Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Zustimmungsprozess zur Erhöhung der Wohnraummiete: Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Vorliegen eines Mietspiegels; maßgebender Zeitpunkt für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete; Ermessen des Tatrichters bei der Ermittlung der Einzelvergleichsmiete

Aktenzeichen  VIII ZR 22/20

Datum:
28.4.2021
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:280421UVIIIZR22.20.0
Normen:
§ 558 Abs 2 S 1 BGB vom 19.06.2001
§ 558c BGB
§ 558d Abs 1 BGB
§ 558d Abs 3 BGB
§ 286 ZPO
§ 287 Abs 2 ZPO
Spruchkörper:
8. Zivilsenat

Leitsatz

1. Die Gerichte sind grundsätzlich auch dann berechtigt, zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete ein von der beweisbelasteten Partei angebotenes Sachverständigengutachten einzuholen, wenn ein Mietspiegel vorliegt, der tabellarisch Mietspannen ausweist und zusätzlich eine Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung enthält. Das gilt bei solchen Mietspiegeln nicht nur in den Fällen, in denen zwischen den Parteien Streit über die Voraussetzungen für das Eingreifen beziehungsweise die Reichweite einer dem Mietspiegel gegebenenfalls zukommenden Vermutungs- oder Indizwirkung herrscht, sondern unabhängig davon in der Regel auch dann, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete unstreitig innerhalb der für das einschlägige Mietspiegelfeld ausgewiesenen Spanne liegt und deshalb lediglich die Einordnung der konkreten Einzelvergleichsmiete in diese Spanne einer Klärung bedarf (im Anschluss an Senatsurteil vom 18. November 2020 – VIII ZR 123/20, NJW-RR 2021, 76 Rn. 24 ff.).
2. Maßgebend für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist der Zeitpunkt, zu dem das Erhöhungsverlangen dem Mieter zugeht und nicht der – hier vom Berufungsgericht zugrunde gelegte – Zeitpunkt, ab dem der Mieter die erhöhte Miete gegebenenfalls schuldet. Die nach § 558 Abs. 2 BGB aF maßgebliche Vierjahresfrist erstreckt sich demnach vom Zugang des Erhöhungsverlangens an vier Jahre zurück (Bestätigung des Senatsurteils vom 29. Februar 2012 – VIII ZR 346/10, NJW 2012, 1351 Rn. 30).
3. Dem sachverständig beratenen Tatrichter stehen, wenn sich nach der – stets erforderlichen – Berücksichtigung von Qualitätsunterschieden in den Wohnwertmerkmalen der zum Vergleich herangezogenen Wohnungen noch eine breite Marktstreuung der Vergleichsmieten ergibt, verschiedene Ansätze für die Ermittlung der Einzelvergleichsmiete zur Verfügung, deren Auswahl in seinem – revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbaren (vgl. Senatsurteil vom 20. April 2005 – VIII ZR 110/04, NJW 2005, 2074 unter II 2 d aa) – Ermessen steht. Lassen sich Besonderheiten bei der Verteilung der Vergleichsmieten – etwa in Form einer auffälligen Häufung der Vergleichsmieten um einen kleinen Wert herum – nicht feststellen, kann es angemessen sein, auf den arithmetischen Mittelwert abzustellen (Bestätigung der Senatsurteile vom 24. April 2019 – VIII ZR 62/18, NJW 2019, 3142 Rn. 59, und VIII ZR 82/18, juris Rn. 17; jeweils in Fortführung des Senatsurteils vom 29. Februar 2012 – VIII ZR 346/10, aaO Rn. 25 f.).

Verfahrensgang

vorgehend LG Berlin, 10. Dezember 2019, Az: 63 S 348/18vorgehend AG Schöneberg, 14. August 2018, Az: 19 C 470/17

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin – Zivilkammer 63 – vom 10. Dezember 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Beklagten sind Mieter einer 80,85 m² großen Vierzimmerwohnung der Klägerin in Berlin-        . Die zuletzt zu entrichtende Nettokaltmiete belief sich auf 587,78 €. Mit Schreiben vom 20. Juli 2017 forderte die Klägerin die Beklagten unter Hinweis auf den Mietspiegel Berlin 2017 auf, einer Erhöhung der Nettokaltmiete ab dem 1. Oktober 2017 um 66,86 € auf 654,64 € zuzustimmen. Das entspricht einer Erhöhung der Nettokaltmiete auf 8,10 €/m². Die Wohnung ist bei Heranziehung des Mietspiegels 2017 nach Alter, Wohnlage, Ausstattung und Wohnfläche in das Feld I 2 der Mietspiegeltabelle einzuordnen. Dieses weist eine Nettokaltmietenspanne von 5,52 €/m² bis 9,20 €/m² aus. Die Beklagten stimmten der Mieterhöhung nicht zu.
2
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung von bislang 587,78 € auf 654,64 € monatlich ab dem 1. Oktober 2017 in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat den Berliner Mietspiegel 2017 herangezogen und ist anhand der dortigen “Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung” zu dem Ergebnis gelangt, die ortsübliche Vergleichsmiete liege unterhalb der bereits entrichteten Nettokaltmiete (7,27 €/m²). Auf die Berufung hat das Landgericht der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.


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