Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem

Aktenzeichen  11 CS 20.2096

Datum:
17.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38194
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 4 Abs. 5 S. 1, § 28 Abs. 2, § 29 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Bei der Regelung, dass sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist und die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn acht oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ergeben, handelt es sich um eine unwiderlegliche Vermutung (BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 3 C 21.07, BeckRS 2008, 40953; BayVGH, B.v. 7.1.2014 – 11 CS 13.2005, BeckRS 2014, 46399),die bis zu dem in der Regel durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu führenden Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung gilt.(Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Auffassung, die Löschung der Zuwiderhandlungen aus dem Fahreignungsregister, die zu einer Ermahnung bzw. Verwarnung geführt hätten, bewirke, dass diese Maßnahmen als nicht mehr ergriffen zu gelten hätten bzw. zu wiederholen seien, finden sich im Gesetz und in dessen Begründung keine Anhaltspunkte. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 S 20.1262 2020-08-13 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 12.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragssteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1, A2, A, B, C1, C, D1, D, BE, C1E, CE, DE1E, DE, AM, L und T.
Die ihm in Rumänien am 10. und 24. Oktober 2007 erteilte Fahrerlaubnis wurde dort am 11. November 2010 verlängert. Zum 11. Januar 2014 meldete der Antragsteller seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet an. Am 12. Juli 2018 beantragte er bei der Antragsgegnerin eine Verlängerung seiner Fahrerlaubnis. Am 16. Juli 2019 wurde der rumänische Führerschein in einen deutschen der Klassen A, BE, CE und DE umgetauscht.
Mit Schreiben vom 22. März 2017 ermahnte die Antragsgegnerin den Antragsteller wegen Erreichens von vier Punkten im Fahreignungsregister. Mit Schreiben vom 9. November 2017 verwarnte sie ihn wegen des Erreichens von sechs Punkten.
Im Mai 2020 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt mit, dass für den Antragsteller nunmehr 132 Punkte eingetragen seien. Dem lag zum einen zugrunde, dass das Amtsgericht Weißenburg den Antragsteller mit Strafbefehl vom 6. Februar 2019 wegen Fälschung beweiserheblicher Daten (Benutzung einer fremdem Fahrerkarte zur Täuschung über vorgeschriebene Lenk- und Ruhezeiten) in 65 Fällen in Tateinheit mit fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt hatte. Während der ihm zur Last gelegten Fahrten war der Antragsteller nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis, da ihn seine rumänische Fahrerlaubnis wegen der Wohnsitznahme im Bundesgebiet nur bis 10. November 2015 berechtigte, Kraftfahrzeuge der Klassen C(E)/D(E) im Inland zu führen. Der seit 26. Februar 2019 rechtskräftige Strafbefehl führte zur Eintragung von 130 Punkten in das Fahreignungsregister. Zum andern verursachte der Antragsteller am 23. März 2020 einen Unfall mit einem Sattelschlepper, der Eisplatten auf einer Bundesautobahn verlor, der mit rechtskräftigem Bußgeldbescheid vom 7. April 2020 geahndet wurde. Das Führen eines nicht vorschriftsmäßigen Fahrzeugs und die hierdurch verursachte wesentliche Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit führte zur Eintragung von einem Punkt.
Nach Anhörung entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 9. Juni 2020 die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Anordnung des Sofortvollzugs und der Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben. Dem kam der Antragsteller am 16. Juni 2020 nach. 
