Strafrecht

Berufsrechtliche Maßnahmen gegen einen Rechtsanwalt nach Verurteilung wegen Parteiverrats

Aktenzeichen  BayAGH II – 2 – 12/20

Datum:
27.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 47622
Gerichtsart:
Anwaltsgerichtshof
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BRAO § 114, § 115b
StGB § 356 Abs. 1

 

Leitsatz

Im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Parteiverrats kommt ein Absehen von einer Ahndung nach § 115b BRAO regelmäßig nicht in Betracht. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 AnwG 71/17 2020-02-17 Urt ANWGMUENCHEN Anwaltsgericht München

Tenor

1. Die Berufungen des Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft gegen das Urteil des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer München vom 17.02.2020, 3 AnwG… werden als unbegründet verworfen.
2. Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels mit Ausnahme der ausscheidbaren Mehrkosten, die durch das Rechtsmittel der Generalstaatsanwaltschaft entstanden sind. Diese trägt die Rechtsanwaltskammer München.
Angewandte Vorschriften:
§ 43, § 43a Abs. 4, § 113 Abs. 1, § 114, § 197 Abs. 2 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA.

Gründe

I. Das Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer München sprach den Betroffenen mit Urteil vom 17.02.2020 schuldig, die ihm obliegende Pflicht, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich der Achtung und des Vertrauens würdig zu erweisen, welches die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, schuldhaft verletzt zu haben, indem er widerstreitende Interessen vertrat, § 43, 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 BORA. Das Anwaltsgericht verhängte gegen den Betroffenen die anwaltsgerichtliche Maßnahme des Verweises und einer Geldbuße von € 15.000,00.
Gegen das am 17.02.2020 in Anwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verkündete Urteil legte der Betroffenen durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 18.02.2020, eingegangen am selben Tag, Berufung ein. Die Generalstaatsanwaltschaft legte gegen das Urteil mit Schriftsatz vom 19.02.0202, eingegangen am 20.02.2020, Berufung ein.
In der Berufungshauptverhandlung vor dem Senat wurden beide Berufungen jeweils mit Zustimmung des Gegners auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
II. Zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen traf der Senat folgende Feststellungen:
Der Betroffene ist seit 11 Jahren als Rechtsanwalt tätig und alleiniger Inhaber der Rechtsanwaltskanzlei … Er beschäftigt derzeit zwei angestellte Rechtsanwälte, die monatlich 3.600,00 Euro bzw. ca. 3.000,00 bis 3.300,00 Euro verdienen. Zudem sind in der Rechtsanwaltskanzlei in Vollzeit drei Rechtsanwaltsfachangestellte bzw. Rechtsfachwirte, zwei auf 450-Euro-Basis beschäftigte Schreibkräfte und drei Auszubildende tätig. Der Schwerpunkt der Tätigkeit des Betroffenen liegt zu 70% im Bereich des Verkehrsrechts. Weitere 15% entfallen auf das Arbeitsrecht, sowie nochmals 15% auf das Straf- und allgemeine Zivilrecht. Die Bearbeitung der verkehrsrechtlichen Fälle, die Abwicklung von Verkehrsunfällen für die Mandanten, ist zwar auf Anwaltsseite in größerem Maß standardisiert, erfordert aber einen hohen Personaleinsatz von Seiten der Angestellten.
