Insolvenzrecht

Widerruf von Subventionsbescheiden nach Insolvenzantrag

Aktenzeichen  B 4 K 16.620

Datum:
15.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZInsO – 2018, 811
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit des Widerrufs von Subventionsbescheiden ist die objektive Lage bei ihrem Erlass; nicht ausschlaggebend sind demgegenüber Spekulationen, Mutmaßungen oder die sich später entwickelnde Sachlage (Anschluss an VG Würzburg BeckRS 2012, 47317). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Geförderte Dauerarbeitsplätze sind nicht erst dann gefährdet, wenn das Unternehmen abgewickelt wird und Arbeitsplätze tatsächlich abgebaut werden, sondern bereits mit der Insolvenzantragstellung und der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine eigenbetrieblichen Nutzung ist nicht mehr gegeben, sobald bei Insolvenzantragstellung und Eröffnung des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergeht, und sich eine Übertragung von Vermögensgütern der Zuwendungsempfängerin als reale Möglichkeit abzeichnet und konkret droht. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit überwiegen im Allgemeinen das Interesse des Zuwendungsempfängers, die gewährte Subvention trotz der Zweckverfehlung behalten zu dürfen, sofern im Einzelfall keine besonderen Gründe dies rechtfertigen (Anschluss an BVerwG BeckRS 9998, 167494). Der Umstand, dass ein im Insolvenzverfahren befindliches Unternehmen durch den Insolvenzverwalter weitergeführt wird, ist kein besonderer Grund für ein Abweichen vom Regelfall des Widerrufs. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierauf verzichtet haben.
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Widerrufsbescheide des Beklagten vom 09.08.2016 sind nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger, der in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin als Partei kraft Amtes (§ 80 InsO) den Prozess führt, nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 49 Abs. 2a Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige Geldleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn die Leistung nicht, nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird.
Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung in Anfechtungsfällen ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt ist damit der Erlass der Bescheide vom 09.08.2016. Abzustellen ist auf die objektive Lage zu diesem Zeitpunkt, nicht auf Spekulationen oder Mutmaßungen. Auch die sich später entwickelnde Sachlage ist nicht ausschlaggebend, jedoch sind Rückschlüsse insofern erlaubt, als die weitere Entwicklung im Nachhinein bestätigen kann, dass die von der Behörden angestellten Überlegungen zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zutreffend waren (VG Würzburg, U. v. 25.01.2012 – W 6 K 11.411 –, juris, Rn. 48).
Gemessen an diesen Maßstäben sind die Widerrufsbescheide vom 09.08.2016 rechtmäßig, weil die Widerrufsvoraussetzungen vorliegen.
Gemäß Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG konnte der Widerruf ausgesprochen werden, weil die Förderung zu einem bestimmten Zweck gewährt worden war, der spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.07.2016 nicht mehr erreicht werden konnte. In den Zuwendungsbescheiden vom 08.07.2012 (in der Fassung des Änderungsbescheids vom 23.10.2012) und 11.10.2013 wird ausdrücklich bestimmt, dass die Zuwendung zweckgebunden ist. Der Zweck der Förderung war insbesondere, dass in der Betriebsstätte der Zuwendungsempfängerin insgesamt 156 bzw. 161 Dauerarbeitsplätze gesichert und 4 bzw. 13 zusätzliche Dauerarbeitsplätze geschaffen und ständig besetzt werden (jeweils Ziff. 03 der Zuwendungsbescheide). Außerdem ist ausdrücklich bestimmt, dass die der Förderung zugrundeliegende Betriebsstätte bzw. die geförderten Wirtschaftsgüter ausschließlich für eigenbetriebliche Zwecke der Zuwendungsempfängerin genutzt werden (jeweils Ziff. 01 der Zuwendungsbescheide). Auch Nr. 1.1 der BNZW besagt ausdrücklich, dass die Zuwendungen nur zur Erfüllung des im Bescheid bestimmten Zwecks verwendet werden dürfen. Die besonderen Nebenbestimmungen für Zuwendungen an die gewerbliche Wirtschaft (BNZW) sind ausdrücklich verbindliche Bestandteile der angefochtenen Bescheide. Damit musste der Zuwendungsempfängerin klar sei, dass das Behaltendürfen der Förderung vom Fortbestand des Zuwendungszwecks für die Dauer der Bindungsfrist abhängt.
