Strafrecht

AK 17/22

Aktenzeichen  AK 17/22

Datum:
4.5.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:040522BAK17.22.0
Normen:
§ 7 Abs 1 Nr 3 VStGB
§ 7 Abs 1 Nr 6 VStGB
Spruchkörper:
3. Strafsenat

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg übertragen.

Gründe

I.
1
Die Angeschuldigte wurde am 7. Oktober 2021 aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 23. April 2020 festgenommen. Seither befindet sie sich ununterbrochen in Untersuchungshaft, ab dem 8. Februar 2022 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (2 BGs 46/22).
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Gegenstand des nunmehr vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeschuldigte habe im Zeitraum von April 2014 bis Oktober 2017 in Syrien in fünf selbständigen Fällen sich als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland – dem sogenannten “Islamischen Staat” (IS) – beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, davon in vier Fällen jeweils zugleich sich im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei angeeignet, die der Gewalt der eigenen Partei unterlegen hätten, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten gewesen sei, in einem dieser vier Fälle außerdem zugleich
– im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung
□ einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm angemaßt,
□ einen Menschen gefoltert, der sich im Gewahrsam der Angeschuldigten oder in sonstiger Weise unter ihrer Kontrolle befunden habe, indem sie ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zugefügt habe, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen gewesen seien,
□ eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem die Angeschuldigte ihr aus religiösen Gründen und aus Gründen des Geschlechts grundlegende Menschenrechte entzogen oder diese wesentlich eingeschränkt habe,
– im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem die Angeschuldigte ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zugefügt, insbesondere sie gefoltert habe,
Beihilfe geleistet zu einem durch
□ Mitglieder des IS begangenen
• Völkermord nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB,
• Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 VStGB,
□ das IS-Mitglied         Sak.   begangenen
• Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB,
• Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB,
strafbar gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3, § 7 Abs. 1 Nr. 2, 3, 5, 6 und 10, § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4, § 9 Abs. 1 Alternative 2 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB.
3
Der Generalbundesanwalt hat am 23. März 2022 wegen dieses Vorwurfs Anklage zum Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg erhoben.
II.
4
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
5
1. Die Angeschuldigte ist jedenfalls dringend verdächtig eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch sexuelle Gewalt und mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland sowie drei weiterer Fälle der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 und 6, § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 25 Abs. 2, § 27 Abs. 1, §§ 52, 53 StGB). Dieser dringende Tatverdacht trägt die Anordnung der Haftfortdauer. Deshalb kann für die Haftfrage dahinstehen, ob und inwieweit sich die Angeschuldigte mit dem nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad wegen weiterer Delikte strafbar gemacht hat.
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a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
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aa) Die in Syrien seit Februar 2011 gegen die Regierung von Bashar al-Assad schwelenden Proteste eskalierten ab März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte, Milizen sowie der Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand, der Anfang 2012 schließlich weite Teile des Landes erfasste und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausweitete.
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bb) Die Vereinigung “Islamischer Staat” (IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region “ash-Sham” – die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina – umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden “Gottesstaat” unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu das Regime des syrischen Präsidenten Assad und die schiitisch dominierte Regierung im Irak zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als “Feind des Islam” begreift; die Tötung solcher “Feinde” oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.
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Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des “Kalifats” am 29. Juni 2014 aus “Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien” (ISIG) in “Islamischer Staat” (IS) umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte von 2010 bis zu seinem Tod Ende Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS al-Baghdadi zum “Kalifen”, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Kurz nach dem Tod al-Baghdadis berief die Organisation Abu Ibrahim al-Haschimi al-Kuraschi zu dessen Nachfolger.
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Dem Anführer des IS unterstehen ein Stellvertreter sowie “Minister” als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein “Kriegsminister” und ein “Propagandaminister”. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende “Shura-Räte”. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem “Prophetensiegel” (einem weißen Oval mit der Inschrift “Allah – Rasul – Muhammad”) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem “Kriegsminister” unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert. Zwischen 2014 und 2017 bildete der IS in großem Umfang männliche Kinder militärisch aus, deren wichtigste Aufgaben der bewaffnete Kampf, Wachdienste, Hinrichtungen (als Teil der Öffentlichkeitsarbeit des IS) und Selbstmordanschläge waren.
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Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht er immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.
