Steuerrecht

Ort der Akteneinsicht im finanzgerichtlichen Verfahren in Pandemiezeiten

Aktenzeichen  V B 29/20

Datum:
18.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:B.180321.VB29.20.0
Normen:
§ 78 Abs 1 FGO
§ 78 Abs 3 S 1 FGO
Art 103 Abs 1 GG
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

1. Führt das FG die Prozessakten in Papierform, wird Akteneinsicht durch Einsichtnahme in die Akten in den Diensträumen gewährt.
2. Die Übersendung von Akten in die Kanzleiräume eines Prozessbevollmächtigten zum Zwecke der dortigen Einsichtnahme bleibt auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt. Dabei ist die Entscheidung, Akteneinsicht ausnahmsweise außerhalb von Diensträumen zu gewähren, eine nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende Ermessensentscheidung des FG.
3. Hat das FG bei seiner Entscheidung die für und die gegen eine Akteneinsicht in den Kanzleiräumen sprechenden Gründe hinreichend berücksichtigt und gegeneinander abgewogen, kann sich die Versagung der Akteneinsicht in den Kanzleiräumen auch unter Berücksichtigung der besonderen Pandemielage als ermessensfehlerfrei erweisen.

Verfahrensgang

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 27. Mai 2020, Az: 5 K 81/20, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 27.05.2020 – 5 K 81/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Zusammen mit seiner Klage gegen den –im Schätzungswege ergangenen– Umsatzsteuerbescheid 2017 beantragte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), Einsicht in die Verwaltungsakten durch Übersendung in seine Kanzleiräume zu gewähren. Dies sei wegen der Corona-Epidemie geboten.
2
Das Finanzgericht (FG) verwies den Kläger am 04.05.2020 auf die hilfsweise beantragte Akteneinsicht in der Geschäftsstelle des FG und lehnte den Antrag des Klägers auf Akteneinsicht mittels Übersendung der Akten in dessen Kanzleiräume durch Beschluss vom 27.05.2020 – 5 K 81/20 ab. Auch im derzeitigen Stadium der Covid-19-Pandemie entspreche es pflichtgemäßem Ermessen, dem Kläger die den Streitfall betreffenden Akten nur in den Diensträumen des FG zur Verfügung zu stellen.
3
Nach § 78 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liege es im Ermessen des Gerichts, in eng begrenzten Ausnahmefällen Einsicht in die in Papierform geführten Akten in den Geschäftsräumen des Prozessbevollmächtigten zu gewähren. Dabei seien die gegen eine Aktenversendung sprechenden Umstände gegen die vom Antragsteller vorgetragenen, eine Ausnahme rechtfertigenden Umstände abzuwägen. Wann ein solcher Ausnahmefall vorliege, hänge von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 04.07.2019 – VIII B 51/19, BFH/NV 2019, 1235).
4
Nach den Umständen des Streitfalls sei es ermessensgerecht, dem Kläger die den Streitfall betreffenden Akten nur zur Einsichtnahme im FG zur Verfügung zu stellen:
5
Das FG verfüge über ein umfassendes Hygienekonzept, um die Gesundheit von Besuchern und Gerichtsangehörigen zu schützen. Dieses Konzept umfasse die Verpflichtung von Besuchern, innerhalb von Justizgebäuden einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln am Eingang, ein Einbahnstraßen-Wegesystem, getrennte Ein- und Ausgänge, die regelmäßige Desinfektion von Räumen und Tischen sowie die Nutzung großer, regelmäßig belüfteter Räume oder Säle für die Durchführung einer Akteneinsicht unter Aufsicht des Urkundsbeamten. Der Kläger habe weder dargetan, dass in seiner Kanzlei bessere hygienische Schutzbedingungen herrschten, noch dass er einer besonderen Risikogruppe angehöre.
6
Hinzu komme, dass die Kanzlei des Klägers weniger als 10 km vom Sitz des FG entfernt sei und sich unter dem Gerichtsgebäude ein öffentliches Parkhaus befinde. Der in unmittelbarer Nähe des FG gelegene Hauptbahnhof sei von der Kanzlei des Klägers aus ohne Umsteigen in unter 20 Minuten zu erreichen.
7
Die Sorge des Klägers wegen eines mit der Akteneinsicht im FG verbundenen Infektionsrisikos und die weiteren von ihm mitgeteilten Umstände seien nicht geeignet, eine Ausnahme vom Regelfall der Durchführung der Akteneinsicht in den Diensträumen des FG zu begründen. Die gegen eine Aktenversendung sprechenden Gründe (Gefahr von Aktenverlusten, Gefahr der Verletzung des Steuergeheimnisses, Einschränkung der Verfügbarkeit der Akten für die Bearbeitung im Gericht und die Gefahr von Aktenbeschädigungen oder -manipulationen) würden schwerer wiegen. Auch die persönliche Zuverlässigkeit des Klägers als Rechtsanwalt oder eine etwa abweichende Praxis anderer Gerichtszweige führten zu keinem anderen Ergebnis. Daneben bleibe es dem Kläger unbenommen, die Akteneinsicht erst in einigen Monaten durchzuführen. Mit der hiergegen –vom FG nicht abgeholfenen– fristgerecht erhobenen Beschwerde rügt der Kläger, die vom FG dargelegten Vorgaben zur Aktenversendung seien veraltet und entsprächen nicht mehr dem Grundgesetz.
8
Als Rechtsanwalt sei er ein Organ der Rechtspflege und Rechtsanwälte erhielten richtiger- und üblicherweise die Akten von Gerichten und Staatsanwaltschaften zugesandt.
9
Das Recht auf Akteneinsicht ergebe sich nach einer Entscheidung des FG Saarland vom 03.04.2019 – 2 K 1002/16 (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2019, 1217) aus Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung –DSGVO–).
10
Vorliegend sei auch die Corona-Pandemie zu berücksichtigen. Er, der Kläger, gehöre zu den besonders schutzbedürftigen Personen, da er Asthma habe, eine Erkrankung zu seiner Existenzgefährdung führe und seine Ehefrau sowie die beiden Kinder ebenfalls gefährdet wären. Nach den Empfehlungen der Bundesregierung und des Robert-Koch-Institutes sollten soziale Kontakte und Reisen möglichst vermieden werden.
11
Bei einer Akteneinsicht am FG sei es so, dass man unter Aufsicht in fremden Räumlichkeiten Einsicht nehmen könne. Man befinde sich nicht in seinen gewohnten Arbeitsräumen; zudem müsse man sich einmalig entscheiden, welche Seiten zu kopieren seien und welche nicht. Dieser Zustand sei rechts- und verfassungswidrig.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben