Strafrecht

1 StR 327/21

Aktenzeichen  1 StR 327/21

Datum:
19.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:191021B1STR327.21.0
Normen:
§ 64 StGB
Spruchkörper:
1. Strafsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Stuttgart, 31. März 2021, Az: 231 Js 13885/19 – 18 KLs

Tenor

1. Dem Angeklagten M.   wird auf seinen Antrag und auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 31. März 2021 gewährt; dadurch wird der Beschluss des Landgerichts vom 9. Juli 2021, mit dem seine Revision als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten M.   wird das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten M.   wird als unbegründet verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1
Das Landgericht hat den Angeklagten M.   wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiter hat es gegen den Angeklagten die Einziehung von 1.310 Euro Bargeld angeordnet.
2
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Der Schuld- und Strafausspruch sowie die Einziehungsentscheidung halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand (§ 349 Abs. 2 StPO).
4
2. Dagegen erweist sich die Nichtanordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hinsichtlich des Angeklagten M.   als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
5
a) Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt mit der Begründung abgelehnt, dass beim Angeklagten bereits kein Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB vorliege, da seine Arbeits- und Leistungsfähigkeit erhalten geblieben, er seinen Verpflichtungen im Ausbildungsbetrieb nachgekommen und er zusätzlich in der Lage gewesen sei, abends über mehrere Stunden hinweg dem Straßenverkauf von Drogen nachzugehen sowie seine Mutter im Haushalt und an ihrem Arbeitsplatz in der Bäckerei zu unterstützen (UA S. 56). Das Landgericht hat den konkreten Umfang des Konsums von Kokain offen gelassen, zumal der Angeklagte widersprüchliche Angaben machte, weshalb es keine konkreten Feststellungen zum Umfang des Konsums von Kokain und den bei ihm eingetretenen gesundheitlichen Folgen habe treffen können (UA S. 9, 23).
6
b) Damit hat das Landgericht für das Vorliegen eines Hangs einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt.
7
Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 Satz 1 StGB genügt eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Wenngleich erhebliche Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs haben und in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hangs aus (st. Rspr.; z.B. BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2020 – 1 StR 291/20 Rn. 7 und vom 19. Februar 2020 – 3 StR 415/19 Rn. 8 mwN). Vielmehr kann ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln jedenfalls auch dann anzunehmen sein, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint, was bei einem Betäubungsmittelkonsumenten insbesondere im Bereich der Beschaffungskriminalität in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 – 3 StR 68/21 Rn. 19 und Urteil vom 10. Februar 2021 – 3 StR 184/20 Rn. 33 f. mwN).
8
c) Da die weiteren Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht von vornherein zu verneinen sind, muss über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB neu verhandelt und entschieden werden.
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