Steuerrecht

(Umstellung einer vorbeugenden Unterlassungsklage in eine Feststellungsklage; Androhung eines Auskunftsersuchens nach § 93 Abs. 1 AO)

Aktenzeichen  X R 25/19

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.140421.XR25.19.0
Normen:
§ 93 Abs 1 S 1 AO
§ 93 Abs 1 S 3 AO
§ 162 Abs 2 S 2 AO
§ 41 Abs 1 FGO
§ 41 Abs 2 S 1 FGO
§ 76 Abs 1 S 1 FGO
§ 100 Abs 1 S 4 FGO
§ 114 FGO
§ 118 S 1 AO
§ 200 Abs 1 S 2 AO
Spruchkörper:
10. Senat

Leitsatz

1. Eine vorbeugende Unterlassungsklage kann nach ihrer Erledigung als Feststellungsklage zulässig bleiben, wenn es prozessökonomisch sinnvoll ist, die maßgebliche Rechtsfrage in dem bereits anhängigen und aufwändig betriebenen Verfahren zu klären. Der Kläger ist trotz Schaffung vollendeter Tatsachen in dem noch nicht rechtskräftig entschiedenen Verfahren zu halten.
2. Gegen die Androhung eines Auskunftsersuchens an Dritte gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 AO ist sowohl eine vorbeugende Unterlassungsklage als auch einstweiliger Rechtsschutz nach § 114 FGO möglich.
3. Ein Auskunftsersuchen der Finanzbehörde gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 AO ist bereits möglich, wenn es aufgrund konkreter Umstände angezeigt ist, weitere Auskünfte auch bei Dritten einzuholen.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 14. März 2019, Az: 9 K 9069/18, Urteil

