Strafrecht

Eilrechtsschutz, vorläufige Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, besondere Verantwortung bei der Fahrgastbeförderung, Verurteilung wegen Beleidigung, Berücksichtigung eingestellter bzw. offener Strafverfahren, Fahreignungsrelevanz des Verstoßes eines Taxifahrers gegen COVID-19-Schutzmaßnahmen, Fahreignungsrelevanz des Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis durch einen Taxifahrer, Zurückstellung der behördlichen Entscheidung bei laufenden Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, keine Verletzung der Unschuldsvermutung

Aktenzeichen  W 6 E 21.772

Datum:
18.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18850
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
FeV § 48 Abs. 4 Nr. 2a, § 48 Abs. 5 S. 2 Nr. 3
StVG § 21
StGB § 164
EMRK Art. 6 Abs. 2
IfSG § 78

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Verlängerung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung für Taxen und Mietwagen.
1. Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge seit 2004 als Taxifahrer tätig. Zuletzt wurde ihm am 14. Mai 2019 von der Antragsgegnerin eine auf zwei Jahre befristete Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erteilt.
Am 22. April 2021 beantrage der Antragsteller bei der Antragsgegnerin telefonisch die Verlängerung seiner Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung.
2. Mit Schreiben vom 20. Mai 2021 teilte die Antragsgegnerin dem Bevollmächtigten des Antragstellers mit, es bestünden Zweifel, ob der Antragsteller die nach § 48 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 bzw. 48 Abs. 4 Nr. 2a Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) erforderliche Gewähr dafür biete, dass er der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht wird. Ein Fahrzeugführer biete diese Gewähr nicht, wenn nach einer umfassenden Würdigung seiner Gesamtpersönlichkeit anhand aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch von Verstößen nichtverkehrsrechtlicher Art, ernsthaft zu befürchten sei, dass er die besonderen Sorgfaltspflichten, die ihm bei der Beförderung von Fahrgästen oblägen, zukünftig missachten werde. Verstöße nichtverkehrsrechtliche Art könnten insoweit bedeutsam sein, wenn sie Charaktereigenschaften erkennen ließen, die sich im Falle einer Personenbeförderung zum Schaden der Fahrgäste auswirken könnten. Im vorangegangenen Verfahren zur Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung des Antragstellers habe die Antragsgegnerin durch Vorlage eines Führungszeugnisses Kenntnis davon erlangt, dass für den Antragsteller eine Eintragung im Register bestehe. Er sei wegen Beleidigung rechtskräftig verurteilt worden. Außerdem hätten ergänzende Ermittlungen ergeben, dass der Antragsteller aufgrund vier weiterer von ihm begangener Straftaten „vorbestraft“ sei. Es habe sich zweimal um eine Beleidigung gehandelt (Tattage: 21.8.2004 und 6.11.2012), eine vorsätzliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit versuchter Nötigung (Tattag: 9.5.2006) und eine Verletzung der Unterhaltspflicht (Tattag 31.7.2004). Des Weiteren sei ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Belästigung (Tag der angeblichen Tat 29.12.2018) anhängig gewesen, welches durch die Staatsanwaltschaft S. … gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Aufgrund dieser mehrfachen Tatauffälligkeiten habe man sich gefragt, ob der Antragsgegner noch die Gewähr dafür biete, dass er der besonderen Verantwortung bei der Frühförderung von Fahrgästen gerecht werde. Die Antragsgegnerin sei bei dieser Fallkonstellation berechtigt gewesen, durch die Anordnung der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens diese Bedenken an der „persönlichen Zuverlässigkeit“ aufzuklären. Im Rahmen der Interessenabwägung sei jedoch berücksichtigt worden, dass die Tatbegehungen – bis auf die Beleidigung vom 27. Dezember 2017 – bereits länger zurückgelegen hätten. Aus diesem Grund sei damals auf eine Überprüfung der charakterlichen Eignung verzichtet und dem Antrag auf Verlängerung der Geltungsdauer der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxen und Mietwagen stattgegeben worden. Die Gültigkeit sei jedoch vorerst nur für zwei Jahre bis 14. Mai 2021 ausgesprochen worden. Sofern der Antragsteller innerhalb dieser Geltungsdauer seine Pflichten als Taxifahrer beachte und auch keinerlei Anlass zum Zweifel an seiner persönlichen Zuverlässigkeit hervorrufe, könne ihm die Verlängerung auf die vollen fünf Jahre bis 14. Mai 2024 gewährt werden. Diese Entscheidung sei dem damaligen Rechtsvertreter des Antragstellers am 14. Mai 2019 schriftlich mitgeteilt worden. Im Rahmen der aktuellen Antragsbearbeitung seien der Stadt S. … neue Strafanzeigen gegen den Antragsteller bekannt geworden. So sei er wiederholt wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung (Tattage: 26.3.2019, 17.7.2019, 16.12.2019 und 27.4.2020), Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (Tattage: 