Steuerrecht

7 K 118/16

Aktenzeichen  7 K 118/16

Datum:
19.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Gründe

Finanzgericht München
Az.: 7 K 1118/16
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
Stichwort: Schachtelstrafe nach § 8b Abs. 7 KStG 1999 für Dividenden aus Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften verstößt gegen Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV und ist daher nicht anzuwenden; bei Mindestbeteiligungsschwelle von 10% wird Kapitalverkehrsfreiheit nicht von Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV verdrängt.
In der Streitsache

Klägerin
gegen

Beklagter
wegen Körperschaftsteuer 2001
hat der 7. Senat des Finanzgerichts München durch den Vorsitzenden Richter … am Finanzgericht, die Richterin … am Finanzgericht und die Richterin … am Finanzgericht sowie die ehrenamtlichen Richter … und … ohne mündliche Verhandlung
am 19. September 2016
für Recht erkannt:
1. Auf die Klage wird der Körperschaftsteuerbescheid für 2001 vom 10. Juli 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. März 2016 dahingehend geändert, dass das zu versteuernde Einkommen auf 182.419.754 DM, der steuerliche Verlust auf 182.419.754 DM und das Einkommen im Sinne des § 47 Abs. 2 Nr. 3 KStG auf 182.419.754 DM festgestellt wird.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision zu.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof schriftlich einzulegen. Die Revisionsschrift muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Eine Abschrift oder Ausfertigung des Urteils soll ihr beigefügt werden. Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen.
Rechtsmittel können auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des Bundesfinanzhofs eingelegt und begründet werden, der über die vom Bundesfinanzhof zur Verfügung gestellte Zugangs- und Übertragungssoftware erreichbar ist. Die Software kann über die Internetseite „www.b…de“ lizenzkostenfrei heruntergeladen werden. Hier befinden sich auch weitere Informationen über die Einzelheiten des Verfahrens, das nach der Verordnung der Bundesregierung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesfinanzhof vom 26. November 2004 (BGBl. I S. 3091) einzuhalten ist.
Vor dem Bundesfinanzhof müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer zugelassen; zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, deren Partner ausschließlich Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer sind. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe des vorhergehenden Satzes zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.
Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Bundesfinanzhof hat die Postanschrift: Postfach 86 02 40, 81629 München, und die Hausanschrift: Ismaninger Str. 109, 81675 München, sowie den Telefax-Anschluss: 089/9231-201.
Tatbestand
Streitig ist der Ansatz von nichtabziehbaren Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 7 Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der im Streitjahr anwendbaren Fassung bei einer Drittstaatenbeteiligung.
Die Klägerin ist eine GmbH mit dem Geschäftsgegenstand Vermögensverwaltung und gehört zum Konzern der X AG. Sie hatte ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1. Oktober 2000 bis 30. September 2001. Im Wirtschaftsjahr 2000/2001 flossen ihr Dividenden der Y Indien in Höhe von 1.907.434 DM (975.255,53 €) zu. Der Beklagte (nachfolgend: Finanzamt) führte vom 28. Februar 2001 bis 13 April 2006 mit Unterbrechungen eine Betriebsprüfung für die Jahre 1998 bis 2001 durch. Auf den Betriebsprüfungsbericht vom 25. April 2006 … wird Bezug genommen. Das Finanzamt erließ am 29. Mai 2006 einen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Körperschaftsteuerbescheid. Die Beteiligungseinkünfte der indischen Tochtergesellschaft, an der die Klägerin mit 25,17% beteiligt war, blieben gemäß § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG 1999 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 Buchst. a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Indien 1995) steuerfrei (sog. Schachtelprivileg). Lediglich 5% der Bruttodividende und somit von 95.372 DM (48.762,78 €) wurden dem Einkommen der Klägerin gemäß § 8b Abs. 7 KStG als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben hinzugerechnet (sog. Schachtelstrafe). Die festgesetzte Körperschaftsteuer betrug 0 €, ein verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2001 wurde festgestellt. Die nachfolgenden Änderungen der Bescheide vom 29. Juni 2009 und vom 10. Juli 2014 ergingen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und sind für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung. Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom 29. Mai 2006 fristgemäß Einspruch und wandte sich gegen den pauschalen Ansatz von fiktiven nichtabzugsfähiger Betriebsausgaben in Höhe von 5% der Dividenden, die sie von der ausländischen Tochtergesellschaft bezogen hatte. Der Einspruch ruhte zunächst im Hinblick auf das beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Verfahren I R 78/04. Nach Abschluss dieses Verfahrens sowie des Verfahrens I R 7/12 erging die Einspruchsentscheidung vom 18. März 2016. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück, da § 8b Abs. 7 KStG 1999 bei einer Drittstaatenbeteiligung anwendbar bleibe.
Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor:
§ 8b Abs. 7 KStG 1999 müsse wegen Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit unangewendet bleiben. Der BFH habe bereits entschieden, dass § 8b Abs. 7 KStG 1999 innerhalb der EU nicht anwendbar sei (BFH-Urt. vom 13. Juni 2006 I R 78/04, BStBl II 2008, 821). Diese Rechtsprechung habe er in seinem Urteil vom 9. August 2006 im Verfahren I R 95/05 (BFH/NV 2009, 849) bestätigt. Er habe entschieden, dass die in § 8b Abs. 5 KStG 2002 enthaltene pauschale Fiktion von nichtabziehbaren Betriebsausgaben die Kapitalverkehrsfreiheit verletzte und europarechtswidrig sei. Die Diskriminierung von Auslandsdividenden aus Drittstaaten sei unzulässig. Allerdings habe der BFH mit Urteil vom 29. August 2012 I R 7/12 (BStBl II 2013, 89) auch entschieden, dass der anders lautende § 8b Abs. 7 KStG 1999 europarechtlich nur unter dem Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit geprüft werden könne, da die Vorschrift eine unmittelbare Beteiligung von mindestens 10% der stimmberechtigten Anteile erfordere. Der BFH sei ohne weiteres aufgrund einer typisierenden Betrachtungsweise davon ausgegangen, dass eine derartige Beteiligung geeignet sei, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der (ausländischen) Beteiligungsgesellschaft zu ermöglichen. Daher sei nur die Niederlassungsfreiheit zu prüfen und diese Grundfreiheit entfalte gegenüber Drittstaaten keine Wirkung.
Anders als der BFH habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C-47/12 Kronos International Inc. (Kronos) mit Urteil vom 11. September 2014 (IStR 2014, 724) entschieden, dass die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung betreffend den Bezug von Dividenden, auch wenn diese aus Beteiligungen in Höhe von mindestens 10% des Kapitals der ausschüttenden Gesellschaft hervorgegangen seien, anhand der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit zu prüfen sei. Die Schwelle von 10% bewirke nicht, dass die steuerliche Vorschrift nur auf solche Beteiligungen anwendbar sei, die es ermöglichten, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen. Denn eine Beteiligung derartigen Umfangs bedeute nicht zwangsläufig, dass der Inhaber dieser Beteiligung einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft, bei der er Anteilseigner sei, ausüben könne. Dieselbe Rechtsauffassung habe sich auch vorher bereits aus den Urteilen in den Rechtssachen Test Claimants in the FII Group Litigation (Urt. vom 12. Dezember 2006 C-446/04, BFH/NV 2007, Beilage 4, 173) und Itelcar (Urt. vom 3. Oktober 2013 C-282/12, IStR 2013, 871) ergeben.