12
Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks. Ab dem Jahr 2015 geriet die Vereinigung militärisch zunehmend unter Druck und musste schrittweise massive territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde sie aus ihrer letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt der IS – nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz – sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt, ohne dass aber die Vereinigung als solche zerschlagen wäre.
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cc) In der Nacht vom 2. auf den 3. August 2014 griffen hunderte Milizionäre des IS die Region um das Sindschar-Gebirge im Nordwesten des Iraks an. Dort lebten vornehmlich Kurden jesidischen Glaubens, die nach den radikal-sunnitischen Vorstellungen des IS als Ungläubige und “Teufelsanbeter” angesehen wurden. Ziel der Operation war die vollständige Vernichtung der jesidischen Religion, des Jesidentums als solchem und seiner Angehörigen in den vom IS besetzten Gebieten, unter anderem durch Zwangskonversion und religiöse Umerziehung aller Jesiden, durch sofortige Hinrichtung der nichtkonversionsbereiten Männer und durch Versklavung der Frauen und Kinder.
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Dementsprechend wurden diejenigen Männer hingerichtet, die sich weigerten, zum Islam zu konvertieren; diejenigen, die sich – um zu überleben – bereit erklärt hatten, zum Islam überzutreten, wurden gefangengenommen, verschleppt und in der Folgezeit zumeist als Zwangsarbeiter eingesetzt. Frauen und Kinder wurden zunächst an Sammelstellen zusammengetrieben und in Gruppenunterkünfte verbracht. Später wurden sie unter Androhung von Gewalt in Gebiete verschleppt, die schon länger vom IS besetzt waren, insbesondere nach Raqqa in Syrien und nach Mosul im Irak. Dort wurden Frauen und Mädchen in Unterkünften zusammengelegt, in denen IS-Kämpfer sich einzelne der Gefangenen entweder aufgrund ihrer herausgehobenen Funktion, als Auszeichnung für besondere Leistungen, als Besoldungssurrogat oder gegen Geld aussuchen und mitnehmen konnten. Die jüngeren Frauen und Mädchen wurden sodann überwiegend als Sexsklavinnen gehalten und missbraucht, die älteren Frauen zumeist in Privathäusern als Haushaltssklavinnen eingesetzt. Soweit die Frauen und Mädchen nicht direkt aus den Unterkünften “vermarktet” wurden, wurden sie über zentrale Sklavenmärkte verkauft, vor allem in Raqqa oder Mosul, teilweise auch über Online-Auktionen.
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dd) Die Angeschuldigte, die sich mit der Ideologie des IS identifizierte, verließ im April 2014 gemeinsam mit der damaligen Ehefrau ihres Bruders     A.   ,     Se.  , und deren Kindern ihren Wohnort B.    und reiste über die Türkei nach Syrien aus. Sie folgte ihrem Bruder, der sich bereits zuvor in das Herrschaftsgebiet des IS begeben hatte und für die Organisation als Kämpfer tätig war. Dort angekommen, schloss sie sich vorgefasster Absicht entsprechend der Vereinigung an.
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Am 17. Mai 2014 heiratete die Angeschuldigte nach islamischem Ritus         So.   , einen Freund ihres Bruders. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt in einem Hotel in Raqqa lebte sie mit ihm zunächst in Tal Abyad. Der vom IS militärisch ausgebildete So.    nahm während der Ehe mit der Angeschuldigten an Kampfeinsätzen der Vereinigung teil, wobei er eine unbekannte Anzahl von Menschen tötete. Sie wohnte gemeinsam mit ihm als Zuschauerin regelmäßig nach dem Besuch des Freitagsgebets durch den IS organisierten “Bestrafungsaktionen” von sogenannten Ungläubigen bei, unter anderem Steinigungen.
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Nachdem der Bruder der Angeschuldigten vermutlich im Juni 2014 bei Kämpfen ums Leben gekommen war, kehrte sie im März 2014 vorübergehend für ungefähr zwei Wochen nach B.    zurück und ließ sich dort aufgrund einer Schwangerschaft ärztlich behandeln. Anschließend flog sie, wie zuvor beabsichtigt, von Deutschland aus in die Türkei und reiste von dort aus zu So.    zurück in das syrische Bürgerkriegsgebiet, um ihr Wirken für den IS fortzusetzen.