30.4.2020, 1.5.2020 und 21.5.2020), nochmals Beleidigung (Tattag: 10.12.2020) sowie fahrlässiges Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Tattag: 9.3.2020) bei Staatsanwaltschaften angezeigt worden. Außerdem sei ein Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz mit falscher Namensangabe (Tattag 13.12.2020) bekannt. Bei der Personenbeförderung würden Zweifel an der Gewähr für die besondere Verantwortung, die hier durch die immer wiederkehrenden Tatauffälligkeiten begründet seien, die spezielle Zuverlässigkeit infrage stellen. Eine Verlängerung des Personenbeförderungsscheins sei erst möglich, wenn die entstandenen Zweifel ausgeräumt worden seien. Bei der Beantwortung dieser Frage seien im Rahmen einer Gesamtwürdigung der relevanten Sachverhalte alle für die Beurteilung der Eignung des Antragstellers maßgeblichen Sachverhaltsumstände in einer umfassenden Würdigung einzustellen und sowohl die zugunsten als auch zulasten des Antragstellers sprechenden Umstände zu berücksichtigen. Dies gelte auch, wenn wie hier Strafanzeigen Anlass zum behördlichen Tätigwerden liefern würden. Weise die rechtskräftige Verurteilung keinen unmittelbaren Bezug zur Personenbeförderung auf, sei einer ordnungsgemäßen Tatsachenermittlung und einer den rechtlichen Anforderungen entsprechenden Vorbereitung einer Entscheidung die Beiziehung der Straf- oder Ermittlungsakte, jedenfalls aber der konkreten strafgerichtlichen Entscheidung erforderlich. Aufgrund der neu bekannt gewordenen Tatauffälligkeiten seit der letzten Verlängerung bestünden wieder Zweifel daran, ob der Antragsteller die erforderliche Gewähr dafür biete, dass er der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht werde. Deshalb stelle man die Entscheidung über die beantragte Verlängerung der Erlaubnis vorläufig zurück, bis über die noch offenen Strafverfahren rechtskräftig entschieden sei. Es sei dem Antragsteller zuzumuten, dass die Fahrerlaubnisbehörde mit der Entscheidung über die begehrte Verlängerung der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung solange zuwarte, bis sowohl über die anhängigen Strafverfahren rechtskräftig entschieden als auch die Sachverhaltsermittlung der Antragsgegnerin abgeschlossen sei. Erst danach bestehe Gewissheit darüber, ob berechtigte Zweifel an der erforderlichen Gewähr im Sinne des § 48 FeV vorlägen oder nicht.
3. Am 2. Juni 2021 ließ der Antragsteller bei Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO beantragen,
die Antragsgegnerin zu verurteilen, dem Antragsteller widerruflich bis zum Abschluss der gegen den Antragsteller geführten Verfahren vor dem Amtsgericht H. …, Az. … sowie dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft S. …, Az. . … längstens jedoch bis zum 14. Mai 2026 die Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxi und Mietwagen zu verlängern.
Zur Begründung wurde ausgeführt, unter dem 2. September 2020 weise das Bundeszentralregister für den Antragsteller keine Eintragung auf. Derzeit würden gegen den Antragsteller zwei Strafverfahren geführt. Die Staatsanwaltschaft S. … ermittle unter dem Aktenzeichen . … wegen des Verdachts der Körperverletzung gegen den Antragsteller. Dieses Ermittlungsverfahren sei durch die Staatsanwaltschaft S. … bereits mit Verfügung vom 2. Dezember 2020 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Allein aufgrund der Beschwerde des angeblich Verletzten sei das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen worden. Hierbei habe der angeblich Verletzte einen Zeugen angeführt, welcher tatsächlich nicht vor Ort anwesend gewesen sei und daher auch keine Angaben zum Tatgeschehen machen könne. Insofern dürfte abzusehen sein, dass eine Verurteilung des Antragstellers mehr als unwahrscheinlich sei. Unabhängig hiervon hätte diese keinerlei Bezüge zur beantragten Verlängerung der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung. Ferner werde gegen Antragsteller derzeit ein Strafverfahren vor dem Amtsgericht H. … unter dem Aktenzeichen … geführt. Das Gericht habe den Verhandlungstermin auf den 23. Juni 2021 bestimmt. Gegenstand dieses Verfahrens sei der Vorwurf, fahrlässig als Halter eines Kraftfahrzeugs angeordnet oder zugelassen zu haben, dass jemand das Fahrzeug führt, der die dazu erforderliche Erlaubnis nicht gehabt habe. Das Amtsgericht habe ursprünglich einen Strafbefehl erlassen, welcher 25 Tagessätze von je 30,00 EUR vorgesehen habe. Gegen diesen Strafbefehl sei Einspruch eingelegt worden. Ausweislich der schriftlichen Zeugenaussage des Zeugen K. dürfte sich dieser Tatvorwurf als unbegründet erweisen. Unabhängig hiervon fehle es auch hier an einem Bezug zur Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung. Unter dem 17. Mai 2021 sei die Antragsgegnerin aufgefordert worden, der beantragten Verlängerung der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung zuzustimmen. Dies habe die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 