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.03.2019 – 9 K 9069/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Apotheke. Neben Erlösen, die sie über die GmbH (Rezeptabrechnungsstelle) abrechnete, überwiesen Kunden Beträge auf ihr Bankkonto. Darüber hinaus erzielte die Klägerin Bareinnahmen aus Rezeptzuzahlungen und dem freien Verkauf von Waren.
2
Im Rahmen einer 2017 begonnenen Außenprüfung für die Jahre 2013 bis 2015 führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) eine Verprobung der Rohgewinnsätze für die Freiwahl- und Sichtwahlartikel durch. Dabei stellte die Prüferin Differenzen für die Jahre 2014 und 2015 fest, die u.a. aus den von ihr lediglich geschätzten Werten für die Aufteilung der Umsätze aus den Kassenrezepten (verschreibungspflichtig/nicht verschreibungspflichtig) herrühren könnten. Das FA forderte die Klägerin deshalb zur Vorlage der Daten der Rezeptabrechnungsstelle für jedes einzelne Rezept in digitaler Form auf. Da die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, wiederholte das FA seine Aufforderung und kündigte an, die einzelnen Rezepte unmittelbar bei der Rezeptabrechnungsstelle anzufordern, wenn die Klägerin die Unterlagen nicht vorlege. Auch dieser wiederholten Aufforderung ist die Klägerin nicht nachgekommen.
3
Sie stellte beim Finanzgericht (FG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Feststellung der Unzulässigkeit des angekündigten Auskunftsersuchens an die Rezeptabrechnungsstelle. Diesen verwarf das FG als unzulässig. Das beabsichtigte Auskunftsersuchen an die Rezeptabrechnungsstelle stelle einen Verwaltungsakt dar, gegen den sich die Klägerin durch Einlegung eines Einspruchs wenden könne, so dass sie des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht bedürfe. Auch könne das FG keine Untersagungsanordnung aussprechen, da dies eine endgültige Regelung darstelle.
4
Die Klägerin erhob daraufhin Sprungklage “wegen Androhung eines Auskunftsersuchens bei einem Dritten”. Weil das FA seine Zustimmung hierzu verweigert hatte, wurde die Sprungklage als Einspruch behandelt. Das FA verwarf diesen als unzulässig, da kein Verwaltungsakt vorliege. Die hiergegen erhobene Klage wegen des “beabsichtigten Auskunftsersuchens” sah das FG zwar als zulässig an, da es sich um eine vorbeugende Unterlassungsklage handele. Die Klage sei aber unbegründet (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2019, 1430).
5
Während des Revisionsverfahrens hat das FA das angekündigte Auskunftsersuchen an die Rezeptabrechnungsstelle versandt; diese hat dem FA zwischenzeitlich einen Datenträger übermittelt.
6
Die Klägerin macht im Rahmen des Revisionsverfahrens die Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensmängel geltend. Aufgrund der zwischenzeitlich eingeholten Auskünfte sei die Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umzustellen. Dies müsse auch bei einer vorbeugenden Unterlassungsklage möglich sein, da ansonsten das FA, obwohl das FG die Revision zugelassen habe, eine endgültige gerichtliche Entscheidung verhindern könne. Das Feststellungsinteresse ergebe sich bereits aus der Qualifikation des Gewerbebetriebs der Klägerin als Großbetrieb und der damit verbundenen Prüfungsdichte. Das Auskunftsersuchen sei, da die Buchführung nur unwesentliche Mängel aufweise, ebenso wie die Schätzung unzulässig gewesen. Die Differenzen seien allein Folge eines fehlerhaften Aufbaus der Kalkulation, der falschen Würdigung der Dateien und der mangelnden Kenntnisse des FA bezüglich der für Apotheken geltenden Abrechnungsvorschriften. Unstreitig seien sämtliche von der Rezeptabrechnungsstelle an die Klägerin geflossene Zahlungen in der Buchführung erfasst worden. Darüber hinaus komme der vom FA begehrten Aufteilung nach rezeptpflichtigen und nicht rezeptpflichtigen Medikamenten keine Relevanz für die Besteuerungsgrundlagen der Klägerin zu. Auch lasse sich die vom FA errechnete Differenz durch das beabsichtigte Auskunftsersuchen nicht beseitigen. Dies habe sich im Übrigen im weiteren Verlauf der Prüfung nach der Übermittlung des Datenträgers durch die Rezeptabrechnungsstelle bestätigt.
7
Gerügt wird auch ein Verstoß des FG gegen dessen Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO, da die benannten Zeugen nicht zu dem von der Klägerin bezeichneten Thema vernommen worden seien.
8
Die Klägerin beantragt,das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, dass die Androhung eines Auskunftsersuchens bei der Rezeptabrechnungsstelle rechtswidrig war.
9
Das FA beantragt,die Revision zurückzuweisen.
10
Da das FA das entsprechende Auskunftsersuchen inzwischen an die Rezeptabrechnungsstelle gestellt habe, sei die vorbeugende Unterlassungsklage unzulässig geworden. Durch diese Einholung des angedrohten Auskunftsersuchens habe sich das Klageverfahren erledigt. Da die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO auf Verwaltungsakte beschränkt sei, komme sie bei der vorliegenden Unterlassungsklage nicht in Frage.
11
Das FA sei im Übrigen gemäß § 93 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) berechtigt gewesen, ein schriftliches Auskunftsersuchen an die Rezeptabrechnungsstelle zu richten. Da die Rohgewinne I und II in allen Prüfungsjahren unterhalb der veröffentlichten Richtsätze gelegen hätten und von Jahr zu Jahr gesunken seien, sei ein Anlass für Ermittlungen der Prüferin vorhanden gewesen. Erst durch die Verprobung der Rohgewinnaufschlagsätze für die Freiwahl- und Sichtwahlartikel anhand der angeforderten Rezeptdaten lasse sich nachprüfen, ob deren Umsätze vollständig erfasst worden seien.
12
Das FA sei auch nicht erst bei feststehenden Buchführungsmängeln zur Einholung der Auskünfte bei Dritten berechtigt. Es genüge vielmehr, wenn aufgrund konkreter Umstände oder allgemeiner Erfahrungen ein Auskunftsersuchen angezeigt sei.


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