Steuerrecht

(Erstreckung der Haftung des Eigentümers von Gegenständen nach § 74 AO auf das Surrogat)

Aktenzeichen  VII R 67/10

Datum:
22.11.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 74 AO
Spruchkörper:
7. Senat

Leitsatz

1. NV: Die Haftung des an einem Unternehmen wesentlich beteiligten Eigentümers nach § 74 AO erstreckt sich nicht nur auf die dem Unternehmen überlassenen und diesem dienenden Gegenstände, sondern sie erfasst in Fällen der Weggabe oder des Verlustes von Gegenständen nach der Haftungsinanspruchnahme auch die Surrogate, wie z.B. Veräußerungserlöse oder Schadenersatzzahlungen.
2. NV: Ist ein Gesellschafter nur mit 25% an der KG beteiligt ist, so kann sich die einer wesentlichen Beteiligung nach § 74 Abs. 2 Satz 1 AO vergleichbare Einflussmöglichkeit i.S.d. § 74 Abs. 2 Satz 2 AO daraus ergeben, dass die Gesellschafter zu gleichen Teilen an der verpachtenden Besitz-GbR beteiligt sind und dem geringer an der Betriebs-KG Beteiligten gleichwohl 60% des Gewinns der KG zusteht.

Verfahrensgang

vorgehend FG Münster, 2. September 2010, Az: 5 K 4110/08 U, Urteil

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war zusammen mit einem weiteren Gesellschafter (K) Kommanditist einer GmbH & Co. KG (KG). Er hielt 25 %, K 75 % der Kommanditanteile, am Gewinn der KG war der Kläger zu 60 % beteiligt. Daneben waren der Kläger und K zu gleichen Teilen Gesellschafter einer GbR, die Anlagevermögen an die KG verpachtete, u.a. zwei Grundstücke.
2
Während des Insolvenzeröffnungsverfahrens über das Vermögen der KG verkaufte die GbR im März 2007 die beiden Grundstücke mit notariellem Vertrag zum Kaufpreis von 250.000 € und Teile des verpachteten beweglichen Anlagevermögens für insgesamt 237.000 €.
3
Am 1. April 2007 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der KG eröffnet. Der Eigentumsübergang der Grundstücke wurde am 20. Juni 2007 im Grundbuch eingetragen.
4
Bereits unter dem 21. Mai 2007 hatte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) Haftungsbescheide gegen den Kläger und K wegen Umsatzsteuerverbindlichkeiten der KG in Höhe von insgesamt rd. 215.000 € gemäß § 74 der Abgabenordnung (AO) erlassen. Den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der KG nahm das FA in Höhe von rd. 105.000 € nach § 69 AO in Haftung. Im Einspruchsverfahren des Klägers erhöhte das FA die Haftungssumme aufgrund entsprechend geänderter Steuerfestsetzungen auf rd. 233.000 €. Die Haftung war gegenständlich auf genau bezeichnete Gegenstände des Anlagevermögens, u.a. die beiden Grundstücke, begrenzt, aber auf Surrogate erstreckt, soweit diese Gegenstände nicht mehr im Eigentum des Klägers oder der GbR standen. Nicht erfasst waren Gegenstände, die bereits in den Jahren 2005 und 2006 aus dem Anlagevermögen ausgeschieden waren, die zwischenzeitlich verschrottet worden sind oder die sicherungsübereignet waren.
5
Das Finanzgericht (FG) gab der gegen den Haftungsbescheid erhobenen Klage teilweise statt. Es hob diesen auf, soweit darin die Haftung auf die Gegenstände des beweglichen Anlagevermögens erstreckt war. Die Haftungsinanspruchnahme nach § 74 Abs. 1 AO komme nur bezüglich der Grundstücke in Betracht. Der Kläger hafte im Haftungszeitraum als Eigentümer der bei Erlass des Haftungsbescheids im Grundbuch noch nicht umgeschriebenen Grundstücke, da er wesentlich an der KG beteiligt gewesen sei, die Grundstücke dem Unternehmen der KG gedient hätten und die Umsatzsteuer als Betriebssteuer von