Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Unwirksamkeit einer ordentlichen Kündigung wegen Betriebsbedarfs durch Erwerber einer Werkdienstwohnung

Aktenzeichen  472 C 22568/18

Datum:
8.2.2019
Fundstelle:
LSK – 2019, 31945
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242, § 546 Abs. 1, § 565 Abs. 1 S. 1, § 566 Abs. 1, § 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 576 Abs. 1, § 576a Abs. 1, § 985

 

Leitsatz

1. Eine Kündigung wegen Betriebsbedarf im Sinne des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt voraus, dass zwischen den Mietvertragsparteien zumindest zu irgendeinem Zeitpunkt ein Arbeitsverhältnis bestand. Ein solches Arbeitsverhältnis wird durch den Erwerb einer Werkdienstwohnung zwischen Mieter und Erwerber gemäß § 566 Abs. 1 BGB nicht begründet, so dass sich der Erwerber nicht mehr auf einen Betriebsbedarf berufen kann.  (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Kündigung wegen Betriebsbedarf ist 11 Jahre nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Verwirkung gemäß § 242 BGB unwirksam. (Rn. 21 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist in Ziffer 2 für den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 1.952,40 € festgesetzt.

Gründe

Die Sache ist zur Entscheidung reif, insbesondere musste nicht erneut in die mündliche Verhandlung eingetreten werden, § 156 ZPO. Die Durchführung einer Beweisaufnahme über die streitige Frage der Vermieterstellung der Klagepartei und damit von deren Aktivlegitimation war nicht erforderlich, da die Klage auch bei unterstellter Vermieterstellung der Klagepartei abweisungsreif ist. Gleiches gilt für die streitige Frage, ob auf Seiten der Klagepartei tatsächlich ein gegenwärtiger Betriebsbedarf in Bezug auf die streitgegenständliche Wohnung für drei Arbeitnehmer besteht.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A. Die Klage ist zulässig.
Das Amtsgericht München ist sachlich und örtlich ausschließlich zuständig, § 23 Nr. 2 a GVG, § 29 a Abs. 1 ZPO. Streitgegenständlich ist ein behaupteter Räumungs- und Herausgabeanspruch aus einem Wohnraummietverhältnis in
B. Begründetheit der Klage
Die Klage ist unbegründet, da der Klägerin kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nach §§ 546 Abs. 1 985 BGB zusteht, vgl. §§ 542 Abs. 1, 568, 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, 576, 576 a BGB.
Der Mietvertrag zwischen den Parteien wurde durch die ordentliche Kündigung vom 29.01.2018 (Anlage K8) nicht wirksam beendet. Die ordentliche Kündigung ist zwar formell wirksam, materiell aber unwirksam.
I.
Die ordentliche Kündigung vom 29.01.2018 ist formell wirksam, insbesondere wurde das Begründungserfordernis und die Schriftform eingehalten, §§ 568 Abs. 1, 573 Abs. 3 S. 1 BGB.
II.
Die ordentliche Kündigung vom 29.01.2018 ist jedoch aus mehreren Gründen materiell unwirksam, §§ 573 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, 576 Abs. 1 Nr. 2, 242 BGB. Nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Vermieter nur dann ordentlich kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat.
1. Die Kündigung ist bereits deshalb materiell unwirksam, weil sich die Klagepartei auch dann nicht auf einen berechtigten Betriebsbedarf für Arbeitnehmer der Klagepartei und wegen des seit 30.06.2007 beendeten Arbeitsverhältnisses des Beklagten mit dem … berufen kann, wenn die bestrittene Vermieterstellung der Klagepartei aus § 565 BGB bzw. aus einem konkludent neu abgeschlossenen Mietvertrag mit dem Beklagten positiv unterstellt wird. Eine Beweisaufnahme über die zwischen den Parteien streitige Vermieterstellung der Klagepartei war daher nicht erforderlich.
