Strafrecht

Behandlung eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung als „Ermittlungserzwingungsverfahren“

Aktenzeichen  1 Ws 231/16

Datum:
28.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO StPO § 172, § 175
StGB StGB § 263 Abs. 1

 

Leitsatz

1. In Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft bereits den Anfangsverdacht verneint und deshalb den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht überhaupt nicht aufgeklärt hat, ist ausnahmsweise das gerichtliche Verfahren nach §§ 172 ff. StPO nicht als Klage-, sondern als „Ermittlungserzwingungsverfahren“ zu behandeln, das mit der Anweisung an die Staatsanwaltschaft enden kann, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im sog. Klageerzwingungsverfahren ist der Erlass einer sog. Ermittlungserzwingung durch das OLG zulässig. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth wird angewiesen, die Ermittlungen gegen den Beschuldigten wieder aufzunehmen und bis zur Entscheidungsreife durchzuführen.

Gründe

I.
Der Antrag der Anzeigeerstatterin vom 06.06.2016, eingegangen beim Oberlandesgericht Nürnberg am selben Tage, auf gerichtliche Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren richtet sich gegen den ablehnenden Bescheid des Generalstaatsanwalts in Nürnberg vom 03.05.2016, zugegangen am 08.05.2016, durch den der Beschwerde der Anzeigeerstatterin vom 25.04.2016 gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 18.04.2016 keine Folge gegeben wurde.
II.
Der Klageerzwingungsantrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist bei unterstellter tatsächlicher Begehung der behaupteten Tat Verletzte im Sinne des § 172 Abs. 1 StPO und daher antragsbefugt. Die sich aus § 172 StPO ergebenden Fristen der Antragstellung sind eingehalten und werden in der Antragsschrift mitgeteilt. Diese genügt auch in materieller Hinsicht den sich aus § 172 Abs. 3 StPO ergebenden Anforderungen, da sie eine aus sich heraus verständliche Schilderung des Sachverhaltes einschließlich des Inhalts der angegriffenen Bescheide und der Gründe für deren behauptete Unrichtigkeit enthält.
III.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch in der Sache begründet. Allerdings kommt vorliegend nicht die Anordnung der Erhebung der öffentlichen Klage (§ 175 StPO) in Betracht. Vielmehr ordnet der Senat, nachdem das Ermittlungsverfahren bislang – von der Erholung einer Bankauskunft abgesehen – nicht betrieben wurde, nur eine „Ermittlungserzwingung“, also die Anweisung, die Ermittlungen wegen Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB aufzunehmen und zu einem Abschluss zu führen, in Betracht.
1. Zwar ist das gerichtliche Verfahren nach §§ 172 ff. StPO grundsätzlich nur auf das Ziel der Klageerzwingung ausgerichtet, was sich bereits aus dem Wortlaut der §§ 171, 172, 173 Abs. 3 und 175 StPO ergibt. Dennoch ist in Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft bereits den Anfangsverdacht verneinte und deshalb den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht überhaupt nicht aufgeklärt hat, ausnahmsweise das gerichtliche Verfahren nach §§ 172 ff. StPO nicht als Klage-, sondern als „Ermittlungserzwingungsverfahren“ zu behandeln, das mit der Anweisung an die Staatsanwaltschaft enden kann, die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen (im Anschluss an OLG München NJW 2007, 3734-3737; a. A. OLG München StraFo 2014, 422-423).
2. Eine derartige Anweisung ist vorliegend geboten. Die Anordnung zur Anklageerhebung nach § 175 StPO scheidet nach dem vorhandenen Ermittlungsstand aus.
a) Zwar ergibt sich aus dem der Strafanzeige vom 03.03.2016 beigefügten Kreditvertrag vom 18.05.2015, dass der angezeigte Kreditnehmer angeblich über keinerlei monatliche Einkünfte verfügt habe. Dem hieraus in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 18.04.2016 gezogenen Schluss, es könne angesichts dieser Erklärung schon keinerlei Täuschung vorliegen, trat die Anzeigeerstatterin allerdings mit ihrer Beschwerde durch Vorlage der Angaben (dort Anlage 1) entgegen, welche der Beschuldigte bei Beantragung des Darlehens tatsächlich gemacht haben soll. Hierbei handelt es sich im Gegensatz zu den Eintragungen im Kreditvertrag vom 18.05.2015, der im Übrigen auch die monatlichen Verpflichtungen allesamt mit „0,00 €“ ausweist, um plausible Angaben. Diese sind bei der Frage, ob ein Anfangsverdacht für die Einleitung und Durchführung von Ermittlungen besteht, daher zu Grunde zu legen.
b) Ein Anfangsverdacht für das Vorliegen eines Eingehungsbetrugs nach § 263 Abs. 1 StGB ist demgemäß gegeben, da der Beschuldigte, diese Selbstauskunft zu Grunde gelegt, bei Vertragsschluss zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen Angaben gemacht hat, die ihn in Stande gesetzt hätten, die vereinbarten Monatsraten von 121,47 € leisten zu können. Nachdem ausweislich der Angaben der Anzeigeerstatterin bereits die Zahlung der ersten Rate mangels Kontodeckung scheiterte, kommt in Betracht, dass der Beschuldigte bereits bei Vertragsschluss entweder zahlungsunwillig oder entgegen seinen Angaben zahlungsunfähig war. Es bedarf somit der Abklärung der tatsächlichen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses durch Klärung seiner beruflichen Tätigkeit, durch Ermittlung und Auswertung seiner Konten, durch Abklärung, ob er die eidesstattliche Versicherung geleistet hat und/oder ob Zwangsvollstreckungsverfahren anhängig waren. Der Beschuldigte wurde bislang nicht vernommen. Im Rahmen seiner Vernehmung wird auch zu klären sein, ob dieser die behaupteten Angaben von Anlage 1 des Beschwerdeschreibens vom 25.04.2016 tatsächlich gemacht hat.


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