Mithin sei die Annahme des BFH in Bezug auf einen aus einer 10%-igen Beteiligung folgenden sicheren Einfluss nicht richtig. Gleichwohl habe der BFH seine Rechtsprechung im Urteil vom 6. März 2013 (I R 10/11, BStBl II 2013, 707) bestätigt. Die in diesem Urteil vertretene These, wonach den nationalen Gerichten und nicht dem EuGH die vorrangige Einschätzung (Interpretationspräferenz) der Frage obliege, ob eine Regelung nach ihrer Zielsetzung in erster Linie eine potentielle Beherrschungssituation – mit der Folge einer primären Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit – im Auge habe, oder aber, ob – mit der Folge der Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit – diese Regelung primär allgemein wirke, sei ebenfalls nicht richtig. Die Aussage des BFH zur angeblichen Interpretationspräferenz der nationalen Gerichte sei weder belegt noch füge sie sich in die von ihm zitierte Rechtsprechung des EuGH zur Vorlagepflicht ein. Richtig sei allein, dass das nationale Gericht entscheide, ob die Vorlagefrage für das anhängige Verfahren vorgreiflich sei. Allein der EuGH befinde nach Art. 267 Abs. 1 Buchst a des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) über die Auslegung der Verträge und damit auch in einer für sämtliche Mitgliedstaaten verbindlichen Art und Weise über den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit. Spätestens mit den Entscheidungen Itelcar und Kronos sei – auch für den BFH – verbindlich festgestellt, dass eine Vorschrift, die (nur) eine 10%-ige Beteiligung voraussetze, anhand der Kapitalverkehrsfreiheit zu prüfen sei. Im Streitfall folge hieraus die Nichtanwendbarkeit des § 8b Abs. 7 KStG 1999. Die Vorschrift setzte lediglich eine Beteiligung von mindestens 10% voraus. Dies genüge nicht, um einen sicheren Einfluss auszuüben. Auf die tatsächlich gegebene Beteiligung komme es nicht an. Eine nochmalige Vorlage an den EuGH werde angeregt, um letzte Zweifel auszuräumen. Dies erscheine umso mehr erforderlich, als sich (ehemalige und derzeitige) Mitglieder des zuständigen I. BFH-Senats dahingehend geäußert hätten, an der Entscheidung I R 7/12 festhalten zu wollen.
Die Klägerin beantragt,
den Körperschaftsteuerbescheid 2006 vom 10. Juli 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. März 2016 dahingehend zu ändern, dass das zu versteuernde Einkommen auf 182.419.754 DM, der steuerliche Verlust auf 182.419.754 DM und das Einkommen im Sinne des § 47 Abs. 2 Nr. 3 KStG auf 182.419.754 DM festgestellt wird. Weiter beantragt sie, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die Frage der Vereinbarkeit des § 8b Abs. 7 KStG 1999 mit der Kapitalverkehrsfreiheit in Drittstaatenfällen zur Prüfung vorzulegen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft es sich im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt es vor, es sei an die Regelungen der BMF-Schreiben vom 21. März 2007 (BStBl I 2007, 302) und vom 30. September 2008 (BStBl I 2008, 940) bzw. an die im Bundessteuerblatt II veröffentliche und damit allgemein anzuwendende BFH-Rechtsprechung gebunden. Eine Anwendung der modifizierten EuGH-Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Annahme einer sogenannten Kontrollbeteiligung bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbeteiligungsquote von 10% komme damit nicht in Betracht. Neuere Rechtsprechung des BFH unter Berücksichtigung der Itelcar- und Kronos-Entscheidungen gebe es bislang nicht. Das Finanzamt vertrete die Auffassung, dass zunächst dem BFH Gelegenheit gegeben werden sollte, seine Rechtsauffassung unter Berücksichtigung der letzten EuGH-Entscheidungen einer Überprüfung zu unterziehen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Einspruchsentscheidung, die eingereichten Schriftsätze und die vorgelegten Akten Bezug genommen. Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der auf der Grundlage des § 8b Abs. 7 KStG 1999 erfolgte fiktive Ansatz nichtabzugsfähiger Betriebsausgaben in Höhe von 5% der Beteiligungserträge aus einem Drittstaat ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
1. Im Streitfall ist § 8b Abs. 7 KStG in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 -StBereinG 1999 – vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, S. 2601) anwendbar (KStG 1999). Zwar wurde diese Vorschrift durch das Steuersenkungsgesetz – StSenkG – vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, S. 1433) geändert und in § 8b Abs. 5 KStG transferiert. Jedoch ist in § 34 Abs. 1a KStG in der Fassung des StSenkG geregelt, dass der neue § 8b Abs. 5 KStG bei Steuerpflichtigen mit einem abweichenden Wirtschaftsjahr erstmals für den Veranlagungszeitraum 2002 anzuwenden ist, wenn das erste im Veranlagungszeitraum 2001 endende Wirtschaftsjahr vor dem 1. Januar 2001 beginnt. Vorliegend hatte das erste im Veranlagungszeitraum 2001 endende Wirtschaftsjahr der Klägerin am 1. Oktober 2000 begonnen. Demgemäß kommt die Neuregelung noch nicht zur Anwendung, sie gilt für die Klägerin erst ab dem Veranlagungszeitraum 2002.
