Steuerrecht

nachträgliche Anschaffungskosten, Bundesfinanzhof, Einkommensteuerbescheid, Rückwirkendes Ereignis, Veräußerungsverlust, Besserungsschein, Befähigung zum Richteramt

Aktenzeichen  7 K 1926/15

Datum:
19.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 94467
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Streitig ist, ob das Finanzamt den Antrag vom 2. Januar 2013 auf Änderung des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2004 zu Recht abgelehnt hat.
Der Kläger erzielte im Jahr 2004 Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung und wurde einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Erklärungsgemäß berücksichtigte das Finanzamt im Einkommensteuerbescheid vom 1. September 2006 auch einen Veräußerungsverlust gemäß § 17 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 14.249 € aus der Abtretung seiner Anteile an der T GmbH (GmbH). Laut notarieller Urkunde vom 29. November 2004 hatte der Kläger seine sämtlichen Geschäftsanteile an der GmbH jeweils in Höhe von 14.500 € an C und R zu einem Kaufpreis von je 1 € abgetreten (vgl. III des Abtretungsvertrages vom 29. November 2004).
Mit Schreiben vom 30. Dezember 2011 beantragte der steuerliche Vertreter des Klägers die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2004 vom 1. September 2006 gemäß § 175 Abs. 1 Abgabenordnung (AO). Der Verlust nach § 17 EStG sei um 95.000 € zu erhöhen. Der Kläger habe der GmbH in dieser Höhe ein krisenbestimmtes Darlehen gegeben, wie sich aus dem beigefügten Schreiben der GmbH vom 21. November 2011 ergebe. Darin hatte die GmbH dem Kläger mitgeteilt, dass die GmbH derzeit nicht in der Lage sei, die Forderungen aus dem bestehenden Darlehensvertrag über 95.000 € zu bedienen. Gründe für die dünne Kapitaldecke seien entstandene Verluste von 85.000 € im Jahr 2008 sowie Steuernachzahlungen aufgrund einer Betriebsprüfung für die Jahre 2006 bis 2008, die im Jahr 2010 fällig geworden seien. Außerdem seien in den Jahren 2010 und 2011 Fachkräfte abgeworben worden. Auch in Zukunft werde sich die wirtschaftliche Lage nicht verbessern, sondern gegebenenfalls verschlechtern, so dass auf die Forderung endgültig verzichtet werden solle. Der Kläger unterschrieb dieses Schreiben am 23. November 2011 und erklärte sich insoweit mit dem Verzicht auf die Darlehensforderung einverstanden. Nach Ansicht des Klägers wirke der Darlehensverlust in das Jahr der Veräußerung zurück. Der Verlust sei daher in voller Höhe bei der Einkommensteuerfestsetzung des Jahres 2004 zu berücksichtigen, da niemals Dividenden geflossen seien.
Mit Verfügung vom 2. Januar 2013 lehnte das Finanzamt den Änderungsantrag ab. Im dagegen gerichteten Einspruchsverfahren trug der Kläger unter anderem vor, dass zwar kein schriftlicher Darlehensvertrag vorliege, sich die Existenz der eingegangenen Darlehensver pflichtungen aber aus der vorgelegten Bilanz der GmbH ergebe. Im Rahmen einer am 18. November 2003 erfolgten Kapitalherabsetzung habe der Kläger der GmbH ein Darlehen gewährt. Der Kläger habe auf seine Darlehensforderung ebenso wie die übrigen Gesellschafter gegen Ausgabe eines Besserungsscheins verzichtet (vgl. Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen vom 30. Dezember 2003). Das Darlehen sei zu Krisenzeiten der GmbH begründet worden. Im Jahr 2002 sei das Stammkapital der Gesellschaft zu mehr als 50% aufgezehrt gewesen. Ohne die am 18. November 2003 beschlossene Herabsetzung des Stammkapitals von 500.000 € um 400.000 € wäre die GmbH überschuldet und der Geschäftsführer zur Stellung eines Insolvenzantrages verpflichtet gewesen (vgl. Schreiben des Klägervertreters vom 25. Juni 2015). Tilgungen auf das Darlehen seien nicht erfolgt.
Der Einspruch hatte jedoch keinen Erfolg, er wurde mit Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2015 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der hiergegen eingelegten Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass aufgrund des Forderungsausfalls in Höhe von 95.000 € nachträgliche Anschaffungskosten entstanden seien und sich der im Jahr 2004 zu berücksichtigende Veräußerungsverlust entsprechend erhöhe.
Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 1. September 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2015 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb um 95.000 € vermindert werden und die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt wird.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung und führt aus, dass die Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 2004 nicht vorlägen. Insbesondere komme die Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht, da kein rückwirkendes Ereignis vorliege. In der Aufgabe des Anspruchs aus dem Besserungsschein sei kein Ereignis mit Rückwirkung zu sehen Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
II.
Die Klage ist unbegründet. Zu Recht hat das Finanzamt eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2004 vom 1. September 2006 abgelehnt. Im Streitfall sind keine nachträglichen Anschaffungskosten entstanden, die zu einer Änderung der Steuerfestsetzung führen.
1. Insbesondere liegen die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AO nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
