Strafrecht

1 StR 462/21

Aktenzeichen  1 StR 462/21

Datum:
12.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:120122B1STR462.21.0
Normen:
§ 213 Alt 1 StGB
Spruchkörper:
1. Strafsenat

Verfahrensgang

vorgehend LG Ravensburg, 15. Juli 2021, Az: 2 KLs 42 Js 2042/21 jug

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 15. Juli 2021 im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit bewaffnetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt. Die mit der Beanstandung der Verletzung materiellen Rechts geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Jugendkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
3
a) Der im April 2003 geborene, bislang unbestrafte Angeklagte betrieb seit Ende 2019/Anfang 2020 mit zwei Freunden einen schwungvollen Handel mit Betäubungsmitteln. Im August/September 2020 lernte der Angeklagte den später Getöteten 37-jährigen     Z.     kennen, von dem er fortan das Rauschgift bezog. Von ihm kaufte der Angeklagte im Dezember 2020 25 Gramm Kokain und 100 Gramm Marihuana um dieses gewinnbringend mit seinen Freunden weiter zu veräußern. Das Rauschgift bezahlte er bar mit 3.000 Euro, wobei er – wie stets – ein Springmesser mit 15 cm Klingenlänge zur Drogen- und Eigensicherung mit sich führte.
4
b) Ende 2020/Anfang 2021 erwarb der Angeklagte von Z.    erneut 125 Gramm Kokain zu einem Kaufpreis von 10.000 Euro auf Kommission. Nachdem der Weiterverkauf des Betäubungsmittels nur schleppend verlief, forderte Z.    vom Angeklagten alsbald die Bezahlung des Kaufpreises ein. Dazu sollte der Angeklagte zur Wohnung des Z.    kommen; der Angeklagte, der eine körperliche Auseinandersetzung mit Z.     befürchtete, nahm zu diesem Treffen sein Springmesser sowie zur Unterstützung seinen Freund D.    mit. In der Wohnung kam es – nachdem der Angeklagte lediglich die ihm zur Verfügung stehenden 200 bis 300 Euro auf den Tisch gelegt hatte – zum Streit mit Z.     . Dieser packte den Angeklagten mehrfach am Kragen, „verpasste“ ihm mehrere leichte Schläge und schlug ihm schließlich einmal mit der Faust kräftig ins Gesicht. Er forderte den Angeklagten auf, ihm seinen Personalausweis zu zeigen, um dessen genaue Personalien und Anschrift in Erfahrung zu bringen. Dies verweigerte der Angeklagte, woraufhin Z.    – der bereits zu Anfang des Treffens die Wohnungstür zugesperrt hatte – äußerte, dass keiner seine Wohnung verlasse, wenn der Angeklagte nicht seinen Ausweis vorlege. Z.     packte den Angeklagten, der sich bislang passiv und ohne Gegenwehr verhalten hatte, mit beiden Händen am Hals und drückte ihn gegen einen Schrank, so dass der Angeklagte kurzzeitig schwer Luft bekam. Der Angeklagte holte nunmehr sein Springmesser aus der Hosentasche und fügte in Verteidigungsabsicht dem überraschten Z.    einen zehn cm langen und 1,2 cm tiefen Schnitt im Hals-/Schlüsselbeinbereich zu, der dessen Angriff sofort beendete. In einem mehrminütigen Zeitraum, bei dem der Angeklagte die Kontrolle über die Situation innehatte, verweigerte Z.     die Forderung des Angeklagten, die Wohnungstür aufzusperren. Z.     äußerte hierbei, selbst ein Messer holen zu wollen, ohne jedoch hierzu in der Lage zu sein. Als Z.     sich aufrichtete und sich langsam auf den Angeklagten zubewegte, stieß dieser ihm aus Wut und aus Rache über die vorangegangenen Übergriffe das Messer ohne Vorwarnung mit voller Wucht in den Hals. Im weiteren Verlauf fügte der Angeklagte dem nunmehr völlig wehrlosen Z.       mindestens sechs weitere Stichverletzungen in den Hals- und Brustbereich zu. Die Stichverletzungen führten zu dessen Tod.
5
2. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Landgericht hat, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausführt, im Ergebnis das Vorliegen der Voraussetzungen der Notwehr (§ 32 StGB) für die – nach der zur Abwehr des körperlichen Angriffs Z.    s gerechtfertigten Schnittverletzung – dem Tatopfer beigebrachten Stichverletzungen ohne Rechtsfehler verneint. Auch die Voraussetzungen des § 33 StGB sind nicht gegeben, weil nach den Urteilsfeststellungen kein Anhalt dafür besteht, dass der Angeklagte aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken die Grenzen des Notwehrrechts überschritten haben könnte.
6
Die Verhängung von Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen und wegen der Schwere der Schuld hat das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei begründet. Die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe der verhängten Jugendstrafe halten hingegen revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
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a) Die Strafzumessung ist allerdings grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, die wesentlichen zumessungsrelevanten Umstände auf Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Auch bei der Verhängung von Jugendstrafe ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2019 – 1 StR 206/19 Rn. 13 mwN).
8
b) Die Strafzumessungserwägungen der Jugendkammer entsprechen aber vorliegend nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG, weil die Bewertung des Tatunrechts, falls die Tat nach allgemeinem Strafrecht zu beurteilen wäre, im Rahmen der Prüfung, ob sich die Tat als minder schwerer Fall nach § 213 Alt. 1 StGB darstellen würde, nicht ohne Rechtsfehler ist.
9