der Haftung umfasst sei. Die Haftung sei aber auf die Grundstücke begrenzt, da sich nur diese zum Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme im Eigentum des Klägers befunden hätten. Ein Gegenstand, der vor Erlass des Haftungsbescheids veräußert worden sei, scheide aus der Haftung nach § 74 AO aus. Eine Haftung mit den Surrogaten solcher Gegenstände sei nicht mit dem Wortlaut des § 74 AO zu vereinbaren, wonach gerade mit den Gegenständen gehaftet werde. Auch dem Zivilrecht sei kein allgemeines Surrogationsprinzip zu entnehmen, vielmehr sei nur in einzelnen Fallgruppen eine dingliche Surrogation vorgesehen.
6
Das FA führt zur Begründung seiner Revision gegen dieses Urteil im Wesentlichen unter Bezugnahme auf das Urteil des FG Nürnberg vom 31. Mai 2005 II 143/2002 (nicht veröffentlicht –n.v.–) aus, die Haftungsbeschränkung auf Gegenstände, die im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme noch im Eigentum des Haftungsschuldners stehen, habe zur Folge, dass die Haftung in das Belieben des Haftungsschuldners gestellt würde, weil er sich durch Veräußerung der Haftung entziehen könne. § 74 AO sei vielmehr so auszulegen, dass zwar sämtliche haftungsbegründenden Umstände zugleich gegeben sein müssten. Nicht erforderlich sei jedoch, dass sämtliche Merkmale noch im Zeitpunkt der Inanspruchnahme zur Haftung vorlägen. Denn in erster Linie sei die Haftung nach § 74 AO eine persönliche Haftung des an einem Unternehmen wesentlich Beteiligten, wenn dieser einen maßgeblichen Beitrag zur Weiterführung des Unternehmens geleistet habe. Der einmal realisierte Haftungstatbestand bleibe demnach bestehen, die Haftung umfasse dann den Wert der Gegenstände, die dem Unternehmen zum Zeitpunkt der Haftungsbegründung gedient hätten. Auch der Wortlaut der Vorschrift stehe einer Erstreckung der Haftung auf die Surrogate nicht entgegen. Die Haftung des § 74 AO sei trotz der gegenständlichen Beschränkung nicht auf Duldung der Zwangsvollstreckung, sondern auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet, so dass der Haftungsbescheid unmittelbar mit einer Zahlungsaufforderung verbunden werden könne. Die Zahlung einer Geldsumme sei auch dann noch möglich, wenn der Haftungsgegenstand nach Begründung des Haftungstatbestandes veräußert worden sei. Der gegenständlichen Beschränkung werde dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass eine Haftung nicht unbegrenzt beansprucht, sondern auf das für den ursprünglich vorhandenen Haftungsgegenstand erhaltene Surrogat beschränkt werde.
7
Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
8
Der Kläger schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils an und beantragt, die Revision zurückzuweisen. Ergänzend rügt er die Verletzung seines Eigentumsrechts aus Art. 14 des Grundgesetzes (GG), da bei Einbeziehung des Surrogats in die Haftung letztlich sein Recht auf Veräußerung seines Eigentums verletzt werde. Außerdem werde durch eine über den Wortlaut des § 74 AO hinausgehende Auslegung unzulässig in die Kompetenz des Gesetzgebers eingegriffen. Schließlich werde mit der Ausdehnung der Haftung auf das Surrogat der allgemeine Grundsatz verletzt, dass der Haftungsschuldner nicht weitergehend hafte als der Primärschuldner. Hätte die KG eigene Gegenstände verkauft und mit dem Erlös die für deren Erwerb aufgenommenen Kredite zurückgeführt, hätte das FA auf den Verkaufserlös nicht zugreifen können.

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