Es ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass ein tatsächlich bestehender Betriebsbedarf einen ordentlichen Kündigungsgrund nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB darstellen kann, wenn das zugrunde liegende Arbeitsverhältnis beendet ist oder dessen Beendigung kurz bevor steht (1), der Vermieter die ernsthafte Absicht hat, die Wohnung einem anderen Arbeitnehmer oder künftigen Arbeitnehmer zu überlassen (2) und dass hierfür vernünftige, nachvollziehbare Gründe vorliegen (3). Maßgeblich hierfür ist das Interesse des Unternehmers an der Unterbringung des Mitarbeiters, auf das Interesse des Mitarbeiters selbst ist nicht abzustellen, wobei ein dringlicher Bedarf nicht erforderlich ist (vgl. zum Ganzen Blank in: Schmidt-Futterer, 13. Auflage 2017, § 573 Rn. 191 m.w.N.). Die Vorschrift des § 576 BGB hat nur insoweit Bedeutung, dass bei Vorliegen einer Werkdienstwohnung bei Vorliegen weiterer Umstände eine verkürzte Kündigungsfrist im Gegensatz zu § 573 c BGB gilt.
Das Gericht vertritt die Auffassung, dass mit einem unterstellen Eintritt der Klagepartei in den Mietvertrag aus dem Jahr 2006 gemäß § 565 BGB parallel dem in der Literatur diskutierten Fall des § 566 BGB die Werkdienstwohnungseigenschaft im Mietvertrag beendet wird, da nicht mehr der ursprüngliche Vermieter, der gleichzeitig Arbeitgeber des Mieters gewesen ist, gegenwärtiger Vermieter ist, sondern ein neuer Vermieter, der zu keiner Zeit Arbeitgeber des Mieters war, so dass es an der für den Betriebsbedarf aus §§ 573 Abs. 1 S. 1, 576 BGB zwingend erforderlichen direkten Zuordnung von Vermieter = Arbeitgeber und Mieter = Arbeitnehmer fehlt. Da es – wie bei der Eigenbedarfskündigung bei § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB maßgeblich auf die Person des Vermieters und Arbeitgebers ankommt, ist für einen Betriebsbedarf zwingend erforderlich, dass der kündigende Vermieter auch (noch) Arbeitgeber des Mieters ist. Vorliegend ist jedoch unstreitig, dass die Klagepartei zu keiner Zeit Arbeitgeberin des Mieters war, so dass schon deshalb von vornherein ein Betriebsbedarf ausscheidet. Demgemäß ist bei § 566 BGB auch anerkannt, dass bei einer Veräußerung einer Werkwohnung die Verfügungsmacht des Dienstberechtigten über die Wohnung endet, so dass das Mietverhältnis mit dem Erwerber fortgesetzt wird, der sich nicht auf einen Betriebsbedarf mehr berufen kann (Blank in: Schmidt-Futterer, 13. Auflage 2017, § Vorbemerkung zu §§ 576-576 b BGB, Rn. 9). Ein in der Kündigung vom 29.01.2018 vorgebrachter Betriebsbedarf der Klagepartei kann daher von vornherein nicht vorliegen, so dass die Kündigung materiell unwirksam ist.
2. Die Kündigung ist darüber hinaus auch gemäß § 242 BGB wegen Verwirkung unwirksam, da das Arbeitsverhältnis des Beklagten mit dem … seit dem Jahr 2007 beendet ist und die Klagepartei erst im Jahr 2018 eine Kündigung wegen bestehendem Betriebsbedarfs wegen des Wegfalls der Arbeitsstelle des Beklagten vorgenommen hat. Der Beklagte hat sich ausdrücklich auf § 242 BGB berufen, so dass die Grundsätze der Verwirkung Anwendung finden können.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist der Rechtsgedanke der Verwirkung, der auch im Miet- und Pachtrecht gilt, ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung auf Grund widersprüchlichen Verhaltens. Danach ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht gelten machen werde (BGH, Urt. vom 19.10.2005 – XII ZR 224/03, NJW 2006, 219; BGH, Urt. v. 9.10.2013 – XII ZR 59/12, NJW-RR 2014, 195). Die Annahme einer Verwirkung setzt daher neben dem Zeitablauf das Vorliegen besonderer, ein solches Vertrauen des Verpflichteten begründende Umstände voraus (Grüneberg in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 242 Rn. 93, 95).
Es ist allgemein anerkannt, dass ein Räumungsanspruch als auch ein Räumungstitel der Verwirkung unterliegt, wenn der Vermieter hiervon lange Zeit keinen Gebraucht gemacht hat (Gramlich in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl. 2014, Kapitel VI Rn. 174, 204). Maßgebend ist die Zeitspanne zwischen dem Eintritt der Fälligkeit und dem Eintritt der Verjährung (Gramlich in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl. 2014, Kapitel VI Rn. 177). Einigkeit besteht jedenfalls insoweit, als keine für alle Fallgestaltungen wirksame absolute zeitliche Grenze besteht, sondern eine Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und der verständigen Interessenlage der Vertragsparteien zu erfolgen hat (OLG Hamm, Rechtsentscheid vom 1.10.1981 – 4 ReMiet 6/81, NJW 1982, 341). Das Umstandsmoment der Verwirkung liegt vor, wenn der ehemalige Mieter auf Grund konkreter Umstände darauf vertrauen darf, dass der Vermieter von dem Anspruch bzw. dem Titel keinen Gebrauch machen werde (Blank in: Schmidt/Futterer, 13. Auflage 2017, § 545 Rn. 35; AG Hamburg, Urt. vom 8.7.2008 – 48 C 421/07, WuM 2008, 609).