20. Mai 2021 zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin verletze mit diesem Schreiben nicht nur den Grundsatz der Unschuldsvermutung. Sie ermögliche mit ihrer Handhabung vielmehr auch konkurrierenden Taxiunternehmern, durch die unberechtigte Stellung von Strafanzeigen in zeitlicher Nähe zu anstehenden Fahrerlaubnisverlängerung entsprechende Konkurrenten „aus dem Verkehr zu ziehen“. Unzweifelhaft sei eine neue Verurteilung des Antragstellers seit dem letzten Verlängerungszeitpunkt nicht erfolgt. Die Ausgangslage sei daher identisch mit derjenigen zum Zeitpunkt der letzten Verlängerung der Erlaubnis. Das Interesse der Antragsgegnerin, bis zum Abschluss der anhängigen Verfahren zuzuwarten, überwiege die Interessen des Antragstellers auf Ausübung seiner grundgesetzlich geschützten Berufsfreiheit nicht. Durch die zweifelhafte Praxis der Antragsgegnerin werde es dem Antragsteller vielmehr für einen ungewissen Zeitraum unmöglich gemacht, seinen Beruf auszuüben und seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Insofern sei es der Antragsgegnerin zuzumuten, zunächst widerruflich bis zum Abschluss der genannten Verfahren dem Antragsteller die begehrte Verlängerung zu erteilen.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurden die bereits im Schreiben vom 20. Mai 2021 dargelegten Erwägungen wiederholt und ergänzend ausgeführt, soweit vorgetragen werde, dass der Antragsteller bereits seit 2004 als Taxifahrer tätig und es ihm im Hinblick auf seine gesetzlich geschützte Betätigungsfreiheit nicht zuzumuten sei, bis zum Abschluss der Ermittlungen zuzuwarten, würde dies bei der Abwägung der privaten mit den öffentlichen Interessen zu keinem anderen Ergebnis führen. Im Übrigen enthalte das Straßenverkehrs- und Fahrerlaubnisrecht keine festen Regelungen, nach deren Ablauf eine Überprüfung der „persönlichen Zuverlässigkeit“ des Bewerbers für eine Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung nicht mehr zulässig wäre. Dem Antragsteller sei zuzumuten, dass die Fahrerlaubnisbehörde mit der Entscheidung über die begehrte Verlängerung der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung solange zuwarte, bis sowohl über die anhängigen Strafverfahren rechtskräftig entschieden als auch die Sachverhaltsermittlung der Antragsgegnerin abgeschlossen sei. Erst dann bestehe Gewissheit, ob berechtigte Zweifel an der erforderlichen Gewähr im Sinne des § 48 FeV bestünden oder nicht. Auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit oder gar auf eine konkrete Gefahr, dass der Antragsteller tatsächlich seine Pflichten gegenüber den Fahrgästen verletzen werde, komme es dabei nicht an. Für die Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung müsse nicht die Nichteignung feststehen, sondern es würden bereits Zweifel an der Zuverlässigkeit genügen. Hierüber könne die Fahrerlaubnisbehörde jedoch erst nach Abschluss der oben genannten strafrechtlichen Verfahren entscheiden. Zusammengefasst bedürfe es daher vor Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit Taxi und Mietwagen einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung mit anschließender Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Antragstellers. Die Voraussetzungen seien durch die noch offenen Strafverfahren noch nicht erfüllt. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei daher abzulehnen. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit vor Beendigung der Strafverfahren einstweilen einen Anspruch auf eine Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet und somit abzulehnen.
1. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch wenn sie zur Regelung eines vorläufigen Zustands, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, gemäß § 920 Abs. 2 i.V.m. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen.
Nach dem Wesen und Zweck des vorläufigen Rechtsschutzes darf das Gericht nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller dabei nicht schon das gewähren, was er im Falle des Obsiegens in der Hauptsache erreichen würde (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 123 Rn. 13 f.). Allenfalls unter engen Voraussetzungen können im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG die Wirkungen einer Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen werden; so wenn der Antragsteller beim Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache sein Rechtschutzziel nicht mehr erreichen kann, ihm dadurch unzumutbare, irreparable Nachteile entstünden und eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache besteht (Schenke, a.a.O. § 123 Rn. 26).
2. Hieran gemessen war der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Der Antragsteller hat bereits nicht glaubhaft gemacht, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit einstweilen einen Anspruch auf eine vorläufige Verlängerung bzw. Neuerteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung besitzt.