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Am 4. Februar 2015 gebar die Angeschuldigte den gemeinsamen Sohn M.   . Anschließend nannte sie sich ”         “, So.    ”         “. Der IS stellte für den Säugling Bedarfsgegenstände wie Babynahrung und Windeln zur Verfügung. Nach der Geburt ihres Sohns zog die Angeschuldigte im Februar 2015 gemeinsam mit ihm und ihrem Ehemann nach Raqqa. Nachdem dieser am 13. April 2015 während Kampfhandlungen in Kobane getötet worden war, begab sie sich zu ihrer Schwägerin Se.  .
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Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen dem 13. April 2015 und März 2016 ging die Angeschuldigte mit dem IS-Kämpfer     Sa.  als “Zweitfrau” die Ehe nach islamischem Ritus ein. Sa.  nahm in der Vereinigung eine herausgehobene Stellung ein. Im Laufe der Ehe zog die Angeschuldigte zu ihm. Diese Ehe wurde später geschieden.
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Im September 2017 heiratete die Angeschuldigte nach islamischem Ritus das IS-Mitglied         Sak.   , welcher der Vereinigung Ausrüstungsgegenstände für den bewaffneten Konflikt beschaffte und sich zeitweise auch selbst an Kampfhandlungen beteiligte. Sie zog mit ihrem Sohn zu ihrem Ehemann in dessen Wohnung in einem mehrstöckigen Gebäude in Mayadin. Die Familie wechselte zweimal die Unterkunft; zunächst zog sie in ein Haus in derselben Stadt, sodann in ein anderes Haus, das in dem Bereich zwischen Mayadin und Abu Kamal gelegen war. In der Zeit des Zusammenlebens mit Sak.   besaß die Angeschuldigte eine Pistole. Diese Ehe wurde Ende Oktober 2017 ebenfalls geschieden.
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Die Angeschuldigte betrachtete die mit ihrer Stellung als Ehefrau des jeweiligen IS-Kämpfers verbundenen Tätigkeiten einschließlich von ihr verrichteter Haushaltsarbeiten als dazu bestimmt, seinen Einsatz für die Vereinigung zu fördern, insbesondere auch seine Kampfkraft zu stärken.
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Mit der Scheidung verließ die Angeschuldigte Sak.   und begab sich mit ihrem Sohn in ein “Frauenhaus” in Abu Kamal. Sie wurde im Dezember 2017 beim Versuch, Syrien zu verlassen, von kurdischen Kräften festgenommen und war bis zur Rückholaktion nach Deutschland im Oktober 2021 in dem nordsyrischen Flüchtlingslager Roj untergebracht.
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ee) Als Mitglied des IS beging die Angeschuldigte im Tatzeitraum im Interesse der Vereinigung die folgenden weiteren Straftaten:
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(1) Während der Ehe mit So.    nahm die Angeschuldigte gemeinsam mit ihm zumindest zwei im IS-Herrschaftsgebiet gelegene Immobilien in Besitz, die von den rechtmäßigen Eigentümern oder Berechtigten aufgrund von Bürgerkriegsgeschehnissen zurückgelassen wurden. Beiden kam es auch darauf an, als Angehörige der Vereinigung hierdurch deren Herrschaftsanspruch zu festigen.
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(a) Nach der Heirat am 17. Mai 2014 lebte das Ehepaar in einem Haus in einem nahe Tal Abyad gelegenen Dorf. Die vormaligen kurdischen Bewohner waren von Milizionären des IS vertrieben worden. Die Organisation hatte das Haus unter ihre Verwaltung gestellt und es So.   sowie der Angeschuldigten zugeteilt.
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(b) Später zog das Ehepaar gemeinsam in ein Haus in Tal Abyad selbst. So.    hatte es zusammen mit weiteren IS-Kämpfern mit Waffengewalt gestürmt und dessen Bewohner vertrieben. Die Angeschuldigte hatte währenddessen in einem Auto gesessen und das Geschehen beobachtet. In diesem Haus kam am 4. Februar 2015 der Sohn der Angeschuldigten zur Welt.
