Insolvenzrecht

Zwangsversteigerungsverfahren: Einstweilige Einstellung bei Vollstreckungsmangel einer Verwaltungsvollstreckung

Aktenzeichen  V ZB 133/19

Datum:
30.9.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:300921BVZB133.19.0
Normen:
§ 28 Abs 2 ZVG
§ 30 Abs 1 ZVG
§ 13 Abs 1 VwVG BB
Spruchkörper:
5. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Frankfurt (Oder), 2. September 2019, Az: 19 T 174/19vorgehend AG Strausberg, 13. Juni 2019, Az: 3 K 37/17

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beteiligten zu 1 werden die Beschlüsse des Amtsgerichts Strausberg vom 13. Juni 2019 (3 K 37/17) und des Landgerichts Frankfurt (Oder) – 9. Zivilkammer – vom 2. September 2019 (19 T 174/19) aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über die Einstellung an das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Gläubigerin), eine brandenburgische Gemeinde, betreibt die Zwangsversteigerung des im Rubrum genannten Grundbesitzes sowie eines weiteren Grundstücks (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 – V ZB 130/19, WM 2021, 1800 ff.) des Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Schuldner) wegen rückständiger Erschließungsbeiträge und Säumniszuschlägen. Das Amtsgericht (Vollstreckungsgericht) ordnete die Zwangsversteigerung aufgrund des Ersuchens der Gläubigerin vom 2. März 2017 an. Mit Beschluss vom 24. Januar 2019 ordnete das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) die aufschiebende Wirkung der Klage an, soweit die Säumniszuschläge einen Betrag von 409,50 € überstiegen, und verpflichtete die Gläubigerin, die weitere Vollstreckung der Forderungen einstweilen einzustellen. Unter Bezugnahme auf diesen Beschluss teilte die Gläubigerin dem Vollstreckungsgericht mit Schriftsatz vom 7. Juni 2019 mit, dass das Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 VwVGBbg unter Aufrechterhaltung der Beschlagnahme bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Beitragsbescheid einstweilen eingestellt werde.
2
Mit Beschluss vom 13. Juni 2019 hat das Amtsgericht die Zwangsversteigerung gemäß § 30 ZVG eingestellt. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag auf einstweilige Einstellung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 VwVGBbg weiter. Nach Einlegung der Rechtsbeschwerde hat das Oberverwaltungsgericht den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 24. Januar 2019 aufgehoben und die Anträge des Schuldners abgelehnt. Daraufhin hat die Gläubigerin zunächst die Fortsetzung der Zwangsversteigerung beantragt. Mit einem an das Vollstreckungsgericht gerichteten Schriftsatz vom 10. September 2021 hat sie sodann erneut die weitere Vollstreckung mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 VwVGBbg eingestellt.
II.
3
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts finden die Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg (VwVGBbg) keine Anwendung auf das Zwangsversteigerungsverfahren. Vielmehr richte sich die gerichtliche Vollstreckung nach der Zivilprozessordnung und dem Zwangsversteigerungsgesetz (§ 22 Abs. 1 Nr. 4 VwVGBbg, § 77 Abs. 2, § 322 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 AO). Die Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung des Verfahrens nach § 28 Abs. 2 ZVG lägen nicht vor, weil gemäß § 322 Abs. 3 Satz 3 AO die Voraussetzungen der Zwangsversteigerung von dem Vollstreckungsgericht nicht zu prüfen seien und die Gläubigerin nicht erklärt habe, dass ein Vollstreckungshindernis vorliege. Daher lasse sich das Einstellungsgesuch nur als Bewilligung nach § 30 ZVG auslegen. Soweit die Gläubigerin in einem Schriftsatz vom 19. Juni 2019 erklärt habe, keine Einstellungsbewilligung im Sinne von § 30 ZVG abgegeben zu haben, komme es hierauf – anders als in dem Parallelverfahren – nicht an, weil diese Erklärung erst nach der Entscheidung des Amtsgerichts bei Gericht eingegangen sei.
III.
4
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
5
1. Der auf Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens gerichtete Hauptantrag ist weiterhin zulässig, obwohl die Gläubigerin nach Einlegung der Rechtsbeschwerde die Fortsetzung des Verfahrens beantragt hatte. Zwar erfährt der Grundsatz, wonach die Einführung neuer Tatsachen im Verfahren der Rechtsbeschwerde unzulässig ist, eine Ausnahme bei Tatsachen, die die prozessuale Rechtslage erst während des Rechtsbeschwerdeverfahrens verändern oder vom Gericht der Rechtsbeschwerde von Amts wegen zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 – III ZB 71/99, NJW 2001, 1730 f.). Aber selbst wenn das Rechtsschutzbedürfnis zwischenzeitlich gefehlt haben sollte, ist es jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegeben, weil die Gläubigerin nunmehr erneut die Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens bis zur Unanfechtbarkeit einer Entscheidung über den Beitragsbescheid anstrebt. Infolgedessen muss abschließend geklärt werden, nach welchen Vorschriften eine solche Einstellung zu erfolgen hat.
6