2.1 Offen bleiben kann zunächst, ob die am 14. Mai 2021 abgelaufene und damit erloschene Erlaubnis des Antragstellers überhaupt noch verlängert oder nur neu erteilt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2020 – 11 CE 20.870 – BeckRS 2020, 9470 Rn. 16 m.w.N.). Denn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kann nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO ggf. auch im Sinne einer einstweiligen Erteilung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung ausgelegt werden, da das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ersichtlich dahin geht, bis zum Vorliegen der Entscheidungsreife seines Antrags weiterhin Fahrgäste befördern zu dürfen.
Weiter ist vorliegend bei der Prüfung eines Verlängerungs- oder Erteilungsanspruchs nach Aktenlage allein streitig, ob der Antragsteller die Gewähr dafür bietet, dass er der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht wird. Dies setzen – jeweils i.V.m. mit § 11 Abs. 1 Satz 4 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) – sowohl § 48 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 FeV für die Verlängerung als auch § 48 Abs. 4 Nr. 2a FeV für die Neuerteilung voraus, was sowohl vom Erlaubnisinhaber als auch vom Bewerber um eine Erlaubnis durch ein Führungszeugnis nach § 30 Abs. 5 Satz 1 BZRG und eine aktuelle Auskunft aus dem Fahreignungsregister nachzuweisen ist (§ 11 Abs. 1 Satz 5, § 48 Abs. 4 Nr. 2a, § 48 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 FeV). Sowohl im Rahmen einer Erteilung als auch bei einer Verlängerung muss demnach das Gewährbieten des Antragstellers von der Fahrerlaubnisbehörde positiv festgestellt werden.
Demnach stellt sich im vorliegenden Verfahren unabhängig davon, ob es sich um eine Erteilung oder Verlängerung der Erlaubnis handelt, die Frage, ob der Antragsteller zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gewähr für die Wahrnehmung der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen bietet.
2.2 Die Gewähr für die Wahrnehmung der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen im Sinne des § 48 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 bzw. § 48 Abs. 4 Nr. 2a und § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV fehlt bereits dann, wenn Umstände vorliegen, die die ernsthafte Befürchtung rechtfertigen, der Bewerber werde die ihm gegenüber den anvertrauten Fahrgästen obliegenden besonderen Sorgfaltspflichten (künftig) missachten.
Das Gewährbieten im vorgenannten Sinne stellt eine gesteigerte charakterliche Eignungsanforderung für die Fahrgastbeförderung dar (Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2019, § 48 FeV Rn. 25). Eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung darf danach schon dann nicht erteilt oder verlängert werden, wenn Tatsachen die Prognose rechtfertigen, dass vom Antragsteller im Vergleich zu einem sich normgerecht verhaltenden Menschen gesteigerte Gefahren für schützenswerte Rechtsgüter der Fahrgäste ausgehen (Trésoret in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 6.1.2020, § 48 FeV Rn. 140, 316). Denn gerade im gewerblichen Personenbeförderungsverkehr sind die Fahrgäste in besonderem Maße dem Führer des Fahrzeugs ausgeliefert und müssen darauf vertrauen, dass seine persönliche Zuverlässigkeit keinerlei Zweifeln begegnet. Eines (zweifelsfreien) Nachweises mangelnder Zuverlässigkeit bedarf es insoweit nicht (vgl. VG München, B.v. 21.4.2020 – 6 E 20.1639 – BeckRS 2020, 9471 Rn. 18 m.w.N.). Vielmehr hat in diesen Fällen der Bewerber diese Zweifel auszuräumen.
Bei der Prognose sind im Rahmen einer Gesamtwürdigung der relevanten Sachverhalte alle für die Beurteilung der Eignung des Bewerbers maßgeblichen Umstände in einer umfassenden Würdigung einzustellen und sowohl die zugunsten als auch zulasten des Fahrerlaubnisbewerbers sprechenden Umstände zu berücksichtigen. Dies gilt auch, wenn eine rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung Anlass zum behördlichen Tätigwerden liefert. Weist die rechtskräftige Verurteilung keinen unmittelbaren Bezug zur Personenbeförderung auf, ist zur ordnungsgemäßen Tatsachenermittlung und einer den rechtlichen Anforderungen entsprechenden Vorbereitung einer Entscheidung die Beiziehung der Straf- oder Ermittlungsakte, jedenfalls aber der konkreten strafgerichtlichen Entscheidung erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2020 – 11 CE 20.870 – BeckRS 2020, 9470 Rn. 17; Trésoret in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 6.1.2020, § 48 FeV Rn. 172 ff.; Dauer in Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 48 FeV Rn. 26 m.w.N.). Überdies können und müssen bei der Gesamtwürdigung auch entscheidungsrelevante Sachverhalte, in denen es (ggf. noch) nicht zu einer Verurteilung gekommen ist, die aber einen Straftatbestand mit Bedeutung für die Gewähr der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen verwirklicht haben könnten, berücksichtigt werden. Dazu können insbesondere Polizei- und Ermittlungsberichte der jüngeren Vergangenheit, die gemäß § 2 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 5 StVG einer Mitteilungspflicht unterliegen, Eingang in die behördliche Prognoseentscheidung finden, wenn auch nicht unbedingt mit gleichem Gewicht wie eine aktenkundige strafrechtliche Verurteilung (vgl. Trésoret in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 6.1.2020, § 48 FeV Rn. 170 f.).
