Steuerrecht

Wohnungsdurchsuchung zur Sicherstellung von Waffen und waffenrechtlicher Erlaubnisse – Durchsuchung eines Kraftfahrzeugs

Aktenzeichen  M 7 E 16.5979

Datum:
2.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 13 Abs. 1, Abs. 2, Art. 103 Abs. 1
BayVwZVG BayVwZVG Art. 3 Abs. 2, Art. 19 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Art. 30 Abs. 1, Art. 36, Art. 37 Abs. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1
WaffG WaffG § 10 Abs. 1, § 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 28 Abs. 1
ZPO ZPO § 180
VwGO VwGO § 14

 

Leitsatz

1 Rechtsgrundlage für die Durchsuchung einer Wohnung zur Sicherstellung von Schusswaffen und waffenrechtlicher Erlaubnisse nach Ablauf der zur Erfüllung der Rückgabepflicht eingeräumten Fristen ist Art. 37 Abs. 3 S. 1 BayVwZVG. Die richterliche Anordnung zu dieser Durchsuchung setzt voraus, dass die dementsprechenden Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Wohnungsdurchsuchung ist ohne vorherige Androhung zulässig, wenn die Sicherung gefährdeter Interessen in einer besonderen Gefahrenlage einen sofortigen Zugriff erforderlich macht. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn die Durchsuchung der Erfüllung waffenrechtlicher Pflichten dient und die Bemühungen der Behörde um eine freiwillige Einhaltung dieser Pflichten erfolglos geblieben sind. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Durchsuchung eines Kraftfahrzeugs unterliegt nicht dem Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG. Insofern genügt die allgemeine Befugnis der Waffenbehörde nach Art. 30 Abs. 1 BayVwZVG, ihren Verwaltungsakt selbst zu vollstrecken, bei Anwendung unmittelbaren Zwangs nach Art. 37 Abs. 2 BayVZVG mit Hilfe der Polizei (Parallelentscheidung VG München BeckRS 2016, 52036). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners in der … Str., … einschließlich vorhandener Keller- und Garagenräume durch Bedienstete des Antragstellers und Polizeibeamte wird gestattet. Verschlossene Türen und Behältnisse dürfen geöffnet werden. Die Gestattung gilt sechs Monate ab Beschlussdatum und nur für die zwangsweise Sicherstellung der Waffenbesitzkarten Nr. … und … sowie der folgenden Waffen und im Besitz des Antragsgegners befindlicher Munition:
Art Hersteller Kaliber Herst.Nr.
… … … …
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtsgebührenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Sicherstellung der Waffenbesitzkarten des Antragsgegners sowie der hierin eingetragenen Schusswaffen samt Munition.
Nachdem der Jagdschein des Antragsgegners am 31. März 2013 abgelaufen war und der Antragsgegner auch kein waffenrechtliches Bedürfnis als Sportschütze nachgewiesen hatte, wiederrief das Landratsamt München mit Bescheid vom 29. Juni 2016 die Waffenbesitzkarten des Antragsgegners und gab ihm unter Anordnung des Sofortvollzuges auf, spätestens einen Monat nach Zustellung des Bescheides die waffenrechtlichen Erlaubnisse dem Landratsamt zu übergeben und die in seinem Besitz befindlichen Waffen und Munition an einen Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar zu machen und dem Landratsamt dies nachzuweisen. Für den Fall dass er die Waffenbesitzkarten nicht fristgemäß abgebe, wurde dem Antragsgegner ein Zwangsgeld in Höhe von 250,- EUR für jedes zu übergebende Dokument angedroht. Der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehene Bescheid wurde ihm laut Postzustellungsurkunde am 2. Juli 2016 durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt.