Im Jahr 2018 erzielte der Betroffene einen Gewinn von 145.000,00 Euro, im Jahr 2019 einen Gewinn von 120.000,00 Euro vor Steuern. Das Jahr 2020 lief bis zum Beginn der Corona-Pandemie durchschnittlich. Im Schnitt erhielt der Betroffene Neuaufträge für die Abwicklung von drei bis fünf Unfällen pro Tag. In den Zeiten des „Lockdown“ wurden keine Neuaufträge erteilt, so dass in der Rechtsanwaltskanzlei Kurzarbeit angeordnet werden musste. Zwischenzeitlich werden im Schnitt wieder zwei neue Unfallabwicklungen pro Tag beauftragt. Infolge des wirtschaftlichen Rückgangs kündigte der Betroffene einer Vollzeitkraft. Einen der beiden angestellten Rechtsanwälte wird der Betroffene möglichweise aufgrund der Rückgänge in den Fallzahlen entlassen.
Das Kanzleikonto verfügt über einen aktuellen Stand von 4.800,00 Euro.
Der Betroffene wurde durch Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 15.03.2017, Az. 8 Ls …, rechtskräftig seit 23.03.2017, wegen Parteiverrats zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Berufsrechtlich ist der Betroffene nicht vorgeahndet.
Die Feststellungen beruhen auf den glaubhaften Angaben des Betroffenen in der Berufungshauptverhandlung. Das Strafurteil des Amtsgerichts Ingolstadt wurde in der Berufungshauptverhandlung verlesen.
III. Durch die Beschränkungen der Rechtsmittel sind die vom Anwaltsgericht zum Sachverhalt getroffenen Feststellungen sowie der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen und der Prüfung durch den Anwaltsgerichtshof entzogen, § 143 Abs. 4 Satz 1 BRAO, § 318 StPO. Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils geben den Unrechts- und Schuldgehalt der Pflichtverletzung hinreichend wieder und bilden eine ausreichende Grundlage für die Berufungsentscheidung des Senats.
IV. Bindend steht somit Folgendes fest:
Am 21.06.2011 wurde Herr G. vom Amtsgericht Ingolstadt, Az. 1 DS … wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Herr G. legte dagegen Berufung ein. In der Hauptverhandlung hatte die Schwester von Herrn G., Frau S., als Zeugin ihren Bruder entlastet und ausgesagt, er habe die angeklagte Bedrohung nicht ausgesprochen. Aufgrund dessen wurde gegen Frau S. am 09.09.2011 Anklage wegen falscher uneidlicher Aussage zum Amtsgericht Ingolstadt, Az. 2 Ds …, erhoben und die Anklage am 23.11.2011 zur Hauptverhandlung zugelassen.
Am 29.11.2011 fanden sich die Geschwister zu einer gemeinsamen Besprechung mit dem Betroffenen in dessen Kanzlei ein. Der Betroffene ließ sich sowohl von Herrn G. als auch von Frau S. mit der Verteidigung in der jeweiligen Strafsache mandatieren.
Mit Schriftsatz vom 30.11.2011 zeigte der Betroffene im Verfahren gegen Frau S. die Übernahme der Verteidigung an, beantragte Akteneinsicht und die Bestellung als Pflichtverteidiger. Zudem beantragte er eine Verlegung des bereits auf den 15.12.2011 bestimmten Hauptverhandlungstermins und wies dabei auf den ebenfalls bereits anberaumten Hauptverhandlungstermin vom 17.01.2012 in der Strafsache gegen Herrn G. hin. Der Hauptverhandlungstermin im Verfahren gegen Frau S. wurde daraufhin auf den 09.02.2012 verlegt.
Im Berufungsverfahren gegen Herrn G. vor dem Landgericht Ingolstadt, Az. 3 Ns …, zeigte der Betroffene mit Schriftsatz vom 22.12.2011 die Verteidigung von Herrn G. an und begründete die Berufung. Herr G. habe keine Bedrohung ausgesprochen. Zum Beweis hierfür benannte der Betroffene Frau S. als Zeugin. Im Verfahren gegen Herrn G. wurde der Hauptverhandlungstermin auf den 15.05.2012 verlegt.
