Strafrecht

Beschwerde, Hauptverhandlung, Staatsanwaltschaft, Verteidiger, Strafkammer, Ermittlungsrichter, Verfahren, Bestellung, Beschuldigte, Stellungnahme, Zweifel, Glaubhaftigkeit, Tatvorwurf, Kenntnis, Schwierigkeit der Sachlage

Aktenzeichen  19 Qs 8/21

Datum:
9.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9659
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Beim Tatvorwurf der falschen Verdächtigung gemäß § 164 StGB gilt die Sachlage grundsätzlich als schwierig, da zur Klärung des Tatvorwurfs zwei Geschehensabläufe zu rekonstruieren und zueinander ins Verhältnis zu setzen sind, womit ein Normalbürger regelmäßig überfordert ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

ER I Gs 2435/21 2021-03-08 Bes AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschuldigten … vom 15.03.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 08.03.2021 (Gz. ER I Gs 2435/21), wird dieser aufgehoben und der Beschuldigten Rechtsanwalt … als Pflichtverteidiger beigeordnet.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beschuldigten darin entstanden notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.
Der Beschuldigten … wird vorliegend zur Last gelegt, den gesondert Verfolgten … in der Hauptverhandlung der 20. Strafkammer des Landgerichts München I vom 24.06.2020 (Az. 20 KLs 459 Js 207254/18) gegen den zu diesem Zeitpunkt Angeklagten … bewusst wahrheitswidrig bezichtigt zu haben, sie unter der Androhung, dass ihren Kindern etwas zustoßen würde, zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben, woraufhin gegen den anderweitig Verfolgten … von der Staatsanwaltschaft M. I ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung eingeleitet wurde (Az. 457 Js 159363/20).
Das Verfahren gegen den anderweitig Verfolgten … (Az. 457 Js 159363/20) wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 19.03.2021 mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da die weiteren Ermittlungen erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Beschuldigten … ergeben hätten. Insbesondere habe die Beschuldigte auch selbst eingeräumt, in der Hauptverhandlung der 20. Strafkammer des Landgerichts München I am 24.06.2020, bewusst verschwiegen zu haben, dass sie mit dem gesondert Verfolgten … eine sexuelle Beziehung geführt habe (vgl. Stellungnahme der Beschuldigten Bl. 48).
Mit Schriftsatz vom 23.02.2021 (Bl. 45) beantragte der Wahlverteidiger der Beschuldigten, Rechtsanwalt …, seine Beiordnung als Pflichtverteidiger.
Mit Beschluss des Amtsgerichts München – Ermittlungsrichter – vom 08.03.2021, Gz. ER I Gs 2435/21 (Bl. 52/54), wurde der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt, da weder ein Katalogfall des § 140 Abs. 1 StPO noch ein Fall des § 140 Abs. 2 StPO vorliege.
Hiergegen legte die Beschuldigte mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 15.03.2021 (Bl. 55) Beschwerde ein und beantragte die Beiordnung ihres Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger.
Die Beschwerde wird insbesondere damit begründet, dass die Beschuldigte mit dem ganzen Geschehen überfordert erscheine.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO) und begründet.
Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor, da vorliegend sowohl die Sach-, als auch die Rechtslage als schwierig zu bewerten ist.
Beim Tatvorwurf der falschen Verdächtigung gemäß § 164 StGB – der vorliegend neben dem Vorwurf der uneidlichen Falschaussage gem. § 153 StGB im Raum steht – gilt die Sachlage grundsätzlich als schwierig, da zur Klärung des Tatvorwurfs zwei Geschehensabläufe zu rekonstruieren und zueinander ins Verhältnis zu setzen sind, womit ein Normalbürger regelmäßig überfordert ist (LG Essen Beschl. v. 9.5.2011 – 56 Qs 25/11, BeckRS 2011, 25713).
So ist es auch hier. Zum einen muss das von der Beschuldigten behauptete Geschehen der Vergewaltigung rekonstruiert werden, zum anderen die Situation der Aussage der Beschuldigten vor dem Landgericht München I und ihre hierbei getätigten Angaben. In hiesigem Verfahren muss mithin das gesamte, dem gesondert Verfolgten Ostertag vorgeworfene Tatgeschehen inzident geprüft werden.
Hinzu kommt, dass die Hauptverhandlung ohne Aktenkenntnis, die nur einem Verteidiger gemäß § 147 StPO zusteht, hier nicht umfassend vorbereitet werden kann, da, – um die Tatvorwürfe prüfen zu können – die Kenntnis der Einlassungen und der Zeugenaussagen von Bedeutung ist, was die Schwierigkeit der Sachlage zudem vertieft (vgl. MüKoStPO/Thomas/Kämpfer StPO § 140 Rn. 37-41 mit Nachweisen aus der obergerichtlichen Rspr.).
Aber auch die Rechtslage ist vorliegend im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand des § 164 StGB als schwierig zu beurteilen, da dieser regelmäßig eine Abgrenzung der allein tatbestandlichen Absicht, ein Verfahren herbeizuführen, von anderen Vorsatzformen verlangt. Anders als bei vielen anderen Tatbeständen des Kernstrafrechts, reicht hier die Möglichkeit einer laienhaften Einschätzung des Rechts nicht aus, um sich ausreichend zu verteidigen (vgl. LG Essen Beschl. v. 9.5.2011 – 56 Qs 25/11, BeckRS 2011, 25713).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs. 1, 467 und 473 Abs. 1, 3 und 4 StPO analog.


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