Begründen Tatsachen Zweifel an der Gewähr der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung (§ 48 Abs. 9 Satz 1 FeV). Insoweit kann nach § 48 Abs. 9 Satz 3 FeV und § 48 Abs. 9 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8, Abs. 1 Satz 4 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 48 Abs. 9 Satz 1 FeV i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Fahrgastbeförderung zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, hat die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens zu unterbleiben (§ 11 Abs. 7 FeV) und die beantragte Erteilung bzw. Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung ist unmittelbar abzulehnen.
2.3 Hiervon ausgehend hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass er derzeit mit hoher Wahrscheinlichkeit die erforderliche Gewähr für die besondere Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen erfüllt.
Das Gericht teilt die Auffassung der Antragsgegnerin, wonach im Hinblick auf vorangegangene aktenkundige strafrechtliche Auffälligkeiten des Antragstellers sowie diverse noch laufende Ermittlungsverfahren derzeit Bedenken an der für die Fahrgastbeförderung erforderlichen spezifischen charakterlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers bestehen. Die noch ausstehende umfassende und abschließende Gesamtwürdigung des Verhaltens und der Persönlichkeit des Antragstellers seitens der Fahrerlaubnisbehörde kann indes erst unter Berücksichtigung des noch offenen Ausgangs der laufenden Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren erfolgen.
Der Antragsteller kann den von ihm geforderten Nachweis des Gewährbietens für die besondere Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen somit derzeit nicht erbringen. Im überwiegenden Interesse des Schutzes der Fahrgäste kommt deshalb selbst eine vorläufige Erteilung bzw. Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung nicht in Betracht. Dazu im Einzelnen:
2.3.1 Bereits im Vorfeld der letztmaligen Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung im Mai 2019 bestanden seitens der Antragsgegnerin berechtigterweise gewisse Bedenken an der notwendigen Gewähr des Antragstellers für die besondere Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen.
Mit Urteil des LG S. … vom 26. September 2018 (Az. . … . ….) wurde der Antragsteller wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Ausweislich der Feststellungen des Strafgerichts lag dem zugrunde, dass der Antragsteller am 27. Dezember 2017 einen Polizeibeamten, der zuvor das erneute Aufflammen einer Auseinandersetzung des Antragstellers mit einem Fahrgast verhinderte, durch eine bewusste Veränderung von dessen Namen in seiner Ehre herabsetzte. Der Urteilsbegründung ist zu entnehmen, dass nach dem Ergebnis der Beweiserhebung provokatives Verhalten dem Charakter und Naturell des Antragstellers, der bereits zweimal wegen Beleidung vorbestraft war, in Konfliktsituationen zu entsprechen scheine. Ihm fehle es ganz offensichtlich an jeglichem Respekt vor staatlichen Institutionen. Der Antragsteller, der sich in der Hauptverhandlung zunächst als ruhigen und gelassenen Menschen habe darstellen wollen, habe sich auch im Verlauf der Berufungsverhandlung zunehmend provokativ und erregt verhalten, die Zeugen bei ihrer Aussage und später auch den Vorsitzenden Richter bei der mündlichen Urteilsbegründung unterbrochen.
Diese rechtskräftige Verurteilung des Antragstellers wegen Beleidigung gibt Grund zu der Befürchtung, dass er auch in Konfliktlagen, wie sie im Berufsalltag eines Taxifahrers häufig auftreten können (z.B. bei Meinungsverschiedenheiten mit Fahrgästen über das zu entrichtende Entgelt oder über die korrekte Erfüllung weiterer von einem Taxifahrer geschuldeter Verhaltensweisen), nicht situationsangemessen zu reagieren vermag, was die Besorgnis begründet, dass sich auch Fahrgäste gleichen oder ähnlichen Ehrverletzungen ausgesetzt sehen könnten (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2012 – 11 CE 11.2964 – juris Rn. 31). Diese Besorgnis scheint nach den oben aufgeführten deutlichen Hinweisen des LG S. … in der Urteilsbegründung auf den Antragsteller in besonderer Weise zuzutreffen, zumal die abgeurteilte Beleidung selbst im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Antragstellers als Taxifahrer erfolgte.