2. In der Sache hat der Hauptantrag im Ergebnis Erfolg. Das Verfahren ist zu Unrecht nach § 30 ZVG eingestellt worden.
7
a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist allerdings die Annahme des Beschwerdegerichts, dass sich Voraussetzungen, Art und Wirkung einer einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung zur Vollstreckung einer durch Verwaltungsakt titulierten öffentlichen-rechtlichen Geldforderung – hier einer Erschließungsbeitragsforderung – auch im Rahmen der von der Gläubigerin betriebenen Verwaltungsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung und dem Zwangsversteigerungsgesetz richten. Das schließt die von der Gläubigerin beantragte einstweilige Einstellung nach § 13 VwVGBbg aus. Insoweit wird auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren Bezug genommen (Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 – V ZB 130/19, WM 2021, 1800 Rn. 6 f.).
8
b) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die – vollen Umfangs überprüfbare (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 – V ZB 130/19, WM 2021, 1800 Rn. 14 mwN) – Auslegung des Beschwerdegerichts, der Schriftsatz der Gläubigerin vom 7. Juni 2019 enthalte die Bewilligung einer einstweiligen Einstellung der Zwangsversteigerung nach § 30 ZVG. Da die Gläubigerin die Einstellung nach der (nicht anwendbaren) Norm des § 13 Abs. 1 Nr. 3 VwVGBbg erreichen will, ließ sich dem Schriftsatz – wie auch das Beschwerdegericht erkennt – nicht entnehmen, nach und zu den Bedingungen welcher Vorschrift des Zwangsversteigerungsgesetzes die einstweilige Einstellung erfolgen sollte. Bei interessengerechter Auslegung ersucht die Gläubigerin das Vollstreckungsgericht, das Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 28 Abs. 2 ZVG einstweilen einzustellen. In diesem Sinne ist auch der zuletzt an das Vollstreckungsgericht gerichtete und erneut auf § 13 Abs. 1 Nr. 3 VwVGBbg gestützte Schriftsatz der Gläubigerin vom 10. September 2021 zu verstehen. Wegen der näheren Begründung dieser Auslegung wird auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren verwiesen (Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 – V ZB 130/19, WM 2021, 1800 Rn. 15 ff.).
IV.
9
Danach kann die Einstellung des Verfahrens nach § 30 Abs. 1 Satz 1 ZVG keinen Bestand haben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Die Sache ist nicht entscheidungsreif (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).
10
1. Zwar liegen die Voraussetzungen für die Einstellung gemäß § 28 Abs. 2 ZVG vor.
11
a) Bei einer Zwangsversteigerung zur Verwaltungsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen des Schuldners tritt ein Vollstreckungsmangel i.S.d. § 28 ZVG ein, wenn gegen den Verwaltungsakt, durch den die zu vollstreckende Geldforderung tituliert wurde, ein Rechtsbehelf erhoben und dessen aufschiebende Wirkung angeordnet wird; zur einstweiligen Einstellung einer Zwangsversteigerung führt ein solcher Vollstreckungsmangel dann, wenn die vollstreckende Behörde – wie hier – mitteilt, die Verwaltungsvollstreckung nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes oder Landes eingestellt zu haben und das Vollstreckungsgericht ersucht, auch die Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen (näher Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 – V ZB 130/19, WM 2021, 1800 Rn. 18 ff.). Das Gericht ist – nicht anders als an die Bestätigung gemäß § 322 Abs. 3 Satz 2 AO – an die Bewertung der Behörde gebunden.
12
b) Da die Gläubigerin hier die Vollstreckung insgesamt gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 VwVGBbg eingestellt hat, steht für das Vollstreckungsgericht verbindlich fest, dass ein das gesamte Verfahren betreffender Vollstreckungsmangel i.S.d. § 28 ZVG vorliegt, ohne dass zu prüfen wäre, ob die Voraussetzungen für die Einstellung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 3 VwVGBbg gegeben sind. Auch hat das Vollstreckungsgericht nicht zu prüfen, ob innerhalb der nach § 28 ZVG zu setzenden Frist der Mangel beseitigt wird, sondern nur, ob die Behörde das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen neuerlich bestätigt (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 – V ZB 130/19, WM 2021, 1800 Rn. 22 f.).
13
2. Nicht entscheidungsreif ist die Sache aber wegen der bei einer Einstellung nach § 28 Abs. 2 ZVG zu bestimmenden Frist. Der Senat macht entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch, zugleich den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und die Sache unmittelbar an das Vollstreckungsgericht zur Entscheidung über die einstweilige Einstellung nach § 28 Abs. 2 ZVG zurückzuverweisen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 – V ZB 130/19, WM 2021, 1800 Rn. 24 mwN).
V.
14
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil das Interesse der Beteiligten übereinstimmend auf die Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens gerichtet ist (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Juli 2021 – V ZB 130/19, WM 2021, 1800 Rn. 25).
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