Miet- und Wohnungseigentumsrecht

VIII ZR 182/21

Aktenzeichen  VIII ZR 182/21

Datum:
8.2.2022
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:080222BVIIIZR182.21.0
Normen:
§ 574 BGB
§ 574a BGB
Spruchkörper:
8. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Bamberg, 21. Mai 2021, Az: 3 S 9/19vorgehend AG Bamberg, 17. Dezember 2018, Az: 102 C 403/18

Tenor

Der Antrag der Beklagten zu 2 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung der von ihr eingelegten Revision und Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg – 3. Zivilkammer – vom 21. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Beklagten sind seit dem Jahr 2008 Mieter eines Einfamilienhauses. Sie bewohnen das Haus gemeinsam mit ihrer im Jahr 1999 geborenen, geistig und körperlich schwerstbehinderten und stark pflegebedürftigen Tochter.
2
Der Kläger erhielt für dieses Haus im Jahr 2017 den Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren. Mit Anwaltsschreiben vom 31. Januar 2018 erklärte er die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum 30. November 2018 wegen Eigenbedarfs. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er gegenwärtig in sehr beengten Verhältnissen wohne und nunmehr beabsichtige, zusammen mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen, 2009 und 2014 geborenen Töchtern, die noch bei den Großeltern in Moldawien lebten, in das von den Beklagten bewohnte Haus zu ziehen. Die Beklagten widersprachen der Kündigung, stellten den Eigenbedarf in Abrede und verlangten die unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses, da dessen Beendigung im Hinblick auf ihre schwerstkranke Tochter eine unzumutbare Härte bedeutete und zudem geeigneter Ersatzwohnraum, insbesondere im Hinblick auf ihre eingeschränkten finanziellen Verhältnisse, bislang nicht zu finden gewesen sei.
3
Die von dem Kläger daraufhin gegen die Beklagten erhobene Klage auf Räumung und Herausgabe des Hauses hat das Amtsgericht abgewiesen, da es sich vom Vorliegen des geltend gemachten Eigenbedarfs nicht zu überzeugen vermocht hat. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Beklagtenhaben im Berufungsverfahren als zusätzlichen Härtegrund nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB geltend gemacht, dass der Gesundheitszustand des Beklagten zu 1 zwischenzeitlich in physischer und in psychischer Hinsicht sehr schlecht geworden sei.
4
Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht – nach Beweiserhebung zur Frage des Eigenbedarfs sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dem Gesundheitszustand der Tochter der Beklagten, zu den gesundheitlichen Auswirkungen eines Umzugs für diese und zu den medizinischen Anforderungen an eine Ersatzwohnung – das erstinstanzliche Urteil abgeändert, der Klage stattgegeben und den Beklagten eine Räumungsfrist von neun Monaten (bis zum 21. Februar 2022) gewährt. Es hat die Eigenbedarfskündigung für wirksam erachtet.
5
Einen Anspruch der Beklagten auf Fortsetzung des Mietverhältnisses nach §§ 574, 574a BGB hat es verneint, da nach der überzeugenden Beurteilung des Sachverständigen bei einem Umzug in eine geeignete Ersatzwohnung eine Verschlechterung des Gesundheitszustands der Tochter der Beklagten nicht zu erwarten sei und hinsichtlich des Gesundheitszustands des Beklagten zu 1 bereits dem eigenen Vortrag – trotz Hinweises des Berufungsgerichts – nicht zu entnehmen sei, dass für ihn im Falle eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung seiner gesundheitlichen Situation bestünde. Hinsichtlich des von den Beklagten weiter geltend gemachten Härtegrunds nach § 574 Abs. 2 BGB hätten sie – trotz entsprechenden Hinweises – nicht, wie von der höchstrichterlichen Rechtsprechung verlangt, substantiiert – unter Angabe der konkret ergriffenen Maßnahmen – dargelegt, dass sie ihrer Obliegenheit, sich ernsthaft und nachhaltig um angemessenen Ersatzwohnraum zu bemühen, nachgekommen seien. Vor diesem Hintergrund betrachtet ergebe schließlich auch die im Rahmen des § 574 BGB vorzunehmende umfassende Interessenabwägung vorliegend nicht, dass die Belange der Beklagten gegenüber denjenigen des Klägers überwiegend seien.
6
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision und der vorsorglich für den Fall einer nur beschränkten Zulassung der Revision eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde erstreben die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte zu 2 hat durch ihren zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten innerhalb der Frist zur Begründung der vorbezeichneten Rechtsmittel die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts beantragt.
