Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen Steuerschulden

Aktenzeichen  22 ZB 16.886

Datum:
2.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 54943
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 6

 

Leitsatz

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden als Grundlage einer (erweiterten) Gewerbeuntersagung ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Anschluss an BVerwG BeckRS 2015, 48135 Rn. 15); nachträgliche Veränderungen der Sachlage (hier: Vereinbarung der Ratenzahlung betreffend rückständige Gewerbesteuer sowie eines Zahlungsaufschubs mit dem Finanzamt) können nur im Rahmes eines Antrags auf Wiedergestattung gemäß § 35 Abs. 6 GewO Berücksichtigung finden (vgl. auch VGH München BeckRS 2012, 59081 Rn. 15 und zum Erfordernis eines tragfähigen Sanierungskonzepts VGH München BeckRS 2016, 52322 Rn. 8 mwN). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Unterbindung der künftigen Gewerbeausübung liegt im Wesen einer Gewerbeuntersagung und kann deshalb für sich genommen keinen außergewöhnlichen Ausnahmefall begründen, der ihre Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) in Frage stellt (Bestätigung von VGH München BeckRS 2015, 50350 Rn. 24 mwN). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 16 K 15.2528 2016-03-01 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Kläger wendet sich gegen die durch Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2015 verfügte Untersagung des von ihm ausgeübten, im Bescheid näher bezeichneten Gewerbes, der Ausübung aller sonstigen Gewerbe sowie einer Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person. Die Beklagte stützte die Einschätzung des Klägers als gewerberechtlich unzuverlässig zum einen auf Steuerrückstände in Höhe von 43.426,29 Euro (Stand 1.6.2015), die im Zusammenhang mit der gewerblichen Tätigkeit des Klägers angefallene Einkommens- und Umsatzsteuern (einschließlich Solidaritätszuschlag, Säumniszuschläge und Nebenkosten) betreffen. Am 11. Juli 2014 habe der Vollziehungsbeamte des Finanzamtes M. zudem einen fruchtlosen Pfändungsversuch in das bewegliche Vermögen des Klägers unternommen. Zum anderen wurde die Unzuverlässigkeitsprognose auf einen Zahlungsrückstand des Klägers bei der Beklagten gestützt, der aus ausstehenden Gewerbesteuerzahlungen für 2012 und 2013 sowie unterbliebenen Gewerbesteuer-Vorauszahlungen für 2014 und 2015 resultiert und sich auf insgesamt 28.382,60 Euro (einschließlich Säumniszuschläge und Nebenkosten) beläuft (Stand 1.6.2015).
Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Klage, die das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 1. März 2016 abwies.
Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da sich aus den Darlegungen in der Antragsbegründung (vgl. zur deren Maßgeblichkeit § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) des Klägers nicht ergibt, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) vorliegen.
Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung (UA S. 9) in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z. B. U. v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – GewArch 2015, 366/367; B. v. 14.5.1997 – 1 B 93/97 – GewArch 1997, 478) und des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z. B. B. v. 3.12.2015 – 22 ZB 15.2431 – Rn. 5) ausdrücklich klargestellt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen erweiterten Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewO der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist. Auf den ergänzenden Ausführungen, welche die Entwicklung der Zahlungsrückstände des Klägers nach Bescheidserlass betreffen (UA S. 10), beruht die angefochtene Entscheidung demnach nicht.
Weiter hat das Verwaltungsgericht die negative Prognose der Beklagten zur gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers im Hinblick auf die erheblichen und über einen längeren Zeitraum bestehenden Zahlungsrückstände beim Finanzamt M. und bei der Beklagten als zutreffend angesehen (UA S. 9). Zwar sei der Kläger bemüht, seine Rückstände abzubauen, jedoch sei dies auch im Zeitraum zwischen der Anhörung durch die Beklagte im November 2014 und dem Bescheidserlass Anfang Juni 2015 trotz der angekündigten Maßnahmen nur in geringem Umfang gelungen. Die Vollstreckungsmöglichkeiten seien bereits ausgeschöpft gewesen. Ein tragfähiges Sanierungskonzept des Klägers, das die geordnete Rückführung der Steuerschulden in einem überschaubaren Zeitraum hätte erwarten lassen, habe nicht vorgelegen. Auch Ratenzahlungsvereinbarungen mit den Gläubigern hätten nicht bestanden.
Der Kläger hat die Maßgeblichkeit dieses Beurteilungszeitpunkts nicht infrage gestellt. Er hat vielmehr vorgetragen, mit der Beklagten sei am 15. April 2016 – d. h. nach Zustellung des angefochtenen Urteils – eine Vereinbarung abgeschlossen worden, die eine monatliche Ratenzahlung auf die rückständige Gewerbesteuer vorsehe. Er komme den Verpflichtungen aus dieser Vereinbarung nach und leiste die laufend fällig werdenden Gewerbesteuer-Vorauszahlungen. Ferner habe der Kläger mit dem zuständigen Finanzamt M. einen Zahlungsaufschub vereinbart und zahle monatlich regelmäßig erhebliche Beträge auf die bestehende Steuerschuld. Der Kläger hat damit nicht nachvollziehbar dargelegt, dass bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung am 2. Juni 2015 Vereinbarungen mit der Beklagten und dem Finanzamt M. vorlagen und die genannten Zahlungen geleistet wurden. Eine etwaige positive Entwicklung nach diesem Zeitpunkt kann der Kläger gegebenenfalls im Rahmen eines Antrags auf Wiedergestattung der Gewerbeausübung (§ 35 Abs. 6 GewO) geltend machen.
Weiter meint der Kläger, das Verwaltungsgericht (UA S. 11) habe die Gewerbeuntersagung zu Unrecht als verhältnismäßig angesehen; dem Kläger werde jedoch die Möglichkeit zur Tilgung der Zahlungsrückstände genommen. Der Kläger hat damit kein schlüssiges Argument gegen die angefochtene Entscheidung vorgebracht. Die Verhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung ist gleichfalls nur im Hinblick auf die zum maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung bestehenden Umstände zu beurteilen, nicht dagegen in Bezug auf nachträglich eingetretene Tatsachen wie eine spätere Schuldentilgung. Im Übrigen liegt die Unterbindung der künftigen Gewerbeausübung gerade im Wesen der Gewerbeuntersagung und kann deshalb für sich genommen keinen außergewöhnlichen Ausnahmefall begründen, der die Verhältnismäßigkeit dieser Entscheidung in Frage stellen könnte (vgl. hierzu BayVGH, B. v. 3.8.2015 – 22 ZB 15.1271 – Rn. 24 und 25). Dem Kläger steht weiterhin die Möglichkeit zu, durch abhängige Beschäftigung seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.
Streitwert: §§ 47, 52 Abs. 1 GKG, Nrn. 54.2.1, 54.2.2 des Streitwertkatalogs 2013.


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