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(2) Während der Ehe mit Sak.   gehörte die am 1. Januar 1991 geborene Jesidin                L.   dessen Haushalt an. Sie war im Rahmen der Erstürmung ihres Heimatdorfs Kocho (Irak) im August 2014 von Mitgliedern des IS gefangengenommen und versklavt worden. Nachdem Sak.   sie vor der Hochzeit mit der Angeschuldigten bei Bekannten untergebracht hatte, holte er sie ein bis zwei Wochen danach in die von ihm und der Angeschuldigten bewohnte Wohnung in Mayadin zurück. Dort und in den nachfolgend bezogenen Häusern hielt sich L.   für mindestens drei Wochen auf.
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Die Angeschuldigte und Sak.   zwangen die Jesidin zur unentgeltlichen Verrichtung der gesamten Hausarbeit und behandelten sie wie ihr Eigentum. L.   musste anlässlich einer späteren Hochzeitsfeier der Angeschuldigten die Gäste bekochen und bewirten. Zu ihren alltäglichen Pflichten gehörten das Kochen für die Angeschuldigte, deren Ehemann und Sohn, das Putzen, das Wäschewaschen, die Reinigung des Geschirrs sowie das Wickeln des Sohns. Auch musste sie der Angeschuldigten und Sak.   bei Umzügen helfen. Diese sorgte dafür, dass L.   die jeweilige Wohnung nicht ohne Begleitung verlassen konnte, und passte bei gemeinsamen Einkäufen auf, dass sie nicht fliehen konnte; beim Verlassen des Hauses führte die Angeschuldigte ihre Pistole mit sich. Außerdem forderte sie die Jesidin wiederholt zum gemeinsamen Beten nach islamischem Ritus auf.
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Die Angeschuldigte versetzte L.   nahezu täglich Schläge und Tritte, um sie zu züchtigen. Anlass hierfür war vielfach, dass die Jesidin auf eine von Sak.   erteilte Anordnung erwiderte, anstatt sie wortlos zu befolgen. Bei einer Gelegenheit schlug die Angeschuldigte der L.   mit einer Taschenlampe gegen den Kopf, so dass diese zwei oder drei Tage lang Schmerzen hatte. Die Angeschuldigte packte sie immer wieder an den Haaren und stieß ihren Schädel gegen die Wand.
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Sak.   vollzog regelmäßig mit L.   gegen deren Willen den Vaginalverkehr. Falls sie sich wehrte, schlug er sie. Dies war der Angeschuldigten bekannt. Ihr war bewusst, dass ihre Vorkehrungen gegen L.  s Flucht die sexuellen Übergriffe ihres Ehemanns förderten; hiermit fand sie sich ab.
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Die Angeschuldigte wusste auch darum, dass die Behandlung der L.   durch sie und Sak.   zum Plan des IS beitrug, die jesidische Religion, das Jesidentum als solches und seine Angehörigen in den von der Vereinigung besetzten Gebieten zu vernichten.
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b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:
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aa) Die Erkenntnisse zum Bürgerkrieg in Syrien, zur außereuropäischen Vereinigung “Islamischer Staat” sowie zu dessen Vorgehen gegen die Jesiden beruhen auf den – vom Generalbundesanwalt in Sonderordnern zusammengetragenen – Ergebnissen von Strukturermittlungen, insbesondere Sachverständigengutachten sowie Auswertungsberichten und -vermerken des Bundeskriminalamts.
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bb) Hinsichtlich der ihr zur Last liegenden Tatbeiträge hat die Angeschuldigte lediglich eingeräumt, von April 2014 bis Ende 2017 – mit der geschilderten kurzzeitigen Unterbrechung für die ärztliche Behandlung in B.    – im IS-Herrschaftsgebiet gelebt und dort mit ihren Ehemännern mehrere Häuser und Wohnungen bewohnt zu haben. Im Übrigen hat sie den Tatvorwurf weitgehend bestritten. Sie sei während eines Türkeiaufenthalts gegen ihren Willen nach Syrien verbracht worden. Tötungshandlungen ihrer Ehemänner seien ihr nicht bekannt gewesen. So.    habe ihr mitgeteilt, für den IS Fahrzeuge zu kontrollieren. Ob Sa.  für diesen tätig gewesen sei, wisse sie nicht. Sak.   habe nach ihrem Wissen für die Vereinigung Gegenstände wie etwa Handys beschafft. Von öffentlichen Bestrafungsaktionen des IS habe sie keine Kenntnis gehabt, ebenso wenig von der Vorgeschichte der von ihr bewohnten Häuser und Wohnungen; sie sei von Mietverhältnissen ausgegangen.