Vor diesem Hintergrund teilte die Antragsgegnerin dem damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers berechtigterweise ihre Zweifel an der Gewähr des Antragstellers für die besondere Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen mit. Neben der vorgenannten Verurteilung durch das LG S. … nahm die Antragsgegnerin in ihrem Schreiben vom 14. Mai 2019 (Bl. 109 der Behördenakte) insoweit auch auf bereits länger zurückliegende Vorstrafen des Antragsstellers sowie auf ein im April 2019 von der Staatsanwaltschaft S. … gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestelltes Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wegen einer angeblichen sexuellen Belästigung eines Fahrgastes Bezug. Nach einer Gesamtwürdigung sah die Antragsgegnerin damals von einem näheren Überprüfungsverfahren ab und erteilte die Erlaubnis befristet auf zwei Jahre. Dabei wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass eine Verlängerung erteilt werden könne, wenn er seine grundlegenden Pflichten als Taxifahrer künftig beachtet und keinerlei Anlass zum Zweifel an seiner persönlichen Zuverlässigkeit bei der Beförderung von Fahrgästen hervorruft.
Diesen Hinweis der Antragsgegnerin hat sich der Antragsteller jedoch offenbar nicht als Warnung dienen lassen. Denn in der Folgezeit wurden (dazu 2.3.2) und werden (dazu 2.3.3) weitere die charakterliche Eignung des Antragstellers zur Personenbeförderung in Zweifel ziehende Ermittlungsverfahren geführt.
2.3.2 So wurde gegen den Antragsteller bei der Staatsanwaltschaft W. … bis zur Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO im September 2019 ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung geführt. Ausweislich des Ermittlungsberichts der Polizeiinspektion W. … habe der Antragsteller am 17. Juli 2019 nachts vor einer Diskothek, die ihm kurz zuvor des Hauses verwiesen und Hausverbot erteilt habe, eine Frau beleidigt („Schlampe“) und sei ihr anschließend körperlich nahe gekommen. Da die Frau verängstigt gewesen sei, habe sie dem Antragsteller eine Schelle mit der flachen Hand gegeben, woraufhin der Antragsteller sie mit der Faust auf die rechte Wange geschlagen und dadurch zu Fall gebracht habe. Diesen Vorfall hätten laut Polizei vor Ort (u.a.) der Antragsteller sowie auch ein unbeteiligter Zeuge bestätigt.
Aufgrund einer weiteren Auseinandersetzung am 16. Dezember 2019 mit einem Bekannten wurde gegen den Antragsteller ein Strafverfahren wegen Bedrohung und Beleidigung geführt, das vom Amtsgericht S. … am 30. November 2020 mit Zustimmung des Antragsstellers gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Danach war der Antragsteller hinreichend verdächtig, seinen Bekannten im Rahmen eines Streits bedroht und beleidigt zu haben. Aus dem zugrundeliegenden Ermittlungsbericht der Polizeiinspektion S. … vom 21. Januar 2020 (Bl. 143 ff. der Behördenakte) ergibt sich, dass der Antragsteller zuvor bereits im Zusammenhang mit elf Vorgängen wegen Gewaltdelikten auffällig geworden sei.
Diese beiden inzwischen eingestellten Strafverfahren ergeben weitere, die rechtskräftige Verurteilung durch das LG S. … vom 26. September 2018 bestätigende Hinweise darauf, dass vom Antragsteller im Vergleich zu einem sich normgerecht verhaltenden Menschen gesteigerte Gefahren für schützenswerte Rechtsgüter der Fahrgäste – namentlich deren körperliche Integrität sowie Ehre – ausgehen könnten.
2.3.3 Schließlich werden derzeit auch weitere Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Antragsteller geführt, die Zweifel an seiner Gewähr für die besondere Verantwortung zur Fahrgastbeförderung wecken.
Namentlich läuft ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft S. … wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (Az. …). Nähere Hintergründe zu diesem Verfahren sind vorliegend nicht aktenkundig. Bedenken an der Gewähr des Antragstellers könnten sich hieraus indes nicht nur im Hinblick auf Gefahren für die körperliche Integrität der vom Antragsteller beförderten Fahrgäste ergeben. Je nach Inhalt und Ergebnis des Strafverfahrens könnten sich Risiken für die im Rahmen des § 201 StGB geschützte Privatsphäre der vom Antragsteller beförderten Fahrgäste zeigen. Diese dürfen in besonderer Weise darauf vertrauen, dass sie vom Antragsteller im Rahmen einer Taxifahrt weder heimlich abgehört noch gefilmt werden. Auch insoweit besteht ohne weiteres ein Bezug der dem Antragsteller vorgeworfenen Delinquenz zu seiner Tätigkeit als Taxifahrer.