II.
7
Die beantragte Prozesskostenhilfe kann nicht bewilligt werden. Zwar liegen bei der Beklagten zu 2 – unter Zugrundelegung der von ihr eingereichten Erklärung samt Belegen (§ 117 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 ZPO) – die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe – mit monatlicher Ratenzahlung – vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
8
1. Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Bejahung der Wirksamkeit der Kündigung vom 31. Januar 2018 wegen Eigenbedarfs nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB durch das Berufungsgericht wendet. Insoweit ist die Revision nicht statthaft (§ 542 Abs. 1, § 543 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO), weil sie vom Berufungsgericht diesbezüglich nicht zugelassen worden ist. Das Berufungsgericht hat die – wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) erfolgte – Zulassung der Revision, wie sich aus den Gründen des angegriffenen Urteils, insbesondere den vom Berufungsgericht formulierten Zulassungsfragen mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen lässt, auf das mögliche Vorliegen der Voraussetzungen der Härteregelung nach §§ 574 ff. BGB und damit auf den von den Beklagten geltend gemachten Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses beschränkt. Diese Beschränkung der Zulassung ist auch wirksam (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. August 2018 – VIII ZR 186/17, NJW-RR 2019, 130 Rn. 14, 16 f.; vom 30. November 2021 – VIII ZR 81/20, unter II 1 und 2, zur Veröffentlichung bestimmt; jeweils mwN; vgl. auch Senatsbeschluss vom 14. September 2010 – VIII ZR 83/10, WuM 2010, 680 Rn. 1 f.).
9
2. Die von der Beklagten zu 2 vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde bietet ebenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Denn hinsichtlich der – von dem Berufungsgericht auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung des Vortrags der Parteien und des Ergebnisses der Beweisaufnahme angenommenen – Begründetheit der Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs des Klägers nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, gegen die sich die Nichtzulassungsbeschwerde wendet, liegt ein Revisionszulassungsgrund nicht vor. Die Rechtssache hat insoweit weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO).
10
3. Soweit das Berufungsgericht – hinsichtlich der Härteregelung nach §§ 574 ff. BGB – die Revision zugelassen hat, bietet die von der Beklagten zu 2 beabsichtigte Rechtsverfolgung gleichfalls keine Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Revision wird insoweit vielmehr durch Beschluss nach § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen sein.
11
a) Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, liegt ein Revisionszulassungsgrund (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) insoweit nicht vor.
12
aa) Die Fragen, die das Berufungsgericht als Grund für die Zulassung der Revision angegeben hat, sind bereits nicht entscheidungserheblich, weil das Berufungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des – von diesen Fragen allein betroffenen – Härtegrunds nach § 574 Abs. 2 BGB rechtsfehlerfrei auch aus anderen – selbständig tragenden – Gründen verneint hat. Das Berufungsgericht hat diesen Härtegrund, ohne insoweit überhöhte Substantiierungsanforderungen an den Vortrag der Beklagten zu stellen (vgl. hierzu Senatsurteile vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133 Rn. 52 f.; vom 11. Dezember 2019 – VIII ZR 144/19, NJW 2020, 1215 Rn. 30 f.; vom 3. Februar 2021 – VIII ZR 68/19, NJW-RR 2021, 461 Rn. 45; Senatsbeschluss vom 30. November 2021 – VIII ZR 81/20, unter III 2 b cc (2), zur Veröffentlichung bestimmt; siehe auch Schmidt-Futterer/Hartmann, Mietrecht, 15. Aufl., § 574 BGB Rn. 30; MünchKommBGB/Häublein, 8. Aufl., § 574 Rn. 14; BeckOGK-BGB/Emanuel, Stand: 1. Oktober 2021, § 574 Rn. 34; BeckOK-Mietrecht/Siegmund, Stand: 1. November 2021, § 574 Rn. 13 f.; Fleindl, WuM 2019, 165, 176), (auch) bereits deshalb als nicht gegeben angesehen, weil die Beklagten – trotz Hinweises des Berufungsgerichts – namentlich für den Zeitraum seit November 2019 schon nicht substantiiert vorgetragen hätten, dass sie überhaupt der sie fortwährend treffenden Obliegenheit zur ernsthaften und nachhaltigen Suche nach Ersatzwohnraum in hinreichendem Maße nachgekommen seien.