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Der dringende Tatverdacht beruht hinsichtlich
– der bewussten Eingliederung der Angeschuldigten in die Strukturen des IS und ihrer mitgliedschaftlichen Betätigung für die Vereinigung insbesondere auf den Angaben verschiedener Auskunftspersonen, namentlich von drei Familienangehörigen des So.    und zwei Syrien-Rückkehrerinnen, sowie auf Telekommunikationsinhalten,
– der Aneignung der Häuser durch die Angeschuldigte und So.    vor allem auf den Zeugenaussagen von dessen Mutter und zwei Syrien-Rückkehrerinnen, daneben etwa auf den Ergebnissen von Strukturermittlungen;
– des Verhaltens der Angeschuldigten gegenüber der Jesidin L.   in erster Linie auf deren Zeugenaussage, daneben auf der Einlassung einer zwischenzeitlich erstinstanzlich verurteilten Syrien-Rückkehrerin (der Ehefrau von Sak.   s Bruder nach islamischem Ritus), dem von Sak.   im Juni 2017 verfassten Testament, das letztwillig L.  s Freilassung verfügt, sowie der Behördenerklärung des Bundesnachrichtendiensts vom 13. November 2018.
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Darüber hinaus haben die Ermittlungsbehörden zahlreiche Erkenntnisse zu den drei Ehemännern nach islamischem Ritus und dem in das IS-Herrschaftsgebiet ausgereisten Bruder der Angeschuldigten gewonnen.
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Wegen der Einzelheiten der Verdachtslage wird auf den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs und das in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 18. März 2022 dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verwiesen.
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cc) Auf die im Haftbefehl geschilderte Aneignung von weiteren Häusern und Wohnungen kommt es für die Haftfrage nicht an. Der Senat hat dem dringenden Tatverdacht allein die zwei Inbesitznahmen zugrunde gelegt, die sich den Zeugenangaben konkret zuordnen lassen. Ob die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sämtliche Wohnstätten im IS-Herrschaftsgebiet, welche die Angeschuldigte und So.    bezogen, von den rechtmäßigen Bewohnern zurückgelassen worden waren, als sie vor den heranrückenden IS-Truppen geflohen oder von diesen vertrieben worden waren, bedarf hier keiner Entscheidung.
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c) In rechtlicher Hinsicht ist der der Angeschuldigten angelastete Sachverhalt dahin zu beurteilen, dass sie jedenfalls dringend verdächtig ist eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB, § 25 Abs. 2 StGB) in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch sexuelle Gewalt (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, § 27 Abs. 1 StGB) und mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB) sowie drei weiterer Fälle der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (§ 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB, § 25 Abs. 2 StGB). Ihr oben unter Gliederungspunkt II. 1. a) geschildertes Verhalten ist wie folgt zu bewerten:
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aa) Die Angeschuldigte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland dringend verdächtig, indem sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit dem IS anschloss und sich für ihn auf verschiedene Weise betätigte (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB). Dies gilt sowohl unter Zugrundelegung des früher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblichen Vereinigungsbegriffs als auch auf der Grundlage der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB in der seit dem 22. Juli 2017 gültigen Fassung.
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Die der Angeschuldigten vorgeworfenen Aktivitäten im IS-Herrschaftsgebiet sind als aktive Beteiligungshandlungen zu beurteilen. So verhält es sich hier auch bei der Haushaltführungstätigkeit, die sich angesichts der – aus den weiteren Umständen folgenden – Einbindung der Angeschuldigten in den IS und ihres Ziels, im Rahmen der ihr zugedachten Rolle als Ehefrau und Mutter die Vereinigung zu fördern, nicht lediglich als bloße alltägliche Verrichtungen ohne Organisationsbezug darstellt (vgl. zu den Voraussetzungen der mitgliedschaftlichen Beteiligung im Einzelnen BGH, Beschluss vom 21. April 2022 – AK 14/22 mwN).
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Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung liegt hinsichtlich des IS vor.