Der Antragsgegner erhob weder Klage noch erfüllte er seine Verpflichtungen aus dem bestandskräftigen Bescheid. Mit Schreiben vom 8. September 2016, förmlich zugestellt am 13. September 2016, forderte das Landratsamt den Antragsgegner auf, das fällige Zwangsgeld zu bezahlen. Weiter setzte es ihm eine erneute Frist bis zum 12. Oktober 2016, um seinen waffenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, und kündigte widrigenfalls die Sicherstellung der Waffen und der Dokumente an. Der Antragsgegner reagierte weder hierauf noch auf zwei weitere Aufforderungen mit erneuten Fristsetzungen und Zwangsgeldforderungen, förmlich zugestellt am 17. Oktober 2016 und am 19. November 2016. Mit Bescheid vom 10. Januar 2017, förmlich zugestellt am 14. Januar 2017, setzte der Antragsteller das Zwangsgeld aus dem Bescheid vom 16. November 2016 fest, drohte dem Antragsgegner jeweils unter Fristsetzung von einem Monat nach Zustellung des Bescheides erneut ein Zwangsgeld hinsichtlich der Rückgabe der Waffenbesitzkarten sowie die Sicherstellung der Dokumente und der Waffen an. Auch hierauf erfolgte seitens des Antragsgegners keine Reaktion.
Am 21. Februar 2017 beantragte der Antragsteller bei Gericht,
die Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners in einem Mehrfamilienhaus in der … Str., … …, zum Zwecke der Sicherstellung der Originaldokumente der Waffenbesitzkarten Nr. … … und … sowie der vorhandenen Waffen samt Munition und eine Ermächtigung der Mitarbeiter des Landratsamtes, ggf. unter Mithilfe der Polizei, alle verschlossenen Türen, Räume (auch ggf. vorhandene Keller- und Garagenräume) sowie Behältnisse zu diesem Zweck zu öffnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsgegner sei seinen waffenrechtlichen Verpflichtungen aus dem seit 3. August 2016 vollstreckbaren Widerrufsbescheid trotz vier weiterer Zwangsmittelandrohungen nicht nachgekommen. Nachdem auch die Verpflichtung zur Zahlung von Zwangsgeld den Antragsgegner hierzu nicht habe bewegen können, müsse davon ausgegangen werden, dass er dazu nicht bereit sei. Der Durchsuchungsbeschluss sollte auch das auf den Antragsgegner zugelassene Kraftfahrzeug umfassen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird gem. § 117 Abs. 3 VwGO analog auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung nach Art. 13 Abs. 2 GG ist zulässig und begründet.
Der Antrag ist statthaft. Im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 und 2 GG dürfen Wohnungsdurchsuchungen außer bei Gefahr in Verzug nur auf der Grundlage einer richterlichen Anordnung erfolgen (vgl. BVerfG, B. v. 3. April 1979 – 1 BvR 994/76 – juris Rn 24 ff. m.w.N., Rn 51 u. B. v. 16. Juni 1981 – 1 BvR 1094/80 – juris Rn 38 und BayVGH, B. v. 23. Februar 2000 – 21 C 99.1406 – juris Rn 24).
Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Aus Art. 13 Abs. 2 GG folgt für den Prüfungsmaßstab und -umfang, dass die sich aus der Verfassung und dem einfachen Recht ergebenden Voraussetzungen der Durchsuchung als solche in richterlicher Unabhängigkeit geprüft werden müssen (BVerfG, B. v. 16. Juni 1981 – 1 BvR 1094/80 – juris Rn 41; BayVGH, B. v. 23. Februar 2000 – 21 C 99.1406 – juris Rn 25). Notwendig und ausreichend ist es daher zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme vorliegen und ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, insbesondere ob die zu vollstreckende Maßnahme den schwerwiegenden Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung rechtfertigt (BayVGH, aaO, Rn 25 m.w.N.).
Rechtsgrundlage für die Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners zur Sicherstellung der Schusswaffen und der waffenrechtlichen Erlaubnisse gem. § 10 Abs. 1 WaffG nach fruchtlosem Ablauf der zur Erfüllung der Rückgabepflicht eingeräumten Fristen ist Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG.
Der mit einer richtigen Rechtsbehelfsbelehrung:versehene Widerrufsbescheid vom 29. Juni 2016 ist bestandskräftig, da er dem Antragsgegner gem. Art. 3 Abs. 2 VwZVG i.V.m. § 180 ZPO durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten wirksam zugestellt worden ist und der Antragsgegner keine Klage erhoben hat. Der Bescheid ist gem. Art. 19 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG vollstreckbar. Die hierin bzw. in den nachfolgenden Bescheiden gesetzten Fristen, innerhalb derer der Antragsgegner die waffenrechtlichen Erlaubnisse gem. § 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG zurückzugeben und die Waffen gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG entweder an einen Berechtigten abzugeben oder unbrauchbar zu machen und dies nachzuweisen hatte, sind abgelaufen (vgl. Art. 19 Abs. 2 VwZVG). Die ihm gesetzten Fristen waren jeweils angemessen im Sinne von Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG.
