Aktenzeichen M 16 K 20.278
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb der Klagefrist von einem Monat gemäß § 74 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erhoben. Die Klage ist aber nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Rechtsgrundlage für die Untersagung des von der Klägerin ausgeübten Gewerbes ist § 35 Abs. 1 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO). Danach ist die Ausübung eines Gewerbes ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebs beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.
a) Die Beklagte ist zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klä gerin ausgegangen, weil sich diese mit Herrn W. eines unzuverlässigen Geschäftsführers bedient.
Die Klägerin ist als juristische Person mit eigener Rechtspersönlichkeit selbst Gewerbetreibende i.S.d. § 35 GewO. Hinsichtlich der gewerberechtlichen Untersagungsgründe ist zu unterscheiden zwischen den Gründen, die eine juristische Person selbst verwirklichen kann, und denjenigen, die ein Handeln oder Unterlassen natürlicher Personen voraussetzen, also die Zuverlässigkeit der vertretungsberechtigten Organe betreffen. Soweit sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit der Gesellschaft aus ihrer wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit ergeben kann, kommt es nur auf die Vermögensverhältnisse und Verbindlichkeiten der Gesellschaft selbst an, nicht jedoch auf die Verbindlichkeiten ihres Geschäftsführers. Denn weder hat die Gesellschaft für dessen Verbindlichkeiten einzustehen, noch hat umgekehrt das wirtschaftliche Leistungsvermögen ihres Geschäftsführers unmittelbare Bedeutung für die Bonität der Gesellschaft. Allerdings sind der Gesellschaft diejenigen Unzuverlässigkeitsgründe in der Person ihres Geschäftsführers als vertretungsberechtigtes Organ nach §§ 5a, 6 Abs. 1, 35 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) zuzurechnen, die sich aus dessen Pflichtverletzungen als Geschäftsführer ergeben (BayVGH, U.v. 14.8.2014 – 22 B 14.880 – juris; BayVGH, B.v. 17.1.2012 – 22 CS 11.1972 – juris).
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung ergeben (BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – BVerwGE 65, 9 ff).
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes nach § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, wie eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – BVerwGE 65, 9 ff).
Aus dem ausschließlich sicherheitsrechtlichen, zukunftsbezogenen Regelungszweck von § 35 GewO folgt, dass es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände nicht ankommt (BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris). Dies bedeutet aber nicht, dass die die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände bei rechtswidrigem Verhalten des Gewerbetreibenden ausnahmslos in jedem Fall bejaht werden können, ohne dass hierbei die Frage in den Blick genommen würde, inwieweit Pflichtverletzungen vorsätzlich bzw. fahrlässig begangen wurden. Ist ein strafrechtlich geahndetes persönliches Fehlverhalten des Gewerbetreibenden Anlass für die Prüfung einer Gewerbeuntersagung, so kann die Prüfung, ob sich der Gewerbetreibende künftig erneut falsch verhalten und damit die Allgemeinheit oder die im Betrieb Beschäftigten gefährden wird, regelmäßig nicht zutreffend beurteilt werden, ohne zum einen die Gründe für das Verhalten des Gewerbetreibenden zu kennen und zum anderen zu berücksichtigen, ob sich der Betreffende der Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens bewusst war (BayVGH, B.v. 20.7.2016 -22 ZB 16.284 – juris).
Nicht das Strafurteil, sondern das Verhalten des Gewerbetreibenden, das zu dem Urteil geführt hat, kann eine Gewerbeuntersagung erfordern (BVerwG, B.v. 23.5.1995 – 1 B 78/95 – juris). Die Gewerbebehörden und Verwaltungsgerichte müssen sich selbst davon überzeugen, welcher Sachverhalt einer Strafe zugrunde gelegen hat – wobei sie in der Regel von den tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts ausgehen dürfen -, und in eigener Verantwortung prüfen, ob die der Bestrafung zugrunde liegenden Tatsachen eine Verneinung der Zuverlässigkeit rechtfertigen (BVerwG, B.v. 26.2.1997 – 1 B 34/97 – juris). Dabei kann sich die von der Behörde anzustellende Prognose, wonach der Gewerbetreibende auf Grund der für die Vergangenheit festgestellten Verstöße auch für die Zukunft als unzuverlässig gilt, schon auf eine erhebliche gewerbebezogene Straftat stützen (OVG NW, B.v. 16.6.2016 – 4 B 1401/15 – juris). Nach ständiger Rechtsprechung kann aber auch eine Vielzahl kleinerer Gesetzesverletzungen, die, jeweils für sich betrachtet, noch keine ausreichende Grundlage für eine Gewerbeuntersagung bieten würden, in ihrer Häufung eine solche Maßnahme rechtfertigen, wenn sie einen Hang zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften erkennen lassen (Marcks in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Stand Februar 2020, § 35 Rn. 38 m.w.N.).
Die Beantwortung der Frage, ob länger zurückliegende Straftaten einem Gewerbetreibenden im Rahmen eines Untersagungsverfahrens nach § 35 GewO noch entgegengehalten werden dürfen, hat auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller einschlägigen Umstände zu erfolgen, in die namentlich die Art und die Umstände der Delikte sowie die Entwicklung der Persönlichkeit des Betroffenen einzubeziehen sind (BayVGH, B.v. 5.3.2014 – 22 ZB 12.2174 – juris).