Nach Akteneinsicht im Verfahren gegen Frau S. beantragte der Betroffene mit Schriftsatz vom 24.01.2012 eine weitere Verlegung des Termins vom 09.02.2012 bis zum Abschluss des Verfahrens gegen Herrn G., was jedoch abgelehnt wurde. Daher sprach der Betroffene im Januar 2012 in Vorbereitung der Hauptverhandlung mit Frau S. ab, dass diese zur Vermeidung einer drohenden Vollzugsstrafe in dem gegen sie geführten Verfahren aussagen werde, dass sie den Streit zwischen Herrn G. und dem angeblich bedrohten Nachbarn nicht vollständig mitbekommen habe, obwohl dies, wie der Betroffene wusste, nicht der Wahrheit entsprach. Mit Schriftsatz vom 26.01.2012 benannte der Betroffene u.a. Herrn G. als Zeugen zum Beweis dafür, dass eine Bedrohung nicht erfolgt sei und Frau S. daher am 21.06.2011 nicht die Unwahrheit gesagt habe.
Der Betroffene nahm an der Hauptverhandlung vom 09.02.2012 im Verfahren gegen Frau S. als deren Verteidiger teil. Wie zuvor mit ihm abgesprochen, räumte Frau S. ein, zugunsten ihres Bruders G. falsch ausgesagt zu haben. Das Amtsgericht verurteilte Frau S. daraufhin wegen falscher uneidlicher Aussage zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen.
Am 09.05.2012 führte der Betroffene zur Vorbereitung der Berufungshauptverhandlung im Verfahren gegen Herrn G. ein Telefonat mit dem Vorsitzenden Richter am Landgericht.
Im Mai 2012 wurde gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Parteiverrats eingeleitet. Am 15.05.2012 fand ab 10.10 Uhr eine Durchsuchung seiner Kanzleiräume statt. Am selben Tag gegen 11.21 Uhr teilte der Betroffene dem Landgericht Ingolstadt die Niederlegung des Mandats von Herrn G. mit. Die Berufungshauptverhandlung wurde daraufhin ausgesetzt. Die Berufung von Herrn G. wurde schließlich verworfen, weil dieser zum neuen Hauptverhandlungstermin am 16.05.2013 nicht erschienen war.
IV. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, zulässigen Berufungen des Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft verbleiben ohne Erfolg.
1. Das Anwaltsgericht hat zu Recht nicht nach § 115b BRAO von einer Ahndung abgesehen. Eine anwaltsgerichtliche Maßnahme erscheint zusätzlich erforderlich, um den Betroffenen zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu wahren.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Tat bereits in den Jahren 2011 / 2012 begangen wurde, und sowohl das strafrechtliche Verfahren als auch das berufsrechtliche Verfahren ganz erhebliche Zeitdauer in Anspruch nahmen. Dabei war auch zu beachten, dass gerade das Strafverfahren u.a. durch die damit verbundene Presseberichterstattung den Betroffenen erheblich beeinträchtigte und insbesondere dessen angestrebte politische Karriere verhinderte. Ferner berücksichtigt der Senat, dass der Betroffene abgesehen von der Verurteilung wegen Parteiverrats nicht strafrechtlich und auch berufsrechtlich nicht vorgeahndet ist. Vergleichbare Vorfälle hat es seither nicht mehr gegeben. Des Weiteren spricht zugunsten des Betroffenen, dass er glaubhaft mit dem Willen handelte, den Mandanten zu helfen und sich deren Einverständnis mit dem geplanten Vorgehen versicherte.
Dennoch erscheint eine anwaltsgerichtliche Maßnahme erforderlich. Die strafrechtliche Verurteilung wegen Parteiverrats mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten ist an der untersten Grenze des Strafrahmens des § 356 Abs. 1 StGB; ein Berufsverbot wurde nicht verhängt. Zudem handelt es sich um eine essentielle Kernpflicht der anwaltlichen Tätigkeit, keine widerstreitenden Interessen zu vertreten. Ein Verstoß hiergegen stellt eine Pflichtverletzung von ganz erheblichem Gewicht dar. Der Rechtsanwalt soll gerade „unabhängiger“ Berater und Vertreter der Rechtssuchenden, § 3 BRAO sein. Daher erachtet der Senat sowohl zur weiteren Einwirkung auf den Betroffenen als auch zur Wahrung des Ansehens der Anwaltschaft die Verhängung einer anwaltsgerichtlichen Maßnahme als nötig.
