Steuerrecht

Sachaufklärungspflicht des FG bei Ermittlung des Anteilswerts einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft

Aktenzeichen  II R 5/19

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2020:U.021220.IIR5.19.0
Normen:
§ 162 AO
§ 76 Abs 1 FGO
§ 11 Abs 2 BewG 1991 vom 24.12.2008
§ 198 S 2 BewG 1991 vom 24.12.2008
§ 199 Abs 2 BewG 1991 vom 24.12.2008
§ 200 BewG 1991 vom 24.12.2008
§ 412 Abs 1 ZPO
§ 96 Abs 1 S 1 Halbs 1 FGO
§ 82 FGO
§ 138 Abs 4 S 1 BewG 1991 vom 13.12.2006
Spruchkörper:
2. Senat

Leitsatz

1. Für die Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft hat allein der Steuerpflichtige die Wahl zwischen einem individuellen Ertragswertverfahren nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG und der Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach §§ 199 ff. BewG.
2. Kann sich das FG auf Grundlage der Wertermittlung des Steuerpflichtigen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG keine ausreichende Überzeugung von dem gemeinen Wert des Anteils bilden, hat es von Amts wegen geeignete Maßnahmen zur Sachaufklärung zu ergreifen, um den gemeinen Wert zu ermitteln. Die Wertermittlung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren stellt keine Auffangmethode dar.

Verfahrensgang

vorgehend FG Düsseldorf, 12. Dezember 2018, Az: 4 K 108/18 F, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 12.12.2018 – 4 K 108/18 F aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Düsseldorf zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.
1
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Ehefrau und Erbin des Erblassers, der am 01.01.2011 verstarb.
2
Der Erblasser war mit einem Geschäftsanteil von circa 17 % Gesellschafter einer GmbH, die insbesondere Kapitalvermögen für Anleger verwaltete. Weitere Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH waren u.a. der –am Todestag des Erblassers 64-jährige– B sowie C. Aufgrund von Gesellschafterbeschlüssen hatten die Gesellschafter B und C Sondergewinnbezugsrechte, sodass dem Erblasser im Ergebnis nur etwa 15 % des Gewinns der GmbH zustand.
3
Im Anschluss an eine Außenprüfung stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) mit einem der Klägerin gegenüber ergangenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Werts des Anteils an einer Kapitalgesellschaft auf den 01.01.2011 für Zwecke der Erbschaftsteuer (Feststellungsbescheid) vom 08.10.2015 im vereinfachten Ertragswertverfahren den Wert der GmbH auf den 01.01.2011 mit … € und den Wert des Anteils des Erblassers mit … € fest.
4
Ihren Einspruch begründete die Klägerin damit, dass die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führe. Sie übersandte eine gutachterliche Stellungnahme eines Wirtschaftsprüfers vom 01.03.2016, in der der Wert des Anteils des Erblassers an der GmbH mit … € beziffert wird. Der Unternehmenswert wird darin unter Anwendung des Ertragswertverfahrens entsprechend den “Grundsätzen zur Durchführung von Unternehmensbewertungen” des Instituts der Wirtschaftsprüfer Standard 1 (IDW S 1) durch Abzinsung der künftigen finanziellen Überschüsse ermittelt. Der Wirtschaftsprüfer weist darauf hin, dass es sich nicht um ein vollständiges Unternehmensbewertungsgutachten nach IDW S 1 handele. Für eine solche Begutachtung seien Unterlagen und Informationen über die GmbH (u.a. Branchen- und Wettbewerbsanalysen, vertiefende Plausibilitätsbeurteilungen) erforderlich, welche die Klägerin als Minderheitsgesellschafterin aber selbst unter Ausnutzung aller ihr aus dem Gesellschaftsrecht eingeräumten Auskunftsrechte nicht beschaffen könne. Die Ertragsprognose basiere im Wesentlichen auf den historischen Jahresergebnissen, die angepasst worden seien. Konkret erstellte Planungsrechnungen hätten nicht zur Verfügung gestanden. Außerdem werde in der Ertragsprognose berücksichtigt, dass die GmbH wegen ihrer hohen Personenbezogenheit auf B nur noch zeitlich begrenzt finanzielle Überschüsse erwirtschaften werde. Schließlich sei bei Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes im Rahmen des Risikozuschlags ein Betafaktor von 1,3 angesetzt worden.
5
Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 11.12.2017 als unbegründet zurück.
6
Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) hatte teilweise Erfolg. Das FG war der Ansicht, die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens führe im Streitfall nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen. Das FA habe lediglich zu Unrecht die den Gesellschaftern zustehenden Sondergewinnbezugsrechte nicht berücksichtigt. Die von der Klägerin vorgelegte gutachterliche Stellungnahme des Wirtschaftsprüfers lasse hingegen keine weitere Herabsetzung des Werts zu. Sie verstoße gegen das Stichtagsprinzip und sei daher nicht verwertbar. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 406 veröffentlicht.
7
Mit ihrer Revision macht die Klägerin eine Verletzung von § 11 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) und § 199 Abs. 1 BewG sowie einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) und gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) wegen Nichtberücksichtigung der gutachterlichen Stellungnahme geltend.
8
Die Klägerin beantragt,die Vorentscheidung aufzuheben und den Feststellungsbescheid vom 08.10.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.12.2017 dahingehend zu ändern, dass der Wert des Anteils des Erblassers an der GmbH auf den 01.01.2011 mit … € festgestellt wird.
9
Das FA beantragt,die Revision als unbegründet abzuweisen.


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