Steuerrecht

Privates Veräußerungsgeschäft nach unentgeltlicher Übertragung – grundsätzlich kein Gestaltungsmissbrauch

Aktenzeichen  IX R 8/20

Datum:
23.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.230421.IXR8.20.0
Normen:
§ 23 Abs 1 S 3 EStG 2009
§ 42 Abs 1 S 1 AO
§ 42 Abs 1 S 2 AO
§ 42 Abs 2 AO
EStG VZ 2012
Spruchkörper:
9. Senat

Leitsatz

1. § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S. von § 42 Abs. 1 Satz 2 AO; damit ist die Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO für den Fall der Veräußerung nach unentgeltlicher Übertragung grundsätzlich ausgeschlossen.
2. Hat der Steuerpflichtige die Veräußerung eines Grundstücks angebahnt, liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht vor, wenn er das Grundstück unentgeltlich auf seine Kinder überträgt und diese das Grundstück an den Erwerber veräußern; der Veräußerungsgewinn ist dann bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen zu erfassen

Verfahrensgang

vorgehend FG Nürnberg, 21. März 2019, Az: 6 K 551/17, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 21.03.2019 – 6 K 551/17 und die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 24.08.2015 aufgehoben.
Die Einkommensteuer 2012 wird unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 2012 des Beklagten vom 16.03.2015 auf den Betrag festgesetzt, der sich ohne Ansatz sonstiger Einkünfte der Klägerin aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 97.591 € ergibt.
Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen. Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Die Beteiligten streiten um die Besteuerung eines Gewinns aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und –damit zusammenhängend– um das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
2
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb mit notariell beurkundetem Vertrag im Jahr 2011 das Grundstück A-Straße in B. Der Kaufpreis betrug … €. Unter dem …2012 übertrug die Klägerin das Eigentum an ihrem Grundstück unentgeltlich jeweils zu hälftigem Miteigentum auf ihren volljährigen Sohn und ihre volljährige Tochter (Beigeladene zu 1. und 2.). Mit notariell beurkundetem Vertrag vom selben Tag verkauften die Beigeladenen das Grundstück an Z. Der Kaufpreis betrug … €. Er wurde nach § 3 des Vertrags je zur Hälfte an die Beigeladenen ausgezahlt. Die Verkaufsverhandlungen mit Z waren allein von der Klägerin geführt worden.
3
In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr (2012) erklärte die Klägerin keinen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) überprüfte im Rahmen einer betriebsnahen Veranlagung die Angaben der Klägerin. Das FA sah in der Schenkung an die Beigeladenen einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S. von § 42 AO; der Veräußerungsgewinn sei der Klägerin zuzurechnen. Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 05.03.2014 setzte das FA daher sonstige Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft in Höhe von 97.591 € an. Die Klägerin legte gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2012 erfolglos Einspruch ein. Am 04.04.2014 und am 16.03.2015 erließ das FA aus nicht streitigen Gründen geänderte Einkommensteuerbescheide für das Streitjahr.
4
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 21.03.2019 – 6 K 551/17 als unbegründet ab. Die Erfassung des privaten Veräußerungsgeschäfts bei der Klägerin entspreche der Besteuerung einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung. Es habe ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vorgelegen. Die Klägerin sei bei der Verkaufsanbahnung tätig geworden, habe aber unmittelbar vor dem Verkauf an die von ihr gefundenen Käufer –statt an diese zu verkaufen– das Grundstück auf ihre Kinder übertragen. Dadurch habe sie die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns bei sich vermieden. § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG sei nicht als spezielle Missbrauchsvorschrift anzusehen, die einer Anwendung des § 42 AO vorgehe. Die Wahl der unangemessenen rechtlichen Gestaltung habe bei der Klägerin im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil in Höhe von 14.186 € geführt. Die Klägerin habe für die gewählte Gestaltung auch keine außersteuerlichen Gründe nachgewiesen, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich seien.
5
Mit ihrer Revision trägt die Klägerin im Wesentlichen vor, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt und gegen das Gebot rechtlichen Gehörs verstoßen. Der Veräußerungsgewinn sei vom FG fehlerhaft ihr und nicht den Beigeladenen zugerechnet worden. Ein Gestaltungsmissbrauch liege nicht vor. Für § 42 AO sei kein Raum, wenn der Steuerpflichtige einen vom Gesetz vorgezeichneten Weg gewählt habe. Dies sei hinsichtlich einer unentgeltlichen Rechtsnachfolge und Weiterveräußerung durch den Beschenkten nach § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG der Fall. Ihr habe zudem jegliche Missbrauchsabsicht gefehlt. Es stehe ihr frei, ihre Verhältnisse im Rahmen des rechtlich Möglichen so einzurichten, dass sich für sie eine möglichst geringe steuerliche Belastung ergebe.
6
Die Klägerin beantragt,das Urteil des FG Nürnberg vom 21.03.2019 – 6 K 551/17 aufzuheben und die Einkommensteuer unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2012 vom 16.03.2015 und der Einspruchsentscheidung vom 24.08.2015 auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn im Veranlagungszeitraum 2012 bei der Klägerin keine sonstigen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 97.591 € angesetzt werden,hilfsweise für den Fall, dass der Bundesfinanzhof (BFH) die Sache nicht für spruchreif halten sollte, die Sache an einen anderen Senat des FG zur anderweitigen Entscheidung zurückzuverweisen.
7
Das FA beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
8
Das FG habe zutreffend entschieden, dass ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vorliege und der Veräußerungsgewinn bei der Klägerin zu erfassen sei. Bei § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG handele es sich nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht um eine steuerliche Umgehungsvorschrift, die der Anwendung des § 42 AO vorgehe. § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG begründe kein Wahlrecht, bei welchem Steuerpflichtigen der Veräußerungsgewinn zu versteuern sei und erlaube auch nicht ein unbeschränktes Verschieben von Veräußerungsgewinnen. Die zwischen den Erwerb und die Veräußerung geschaltete Schenkung sei unangemessen, wenn sie lediglich dazu diene, ein steuerbares Veräußerungsgeschäft zu vermeiden. Es seien vom FG keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe festgestellt worden.
9
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.


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