Ferner wird gegen den Antragsteller ein Verfahren wegen fahrlässigem Zulassen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 StVG) beim Amtsgericht H. … (Az. … ….) geführt. Auch dieser Vorwurf weist einen engen Bezug zur Fahrgastbeförderung auf. Denn im Bereich der gewerblichen Personenbeförderung kommt dem Schutz und der Sicherheit der beförderten Fahrgäste hohe Bedeutung zu, weshalb von Taxifahrern eine besonders sorgfältige Beachtung von Verkehrsvorschriften erwartet wird. Den Strafvorschriften des § 21 StVG kommt eine besondere Schutzfunktion für die Verkehrssicherheit und die Individualinteressen einzelner Verkehrsteilnehmer zu, da sie gewährleisten sollen, dass nur solche Fahrzeugführer selbstständig am Straßenverkehr teilnehmen, die das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nachgewiesen haben (vgl. Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 26. Aufl. 2020, § 21 StVG Rn. 1). Stellt sich aber im laufenden Strafverfahren heraus, dass der Antragsteller tatsächlich am 9. März 2020 einen Dritten auf der Bundesautobahn 7 ohne Führerschein vorsätzlich oder fahrlässig sein Fahrzeug hat führen lassen, stellt dies einen gravierenden Verstoß gegen eine verkehrssicherheitsrechtliche Bestimmung dar. Dies könnte im Rahmen der Prognose durchaus den Schluss der Fahrerlaubnisbehörde begründen, dass der Antragsteller eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber sicherheitsrechtlichen Bestimmungen des Verkehrsrechts walten lässt und damit möglicherweise eine Gefahr für die Verkehrssicherheit der beförderten Fahrgäste darstellt.
Schließlich wird noch ein Ordnungswidrigkeitenverfahren (Az. ….) wegen Verstoßes gegen Corona-Schutzmaßnahmen (§ 73 IfSG) gegen den Antragsteller geführt. Danach soll der Antragsteller am 13. Dezember 2020 zusammen mit zwei weiteren Personen ohne Mund-Nasenschutz, ohne Mindestabstand und unter Nicht-Einhaltung der Corona-Auflagen in einer Wohnung angetroffen worden sein. Gerade während der laufenden Corona-Pandemie ist es jedoch zum Schutz der beförderten Personen unabdingbar, dass sich ein Taxifahrer an zwingende Hygiene-Bestimmungen hält und so sich und damit auch seine Fahrgäste vor einer Ansteckung schützt. Dies gilt auch, da im Rahmen von Krankentransporten mit Taxen häufig ältere und erkrankte Personen befördert werden, die im Falle einer COVID-19-Erkankrung ein höheres Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf aufweisen. Gerade in Taxen kann jedoch aufgrund der unvermeidbaren räumlichen Nähe von Fahrer und Fahrgast ein erhöhtes Infektionsrisiko bestehen. Da es für die vom Taxifahrer auf seine Fahrgäste ausgehende Infektionsgefahr keinen Unterschied macht, wo sich der Fahrer zuvor mit dem Corona-Virus infiziert hat, können bei dieser Berufsgruppe auch im privaten Bereich Verstöße gegen die zur Eindämmung der Pandemie auf Grundlage der §§ 28a, 28b IfSG getroffenen besonderen Schutzmaßnahmen die charakterliche Eignung zur Fahrgastbeförderung in Frage stellen.
2.3.4 Im Rahmen der ausstehenden Gesamtwürdigung seitens der Antragsgegnerin sind die seit der letztmaligen Verlängerung der Fahrererlaubnis zur Fahrgastbeförderung im Mai 2019 abgeschlossenen bzw. eingeleiteten Ermittlungsverfahren somit in der Sache geeignet, die aufgrund der rechtskräftigen und weiterhin im BZRG eingetragenen (vgl. den Registerauszug vom 3.5.2021, Bl. 175 der Behördenakte) Verurteilung des Antragstellers durch das LG S. … vom 26. September 2018 bestehenden Bedenken an der Gewähr für die besondere Verantwortung zur Ausübung der Fahrgastbeförderung erneut hervorzurufen und zu verstärken.
Deshalb begegnet es keinen rechtlichen Einwänden und ist es dem Antragsteller zumutbar, dass die Antragsgegnerin die abschließende Prognoseentscheidung über die Neuerteilung bzw. Verlängerung mit Schreiben vom 20. Mai 2021 bis zum Abschluss der derzeit geführten Straf- bzw. Ordnungswidrigkeiten einstweilen zurückstellte und zunächst durch Anforderung der einschlägigen Ermittlungsakten bei der Staatsanwaltschaft S. … (vgl. die diversen Schreiben der Antragsgegnerin vom 18.5.2021, vgl. Bl. 187 ff. der Behördenakte) ergänzende Ermittlungen einleitete. Denn vom Ausgang dieser Verfahren wird abhängen, ob Tatsachen vorliegen, die die derzeit bestehenden Bedenken bestätigen oder sogar die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller nicht die Gewähr dafür bietet, dass er der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht wird (vgl. § 48 Abs. 9 FeV). Hiervon wiederum hängt der Fortgang des Verfahrens der Fahrerlaubnisbehörde ab, die – auch in Anbetracht der im Vergleich deutlich besseren Aufklärungsmöglichkeiten im strafgerichtlichen Verfahren – bis dahin keine eigenen abschließenden Ermittlungen anstellen muss (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2010 – 11 CE 10.2452 – juris; VG München, B.v. 29.6.2015 – M 6b E 15.1967 – juris Rn. 21; B.v. 6.3.2012 – M 6a E 11.6133 – juris). Aus entsprechenden Gründen besteht auch keine dahingehende Ermessensreduktion, wonach die Antragsgegnerin bereits vor Abschluss der strafgerichtlichen Verfahren nach § 48 Abs. 9 Satz 3 FeV verpflichtet wäre, eine weitere Aufklärung der Zweifel in Form einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu veranlassen. Denn eine solche gutachterliche Untersuchung wird sinnvollerweise mit Blick auf eine möglichst umfassende Sachverhaltsgrundlage dann erfolgen, wenn laufende Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, die Rückschlüsse auf die zu prüfende charakterliche Eignung zulassen könnten, abgeschlossen sind (vgl. insoweit den Rechtsgedanken des § 3 Abs. 3 StVG).