Zwischen dem Umstandsmoment und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung insofern, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an das Umstandsmoment desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (BGH, Urt. vom 19.10.2005 – XII ZR 224/03, NJW 2006, 219). Es gilt der Grundsatz, dass umso seltener Raum für eine Verwirkung sein wird, je kürzer die Verjährungsfrist ist (KG, Urt. vom 29.12.2006 – 12 U 117/06, NZM 2008, 129 f).
Nach diesen Grundsätzen ist ein Räumungsanspruch der Klagepartei, der sich auf einen unterstellt tatsächlich vorliegenden Betriebsbedarf für drei gegenwärtige Arbeitnehmer der Klagepartei beruft und maßgeblich darauf abstellt, dass der Mietvertrag mit dem Beklagten ein Werkmietverhältnis nach § 576 BGB darstellt und demgemäß dann ordentlich gekündigt werden kann, wenn das zugrunde liegende Arbeitsverhältnis beendet wurde, jedenfalls verwirkt. Der Beklagte hat ein schützenswertes Vertrauen darauf, dass der Mietvertrag als unbefristetes Mietverhältnis ohne die Besonderheiten des § 576 BGB fortgeführt wird, da die Klagepartei jedenfalls erst ca. 11 Jahre nach Beendigung des zugrunde liegenden Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten eine ordentliche Kündigung in Bezug auf die Werkmietwohneigenschaft ausgesprochen hat. Das offensichtlich auf Seiten der Klagepartei und der Vorvermieterin … bzw. … bestehende eklatante Kommunikationsdefizit, welches dazu geführt hat, dass die Klagepartei erst im Jahr 2018 Kenntnis von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Beklagten erhalten hat, kann naturgemäß nicht zu Lasten des Beklagten wirken. Der Beklagte durfte vielmehr berechtigt davon ausgehen, dass die Klagepartei die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade nicht als Kündigungsgrund heranziehen wollte, da innerhalb der ca. 11 Jahre auch mehrfach mietvertragliche Nachträge und Verhandlungen über einen neuen Mietvertragsschluss zwischen den Parteien geführt wurden. Hieran ändert auch nichts, dass die Wohnung – wie der Beklagte wusste – öffentlich gefördert ist. Das Zeitmoment der Verwirkung ist eindeutig gegeben, ebenfalls das Umstandsmoment der Mietvertragsfortführung in jedenfalls grob fahrlässiger Unkenntnis des seit 2007 beendeten Arbeitsverhältnis des Beklagten mit dem ….
3. Nichts anderes gilt, wenn man die Argumentation der Klagepartei dahingehend ernst nimmt, dass sich die Vermieterstellung der Klagepartei jedenfalls auf Grundlage eines konkludent neu abgeschlossenen Mietvertrages mit dem Beklagten ergebe. Selbst wenn unterstellt wird, dass ein solcher neuer konkludenter Vertragsschluss vorliegt, wäre Inhalt des Mietvertrages jedenfalls unter keinen Umständen die Werkmietwohnungseigenschaft, da der Inhalt des Mietvertrages vom 12.01.2006 insoweit keine Relevanz hat. In diesem Fall wäre sodann ein neuer konkludenter unbefristeter Mietvertrag ohne eine vereinbarte Werkmietwohnungseigenschaft zwischen den Parteien geschlossen worden, so dass die Klage auch deshalb erfolglos wäre. Insoweit erscheint die Argumentation der Klagepartei als wenig zielführend.
C. Entscheidung zu den Kosten und vorläufigen Vollstreckbarkeit
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
D. Streitwert
Der Streitwert einer Räumungsklage entspricht dem Jahresbetrag der Miete ohne Nebenkosten, § 41 Abs. 2, Abs. 1 GKG, hier also 12 * 162,70 €, mithin insgesamt 1.295,40 €.

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