Aktenzeichen VIII R 15/12
§ 125 AO
§ 126 Abs 1 Nr 2 AO
§ 193 Abs 2 Nr 1 AO
§ 195 S 1 AO
§ 195 S 2 AO
§ 5 Abs 1 S 1 BpO 2000
§ 13 BpO 2000
§ 5 AO
§ 102 FGO
Leitsatz
1. Die Prüfungsanordnung des beauftragten Finanzamts ist hinreichend begründet, wenn sie die für die Ermessensausübung auch des beauftragenden Finanzamts maßgebenden Erwägungen enthält.
2. Eine Prüfungsanordnung ist nicht wegen fehlender Bestimmtheit nichtig, wenn für den Steuerpflichtigen der Regelungsgehalt nicht ernsthaft zweifelhaft sein kann.
3. Das vorübergehende Bestehen von zwei Prüfungsanordnungen, die sich inhaltlich nicht widersprechen, führt nicht zu deren Nichtigkeit.
Verfahrensgang
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 25. Januar 2012, Az: 4 K 3252/10, Urteil
Tatbestand
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I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung.
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Im November 2009 bat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) das Wohnsitzfinanzamt des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger), das Finanzamt A, um die Befugnis zum Erlass einer Prüfungsanordnung und zur Durchführung der sich anschließenden Außenprüfung. Das FA begründete dies damit, dass bei dem Konzern Z GmbH & Co. KG in B (Z-Konzern) eine Außenprüfung durchgeführt werde (Prüfungszeitraum 2001 bis 2004). Zum Konzernbereich gehöre “nachstehendes Unternehmen: Eheleute XZ und YZ” (darunter der Kläger). Unter Hinweis auf die §§ 13 ff. der Betriebsprüfungsordnung (BpO) sei es zweckmäßig, dieses Unternehmen von B aus zu prüfen, weil sich dort die Buchführung und die Auskunftspersonen befänden. Es drohe die Verjährung des Prüfungszeitraums 2002.
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Noch im November 2009 teilte das Finanzamt A dem FA mit, es übertrage ihm die Befugnis zur Anordnung und Durchführung einer Außenprüfung bei dem Kläger gemäß § 195 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) und § 5 Abs. 1 Satz 1 BpO. Der Prüfungszeitraum solle die Jahre 2001 bis 2004 betreffen. Dies geschah, nachdem das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 18. März 2009 4 K 91/07 (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2009, 1182) eine Prüfungsanordnung des FA aus dem Jahr 2006 für die Jahre 2001 bis 2004 mangels örtlicher Zuständigkeit des FA aufgehoben hatte. Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das FG-Urteil wies der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 14. Januar 2010 VIII B 104/09 (BFH/NV 2010, 605) zurück.
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Mit Prüfungsanordnung vom 1. Dezember 2009 ordnete das FA gegenüber dem Kläger die Durchführung einer Außenprüfung an. Die Prüfungsanordnung stützte es auf § 193 Abs. 2 Nr. 1 AO i.V.m. §§ 194 bis 196 AO, gab als Prüfungsgegenstand “Einkommensteuer einschließlich gesonderter Feststellungen und Umsatzsteuer 2002 – 2004” an und führte zur Begründung u.a. aus, das FA sei vom zuständigen Finanzamt A mit der Prüfung beauftragt worden; die Prüfung erfolge im Zusammenhang mit der laufenden Außenprüfung der Firmengruppe Z und umfasse nicht die Sachverhalte (Tat im prozessualen Sinn), welche durch die Einleitung des Steuerstrafverfahrens vom 6. März 2009 abgedeckt würden. Der Einleitung des Steuerstrafverfahrens ging eine Selbstanzeige des Klägers voraus, die Einkünfte aus Kapitalvermögen ausländischer Herkunft betraf.
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Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FG hob die Prüfungsanordnung des FA vom 1. Dezember 2009 mit seinem in EFG 2012, 1111 veröffentlichten Urteil auf. Es ließ offen, ob die Prüfungsanordnung nichtig sei; jedenfalls sei sie ermessensfehlerhaft und deshalb rechtswidrig. Sie lasse nämlich in Verbindung mit der Einspruchsentscheidung nicht erkennen, welche konkrete unternehmerische Betätigung des Klägers nach Auffassung des FA den Grund für die Erteilung des Prüfungsauftrags bilde und weshalb diese unternehmerische Betätigung einen Konzernbezug aufweise. Wenn ausgeführt werde, zum Konzernbereich gehöre nachstehendes Unternehmen “Eheleute …”, suggeriere dies ein gemeinsames Unternehmen der Eheleute, das es aber nicht gebe. So gehe das FA in seiner Einspruchsentscheidung selbst von separaten Unternehmen der Eheleute aus.
