Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Nichtigkeit von Beschlüssen einer Ein-Mann-Eigentümerversammlung während Corona-Pandemie

Aktenzeichen  483 C 8456/20 WEG

Datum:
29.10.2020
Fundstelle:
GE – 2021, 512
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG § 23, § 46

 

Leitsatz

Wird in der Einladung zu einer Eigentümerversammlung darauf verwiesen, dass eine Versammlung mit Teilnehmern nicht durchführbar sei und der Gesetzgeber die Möglichkeit einer “Ein-Mann-Versammlung” vorsehe, zu der Vollmachten erteilt werden könnten, sind die gefassten Beschlüsse nichtig, weil der Kernbereich der Rechte der Wohnungseigentümer, der Teilnahme an der Eigentümerversammlung verletzt ist. (Rn. 20 – 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1.    Die Beschlüsse zu TOP 3 und TOP 4 der Wohnungseigentümerversammlung vom 27.04.2020 werden für ungültig erklärt.
2.    Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.    Das Urteil ist in Ziff. 2. vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4.    Der Streitwert wird auf 86.900,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Das Amtsgericht München ist örtlich und sachlich ausschließlich zuständig, §§ 43 Nr. 4 WEG, 23 Nr. 2 c GVG.
2. Die Beschlussfassungen vom 26.06.2020 lassen das Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Klage – unabhängig von der Frage, ob es sich bei den am 26.06.2020 nach entsprechender Nachverhandlung des Vergleichsangebots gefassten Beschlüssen überhaupt um inhaltsgleiche Beschlüsse zu den hier angefochtenen handelt – schon deshalb nicht entfallen, weil sie nicht bestandskräftig sind.
4. Die angegriffenen Beschlüsse waren für ungültig zu erklären, da sie nichtig sind.
a) Eine Verfahrensaussetzung gem. § 148 ZPO im Hinblick auf das unter dem Az 1293 C 12793/20 WEG anhängige Verfahren war nicht veranlasst:
Die Klage auf Ungültigerklärung nach § 46 Abs. 1 WEG hat keine aufschiebende Wirkung; der angefochtene Beschluss ist damit bis zur gerichtlichen Ungültigerklärung für die Wohnungseigentümer, deren Sondernachfolger (vgl. § 10 Abs. 4 WEG) sowie für den Verwalter bindend, der gem. § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG den Beschluss durchzuführen hat.
Die Nichtigkeit eines Beschlusses wirkt für und gegen alle, bedarf keiner Geltendmachung und ist in jedem gerichtlichen Verfahren von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Möglichkeit, die Nichtigkeit nach § 43 Nr. 4 WEG feststellen zu lassen, ändert daran nichts; eine solche Entscheidung hat nur deklaratorische Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2018 – V ZR 328/17 -, Rn. 21, juris).
b) Die angegriffenen Beschlüsse verstoßen gegen § 23 Abs. 1 WEG.
Beschlüsse einer Eigentümerversammlung sind nichtig, wenn sie in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingreifen. Zum Kernbereich gehört das Recht der Wohnungseigentümer, an der Eigentümerversammlung teilzunehmen (Bärmann/Merle, WEG, 14. Aufl., § 23 Rn. 140,140 a).
Vorliegend wurde den Wohnungseigentümern durch die Form der Einladung eine Teilnahme an der Eigentümerversammlung im Ergebnis verwehrt. Das Einladungsschreiben vom 08.04.2020, welches zwar zum einen den – zutreffenden – Hinweis enthält, dass die Abhaltung einer Eigentümerversammlung bis Ende April 2020 und gegebenenfalls auch eine ungewisse Zeit danach nicht durchführbar sei, zum anderen jedoch an zwei Stellen den unzutreffenden Hinweis, der Gesetzgeber habe in dieser besonderen Situation die Möglichkeit geschaffen eine sog. Einmann-Versammlung durchzuführen, stellt sich im Ergebnis als Ausladung der Wohnungseigentümer dar. Für einen durchschnittlichen Eigentümer wurde der Eindruck erweckt, die