2. Der Senat hält die Verhängung eines Verweises und einer Geldbuße nach § 114 Abs. 2 BRAO für gerade noch ausreichend. Aufgrund besonderer Umstände im vorliegenden Fall sieht der Senat von einem grundsätzlich angezeigten Vertretungsverbot nach § 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO ab.
Für die Verhängung eines Vertretungsverbots spricht, dass der Betroffene, wie bereits ausgeführt, eine Pflichtverletzung von ganz erheblichem Gewicht begangen hat, indem er gegen eine anwaltliche Kernpflicht verstoßen hat.
Dennoch hält der Senat im Hinblick auf die folgenden besonderen Umstände ausnahmsweise einen Verweis und eine Geldbuße für noch ausreichend.
Zum einen liegt die im Jahr 2011 / 2012 begangene Tat sehr lange zurück. Der Betroffene ist – abgesehen von der Verurteilung wegen Parteiverrats – weder strafrechtlich noch berufsrechtlich vorgeahndet. Vergleichbare Vorfälle haben sich nach 2011 nicht mehr ereignet. Ferner hat der Betroffenen jedenfalls subjektiv in der Überzeugung gehandelt, beiden Mandanten zu helfen und das Vorgehen mit diesen abgestimmt. Schließlich wurde infolge des Strafverfahrens die angestrebte politische Karriere des Betroffenen verhindert.
Außerdem hat der Betroffene in der Hauptverhandlung nachvollziehbar dargelegt, dass er nunmehr jedenfalls in erhöhtem Maße sensibilisiert ist, sich in einer Reihe von Fällen bei der Rechtsanwaltskammer nach deren Einschätzung erkundigt hat und in Zweifelsfällen das Mandat nicht übernimmt. Auch hat der Betroffene durch die Akzeptanz des Strafurteils, die Beschränkung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichts auf die Rechtsfolgen und die Einräumung jedenfalls des äußeren Sachverhalts ein gewisses Maß an Einsicht gezeigt. Der Senat hat den Eindruck gewonnen, dass der Betroffene durch Art und Dauer der straf- und berufsrechtlichen Verfahren einschließlich der Durchsuchung der Kanzlei und der damit einhergehenden Presseberichterstattung so beeindruckt wurde, dass er in Zukunft in Zweifelsfällen die Übernahme von Mandaten ablehnen wird. Daher erscheint die Verhängung eines Verweises und einer deutlichen Geldbuße zur Einwirkung auf den Betroffenen zwar als erforderlich, aber auch als noch ausreichend.
3. Ein Verweis und eine Geldbuße von 15.000,00 Euro, wie vom Anwaltsgericht verhängt, hält der Senat unter Abwägung aller für und gegen den Betroffenen sprechenden Umstände für erforderlich aber auch ausreichend.
Zulasten des Betroffenen war das erhebliche Gewicht der Pflichtverletzung, wie bereits ausgeführt, zu berücksichtigen. Insbesondere handelt es sich um eine Pflichtverletzung, die im Regelfall bereits mit einem Vertretungsverbot zu ahnden wäre, so dass es der Verhängung einer deutlichen Geldbuße bedurfte.
Zugunsten des Betroffenen waren die unter Ziff. 2 bereits angeführten, für den Betroffenen streitenden Aspekte zu beachten. Des Weiteren hat der Senat in die Abwägung einbezogen, dass die Anwaltskanzlei des Betroffenen durch die Corona-Pandemie auch wirtschaftlich in nicht unerheblichem Maß beeinträchtigt wurde. Eine Verringerung der vom Anwaltsgericht verhängten Geldbuße, wie vom Betroffenen beantragt, kam aber aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung und auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Abs. 2 und § 198 Abs. 1 BRAO.


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