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Hiergegen richtet sich die Revision des FA, die es auf Verletzung von § 195 Satz 2 AO und § 5 AO stützt.
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Das FA beantragt,die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
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Die Prüfungsanordnung sei nichtig, weil sich das FA auf zwei Prüfungsanordnungen berufe, die sich widersprächen. Außerdem sei die Prüfungsanordnung mangels hinreichender Angaben zu Grund, Steuerart und Zeitraum und der unternehmerischen Tätigkeit der Eheleute zu unbestimmt, damit ermessensfehlerhaft und rechtswidrig. Im Auftrag des Finanzamts A seien keinerlei Gründe genannt, weshalb das FA beauftragt worden sei.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Entscheidung in der Sache selbst. Die Klage ist abzuweisen. Unzutreffend hat das FG die hier streitige Prüfungsanordnung aufgehoben und damit § 195 Satz 2 AO verletzt. Die Prüfungsanordnung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
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1. Außenprüfungen werden von den für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörden durchgeführt (§ 195 Satz 1 AO). Sie können andere Finanzbehörden mit der Außenprüfung beauftragen (§ 195 Satz 2 AO). Die beauftragte Finanzbehörde darf anstelle der an sich zuständigen Finanzbehörde die Außenprüfung durchführen; sie ist zum Erlass der Prüfungsanordnung befugt, aus der sich die Ermessenserwägungen für den Auftrag ergeben müssen, wozu es auch gehört, über einen Einspruch zu entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 15. Mai 2013 IX R 27/12, BFHE 241, 21, BStBl II 2013, 570, m.w.N.). Die maßgebenden Erwägungen für eine Auftragsprüfung ergeben sich aus den §§ 13 bis 18 BpO. Danach finden Prüfungen zusammenhängender Unternehmen unter einheitlichen Gesichtspunkten und einheitlicher Leitung statt (eingehend dazu Schallmoser in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 195 AO Rz 44).
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2. Das im Streitfall für die Besteuerung des Klägers nach Maßgabe des § 19 Abs. 1 AO zuständige Finanzamt war zunächst das Finanzamt A. Durch innerdienstliches Schreiben vom November 2009 hatte dieses das FA mit der Durchführung der Außenprüfung bei dem Kläger beauftragt. Dem Auftrag lag eine Ermessensentscheidung der beauftragenden Finanzbehörde zugrunde.
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a) Die Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung setzt voraus, dass sie mit Gründen versehen ist, die die Ermessenserwägungen der Behörde erkennen lässt. Diese Erwägungen müssen sich aus dem betreffenden Verwaltungsakt ergeben (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO). Sie können allerdings –unter den Einschränkungen des § 102 Satz 2 FGO bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens– nachgeholt werden (§ 126 Abs. 2 AO).
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b) Nach diesen Grundsätzen ist die angefochtene Prüfungsanordnung nicht zu beanstanden. Sie enthält die für die Ermessensausübung auch des beauftragenden Finanzamts –des Finanzamts A– maßgebenden Erwägungen der einheitlichen Prüfung des Klägers im Konzernbereich des Z-Konzerns. Aus der Prüfungsanordnung ergeben sich der Steuerpflichtige (der Kläger), der Prüfungsumfang (Einkommensteuer und gesonderte Feststellungen sowie Umsatzsteuer 2002 bis 2004) und die tragenden Ermessenserwägungen für die Auftragsprüfung (einheitliche Prüfung des Z-Konzerns). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz bedurfte es keiner weiteren Ausführungen, “aus welchem Grund diese unternehmerische Betätigung” des Klägers einen Bezug zum Z-Konzern aufweist. Dieser Bezug war nämlich für alle Beteiligten klar und vom FA überdies nochmals in seiner Einspruchsentscheidung ausgeführt: Die Aufsichtsratstätigkeit im Zusammenhang mit den sonstigen Firmen der “Z-Gruppe”.