Teilnahme an der Eigentümerversammlung durch die Eigentümer sei nicht gewünscht, weil die Verwaltung die Eigentümerversammlung mit den Vollmachten in ihrem Büro abhalten und zu diesem Zweck eine „Ein-Mann-Versammlung“ durchführen wollte. Jedenfalls durften und mussten die Wohnungseigentümer die Einladung dahin verstehen, dass ihnen die persönliche Teilnahme an der Eigentümerversammlung verwehrt werde. Dem steht nicht entgegen, dass ein ausdrückliches Verbot der Teilnahme nicht formuliert wurde. Aus der Gesamtschau der Ladungsinhalte mussten die Wohnungseigentümer annehmen, dass sie an der Eigentümerversammlung nicht teilnehmen können, da diese im Büro des Verwalters stattfand, eine konkrete Versammlungsadresse nicht angegeben, und die Versammlung auf 10:00 Uhr morgens anberaumt war.
Im Hinblick auf die – unzutreffenden – Ausführungen in der Einladung musste der juristische Laie ferner davon ausgehen, dass diese Vorgehensweise „juristisch einwandfrei“ ist und einer „ordentlichen Eigentümerversammlung“ entsprechen würde.
Diese Form der Einladung verletzte die Wohnungseigentümer im Kernbereich ihrer Rechte, nämlich dem Recht auf Teilnahme an der Eigentümerversammlung und Ausübung des Stimmrechts. Zwar konnten die Wohnungseigentümer schriftlich ihr Stimmrecht ausüben. Eine Auseinandersetzung und Diskussion über die verschiedenen Beschlussanträge konnte indes nicht stattfinden. Genau dies stellt jedoch den Wesensgehalt einer Eigentümerversammlung als dem Willensbildungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft im Sinne des § 23 Abs. 1 WEG dar.
Nachdem die Einladung im Ergebnis eine bewusste Nichtladung sämtlicher Wohnungseigentümer darstellt, sind die angegriffenen Beschlüsse nichtig.
Die Durchführung einer Eigentümerversammlung ausschließlich durch den mit Vollmachten versehenen Verwalter als sogenannte Ein-Mann-Versammlung war auch nicht etwa aufgrund der coronabedingten Einschränkungen gerechtfertigt. Der entsprechende Hinweis im Einladungsschreiben entspricht nicht der Rechtslage, eine Vereinbarung über die Abhaltung einer Ein-Mann-Versammlung existiert in der WEG nicht. Auch kann die Abgabe der Vertretungsvollmacht durch einzelne Wohnungseigentümer mangels Einstimmigkeit nicht in eine entsprechende Vereinbarung umgedeutet werden.
Eine persönliche Teilnahme an der Eigentümerversammlung hätte zudem gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. Am 27.04.2020 richtete sich die Frage der Möglichkeit der Teilnahme an dieser Eigentümerversammlung nach den Beschränkungen der zu diesem Zeitpunkt geltenden 2. BaylfSMV vom 16.04.2020, die mit Wirkung vom 20. April 2020 in Kraft und mit Ablauf des 3. Mai 2020 außer Kraft getreten ist. Gem. § 1 Abs. 1 Satz1 der 2. BaylfSMV waren Veranstaltungen und Versammlungen landesweit untersagt also auch die hier im Büro der Hausverwaltung abgehaltene Eigentümerversammlung. Eine Ausnahmegenehmigung, dass die Versammlung hätte stattfinden dürfen, lag nicht vor.
Keinem Eigentümer war es somit möglich, an der Versammlung vom 27.04.2020 teilzunehmen, ohne damit gegen das in der 2. BaylfSMV enthaltene Verbot der Abhaltung von Veranstaltungen und Versammlungen zu verstoßen. Ein derartiger Verstoß war auch keinem Eigentümer zumutbar, weil diese – unabhängig davon, dass sie dadurch gegebenenfalls ihre und die Gesundheit anderer gefährdet hätten – eine Ordnungswidrigkeit gem. § 7 Nr. 1 2. BaylfSMV, die Bußgeld nach sich gezogen hätte, begangen hätten.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 49 a GKG unter Zugrundelegung der insoweit zutreffenden Ausführungen im Schriftsatz der Beklagten vom 02.06.2020.


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