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bb) Die Angeschuldigte hat sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in zwei Fällen wegen eines Kriegsverbrechens gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB strafbar gemacht. Gemeinschaftlich mit So.    (§ 25 Abs. 2 StGB, § 2 VStGB) eignete sie sich die beiden Wohnhäuser an, die, wie sie wusste, zuvor Angehörige des in Gegnerschaft zum IS stehenden Teils der Zivilbevölkerung bewohnt hatten, die dessen Milizionäre – darunter in einem Fall ihr Ehemann – im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg getötet oder vertrieben hatten (vgl. im Einzelnen BGH, Beschlüsse vom 4. April 2019 – AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 230 f.; vom 15. Mai 2019 – AK 22/19, NStZ 2020, 26 Rn. 29 f.; vom 9. Juni 2020 – AK 12/20, juris Rn. 28).
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cc) Die Angeschuldigte ist eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung sowie der idealkonkurrierenden Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch sexuelle Gewalt dringend verdächtig.
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(1) Die Voraussetzungen für die in § 7 Abs. 1 VStGB normierte Gesamttat liegen vor. Der IS führte gegen die kurdische Zivilbevölkerung jesidischen Glaubens in der Region um das Sindschar-Gebirge im Nordwesten des Iraks, beginnend mit dem Angriff am 2./3. August 2014, vorsätzlich einen ausgedehnten und systematischen Angriff im Sinne dieser Vorschrift (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 – AK 5/21, juris Rn. 31 ff. mwN).
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(2) Die Angeschuldigte beging bzw. förderte zumindest die beiden im Katalog des § 7 Abs. 1 VStGB aufgeführten Einzeltaten der Nummern 3 und 6:
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(a) Im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Sak.   (§ 25 Abs. 2 StGB, § 2 VStGB) führte sie Handlungen aus, die sich rechtlich als Versklavung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstellen.
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Voraussetzung dieses Tatbestandes ist, dass der Täter ein angemaßtes “Eigentumsrecht” an einem Menschen ausübt. Nachdem von Rechts wegen allerdings kein solches Eigentumsrecht an einer Person bestehen kann, umfasst der Tatbestand der Sklaverei eine de facto vergleichbare Behandlung, bei der der Täter einen Menschen seinem Willen und seinen Interessen unterwirft und diesem die Freiheit abspricht, selbstbestimmt zu handeln. Wesentliche Indizien dabei sind die Kontrolle der Bewegungsfreiheit des Opfers, seine Verletzlichkeit, Misshandlungen und die wirtschaftliche Beherrschung oder Ausnutzung der betroffenen Person. Nicht zwingend erforderlich ist es dagegen, dass das Opfer entgeltlich oder gegen eine sonstige Vergütung “erworben” oder wieder “veräußert” worden bzw. die Ausübung des “Eigentumsrechts” von längerer Dauer ist. Diese Aspekte können jedoch starke Indizien für eine Versklavung sein (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 – AK 5/21, juris Rn. 39 mwN).
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Gemessen daran, beteiligte sich die Angeschuldigte als Mittäterin des Sak.   an der Versklavung der Jesidin L.  . Im September und/oder Oktober 2017 zwangen die Eheleute die von anderen Mitgliedern des IS gefangengenommene 26jährige Frau, unentgeltlich in ihrem Haushalt die alltäglichen Aufgaben zu verrichten und ihnen bei Umzügen zu helfen. Sie bestimmten über ihren Aufenthalt; die Jesidin durfte sich weder im Haus noch sonst frei bewegen. Sowohl die Angeschuldigte als auch ihr Ehemann setzten vielfach Gewalt gegen L.   ein. In Kenntnis der Angeschuldigten nötigte dieser die Jesidin durch (drohende) Schläge, regelmäßig den Vaginalverkehr zu dulden.
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(b) Zugleich leistete die Angeschuldigte durch diese Tatbeiträge Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB, § 2 VStGB) zur von ihrem Ehemann begangenen Vergewaltigung der L.   im Sinne der Variante 2 der in § 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB normierten sexuellen Gewalt.
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Sak.   verwirklichte den Tatbestand, indem er die Jesidin vergewaltigte. Diese Tatvariante liegt – in Anlehnung an die Auslegung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. g Variante 1 des IStGH-Statut unter Heranziehung der Verbrechenselemente zum IStGH-Statut – unter anderem vor, wenn der Täter durch den Einsatz von Gewalt, die Androhung von Gewalt oder Zwang oder das Ausnutzen einer strukturellen Zwangssituation mit seinem Geschlechtsorgan in den Körper des Opfers eindringt (s. MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 83). So liegt es hier.