Der Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden zutreffend ausgeführt, dass mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 01.07.2017 die Voraussetzungen für den Zuwendungszweck – Sicherung und ständige Besetzung von Dauerarbeitsplätzen – entfallen ist. Nicht erst die Abwicklung des Unternehmens mit der Veräußerung von Vermögensgegenständen an eine andere Firma führt zur Zweckverfehlung. Vielmehr waren die bestehenden Arbeitsplätze schon zu dem Zeitpunkt als konkret gefährdet anzusehen, als der Insolvenzantrag gestellt und ein vorläufiger Insolvenzverwalter für die Firma bestellt war (so VG Würzburg, U. v. 25.01.2012 – a.a.O. –, juris, Rn. 51), umso mehr als am 01.07.2016 das Insolvenzverfahren tatsächlich eröffnet wurde. Die dauerhafte Sicherung und ständige Besetzung der Dauerarbeitsplätze war nicht mehr verlässlich gewährleistet. Die Dauerarbeitsplätze sind nicht nur dann gefährdet, wenn der Zuwendungsempfänger die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verliert oder wenn die Arbeitsplätze tatsächlich abgebaut werden, sondern bereits, wenn durch eine drastische Verschlechterung der finanziellen Verhältnisse sowie der Vermögenssituation des Zuwendungsempfängers als Arbeitgeber eine konkrete Gefährdung eingetreten ist. Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung und der Bestellung des Insolvenzverwalters waren die Dauerarbeitsplätze nicht mehr als gesichert im Sinne des Zuwendungszwecks anzusehen.
Daran ändert es nichts, dass dem (damals vorläufigen) Insolvenzverwalter durch den Beschluss des AG … vom 04.05.2017 die Fortführung des Betriebes durch Anordnung von Maßnahmen nach § 21 InsO zur Sicherung des Schuldnervermögens vor nachteiligen Veränderungen ermöglicht wurde, und dass zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie zum (maßgeblichen) Zeitpunkt des Bescheiderlasses alle Arbeitsplätze noch besetzt waren. Auch wenn Anlass für die Beantragung des Insolvenzverfahrens lediglich die Befürchtung der Insolvenzschuldnerin war, dass sie für die Kreditverbindlichkeiten der Unternehmensgruppe, der sie angehört, in Anspruch genommen werden könnte, während sie selbst anhand der Gewinn- und Verlustrechnungen 2014 und 2015 sechsstellige Jahresüberschüsse erwirtschaftet hat, war im Eröffnungsantrag vom 03.05.2017 als Insolvenzgrund Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 17 InsO angegeben. Im Gutachten des Insolvenzverwalters vom 27.06.2017 (Anlage K 10) wurde dies dahingehend präzisiert, dass Zahlungsunfähigkeit vorliege, weil zum Stichtag 01.07.2017 nur 5,94% der fälligen Verbindlichkeiten beglichen werden könnten, und eine Überschuldung vorliege, weil die vorhandenen Werte nur 54,59% der bestehenden Verbindlichkeiten abdecken könnten. Die Schuldnerin habe sich im Unternehmensverbund nur mittels einer geduldeten Überziehung finanziert (vgl. Seiten 48/49 des Gutachtens). Angesichts dieser Finanzlage war selbst bei Fortführung des Betriebes die verbindliche Sicherung der Arbeitsplätze gerade nicht mehr sicher, sondern allenfalls theoretisch möglich.
Hinzu kommt das Erfordernis der eigenbetrieblichen Nutzung (Ziff. 01), die nicht mehr gegeben ist, sobald bei Insolvenzantragstellung und Eröffnung des (vorläufigen) Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergeht, und sich eine Übertragung von Vermögensgütern der Zuwendungsempfängerin als reale Möglichkeit abzeichnet und konkret droht. Ein Fall des Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG liegt auch vor, wenn die aus der Zuwendung beschafften Gegenstände während der zeitlichen Bindung nicht oder nicht mehr zweckentsprechend verwendet werden. Eine Basis für eine Sicherung der Arbeitsplätze ist die Sicherung einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung, wozu auch gehört, dass der Empfänger in finanzieller Hinsicht durchweg die Gewähr für eine ordnungsgemäße Verwendung der Mittel bietet. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Einsetzung eines Insolvenzverwalters verfolgt primär andere Ziele als die Sicherung der Dauerarbeitsplätze. Hier stehen die Rechte der Gläubiger im Vordergrund (§ 1 Insolvenzordnung). Damit steht nicht in Widerspruch, dass eine Zerschlagung des Unternehmens nach Möglichkeit verhindert werden soll, denn auch die Fortführung des Betriebes und eine angestrebte Sanierung dient den Interessen der Gläubiger. Der Beklagte muss es nicht hinnehmen, dass die gewährten Fördermittel bei einem Zuwendungsempfänger verbleiben und zumindest für einen nicht unerheblichen Teil auch zu einem Zweck verwendet werden, der den vorgegebenen Zweckbestimmungen nicht (mehr) entspricht. Selbst wenn die Dauerarbeitsplätze in einem Zeitraum von fünf Jahren rückblickend tatsächlich vorhanden sind oder bleiben (was im nicht maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nur für den ersten Zuwendungsbescheid der Fall ist), erfüllt dies nicht die im Bescheid vorgegebenen Voraussetzungen der verbindlichen Sicherung dieser Arbeitsplätze. Hinsichtlich des zweiten Förderbescheids zeichnet sich ab, dass durch den bevorstehenden Verkauf des Unternehmens eine eigenbetriebliche Nutzung bis zum Ende der Bindungsfrist (31.12.2018) nicht mehr erfüllt werden kann.