aa) Das Landgericht hat die Voraussetzungen eines Provokationsfalls gemäß § 213 Alt. 1 StGB mit der Begründung verneint, dass entscheidend gegen ein schuldloses Herbeiführen der Tatprovokation das strafbare Vorverhalten des Angeklagten spreche, das letztlich dem Konflikt zugrunde lag. Da Konflikte um Zahlungen für das kriminelle Drogenmilieu geradezu typisch seien, habe die Ursache für die nachfolgende Entwicklung zunächst in der Straftat des Angeklagten gelegen. Er habe damit ein vorwerfbares Vorverhalten von deutlichem Gewicht gesetzt. Es wäre ihm zuzumuten gewesen, sich staatlicher Hilfe gegen mögliche (strafbare) Übergriffe des Z.     aufgrund der schuldig gebliebenen Zahlungen zu bedienen, auch wenn er damit dem Risiko eigener Strafverfolgung ausgesetzt gewesen wäre. Der Angeklagte habe sich bewusst in diese provokationsträchtige Situation begeben. Mit seiner Weigerung, seinen Personalausweis dem Z.     auszuhändigen, habe er die Situation „aufgeschaukelt“. Die Misshandlungen durch das Tatopfer stellten sich auch nicht „als so gravierend“ dar, dass hierdurch „die dem Angeklagten vorwerfbare Schuld zurückgedrängt zu werden vermag“ (UA S. 58).
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bb) Das Landgericht hat bei dieser Wertung einen falschen Maßstab angelegt und zudem wichtige Umstände bei der Würdigung der Tat außer Acht gelassen.
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(1) Ohne eigene Schuld im Sinne des § 213 Alt. 1 StGB handelt ein Täter, wenn er für die Provokation seitens des Tatopfers keine genügende Veranlassung gegeben und selbst zur Verschärfung der Situation nicht beigetragen hat. Hierbei sind im Rahmen einer wertenden Gesamtwürdigung alle dafür maßgeblichen Umstände einzubeziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2021 – 2 StR 325/21 Rn. 9), wobei nicht allein auf mögliche Konflikte im kriminellen Drogenmilieu abzustellen, sondern vielmehr auch die unmittelbar tatauslösende Situation in den Blick zu nehmen ist.
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Diese Maßstäbe hat das Landgericht verkannt. Es hat bei der Beurteilung der tatauslösenden Situation rechtsfehlerhaft auf den Maßstab für die von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsfolgenlösung in Fällen heimtückischer Tötung abgestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – 1 GSSt 1/81, BGHSt 30, 105, 118 ff.), wonach eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB in Betracht gezogen werden kann, wenn das Gewicht des Mordmerkmals der Heimtücke durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, verringert wird, so dass die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe unverhältnismäßig wäre. Im Rahmen dieser Prüfung „außergewöhnlicher Umstände“ ist es erforderlich, das strafbare Vorverhalten des Täters und die Entwicklung seiner Einbindung in den Drogenhandel sowie die Möglichkeit der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe, bevor er sich in eine konfliktträchtige Gefahrensituation begibt, zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteile vom 19. August 2020 – 5 StR 219/20 Rn. 19 ff. und vom 19. Januar 1995 – 4 StR 589/94 Rn. 19 ff.).
13
(2) Unter Zugrundelegen dieses unzutreffenden Prüfungsmaßstabs hat das Landgericht sich den Blick dafür verstellt, gleichfalls das Verhalten des Tatopfers bei der Frage, ob der Angeklagte bei der Tat „ohne eigene Schuld“ gehandelt hat, zu berücksichtigen. Auch der Getötete war ein (langjähriger) Drogendealer, der den wesentlich jüngeren Angeklagten als Weiterverkäufer von Betäubungsmitteln in seine Drogengeschäfte verwickelt hatte und dem somit ebenfalls – und zwar gewichtigeres – strafrechtliches Vorverhalten vorzuwerfen ist. Zudem hat er die konfliktträchtige tatauslösende Situation durch die „Einbestellung“ des Angeklagten selbst bewusst herbeigeführt und den Angeklagten zum Teil massiv körperlich angegriffen, so dass das Landgericht für die (erste) Schnittzufügung durch den Angeklagten die Voraussetzungen einer Notwehrhandlung zutreffend – ohne Annahme der Voraussetzungen einer Notwehrprovokation – als gegeben angesehen hat. Dass der Angeklagte zu dem der Notwehrhandlung nachfolgenden Zeitpunkt gehalten gewesen wäre, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist nicht zu verlangen. Mit dieser Begründung würde ihm vorgeworfen werden, die Tat überhaupt begangen zu haben. Die Möglichkeit, ohne eigene Schuld im Sinne von § 213 Alt. 1 StGB handeln zu können, kann rechtlich hierdurch nicht eingeschränkt werden. Schließlich ist auch die Wertung des Landgerichts, dass die dem Angeklagten vom Tatopfer zugefügten Misshandlungen als nicht so gravierend zu beurteilen waren, um die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB bejahen zu können, angesichts der Massivität des vorausgegangenen Angriffs des Tatopfers nicht nachvollziehbar.
14
3. Der Senat hebt das Urteil im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe auf. Zwar hat die Jugendkammer zutreffend vorrangig den Erziehungsgedanken in seine Bewertung eingestellt. Der Rechtsfehler hat sich aber bei der Berücksichtigung des Sühnegedankens und dem Erfordernis eines gerechten Schuldausgleichs ausgewirkt (UA S. 58).
15
Die zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Raum     
      
Bellay     
      
Fischer
      
Hohoff     
      
Pernice     
      


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