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Zu dieser (Einzel-)Tat leistete die Angeschuldigte vorsätzlich Hilfe im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB. Als Hilfeleistung ist grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert. Dass sie für den Eintritt des Erfolgs in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Form kausal wird, ist nicht notwendig (s. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 95 mwN). Der die sexuellen Übergriffe fördernde Beitrag der Angeschuldigten lag darin, dass sie daran mitwirkte, die Voraussetzungen für Sak.   s wiederholte Tatbegehung zu schaffen. Sie hielt L.   unter Kontrolle und sorgte dafür, dass sie nicht fliehen konnte. Diese Aufrechterhaltung der Zwangslage stellte, wie der Angeschuldigten bewusst war, sicher, dass die Jesidin ihrem Ehemann für sexuelle Handlungen, namentlich die Ausübung des Vaginalverkehrs, zur Verfügung stand.
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(3) Die Angeschuldigte und ihr Ehemann führten die Einzeltaten “im Rahmen” der von § 7 Abs. 1 VStGB vorausgesetzten Gesamttat aus. Denn die Versklavungs- und Vergewaltigungshandlungen waren in den ausgedehnten und systematischen Angriff gegen die kurdische Zivilbevölkerung jesidischen Glaubens eingebunden.
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Für Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist erforderlich, dass sich die vom Täter begangene Katalogtat in die Gesamttat einfügt, er mithin seinen Tatbeitrag funktional in den Angriff einstellt (sog. funktionaler Zusammenhang; s. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 – AK 43/21, juris Rn. 24 mwN). So verhält es sich hier. Die Versklavung der L.   und die Förderung ihrer Vergewaltigung dienten dem Vorgehen des IS gegen die in der Region um das Sindschar-Gebirge ansässige Religionsgemeinschaft der Jesiden. Dies war der Angeschuldigten bewusst.
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(4) Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung und die Beihilfe zu dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch sexuelle Gewalt stellen für die Angeschuldigte bereits aufgrund der Teilidentität ihrer Ausführungshandlungen eine Tat im materiellrechtlichen Sinne dar. Der Tatbestand der Folter verdrängt denjenigen der (Beihilfe zur) sexuellen Gewalt nicht (vgl. – mit Nachw. aus der Rspr. der internationalen Strafgerichtshöfe – MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 144; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1121 f.).
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dd) Im Übrigen sind die Konkurrenzen wie folgt zu bewerten:
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Die tateinheitlich begangenen bzw. geförderten Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB, § 25 Abs. 2 StGB und § 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, § 27 Abs. 1 StGB sowie die beiden Kriegsverbrechen gemäß § 9 Abs. 1 Variante 3 VStGB sind materiell-rechtlich als drei selbständige Taten zu beurteilen. Sie stehen jede für sich in (weiterer) Tateinheit zur mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, weil sich die Angeschuldigte mit den jeweiligen Handlungen als Mitglied des IS für diesen betätigte. Die mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte, die nicht gegen ein anderes Strafgesetz als §§ 129a, 129b StGB verstoßen, treten als verbleibende tatbestandliche Handlungseinheit tatmehrheitlich hinzu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 – 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 Rn. 23, 37 ff.; vom 20. Dezember 2016 – 3 StR 355/16, BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 6 Rn. 5; vom 20. Februar 2019 – AK 4/19, BGHR VStGB § 8 Abs. 1 Konkurrenzen 1 Rn. 27).
58
ee) Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Dies ergibt sich für die Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch aus dessen § 1 Satz 1. Für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland folgt die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts entweder unmittelbar aus § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 2 und 4 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Juli 2009 – StB 34/09, BGHR StGB § 129b Anwendbarkeit 1; vom 6. Oktober 2016 – AK 52/16, juris Rn. 35 f.) oder aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil die Angeschuldigte Deutsche ist und jedenfalls die Tat – als Anschluss an eine terroristische Organisation gemäß Art. 1 und 3 des syrischen Anti-Terror-Gesetzes Nr. 19 vom 28. Juni 2012 – auch in Syrien mit Strafe bedroht ist (s. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 3. März 2021 – AK 10/21, juris Rn. 42 mwN).