Nach diesen Maßstäben rechtfertigt sich die negative Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit der Klägerin aus dem Verhalten ihres Geschäftsführers Herrn W. Die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers Herrn W. ergibt sich bereits daraus, dass er ausweislich der Eintragung im Vollstreckungsportal die Vermögensauskunft nicht abgegeben hat. Hieraus wird deutlich, dass er die zur Erfüllung der ihm im Vollstreckungsverfahren obliegenden Pflicht, seinen Gläubigern den notwendigen Überblick über seine Vermögensverhältnisse zu verschaffen, freiwillig nicht bereit und daher leistungsunwillig ist (BayVGH, B.v. 28.8.2013 – 22 ZB 13.1419 – juris). Unabhängig davon ergibt sich die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers Herrn W. aus dessen Verhalten, wie es vom Amtsgericht … festgestellt wurde und den im Zeitpunkt des Bescheidserlasses rechtskräftigen Verurteilungen wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen, räuberischen Diebstahls sowie vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zugrunde liegt. Die den Verurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalte sind, auch wenn es sich nicht um Taten mit Gewerbebezug handelt, geeignet, die negative Prognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Herrn A. zu begründen. Die Vielzahl der Gesetzesverletzungen, die im vorliegenden Fall zum größeren Teil von erheblichem Gewicht sind, lassen auf einen Charakter des Geschäftsführers Herrn W. im Hinblick auf die Nichtachtung der Rechtsordnung schließen. Dies trägt – auch wenn seit Begehung der Taten inzwischen mehrere Jahre vergangen sind – die negative Zuverlässigkeitsprognose hinsichtlich seiner Person. Indem sich die Klägerin mit Herrn W. eines unzuverlässigen Geschäftsführers bedient hat, hat auch sie sich als gewerberechtlich unzuverlässig erwiesen.
b) Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung des Gewerbes bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zu untersagen. Ein Ermessensspielraum steht der zuständigen Behörde insoweit grundsätzlich nicht zu. In Anbetracht der Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers der Klägerin, die sich aus dessen Verhalten sowohl im Hinblick auf die Nichtabgabe der Vermögensauskunft als auch bei Begehung einer Vielzahl von Straftaten ergibt, war die Untersagung der Gewerbeausübung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich.
c) Die Gewerbeuntersagung ist nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen kann (BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen extremen Ausnahmefalls sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
2. Rechtsgrundlage für die Erweiterung der Gewerbeuntersagung auf die Ausübung jeglicher gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe ist § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO. Danach kann die Untersagung auch auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Gewerbe unzuverlässig ist.
a) Die Beklagte hat aus überzeugenden Gründen eine gewerbeübergreifende Unzu verlässigkeit der Klägerin angenommen.
Eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Gewerbetreibende Verpflichtungen verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur einen Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies ist beispielsweise bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen der Fall (BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – juris; U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – BVerwGE 65, 9 ff).
Indem sich die Klägerin eines Geschäftsführers bediente, der im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses sowohl aufgrund der Nichtabgabe der Vermögensauskunft als auch aufgrund des sich aus der Vielzahl von Verurteilungen ergebenden Charakters als unzuverlässig anzusehen ist und dessen Unzuverlässigkeit sich auf Pflichten bezieht, die für jeden Gewerbetreibenden gelten, ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die Klägerin auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes eines unzuverlässigen Geschäftsführers bedienen würde.
b) Die Erstreckung der Gewerbeuntersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten ist auch erforderlich.
Erforderlich ist die Erstreckung der Gewerbeuntersagung, wenn zu erwarten ist, dass der Gewerbetreibende auf entsprechende andere gewerbliche Tätigkeiten ausweichen wird. Dabei folgt die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festgehalten hat, wodurch er regelmäßig seinen Willen bekundet hat, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt, eine anderweitige Gewerbeausübung nach Lage der Dinge also ausscheidet (BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – BVerwGE 65, 9 ff). Solche besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall weder vorgetragen noch ersichtlich.
c) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, § 114 Abs. 1 VwGO.
Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO steht im Ermessen der Behörde. Ist ein Gewerbetreibender in Bezug auf andere – nicht ausgeübte – gewerbliche Betätigungen unzuverlässig und ist die Untersagung auch hinsichtlich dieser Betätigungen erforderlich, so ist eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch macht, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll (BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – BVerwGE 65, 9 ff). Eine Ermessenserwägung dieser Art lässt sich der angefochtenen Untersagungsverfügung entnehmen.
d) Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung ist auch nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Ausschluss eines gewerbeübergreifend unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung durch Art. 12 Grundgesetz in Einklang steht. Sind die Voraussetzungen auch der erweiterten Gewerbeuntersagung erfüllt, kann die Untersagung grundsätzlich nicht hinsichtlich der Folgen unverhältnismäßig sein (BVerwG, B.v. 12.1.1993 – 1 B 1/93 – juris).
3. Hinsichtlich der Bemessung der Frist zur Einstellung der Gewerbeausübung und hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.