Auch die weiteren Vollstreckungsvoraussetzungen sind gegeben. Eine vorangehende Androhung der Wohnungsdurchsuchung (Art. 36 VwZVG) bzw. Anhörung des Antragsgegners (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG) ist entbehrlich. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann in besonderen Gefahrenlagen einen sofortigen Zugriff notwendig machen, der die vorherige Anhörung ausschließt. In diesen Fällen ist eine Verweisung des Betroffenen auf eine nachträgliche Anhörung mit dem Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) vereinbar (BVerfG, B. v. 16. Juni 1981 – 1 BvR 1094/80 – juris Rn 52 ff.). In Anbetracht der mehrmonatigen erfolglosen Bemühungen des Antragstellers, den Antragsgegner zu einer freiwilligen Erfüllung seiner waffenrechtlichen Verpflichtungen zu bewegen, ist davon auszugehen, dass er die Waffen und die waffenrechtliche Erlaubnisse nicht freiwillig herausgibt bzw. den dann erforderlichen Zugriff auf sie unmöglich macht.
Schließlich verstößt die Wohnungsdurchsuchung auch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Nach Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG sind die mit der Durchführung des Verwaltungszwangs beauftragten Bediensteten der Vollstreckungsbehörde und Polizeibeamten befugt, die Wohnung des Pflichtigen zu betreten und verschlossene Türen und Behältnisse zu öffnen, soweit der Zweck der Vollstreckung dies erfordert. Angesichts der erheblichen Gefahren, die von einsatzbereiten Waffen in der Hand von waffenrechtlich unzuverlässigen bzw. unberechtigten Personen ausgehen, hat der Antragsgegner Einschränkungen seines Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung des Art. 37 Abs. 3 Satz 1 VwZVG hinzunehmen. Zwar werden die Bediensteten des Antragstellers bzw. der Polizei, bevor sie mit der Durchsuchung beginnen, von dem Antragsgegner die Waffen und die Waffenbesitzkarten herausverlangen. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Durchsuchung zu beenden, sobald der Antragsgegner jene freiwillig herausgeben sollte (Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwVZG). Tritt dieser Fall jedoch nicht ein, so bleibt keine andere Möglichkeit, als seine Wohnung zu durchsuchen.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Um den Erfolg der Durchsuchung nicht zu gefährden, ist der Antragsteller zu beauftragen, diesen Beschluss im Wege der Amtshilfe gem. § 14 VwGO unmittelbar bei Beginn der Durchsuchungsmaßnahme durch Übergabe zuzustellen.
Einer Klarstellung, dass die Durchsuchungsanordnung das Kraftfahrzeug des Antragsgegners mitumfasst, bedurfte es nicht, da ein Kraftfahrzeug keine „Wohnung“ im Sinn von Art. 13 Abs. 1 GG ist und nur Wohnungsdurchsuchungen dem Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG unterliegen. Der verfassungsrechtliche Wohnungsbegriff ist zwar weit und schließt alle Räume ein, die zu Aufenthalts- oder Arbeitszwecken bestimmt sind bzw. benutzt werden einschließlich der Nebenräume und des angrenzenden umschlossenen freien Geländes, auch Tageszimmer, Hotelzimmer, Keller, Speicher, Treppen, Wohnwagen, Wohnschiffe, nicht allgemein zugängliche Geschäfts- und Büroräume, Personalaufenthaltsräume, Arbeitshallen, Werkstätten, Garagen, Schuppen, Ställe, Scheunen und ähnliche Räume, nicht aber bloße Verkehrsmittel wie Kraftfahrzeuge (Papier in Maunz/Dürig, GG, 78. Erg.lfg. September 2016, Art. 13 Rn 10 m.w.N.). Für eine Dursuchung des Kraftfahrzeugs genügt die allgemeine Befugnis der Waffenbehörde nach Art. 30 Abs. 1 VwZVG, ihren Verwaltungsakt auch selbst zu vollstrecken, bei Anwendung unmittelbaren Zwangs nach Art. 37 Abs. 2 VwZVG mit Hilfe der Polizei.

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