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Es kommt entgegen der Vorentscheidung nicht auf die Formulierung der Bitte des FA um Erteilung des Prüfungsauftrags an. Abgesehen davon suggeriert dieses behördeninterne Schreiben, anders als die Vorinstanz meint, kein gemeinsames Unternehmen des Klägers zusammen mit seiner Ehefrau. Die Ausführungen in diesem Schreiben sind im Kontext der Akten und der Vorprüfungen so zu verstehen, wie sie schließlich in der Prüfungsanordnung in Gestalt der Einspruchsentscheidung umgesetzt wurden. Auch der entscheidende Akt des Prüfungsauftrags nimmt keinen Bezug auf ein gemeinsames Unternehmen der Eheleute, sondern überträgt die Befugnis zur Prüfung beider Steuerpflichtiger –der Eheleute (des Klägers und seiner Ehefrau)– auf das FA.
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3. Da die Vorentscheidung diesen Maßstäben nicht entspricht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif und die Klage abzuweisen. Auch wenn das FG darauf nicht näher eingegangen ist, scheidet eine Nichtigkeit der Prüfungsanordnung, auf die sich der Kläger beruft, ersichtlich aus:
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a) Die streitige Prüfungsanordnung vom 1. Dezember 2009 sollte “neben die Prüfungsanordnung … vom 11.12.2006” treten, die vom FG mangels Zuständigkeit des FA mit Urteil in EFG 2009, 1182 aufgehoben worden war. Zwar ist das Urteil des FG erst mit BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 605, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde des FA zurückgewiesen worden ist, rechtskräftig geworden. Das vorübergehende gleichzeitige Bestehen beider Prüfungsanordnungen führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der streitgegenständlichen Prüfungsanordnung gemäß § 125 AO, da sich die beiden Prüfungsanordnungen in ihrem Regelungsgehalt hinsichtlich des Prüfungszeitraums (2002 bis 2004), des Steuerpflichtigen (dem Kläger) und der zu prüfenden Steuerarten (Einkommensteuer einschließlich gesonderter Feststellungen und Umsatzsteuer) nicht widersprochen haben. Allein der Umstand, dass das FA seine Zuständigkeit für die Außenprüfung in der zweiten Prüfungsanordnung auf die Beauftragung durch das Finanzamt A gemäß § 195 Satz 2 AO gestützt hat, führt nicht dazu, dass die Prüfungsanordnung aus tatsächlichen Gründen niemand befolgen konnte (§ 125 Abs. 2 Nr. 2 AO). Denn die Frage der örtlichen Zuständigkeit ist nicht Bestandteil des Regelungsgehalts der Prüfungsanordnung i.S. des § 118 AO, sondern Voraussetzung für deren formelle Rechtmäßigkeit, die im vorliegenden Fall erfüllt ist.
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b) Die Prüfungsanordnung ist auch nicht wegen fehlender Bestimmtheit nach § 125 AO nichtig. Ein Verwaltungsakt leidet an schweren und offenkundigen Mängeln und ist deshalb nichtig, wenn er inhaltlich nicht gemäß § 119 AO so bestimmt ist, dass ihm hinreichend sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird. Der Regelungsinhalt einer Prüfungsanordnung (§ 196 AO) besteht darin, dass dem Steuerpflichtigen aufgegeben wird, die Prüfung in dem in der Anordnung näher umschriebenen Umfang zu dulden (BFH-Urteil vom 13. Oktober 2005 IV R 55/04, BFHE 211, 387, BStBl II 2006, 404). Maßgeblich ist der objektive Erklärungsinhalt der Prüfungsanordnung aus der Sicht des Klägers als dem Empfänger dieses Verwaltungsakts (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1991 X R 28/89, BFH/NV 1992, 435).
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Danach konnte für den Kläger der Regelungsgehalt der Prüfungsanordnung vom 1. Dezember 2009 nicht ernsthaft zweifelhaft sein. Prüfungsgegenstand war Einkommensteuer einschließlich gesonderter Feststellungen und Umsatzsteuer 2002 bis 2004 mit Ausnahme der “Sachverhalte …, welche durch die Einleitung des Steuerstrafverfahrens vom 06.03.2009 abgedeckt” wurden. Dass das FA in der Prüfungsanordnung in diesem Zusammenhang den Begriff der “Tat im prozessualen Sinne” verwendet hat, konnte bei dem Kläger, der aufgrund seiner Selbstanzeige und dem Schreiben der Straf- und Bußgeldsachenstelle des Finanzamts C den Umfang des eingeleiteten Steuerstrafverfahrens kannte, keine wirklichen Verständnisschwierigkeiten auslösen, da für alle Beteiligten klar ersichtlich war, dass es sich um die vom Kläger bis zur Selbstanzeige nicht erklärten Kapitaleinkünfte ausländischer Herkunft handelte.