2.3.5 Nach alldem bestehen bis dato gewichtige, vom Antragsteller im vorliegenden Eilverfahren nicht ausgeräumte Bedenken an der notwendigen charakterlichen Eignung des Antragstellers zur Ausübung der Fahrgastbeförderung mittels Taxen, die eine behördliche wie auch vorläufige gerichtliche Erteilung bzw. Verlängerung der Erlaubnis ausschließen.
Die Kammer teilt insoweit auch nicht die im Zusammenhang mit der Berücksichtigung nicht abgeschlossener Strafverfahren pauschal geäußerte Sorge des Antragstellers, dass auf diese Weise konkurrierende Taxiunternehmer durch die unberechtigte Stellung von Strafanzeigen in zeitlicher Nähe zu anstehenden Fahrerlaubnisverlängerung ihre Konkurrenten „aus dem Verkehr zu ziehen“ könnten. Es deutet schon nichts darauf hin, dass die gegen den Antragsteller konkret eingeleiteten Verfahren auf Anzeigen etwaiger Mitbewerber zurückzuführen wären. Schließlich wirkt die Rechtsordnung dieser abstrakten Gefahr bereits hinreichend entgegen, indem sie wissentlich falsche Anzeigen gegenüber Behörden unter Strafe stellt, die in der Absicht erhoben wurden, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen den Betroffenen herbeizuführen (vgl. § 164 Abs. 1 und Abs. 2 StGB).
Ferner ist auch nicht die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK verletzt. Diese schließt es im deutschen Recht nicht aus, Rechtsfolgen ohne Strafcharakter an einen verbleibenden Tatverdacht zu knüpfen (Lohse/Jakobs in KK zur StPO, Art. 6 EMRK Rn. 77). Sie schützt vor Nachteilen, die einem Schuldspruch oder einer Strafe gleichkommen, nicht aber vor der Durchführung von Ermittlungen (vgl. BVerfG, B.v. 16.5.2002 – 1 BvR 2257/01 – juris Rn. 9, 13). Die Berücksichtigung und Bewertung von Verdachtsgründen im Zusammenhang mit der Abwehr künftiger Gefahren stellt ebenfalls keine durch die Unschuldsvermutung verbotene Schuldfeststellung oder -zuweisung dar. Mit dem Einwand, durch die vorläufige Nichterteilung bzw. Verlängerung der Erlaubnis bis zum Abschluss der laufenden Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren werde die Unschuldsvermutung verletzt, verkennt der Antragsteller insoweit den Zweck der von der Antragsgegnerin ergriffenen sicherheitsrechtlichen Maßnahmen, die hier allein das Ziel verfolgen, Fahrgäste zu schützen (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 7.9.2020 – 11 CS 20.1436 – BeckRS 2020, 24649 Rn. 29).
Die von der Nichterteilung bzw. Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung betroffenen wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers müssen schließlich selbst dann, wenn sie von erheblichem Gewicht wären, hinter den sicherheitsrechtlichen Interessen, namentlich dem Schutz der Fahrgäste, zurücktreten (vgl. VG München, B.v. 6.3.2012 – M 6a E 11.6133 – juris Rn. 27; ähnlich auch BayVGH, B.v. 7.9.2020 – 11 CS 20.1436 – BeckRS 2020, 24649 Rn. 20, 32). Dies gilt vorliegend gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller bereits im Rahmen der letztmaligen Verlängerung seiner Erlaubnis von der Antragsgegnerin im Mai 2019 ermahnt wurde, sich für eine weitere Verlängerung seiner Erlaubnis künftig einwandfrei zu verhalten, und dennoch innerhalb von nur zwei Jahren gleich mehrfache Anlässe für charakterliche Eignungszweifel bot.
3. Da bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht wurde, kommt es auf das Bestehen eines Anordnungsgrundes nicht mehr an.
4. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
5. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 sowie Nr. 46.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Geht es wie hier um die Erteilung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung, ist der zweifache Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR, mithin 10.000,00 EUR anzusetzen. Dieser Wert war im Eilverfahren auf 5.000,00 EUR zu halbieren.


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