2. Nach § 8b Abs. 5 KStG 1999 blieben Gewinnanteile, die von einer ausländischen Gesellschaft ausgeschüttet wurden und nach einem DBA unter der Voraussetzung einer Mindesteigenbeteiligung von der Körperschaftsteuer befreit waren, ungeachtet der im Abkommen vereinbarten Mindestbeteiligung steuerfrei, sofern die Beteiligung mindestens ein Zehntel betrug. Im Streitfall stimmt diese Mindestbeteiligungsquote mit Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Indien 1995 überein, der ebenfalls eine Quote von 10% voraussetzt. Die von der Y Indien bezogenen Dividenden sind demnach unstreitig steuerfrei.
Nach § 8b Abs. 7 KStG 1999 galten von den Dividenden aus Anteilen an einer ausländischen Gesellschaft, die nach DBA oder nach den Absätzen 4 oder 5 von der Körperschaftsteuer befreit waren, 5% als Betriebsausgaben, die mit den Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang standen. Daraus folgte nach Auffassung der Verwaltungspraxis (vgl. BMF-Schreiben vom 10. Januar 2000, BStBl I 2000, 71), dass unabhängig davon, ob und in welcher Höhe tatsächlich Betriebsausgaben entstanden waren, stets für 5% der Einnahmen die Rechtsfolgen des § 3 c EStG eintraten. Auf die tatsächlichen Betriebsausgaben fand § 3c EStG daneben keine Anwendung, diese waren in voller Höhe abziehbar (vgl. BMF-Schreiben vom 10. Januar 2000 BStBl I 2000, 71). Die Fiktion ist danach nicht davon abhängig, ob und in welcher Höhe der Obergesellschaft tatsächlich Betriebsausgaben entstanden waren (vgl. BFH-Urteile vom 13. Juni 2006 I R 78/04, BStBl II 2008, 821; vom 29. August 2012 I R 7/12, BStBl II 2013, 89).
Im Streitfall wären hiernach 5% der Dividendeneinkünfte und somit 95.372 DM von der Steuerfreiheit ausgenommen (Schachtelstrafe). Etwaige tatsächlich entstandene Betriebsausgaben können abgezogen werden.
3. Der gemäß § 8b Abs. 7 KStG 1999 vorgenommene Ansatz von 5% der Dividendeneinnahmen als nichtabziehbare fiktive Betriebsausgaben verstößt gegen primäres Gemeinschaftsrecht. Soweit eine inländische Vorschrift gegen eine der Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechtes verstößt, sind aufgrund des Anwendungsvorranges gemeinschaftsrechtlichen Primärrechtes vor nationalem Recht die gemeinschaftswidrigen Vorschriften des inländischen Steuerrechts nicht mehr anwendbar, ohne dass es einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht oder den EuGH bedarf (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 17. Juli 2008 X R 62/04, BFH/NV 2008, 1927 m. w. N.)
a) Der Verstoß von § 8b Abs. 7 KStG 1999 gegen die Niederlassungsfreiheit ist höchstrichterlich geklärt.
