Strafrecht

Auslegung eines Antrags auf Pflichtverteidigerbeiordnung vor der Hauptverhandlung

Aktenzeichen  1 Qs 6/21 (1QS621)

Datum:
26.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 868
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Passau
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO § 140 Abs. 1 Nr. 5, § 141 Abs. 1 S. 1, § 300, § 304

 

Leitsatz

Im Antrag eines Wahlverteidigers auf Beiordnung als Pflichtverteidiger ist die Ankündigung der Niederlegung des Wahlmandats für den Fall der Beiordnung zu sehen. Davon ist auch im Fall mangelnder eindeutiger Erklärung auszugehen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

22 Ds 13 Js 16532/20 2021-01-08 Bes AGPASSAU AG Passau

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 08.01.2021 wird Ziffer 1 des Beschlusses aufgehoben.
2. Dem Angeklagten wird Herr Rechtsanwalt … als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Gründe

I.
Am 17.12.2020 wurde gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen unerlaubtem Besitzes von Betäubungsmitteln zum Amtsgericht Passau – Strafrichter – erhoben. Am 18.12.2020 trat der Angeklagte eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Passau, Az. 5 Ls 13 Js 3326/20 an.
Mit Schriftsatz vom 30.12.2020 zeigte RA die Verteidigung an, beantragte seine Beiord nung als Pflichtverteidiger und regte zugleich eine Verfahrenseinstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO an (Bl. 13 d.A.). Die Staatsanwaltschaft Passau stimmte der Verfahrenseinstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO zu. Eine Stellungnahme bezüglich der Pflichtverteidigerbestellung wurde nicht abgegeben. Mit Beschluss vom 08.01.2021 lehnte das Amtsgericht Passau eine Beiordnung ab und stellte das Verfahren gem. § 154 Abs. 2 StPO ein.
Der gegen den Beschluss vom 08.01.2021 gerichteten „sofortigen Beschwerde“ vom 13.01.2021 half das Amtsgericht nicht ab. Die Staatsanwaltschaft Passau beantragte sie aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung kostenfällig als unbegründet zu verwerfen.
Gegen den Beschluss wendet sich der Angeklagte mit Schriftsatz seines Wahlverteidigers vom 13.01.2021, eingegangen und begründet am selben Tag.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig gem. §§ 304, 306 StPO.
Statthaftes Rechtsmittel ist gem. § 304 StPO die (einfache) Beschwerde. Die Erklärung des Verteidigers ist dahingehend auszulegen. Die Falschbezeichnung schadet insofern nicht, gem. § 300 StPO.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
a) Eine Pflichtverteidigerbestellung ist gem. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO geboten. Der Angeklagte befand sich zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers vom 30.12.2020 in Strafhaft, weshalb ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag und eine Pflichtverteidigerbestellung zwingend vorzunehmen war.
b) Die Bestellung ist gem. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO unverzüglich vorzunehmen, wenn der Angeklagte dies beantragt und er noch keinen Verteidiger hat.
Ein entsprechender Antrag des Angeklagten ist im Schriftsatz des Verteidigers vom 30.12.2020 enthalten. Der Annahme des Amtsgerichts Passau, es liege nur ein Antrag des Verteidigers vor, kann nicht gefolgt werden. Der Antrag ist dahingehend auszulegen ist, dass er im Namen des Angeklagten gestellt wurde. Insofern ist nicht erforderlich, dass „übliche Formulierungen“ Verwendung finden, wobei dahinstehen mag, ob die vom Verteidiger verwendete Formulierung unüblich ist. Es kommt allein auf die Auslegung des Antrags an.
Im Antrag des Verteidigers wird die Verteidigung angezeigt und ausgeführt, dass der Verteidiger „betraut“ wurde. Betraut sein bedeutet, dass jemandem eine bestimmte Aufgabe oder Funktion (von einer anderen Person) übertragen oder anvertraut worden ist (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/betrauen). Allein aus dem Wortsinn ergibt sich daher, dass der Verteidiger – wie regelmäßig im Rahmen der Pflichtverteidigerbestellung – nicht für sich selbst in eigenem Namen tätig werden wollte, sondern für den Angeklagten handelte.
Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Antragstellung auch unverteidigt im Sinne des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO. Zwar trat Rechtsanwalt W. als Wahlverteidiger des Angeklagten auf, jedoch ist regelmäßig im Antrag eines Wahlverteidigers auf Beiordnung die Ankündigung der Niederlegung des Wahlmandats für den Fall der Beiordnung zu sehen (OLG Jena 26.11.2008 – 1 Ws 497/08, NJW 2009, 1430 (1431); OLG München 6.3.1992 – 1 Ws 161/92, wistra 1992, 237). Davon ist auch in diesem Fall, trotz mangelnder eindeutiger Erklärung, auszugehen.
c) Das Absehen von einer Pflichtverteidigerbestellung kann auch nicht auf § 141 Abs. 2 S. 3 StPO gestützt werden, da diese Ausnahmevorschrift auf die Fälle des § 141 Abs. 1 StPO keine Anwendung findet.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.


Ähnliche Artikel


Nach oben