Insolvenzrecht

Rückgewährklage des Insolvenzverwalters für eine GmbH nach Vorsatzanfechtung der Zahlung von Ordnungsgeldern, Gebühren und Auslagen wegen der Verletzung der Pflicht zur Offenlegung des Jahresabschlusses: Subjektive Voraussetzungen des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes; Vollbeweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners; drohende Zahlungsunfähigkeit; Feststellung der Zahlungseinstellung; Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung

Aktenzeichen  IX ZR 72/20

Datum:
6.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:060521UIXZR72.20.0
Normen:
§ 17 Abs 2 InsO
§ 18 Abs 2 InsO vom 05.10.1994
§ 133 Abs 1 InsO vom 05.10.1994
§ 335 HGB
Spruchkörper:
9. Zivilsenat

Leitsatz

1. Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig ist.
2. Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
3. Für den Vollbeweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Anfechtungsgegner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.
4. Auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.
5. Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.
6. Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners.

Verfahrensgang

vorgehend LG Bonn, 17. März 2020, Az: 8 S 128/19vorgehend AG Bonn, 17. Juli 2019, Az: 115 C 240/18

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 17. März 2020 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Fremdantrag vom 8. Oktober 2015 am 3. November 2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der N.                          GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Unter dem Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung verlangt der Kläger von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Rückgewähr von insgesamt zehn Teilzahlungen, welche die Schuldnerin auf ein vom Bundesamt für Justiz (nachfolgend: Bundesamt) nach § 335 HGB verhängtes Ordnungsgeld sowie zur Begleichung von Gebühren und Auslagen erbracht hat.
2
Die Schuldnerin war ihrer Pflicht zur Offenlegung des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2006 nicht nachgekommen. Das Bundesamt drohte ihr deshalb mit Schreiben vom 17. März 2008 ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.500 € an. Daneben setzte es eine Gebühr von 50 € sowie Auslagen in Höhe von 3,50 € fest. Die Schuldnerin legte Einspruch ein und bat um Fristverlängerung. Sie begründete die Säumnis mit Sanierungsmaßnahmen und wies daraufhin, dass die verzögerte Erstellung des Jahresabschlusses im Interesse ihres Erhalts erfolge. Der Jahresabschluss wurde am 24. September 2008 offengelegt. Am 4. August 2009 setzte das Bundesamt das angedrohte Ordnungsgeld von 2.500 € zuzüglich Auslagen von 3,50 € fest. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Schuldnerin wurde durch Beschluss des Landgerichts Bonn vom 17. März 2010 zurückgewiesen.
3
Mit Schreiben vom 29. April 2010 erinnerte das Bundesamt an den Ausgleich der Gesamtforderung in Höhe von 2.557 € (2.500 € zzgl. 50 € zzgl. 3,50 € zzgl. 3,50 €). Unter dem 21. Mai 2010 nahm das Bundesamt schriftlich auf einen telefonischen Antrag eines Vertreters der Schuldnerin auf Ratenzahlung sowie auf eine “eingehende telefonische Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens” Bezug und erklärte sich mit einer ratenweisen Begleichung der offenen Forderung einverstanden. In der Zeit vom 14. Juni 2010 bis zum 23. März 2011 leistete die Schuldnerin daraufhin neun Ratenzahlungen in Höhe von insgesamt 2.307 €. Am 27. Februar 2012 zahlte die Schuldnerin weitere 53,50 € an Gebühren und Auslagen, nachdem sie den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2010 nicht offengelegt und das Bundesamt ihr auch insoweit ein Ordnungsgeld angedroht hatte.
4
Das Amtsgericht hat die auf Rückzahlung von 2.360,50 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter.


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