Am 2. Juli 2020 ließ er durch seinen Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage erheben und beantragen, die Nummern 2 bis 4 des angefochtenen Bescheids aufzuheben sowie die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss 13. August 2020 ab. Soweit er sich gegen die Zwangsmittelandrohung richte, sei der Antrag unzulässig, im Übrigen unbegründet. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG seien erfüllt, weil der Antragsteller aufgrund mehrerer Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr einen Punktestand von mehr als acht Punkten nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem erreicht habe und die Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 5 StVG ordnungsgemäß durchgeführt worden seien. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG sei auf den Punktestand zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit abzustellen, hier auf die Tat vom 27. April 2016, die mit 130 Punkten bewertet worden sei. Ob daneben noch weitere Punkte mitberücksichtigt worden seien, spiele daher keine Rolle. Die Antragsgegnerin habe den Antragsteller gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG ermahnt und verwarnt und dabei den Punktestand jeweils richtig berechnet. Auch bei diesen Maßnahmen sei auf den Punktestand nach dem Tattagprinzip abzustellen, hier zum 24. Januar und zum 30. Juli 2017. Spätere Verringerungen des Punktestands aufgrund von Tilgungen blieben gemäß § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG unberücksichtigt. Die Rechtmäßigkeit der Mahnung und Verwarnung werde nicht dadurch berührt, dass einige Eintragungen, die hierfür verwertet worden sein, im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis gelöscht bzw. zu löschen gewesen wären. Der Berücksichtigung der mit der Tat vom 27. April 2016 verbundenen 130 Punkte stehe auch nicht entgegen, dass diese Tat vor der Ermahnung und Verwarnung im Jahr 2017 begangen worden sei. Denn nach § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 StVG würden bei der Berechnung des Punktestands Zuwiderhandlungen unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden seien. Die Vorschrift solle die Punktebewertung eines Verkehrsverstoßes auch dann ermöglichen, wenn er vor dem Ergreifen einer Maßnahme begangen worden sei, bei der Maßnahme aber noch nicht habe verwertet werden können, etwa, weil dessen Ahndung erst später Rechtskraft erlangt habe, im Fahreignungsregister eingetragen worden oder der Behörde bekannt geworden sei. Die Fahrerlaubnisbehörde müsse sich weder das Wissen des Kraftfahrt-Bundesamts über weitere Verkehrsverstöße des Fahrerlaubnisinhabers noch ein Verschulden vorgelagerter Stellen bei der Datenübermittlung zurechnen lassen. Vorliegend habe die Antragsgegnerin zur Zeit der Ermahnung und Verwarnung keine Kenntnis von der weiteren Zuwiderhandlung vom 27. April 2016 gehabt. Diese sei erst mit der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 11. Mai 2020 bekannt geworden. Daher sei eine Punktereduzierung gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG zu Recht nicht erfolgt. Die Tilgung der Taten vom 13. Februar und 9. Oktober 2015, 17. Oktober 2016, 5. und 24. Januar 2017 habe auch nicht dazu geführt, dass der Punktestand zwischenzeitlich die relevanten Punktegrenzen der Vorschaltmaßnahmen mit der Folge unterschritten hätte, dass bei Hinzukommen der Tat vom 27. April 2016 gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 StVG anstelle der Entziehung der Fahrerlaubnis zunächst erneut eine Vorschaltmaßnahme hätte ergriffen werden müssen und sich der Punktestand nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG entsprechend reduziert hätte. Der Punktestand des Antragstellers habe sich zu keinem Zeitpunkt auf einen Stand von unterhalb der relevanten Vier- bzw. Sechs-Punkte-Grenze verringert, weil die Tat vom 27. April 2016 vor den ab 10. September 2017 erfolgten Tilgungen eingetragen worden sei. Der Entziehung der Fahrerlaubnis stehe auch nicht entgegen, dass die Taten vom 13. Februar sowie 9. und 17. Oktober 2015, die für die Ermahnung und Verwarnung verwertet worden seien, im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis am 9. Juli 2020 gelöscht bzw. zu löschen gewesen wären. Die Fahrerlaubnisbehörde habe bei der Berechnung des Punktestands für die Entziehung der Fahrerlaubnis keine Eintragungen verwertet, die im Zeitpunkt des 9. Juni 2020 wegen Ablaufs der Überliegefrist bereits gelöscht gewesen seien, sondern lediglich die in der dargestellten Tabelle grau unterlegten Taten vom 30. Juli 2017, 27. April 2016 und 23. März 2020, die zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis offensichtlich noch nicht gelöscht gewesen seien. Ein Verstoß gegen § 29 Abs. 7 StVG liege demnach nicht vor. Auch hätten die vorgeschalteten Maßnahmen wegen der Rechtsprechung zum Verwertungsverbot nicht erneut ergriffen werden müssen, weil die Taten vom 13. Februar, 9. und 17. Oktober 2015 am 9. Juli 2020 bereits gelöscht gewesen seien bzw. zu löschen gewesen wären und für die Ermahnung und Verwarnung verwertet worden seien. Entgegen der Ansicht des Antragstellers habe die Löschungsreife der genannten Eintragungen zum Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht zur Folge, dass damit nachträglich auch die (damals rechtmäßige) Ermahnung und Verwarnung unwirksam würden. Die jüngere Rechtsprechung zum Verwertungsverbot gemäß § 27 Abs. 9 StVG sei nicht so zu verstehen, dass die (erst) im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis bestehende Löschungsreife von Eintragungen auch alle vorherigen Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde, bei denen diese Eintragungen verwertet worden seien, unwirksam mache. Bei der Frage des Verwertungsverbots sei vielmehr auf die jeweilige Maßnahme abzustellen. Der Umstand, dass die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis von der ordnungsmäßigen Durchführung der Vorschaltmaßnahmen abhänge, rechtfertige nicht die nachträgliche Ausdehnung des Verwertungsverbots auf Eintragungen, die für die Vorschaltmaßnahmen verwertet und zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelöscht gewesen seien. Eine derartige Auslegung stehe mit dem Sinn und Zweck des Fahreignungs-Bewertungssystems nicht in Einklang.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der die Antragsgegnerin entgegentritt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Ermahnung und Verwarnung trotz der Löschung und nicht nur Tilgung von drei Alteintragungen und Verringerung des Punktestands auf drei Punkte im Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis weiterhin uneingeschränkt Bestand hätten und ohne erneute Ermahnung unmittelbar die Entziehung angeordnet werden könne. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts verstoße gegen das gesetzlich angeordnete Verwertungsverbot. Darüber hinaus sei auch die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG „sobald sich in der Summe folgende Punktestände ergeben“ fehlerhaft angewendet worden. Das Verwertungsverbot führe dazu, dass die in der behördlichen Aufstellung genannten ersten drei Entscheidungen dort überhaupt nicht hätten erscheinen dürfen. Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der Antragsgegnerin seien diese Entscheidungen aufgeführt worden, um die Rechtmäßigkeit der Ermahnung zu begründen. Dies sei jedoch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ohne Bedeutung. Die Rechtmäßigkeit der Ermahnung und der Verwarnung sei nicht in Zweifel gezogen worden und eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Maßnahme für die Beurteilung des Rechtsstreits ohne Bedeutung. Es sei auch unbestritten, dass nach dem Gesetz der für die Entstehung der Punkte maßgebliche Zeitpunkt die Begehung der Straftat und nicht der der Aburteilung sei. Es sei jedoch zu differenzieren zwischen dem Zeitpunkt des „Sich-Ergebens“ im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG und des „Sich-in-der-Summe-Ergebens“ § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG. Es ergebe sich ein Ausgangswert für die Summenbildung von drei Punkten, zu dem die neu bekannt gewordenen 130 Punkte aus der Entscheidung des Amtsgerichts Weißenburg kämen. Gleichzeitig stehe jedoch fest, dass die Stufen des Fahreignungs-Bewertungssystems mehrfach durchlaufen werden könnten. Es sei nicht zu erkennen, weshalb durch Löschung von Eintragungen trotzdem weiterhin die Ermahnung bzw. die Verwarnung volle Wirksamkeit behalten sollten, wenn doch sämtliche Wirkungen gelöschter Eintragungen aufgrund des Verwertungsverbots entfielen. Es vermöge nicht zu überzeugen, dass es auf die Löschung der für die Ermahnung und Verwarnung maßgeblichen Eintragungen nicht ankomme, weil diese Maßnahmen in der Vergangenheit rechtmäßig gewesen seien. Denn dadurch würden die gelöschten Eintragungen zulasten des Beschwerdeführers verwertet. Zugleich habe das Verwaltungsgericht die Möglichkeit des mehrfachen Durchlaufens der verschiedenen Maßnahmestufen nicht gesehen und berücksichtigt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen oder wiederherzustellen wäre.
Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, 919), im Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Dezember 2019 (BGBl I S. 2008), gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem (§ 40 i.V.m. Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – vom 13.12.2010 [BGBl I S. 1980], im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.12.2019 [BGBl I S. 2008], zum Teil in Kraft getreten zum 1.6.2020) ergeben. Hierbei handelt es sich um eine unwiderlegliche Vermutung (BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 3 C 21.07 – BVerwGE 132, 57 = juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 7.1.2014 – 11 CS 13.2005 – DAR 2014, 281 = juris Rn. 13; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 4 StVG Rn. 32, 76, 100), die bis zu dem in der Regel durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu führenden Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung gilt (§ 4 Abs. 10 Satz 4 StVG). Die Entziehung der Fahrerlaubnis, für die der Behörde kein Ermessensspielraum eingeräumt ist, ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 4 Abs. 9 StVG).