Was unter einem rückwirkenden Ereignis zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher beschrieben, sondern richtet sich nach allgemeiner Meinung nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 19. August 2003 VIII R 67/02, BStBl II 2004, 107; BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. c der Gründe; BFH-Urteil vom 21. Dezember 1993 VIII R 69/88, BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648; vgl. BTDrucks VI/1982, S. 155).
2. Im Streitfall kann der Kläger nicht mit Erfolg einwenden, dass es sich bei dem Forderungsverzicht vom 21. November 2011 um ein rückwirkendes Ereignis handelt, das zur Entstehung nachträglicher Anschaffungskosten führt und den Veräußerungsverlust nach § 17 EStG entsprechend erhöht.
2.1. Nach § 17 Absatz 1 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1% beteiligt war. Gemäß § 17 Absatz 2 Satz 1 EStG ist Veräußerungsgewinn der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten der Anteile übersteigt.
Nach der Rechtsprechung des BFH zählen zu den Anschaffungskosten auch sonstige nachträgliche Aufwendungen auf die Beteiligung, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungskosten sind (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897 [900 ff.]; BFH-Urteile vom v. 28. Juli 1994 IV R 53/91, BStBl. II 1995, 112; vom 24. April 1997 VIII R 16/94, BStBl II 1999, 339; vom 10. November 1998 VIII R 6/96, BStBl II 1999, 348, vgl. zur Bode in DStR 2009, 1781 zur Rechtsprechung vor Einführung des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), das am 1. 11. 2008 in Kraft getreten ist). Im Fall einer Beteiligung nach § 17 EStG sind daher von den Beteiligungserträgen die durch sie veranlassten Aufwendungen abzuziehen. Der Verlust einer Darlehensforderung führt also dann zu nachträglichen Anschaffungskosten, wenn der Gesellschafter das Darlehen aus gesellschaftlichen Gründen gewährt hat.
Ein Darlehen ist durch das Gesellschaftsverhältnis u.a. dann veranlasst, wenn im Zeitpunkt seiner Gewährung oder Weitergewährung die Gesellschaft entweder konkursreif ist oder wenn die Konkursreife zwar noch nicht eingetreten ist, die Rückzahlung des Darlehens aber angesichts der finanziellen Situation der Gesellschaft in dem Maße gefährdet ist, dass ein ordentlicher Kaufmann das Risiko einer Kreditgewährung zu denselben Bedingungen wie der Gesellschafter nicht mehr eingegangen wäre (sog. Krise). Der BFH hat dies …im Anschluss an die zu kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)… hinsichtlich des Umqualifizierungsgrundes der Kreditunwürdigkeit danach beurteilt, ob die Gesellschaft unter den bestehenden Verhältnissen von einem Dritten noch einen Kredit zu marktüblichen Bedingungen erhalten hätte (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 24. April 1997 VIII R 16/94, DStR 1997, 1805). Hinsichtlich des Umqualifizierungsgrundes der Konkursreife …Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit… hat der BFH in diesem Urteil ebenfalls auf die im Zivilrecht entwickelten Grundsätze verwiesen (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1998 VIII R 6/96, BStBl II 1999, 348 und Bode in DStR 2009, 1781 m.w.N.).
2.2. Im Streitfall ist davon auszugehen, dass es sich um ein sogenanntes krisenbestimmtes Darlehen handelt. Nach der unwidersprochenen Darlegung des Klägers war das Stammkapital der GmbH im Jahr 2002 zu mehr als 50% aufgezehrt. Deshalb ist am 18. November 2003 die Herabsetzung des Stammkapitals von 500.000 € um 400.000 € beschlossen worden, wie sich im Übrigen auch aus der Bilanz der GmbH zum 31. Dezember 2003 ergibt. Die Herabsetzung des Stammkapitals um mehr als die Hälfte ist ein wesentliches Indiz für die Kreditunwürdigkeit einer GmbH (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. Dezember 1995 II ZR 281/94, GmbHR 1996, 199).
2.3. Anders als der Kläger meint, ist die Forderung aus dem Darlehen jedoch nicht erst mit der Verzichtserklärung vom 21. November 2011 ausgefallen. Vielmehr erfolgte der Ausfall der Darlehensforderung bereits mit der Verzichtsvereinbarung vom 30. Dezember 2003. Darin haben sich der Kläger und die GmbH auf das Erlöschen der Darlehensforderungen von 96.500 € geeinigt (Punkt 1 „Erlöschen von Forderungen“ der Verzichtsvereinbarung). Der Kläger hat die Darlehensforderung gegenüber der Gesellschaft mit sofortiger Wirkung erlassen (§ 397 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch-BGB), aus Sicht der Gesellschaft erlischt damit die Darlehensverbindlichkeit (vgl. BMF-Schreiben vom 16.12.2003, IV A 2 – S. 2743 – 5/03, juris web, BFH-Beschluss 9. Juni 1997 GrS 1/94, BStBl 1998 II S. 307).
Die Vereinbarung, dass die Forderung bei Eintritt der im Besserungsschein genannten Bedingungen wieder auflebt, steht dem nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 30. Mai 1990 I R 41/87, BStBl II 1991, 588). Denn der Besserungsschein stellt den Verzicht lediglich unter die auflösende Bedingung einer Vermögensverbesserung (vgl. § 158 Abs. 2 BGB). Diese Umstände liegen im Streitfall jedoch nicht vor, da gerade keine Besserung der Vermögensverhältnisse eingetreten ist. Die Verzichtserklärung vom 21. November 2011 stellt somit kein rückwirkendes Ereignis gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.

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