2020 bei der Klägerin eingegangen und damit wirksam geworden.
Der Widerruf ist auch fristgerecht erklärt worden. Die zweiwöchige Widerrufsfrist des § 355 Abs. 2 S. 1 BGB hat nicht begonnen, weil die Klägerin die Beklagte nicht gemäß § 356 Abs. 3 S. 1 BGB über das Recht zum Widerruf unterrichtet hat.
3.) Doch selbst wenn kein wirksamer Widerruf vorläge, könnte die Klägerin die begehrten Studiengebühren nicht verlangen. Dem steht § 615 S. 2 BGB entgegen. Die Klägerin hat nach ihren Ausführungen den Studienplatz einer anderen Studierenden vergeben und muss sich die von dieser gezahlte Studiengebühr auf den Vergütungsanspruch anrechnen lassen.
Es ist unstreitig, dass die Klägerin den Studienplatz an eine Nachrückerin vergeben hat. Den entsprechenden Sachvortrag der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 26.07.2021 hat die Klägerin nicht bestritten. Streitig ist, was aus der Weitervergabe des Studienplatzes folgt. Dieser Streit ist dahin zu entscheiden, dass die von der Nachrückerin gezahlte Studiengebühr im Falle eines für das Wintersemester 2020/21 fortbestehenden Vertrages gem. § 615 S. 2 BGB anzurechnen ist, weil es für die Anrechnung auf den Verzugszeitraum und nicht auf die dahinter liegende Zukunft ankommt.
Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren Ausführungen zu den sonstigen Voraussetzungen der hilfsweise erklärten außerordentlichen bzw. ordentlichen Kündigung.
4.) Ein Anspruch der Klägerin auf die ebenfalls geforderte Verzinsung der pro Monat begehrten Vergütung besteht mangels Anspruch auf die Vergütung ebenfalls nicht.
5.) Die Kostengrundentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 709 ZPO.


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