Für die Auffassung des Antragstellers, die Löschung der Zuwiderhandlungen aus dem Fahreignungsregister, die zu einer Ermahnung bzw. Verwarnung geführt hätten, bewirke, dass diese Maßnahmen als nicht mehr ergriffen zu gelten hätten bzw. zu wiederholen seien, finden sich im Gesetz und in dessen Begründung (BT-Drs. 17/12636 S. 17/40 ff.) keine Anhaltspunkte. Nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG dürfen „die Tat und die Entscheidung“ dem Betroffenen für Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden. Es wird demgegenüber nicht bestimmt, dass auch die aufgrund der Tat oder Entscheidung ergriffenen Maßnahmen nicht mehr zu berücksichtigen sein sollen. Zum andern folgt aus der Wendung „nicht mehr“, dass das Verbot des Vorhalts und der Verwertung in die Zukunft gerichtet ist. Eine Rückwirkung dergestalt, dass auch sämtliche wegen einer Tat oder Entscheidung bereits rechtmäßig ergriffene Maßnahmen rückwirkend zu beseitigen sind oder als unbeachtlich zu gelten haben, kann daraus nicht abgeleitet werden. Dies gilt ungeachtet dessen, dass eine Ermahnung und Verwarnung, die keine Verwaltungsakte sind (Stieber in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 2.5.2017, § 4 StVG Rn. 48, 51), nicht in Bestandskraft erwachsen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt (Beschluss, S. 13 f.), dass die Rechtsauffassung des Antragstellers auch dem Sinn und Zweck des Fahreignungs-Bewertungssystems widersprechen würde.
Die Darstellung der „Punktehistorie“ des Antragstellers in einer dem Anhörungsschreiben beigefügten Übersicht stellt keine gegen § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG verstoßende Verwertung dar. Wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen erläutert hat (Beschluss, S. 12), flossen die nicht mehr verwertbaren Taten, die die Antragsgegnerin optisch hervorgehoben und mit jeweiligem Tilgungsdatum aufgelistet hat, nicht in die Berechnung des für die Entziehung der Fahrerlaubnis maßgeblichen Punktestands ein. Sie sind also auch nicht im Sinne von § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG zum Nachteil des Antragstellers verwertet worden. Abgesehen davon, dass dies im Hinblick auf die Eintragung von allein 130 Punkten für die dem Strafbefehl vom 6. Februar 2019 zugrundeliegenden 65 Taten auch gar nicht entscheidungserheblich gewesen wäre, belegt auch die Mitteilung der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe 132 Punkte erreicht, dass die getilgten Taten nicht in die Berechnung einbezogen worden sind. Die dem Anhörungsschreiben beigefügte chronologische Aufstellung sollte es ihm nach dem vorstehenden Hinweis lediglich ermöglichen, seine Punktehistorie nachzuvollziehen und die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsverfahrens zu überprüfen. Aus dem Wortlaut des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG, wonach die Tat und die Entscheidung der betroffenen Person für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden darf, wenn eine Eintragung im Fahreignungsregister gelöscht ist, folgt kein „Erwähnungsverbot“, sofern die Erwähnung wie hier keine nachteiligen rechtlichen Folgen hat.
Weiter hat das Verwaltungsgericht auch nicht ignoriert, dass Maßnahmen der ersten und zweiten Stufe (Ermahnung und Verwarnung) ggf. mehrfach ergriffen werden müssen, bevor die jeweils nächste Maßnahme ausgesprochen werden kann. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, weil die Löschung der eingetragenen Punkte für die Taten vom 13. Februar 2015, 9. Oktober 2015, 17. Oktober 2016 sowie 7. und 24. Januar 2017 nicht zu einem Unterschreiten der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StVG festgelegten Punktegrenzen geführt hat. Außerdem „ergibt“ sich der Punktestand nicht im Sinne dieser Vorschrift, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber durch Tilgung von Eintragungen und den damit verbundenen Punktereduzierungen im System „von oben“ wieder zurückgestuft wird, mit der Folge, dass die dort genannten Maßnahmen auch nicht erneut zu ergreifen sind. Die Maßnahmestufen „Ermahnung“ und „Verwarnung“ können vielmehr dann mehrfach durchlaufen werden, wenn sich nach der Reduzierung Punkte wieder neu ansammeln und sich damit der maßgebliche Punktestand neu „ergibt“ (BT-Drs. 17/12636 S. 42; Stieber in Freymann/Wellner, a.a.O. § 4 StVG Rn. 66). Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG ist für das Ergreifen der Maßnahmen nach Satz 1 auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Bei der Berechnung des Punktestandes werden nach § 4 Abs. 5 Satz 6 StVG Zuwiderhandlungen (1.) unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind, (2.) nur dann berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfrist zu dem in Satz 5 genannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Hiermit wird nach Auffassung des Gesetzgebers klargestellt, dass es ausreicht, wenn der Fahrerlaubnisinhaber einmal eine Stufe erreicht hat. Sollte sich danach der Punktestand aufgrund von Tilgungen wieder reduzieren, wird dennoch die Maßnahme der erreichten Stufe ergriffen (BT-Drs. 17/12636 S. 41 a.E.).
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5, 46.1, 46.3, 46.4 und 46.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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