Nachdem der Widerruf zu Recht auf Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG gestützt wurde, kann dahinstehen, ob noch weitere selbständig tragende Rechtsgrundlagen herangezogen werden könnten (etwa ein Verstoß gegen die Auflagen der Mitteilungspflichten nach Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 BayVwVfG i.V.m. Ziff. 4.2, 4.3 und 4.6 BNWZ).
Allerdings kann der in den Zuwendungsbescheiden unter Ziff. 04 enthaltene Widerrufsvorbehalt einen Widerruf nur mit Wirkung für die Zukunft rechtfertigen (vgl. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG). Nachdem der Beklagte den Widerruf nicht auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Widerrufsbescheide vom 09.08.2016, sondern auf den in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.07.2016 verfügt hat, ist der Widerrufsvorbehalt in Ziff. 04 keine geeignete Rechtsgrundlage für einen Widerruf mit Wirkung für die Vergangenheit (vgl. Sächs. OVG, U.v. 28.07.2015 – 1 A 485/13, juris Rn. 16, BeckOK VwVfG/Abel VwVfG § 49 Rn. 83-84).
Der Beklagte hat schließlich ermessensfehlerfrei von seiner Widerrufsmöglichkeit wegen Zweckverfehlung nach Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG Gebrauch gemacht. Das Gericht hat insoweit nur zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO).
Die angeführten Ermessenserwägungen des Beklagten sind nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat das ihm eingeräumte Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten.
Zweck des Art. 49 Abs. 2 a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG ist es, den Widerruf von Verwaltungsakten, die eine Geldleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewähren, zu ermöglichen, wenn der mit der Leistung verfolgte Zweck nicht erreicht wird. Vor dem Hintergrund des in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 BayHO und § 6 Abs. 1 HGrG verankerten Gebots, bei der Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit zu beachten, entspricht es diesem Zweck, dass in Fällen, in denen wie hier der mit der gewährten Zuwendung verfolgte Zweck verfehlt wird, das der zuständigen Behörde nach Art. 49 Abs. 2 a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG eingeräumte Ermessen im Regelfall nur durch den vollständigen Widerruf des Zuwendungsbescheids ermessensfehlerfrei ausgeübt werden kann. Denn die Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit überwiegen im Allgemeinen das Interesse des Zuwendungsempfängers, die gewährte Subvention trotz der Zweckverfehlung behalten zu dürfen, und verbieten einen großzügigen Verzicht auf den Widerruf von Zuwendungsbescheiden. Von einem Widerruf des Zuwendungsbescheids nach Art. 49 Abs. 2 a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG kann deshalb nur dann abgesehen werden, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.06.1997 – 3 C 22.96, juris, Rn. 14 ff.)
Solche Gründe lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses jedoch nicht vor und sind auch gegenwärtig nicht ersichtlich. Der Umstand, dass ein im Insolvenzverfahren befindliches Unternehmen durch den Insolvenzverwalter weitergeführt wird, ist kein besonderer Grund für ein Abweichen vom Regelfall des Widerrufs. Wie bereits oben ausgeführt, besteht bei einer Unternehmensfortführung zwar die Möglichkeit der Erhaltung der Arbeitsplätze, bietet dafür aber keine Gewähr. Der Zuwendungsgeber braucht mit einem Widerruf nicht zuwarten bis ein endgültiges Scheitern des Betriebes absehbar wird und die Fördermittel unwiederbringlich verloren sind.
Ein Vertrauen darauf, die Fördergelder trotz Insolvenzverfahrens behalten zu dürfen, ist aufgrund des Widerrufsvorbehalts für den Fall der Vermögensgefährdung (Ziff. 04) nicht schutzwürdig.
Über einen Erstattungsanspruch nach Art. 49a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG brauchte das Gericht nicht zu befinden, da die Widerrufsbescheide dazu keine Regelung enthalten.
Nach alledem war die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 709 ZPO.

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