Bereits mit Urteil vom 13. Juni 2006 (I R 78/04, BStBl II 2008, 821) hat der BFH entschieden, dass § 8b Abs. 7 KStG 1999 gegen die gemeinschaftsrechtlich verbürgte Grundfreiheit der freien Wahl der Niederlassung nach Art. 43 des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften – EG -, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – AblEG – Nr. C-340, 1), jetzt Art. 49 AEUV, und damit gegen primäres Gemeinschaftsrecht verstößt. § 8b Abs. 7 KStG 1999 erstreckte sich nur auf Auslandsbeteiligungen und war deshalb unionsrechtswidrig. Allerdings ist diese Rechtsprechung nicht anwendbar, wenn – wie vorliegend – die Beteiligungseinkünfte von Tochtergesellschaften in Drittstaaten stammen, da die Niederlassungsfreiheit nur für EU/EWG-Gesellschaften gilt (vgl. Rengers in Blümich, § 1 KStG Rz. 205).
b) Aus der neueren Rechtsprechung des EuGH folgt die Nichtanwendbarkeit des § 8b Abs. 7 KStG 1999 in Drittstaatenfällen wegen eines Verstoßes gegen die Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 AEUV.
aa) Zwar entschied der BFH mit weiterem Urteil vom 29. August 2012 (I R 7/12, BStBl II 2013, 89; bestätigt mit Urteil vom 6. März 2013 I R 10/11, BStBl II 2013, 707), dass sich die Unanwendbarkeit des § 8b Abs. 7 KStG 1999 nicht auf Drittstaatensachverhalte erstrecke, weil die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EG, jetzt Art. 63 AEUV, der eine Wirkung erga omnes zukommt, von der vorrangig anzuwendenden Niederlassungsfreiheit verdrängt werde. Aufgrund der von § 8b Abs. 7 KStG 1999 geforderten Mindestbeteiligung von 10% handle es sich um keine neutrale Norm, sondern um eine solche, die bei typisierender Betrachtung eine potentielle Beherrschungssituation im Auge habe. Dem nationalen Gericht gebühre die vorrangige Einschätzung der Frage, ob eine Regelung wie vorliegend § 8b Abs. 7 KStG 1999 nach ihrer Zielsetzung in erster Linie eine potentielle Beherrschungssituation – mit der Folge der primären Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit – im Auge habe, oder aber ob – mit der Folge der Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit – diese Regelung primär allgemein wirke.
bb) Nach gefestigter EuGH-Rechtsprechung ist für die Abgrenzung auf den Gegenstand der betreffenden Regelung (abstrakter Normgegenstand) abzustellen. Eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen (Kontrollbeteiligung bzw. Direktinvestition), fällt in den Anwendungsbereich des Art. 49 AEUV über die Niederlassungsfreiheit, während nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll (Streubesitzbeteiligung bzw. Portfoliobeteiligungen) ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen sind (vgl. Rengers, a. a. O., Rz. 209). Durch die Urteile des EuGH in den Rechtssachen Itelcar (in IStR 2013, 871) und Kronos (in IStR 2014, 724) ist nunmehr geklärt, dass eine nationale Regelung, die eine Mindestbeteiligungsschwelle von 10% voraussetzt, am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen ist. Denn eine derartige in einer nationalen Regelung enthaltene Schwelle bewirke nicht, dass die Vorschrift ausschließlich für Situationen gelte, in denen die Muttergesellschaft entscheidenden Einfluss auf die Gesellschaft ausübt, die die Dividenden ausschüttet. Eine Beteiligung derartigen Umfangs bedeute nicht zwangsläufig, dass der Inhaber dieser Beteiligung einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft, bei der er Anteilseigner ist, ausüben könne (erneut bestätigt durch Urt. des EuGH in der Rechtssache X AB, C-686/13, IStR 2015, 557, Rz. 21).