59
ff) Für die Haftfortdauerentscheidung besteht kein Anlass, das Verhalten der Angeschuldigten gegenüber der Jesidin L.   im Hinblick auf die weiteren im vollzogenen Haftbefehl und in der Anklageschrift aufgeführten Straftatbestände zu bewerten.
60
2. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität.
61
a) Nach Würdigung aller Umstände ist es wahrscheinlicher, dass sich die Angeschuldigte, auf freien Fuß gesetzt, dem Strafverfahren entziehen, als dass sie sich ihm zur Verfügung halten werde (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).
62
aa) Die Angeschuldigte hat im Fall ihrer Verurteilung mit einer langjährigen Haftstrafe zu rechnen. Von der Straferwartung geht ein ganz erheblicher Fluchtanreiz aus, der sich jedenfalls regelmäßig nach der prognostisch tatsächlich zu verbüßenden Strafhaft richtet (zur sog. Nettostraferwartung s. BGH, Beschluss vom 2. November 2016 – StB 35/16, juris Rn. 9; SSW-StPO/Herrmann, 4. Aufl., § 112 Rn. 64 f., jeweils mwN).
63
Der zu stellenden Prognose ist zugrunde zu legen, dass der Regelstrafrahmen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) im Mindestmaß Freiheitsstrafe von fünf Jahren vorsieht. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass nach bislang vorliegenden Erkenntnissen der drei Jahre und zehn Monate währende Aufenthalt der Angeschuldigten im Flüchtlingslager Roj bei vorläufiger Bewertung voraussichtlich nicht gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StGB auf eine Freiheitsstrafe anzurechnen sein wird. Insbesondere ist nach derzeitigem Kenntnisstand die Annahme gerechtfertigt, dass die die nordsyrischen Lager betreibenden kurdischen und die sie unterstützenden US-amerikanischen Kräfte mit der dortigen Internierung von IS-Angehörigen präventive Zwecke verfolgten (vgl. die in BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – AK 44/21, juris Rn. 45 f. dargelegten, auf den hiesigen Fall übertragbaren Erwägungen).
64
bb) Diesem Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Vielmehr hat die Angeschuldigte in Deutschland seit 2014 keinen Wohnsitz und keine Arbeitsstelle mehr. Auch der Umstand, dass sich ihr Sohn und ihre im Lager Roj geborene Tochter seit Oktober 2021 in Deutschland aufhalten, kann unter den gegebenen Umständen den Fluchtanreiz nicht beseitigen.
65
b) Die zu würdigenden Umstände begründen zudem die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung der Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) ebenso auf den dort geregelten (subsidiären) Haftgrund gestützt werden kann.
66
3. Eine – bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche – Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO analog) ist nicht erfolgversprechend. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als ihren Vollzug erreicht werden.
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4. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen sowie deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Der Aktenbestand umfasst mittlerweile 24 Stehordner und ein Sonderheft. Das Ermittlungsverfahren ist, auch nach der Festnahme der Angeschuldigten am 7. Oktober 2021, mit der in Haftsachen gebotenen Zügigkeit geführt worden:
68
Nachdem das Bundeskriminalamt die Zeugin L.   am 10. Dezember 2021 vernommen hatte, hat die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg die Verfahrensakten dem Generalbundesanwalt mit Schreiben vom 14. Dezember 2021 zur Prüfung der Übernahme vorgelegt. Dieser hat das Verfahren mit Verfügung vom 17. Januar 2022 übernommen. Auch seither sind die Ermittlungen hinreichend gefördert worden. So sind die Geschwister des So.    als Zeugen einvernommen worden, ebenso eine andere Syrien-Rückkehrerin sowie ein Journalist, der die Angeschuldigte im Lager Roj interviewt hatte. Ferner sind Ermittlungen zu den Flugdaten hinsichtlich der Ausreise der Angeschuldigten – wenngleich weitgehend ergebnislos – geführt worden.
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Am 18. März 2022 hat der Generalbundesanwalt die 101 Seiten umfassende Anklageschrift fertiggestellt, die am 23. März 2022 beim Oberlandesgericht eingegangen ist. Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats hat am Folgetag die Zustellung der Anklageschrift verfügt und eine Erklärungsfrist für die Angeschuldigte sowie ihre Verteidiger bis zum 14. April 2022 bestimmt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 1. April 2022 Bezug genommen.
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5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer               Berg               Voigt


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