Steuerrecht

Ersetzung eines Haftungsbescheids durch einen Nachforderungsbescheid während des Revisionsverfahrens

Aktenzeichen  VIII R 1/18

Datum:
25.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.250321.VIIIR1.18.0
Normen:
§ 44 Abs 5 S 1 EStG 2002
§ 44 Abs 5 S 2 EStG 2002
§ 44 Abs 6 S 5 EStG 2002
§ 68 S 1 FGO
§ 121 FGO
§ 20 Abs 1 Nr 10 Buchst b EStG 2002
§ 43 Abs 1 S 1 Nr 7c EStG 2002
§ 155 Abs 1 S 1 AO
EStG VZ 2007
EStG VZ 2008
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. Erlässt das FA wegen nicht ordnungsgemäß einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c EStG einen Haftungsbescheid i.S. des § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG und ersetzt es diesen während des Revisionsverfahrens durch einen Nachforderungsbescheid gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG, liegt kein Fall der Änderung oder Ersetzung i.S. von § 68 Satz 1, § 121 FGO vor, sondern es tritt vielmehr Erledigung in der Hauptsache ein.
2. Erklärt nur der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und widerspricht das FA dieser Erklärung, ist der Rechtsstreit als Streit über die Erledigung fortzuführen und die Erledigung durch Urteil festzustellen.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 22. November 2017, Az: 8 K 4148/13, Urteil

Tenor

Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.
Das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.11.2017 – 8 K 4148/13 wird für gegenstandslos erklärt.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) von der Körperschaftsteuer befreiter Berufsverband. Sie unterhält neben dem steuerbefreiten Bereich einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, aus dem sie in den Streitjahren (2007 und 2008) einen Gewinn in Höhe von 38.620,12 € bzw. 8.880,65 € erzielte.
2
Zum 31.12.2006 war für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ein verbleibender Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer in Höhe von 396.341 € gesondert festgestellt worden. Nach Verrechnung der in den Streitjahren erzielten Gewinne mit den Verlusten der jeweiligen Vorjahre wurde die Körperschaftsteuer für die Streitjahre auf jeweils 0 € festgesetzt. Der Bestand des steuerlichen Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG wurde zum 31.12. der Streitjahre auf jeweils 0 € gesondert festgestellt.
3
Die Klägerin reichte nach Aufforderung durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt –FA–) am 23.04.2010 Kapitalertragsteueranmeldungen für die Streitjahre ein, in denen sie Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) in Höhe von jeweils 0 € angab.
4
Am 08.03.2012 erließ das FA einen Haftungsbescheid, mit dem es die Klägerin gemäß § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) wegen nicht abgeführter Kapitalertragsteuer in Höhe von 3.862 € (2007) bzw. 888 € (2008) nebst Solidaritätszuschlag in Anspruch nahm. Die in den Streitjahren erzielten Gewinne seien gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c und § 43a Abs. 1 Nr. 6 EStG einer 10%-igen Kapitalertragsteuer zu unterwerfen, da die Gewinne nicht einer gesonderten, betrieblich notwendigen Gewinnrücklage zugeführt worden seien. Die Inanspruchnahme im Wege der Haftung richte sich gegen die Klägerin als Abzugsverpflichtete, da sie der Verpflichtung zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Kapitalertragsteuer nicht nachgekommen sei.
5
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 850 veröffentlichtem Urteil ab.
6
Mit der Revision hat die Klägerin zunächst beantragt, das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 22.11.2017 – 8 K 4148/13 und den Haftungsbescheid vom 08.03.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.06.2013 aufzuheben.
7
Am 22.12.2020 hat das FA den Haftungsbescheid vom 08.03.2012 aufgehoben und zugleich einen auf § 167 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG gestützten Nachforderungsbescheid gegenüber der Klägerin erlassen. Die Klägerin hat daraufhin den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Das FA hat der Erledigungserklärung widersprochen.
8
Die Klägerin macht geltend, der Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 sei nicht gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Der Haftungsbescheid vom 08.03.2012 und der Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 gehörten unterschiedlichen Kategorien an. Der Haftungsbescheid sei kein Steuerbescheid, da der Haftungsschuldner für eine fremde Steuerschuld in Anspruch genommen werde. Demgegenüber richte sich der Nachforderungsbescheid an sie, die Klägerin, erstmals in ihrer Eigenschaft als Steuerschuldnerin.
9
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Erledigung der Hauptsache festzustellen, hilfsweise den Nachforderungsbescheid vom 22.12.2020 aufzuheben.
10
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
11
Das FA ist der Auffassung, dass der Nachforderungsbescheid gemäß § 68 Satz 1 FGO an die Stelle des aufgehobenen Haftungsbescheids getreten und das Revisionsverfahren insoweit fortzuführen sei. Die materiellen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin durch Nachforderungsbescheid gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG seien erfüllt.


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