13
bb) Im Übrigen lassen sich die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Zulassungsfragen – soweit es ihnen nicht auch aus weiteren als den vorgenannten Gründen an der Entscheidungserheblichkeit fehlt – anhand der vom Senat zu der Härteregelung nach §§ 574 ff. BGB entwickelten Maßstäbe (vgl. nur Senatsurteile vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, aaO Rn. 50, 52 f.; vom 11. Dezember 2019 – VIII ZR 144/19, aaO Rn. 26, 30 f.; vom 3. Februar 2021 – VIII ZR 68/19, aaO; Senatsbeschluss vom 30. November 2021 – VIII ZR 81/20, aaO) ohne weiteres beantworten. Weitere Leitlinien des Senats sind deshalb nicht erforderlich, zumal auch ein Meinungsstreit insoweit weder vom Berufungsgericht aufgezeigt wird noch sonst ersichtlich ist (siehe nur Schmidt-Futterer/Hartmann, aaO; MünchKommBGB/Häublein, aaO; BeckOGK-BGB/Emanuel, aaO; BeckOK-Mietrecht/Siegmund, aaO; Fleindl, aaO).
14
Unter diesen Umständen ist der Beklagten zu 2 Prozesskostenhilfe für die Revision auch nicht deswegen zu bewilligen, weil das Berufungsgericht die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und wegen Rechtsfortbildungsbedarfs zugelassen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. September 2006 – VIII ZR 336/04, WuM 2006, 620 Rn. 3; vom 3. April 2014 – IX ZA 5/14, NJW-RR 2014, 1515 Rn. 7; vom 8. Dezember 2020 – VIII ZR 71/20, juris Rn. 3; jeweils mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2020 – IX ZA 3/20, WM 2020, 2086 Rn. 6). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs braucht selbst bei einer zugelassenen Revision Prozesskostenhilfe nicht bewilligt zu werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder durch die in der Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht als schwierig erscheint (vgl. BVerfGE 81, 347, 358 f.; Senatsbeschlüsse vom 11. September 2002 – VIII ZR 235/02, NJW-RR 2003, 130 unter 1; vom 19. September 2006 – VIII ZR 336/04, aaO Rn. 4; jeweils mwN). So verhält es sich hier.
15
cc) Ein Revisionszulassungsgrund ist auch sonst nicht ersichtlich. Dies gilt auch bezüglich der in der Rechtsmittelbegründungsschrift des Beklagten zu 1 als klärungsbedürftig im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO angesehenen Frage, ob im Falle der Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu einer von dem Mieter geltend gemachten gesundheitsbedingten Räumungsunfähigkeit stets, jedenfalls aber auf Antrag des Mieters, ein Gutachten mit persönlicher Exploration geboten ist. Diese Frage entzieht sich einer generellen Beantwortung und ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
16
b) Die Revision hat, soweit sie aufgrund des beschränkten Umfangs der Zulassung eröffnet ist, auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO). Bei der vom Tatrichter im Rahmen der Härteregelung gemäß §§ 574 ff. BGB nach – hier durch das Berufungsgericht erfolgter – gründlicher und sorgfältiger Sachverhaltsfeststellung vorzunehmenden Gewichtung und Würdigung der beiderseitigen Interessen und ihrer Subsumtion unter die unbestimmten Rechtsbegriffe der genannten Bestimmungen hat das Revisionsgericht den tatrichterlichen Beurteilungsspielraum zu respektieren und kann regelmäßig nur überprüfen, ob das Berufungsgericht Rechtsbegriffe verkannt oder sonst unzutreffende rechtliche Maßstäbe angelegt hat, ob es Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze hinreichend beachtet hat oder ob ihm von der Revision gerügte Verfahrensverstöße unterlaufen sind, indem es etwa wesentliche Tatumstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt hat (vgl. Senatsurteile vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, BGHZ 222, 133 Rn. 26; vom 3. Februar 2021 – VIII ZR 68/19, NJW-RR 2021, 461 Rn. 25; vom 28. April 2021 – VIII ZR 6/19, NJW-RR 2021, 1312 Rn. 24; jeweils mwN; Senatsbeschluss vom 30. November 2021 – VIII ZR 81/20, unter III 2 b aa, zur Veröffentlichung bestimmt). Einer an diesem Maßstab ausgerichteten Prüfung hält die – umfassend begründete, auf die Situation der Beklagten detailliert eingehende und unter Wahrung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erfolgte – Beurteilung des Berufungsgerichts stand.
Dr. Fetzer     
      
Dr. Bünger     
      
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