Bei Anwendung dieser Rechtsprechung ist die Auffassung des BFH, wonach § 8b Abs. 7 KStG 1999 wegen der 10%-igen Mindestbeteiligungsquote am Maßstab der Niederlassungsfreiheit zu prüfen sei, überholt. Diese Quote ist für eine Beherrschungssituation nicht ausreichend. Andere Voraussetzungen enthält § 8b Abs. 7 KStG 1999 nicht (ebenso Glahe, IStR 2013, 874, 876; Patzner/Nagler, IStR 2014, 731, 732; Rengers, a. a. O., § 1 KStG Rz. 209).
cc) Auf die Höhe der tatsächlichen Beteiligung kommt es in Drittstaatenfällen nicht an (vgl. EuGH in IStR 2013, 871 und in IStR 2014, 724) Auch der BFH hat bereits im Urteil vom 9. August 2006 (I R 95/05, BStBl II 2007, 279) zu einer Beteiligung an einer südafrikanischen Kapitalgesellschaft von 50,01% festgestellt, dass § 8b Abs. 5 KStG in der ab 2002 geltenden Fassung, der keine Mindestbeteiligung voraussetzt, gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt und hat diese Rechtsauffassung im Urteil vom 26. November 2008 (I R 7/08, BFH/NV 2009, 632) hinsichtlich Dividenden aus zwei Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in Drittstaaten mit 100% bzw. 94,5% bestätigt. Der Ansicht der Finanzverwaltung, dass die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit bei Drittstaatenbeteiligungen nur dann gelten soll, wenn die Beteiligung weniger als 10% beträgt (BMF-Schreiben vom 16.04.2012 IV C 2-S 2750-a/07/10006, FMNR1bd000012, BStBl I 2012, 529), kann somit nicht gefolgt werden. Damit ist es im Streitfall ohne Bedeutung, dass die Klägerin tatsächlich in Höhe von 25,17% an der Y Indien beteiligt war.
dd) Die Grundfreiheiten können eingeschränkt werden, wenn zwingende Gründe des Allgemeininteresses dies gebieten. Die Beschränkung muss geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist. Zu den Rechtfertigungsgründen zählen die Missbrauchsbekämpfung, die Kohärenz der Steuersysteme, die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse der Mitgliedstaaten und eine Sicherung des Steueraufkommens (vgl. Rengers, a. a. O., § 1 Rz. 210, m. w. N.)
Bereits im Urteil vom 13. Juni 2006 (I R 78/04, BStBl II 2008, 821) hat der BFH unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH entschieden, dass keine Gründe des Allgemeininteresses eingreifen, die den Verstoß des § 8b Abs. 7 KStG 1999 gegen die Grundfreiheit des Art. 43 EG (Art. 49 AEUV) rechtfertigen würden. Die Gründe, die einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigen könnten, sind identisch (vgl. BFH-Urt. vom 9. August 2006, I R 95705, BStBl II 2007, 279, unter II. 3. C) bb) bbb) der Entscheidungsgründe). Der nicht gerechtfertigte Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit führt vorliegend zur Nichtanwendbarkeit des § 8b Abs. 7 KStG 1999.
5. Es braucht nicht aufgeklärt zu werden, ob und in welcher Höhe der Klägerin tatsächlich Beteiligungsaufwendungen entstanden sind. Denn solche Aufwendungen bleiben unbeschadet der Frage, ob § 3c EStG 1997 i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG 1999 bei Nichtanwendung von § 8b Abs. 7 KStG 1999 subsidiär anzuwenden wäre, abziehbar (vgl. BFH-Urt. vom 13. Juni 2006 I R 78/04, BStBl II 2008, 821, unter II. 4. der Entscheidungsgründe; BMF-Schreiben vom 30. September 2008 BStBl I 2008, 940 unter Nr. 2).
6. Einer Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV bedurfte es nicht. Der Senat erachtet die aufgezeigte Unionsrechtslage in Anbetracht des zwischenzeitlichen Stands der Rechtsprechung des EuGH als eindeutig. Sie entspricht den Aussagen der zitierten EuGH-Urteile und war insoweit bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof.
Zudem ist der erkennende Senat auch gemäß § 267 Abs. 3 AEUV nicht zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, da die Entscheidung nach innerstaatlichem Recht durch Einlegung der Revision beim BFH angefochten werden kann.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da der BFH bislang keine Gelegenheit hatte, selbst rechtliche Folgerungen aus der EUGH-Rechtsprechung in Sachen Itelcar und Kronos zu ziehen.

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