Strafrecht

Entzug der Fahrerlaubnis, gelegentlicher Cannabiskonsum zugegeben, eine Fahrt unter Cannabiseinfluss, vorgelegtes medizinisch-psychologisches Gutachten mit Ergebnis: fortgeschrittene Drogenproblematik, Würdigung des Gutachtens

Aktenzeichen  B 1 S 21.618

Datum:
15.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 24907
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 2a Abs. 4 S. 1 Halbs. 1
FeV Nr. 9.2.2 Anlage 4 zur
FeV Nr. 9.2.1 Anlage 4 zur
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L durch das Landratsamt … (Landratsamt).
Das Landratsamt erfuhr über die zentrale Bußgeldstelle durch Mitteilung vom 15. Dezember 2020, dass der Antragsteller am 20. Oktober 2020 ein Kraftfahrzeug unter Einfluss berauschender Mittel im Straßenverkehr geführt hat. Es wurde durch Bußgeldbescheid vom 2. Dezember 2020 (rechtskräftig seit 14. Dezember 2020) ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt. Der vom Landratsamt beigezogenen Ermittlungsakte der Polizeiinspektion … ist zu entnehmen, dass der Antragsteller am 20. Oktober 2020 um 22.30 Uhr ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt hat. Eine Blutuntersuchung (Blutentnahme am 20. Oktober 2020 um 23.26 Uhr) ergab einen Nachweis von THC in einer Konzentration von 2,4 µg/l (Bestimmungsgrenze 0,6) und von THC-Carbonsäure in einer Konzentration von 15 µg/l (Bestimmungsgrenze 1,0). Auf dem Schreiben des Labors … vom 30. Oktober 2020 findet sich der Hinweis, dass bei dem Antragsteller eine Fahrt unter dem Einfluss von berauschenden Mitteln im Sinne des § 24a StVG anzunehmen sei. Der Antragsteller gab in einer Betroffenenanhörung den Verstoß zu. Er habe daraus gelernt und den Konsum sofort eingestellt (Blatt 19 der Behördenakte).
Mit Schreiben vom 4. Januar 2021 hörte das Landratsamt den Antragsteller zur beabsichtigten Aufforderung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an und ordnete in einem weiteren Schreiben vom gleichen Tag die Teilnahme an einem Aufbauseminar an.
Der Antragsteller teilte dem Landratsamt daraufhin mit E-Mail vom 17. Januar 2021 mit, dass er ein gelegentliches Konsumverhalten an den Tag gelegt habe. Am Tag der Fahrt direkt habe er nichts konsumiert. Er habe sich am Abend davor mit einem Freund getroffen und mit ihm Cannabis geraucht. Weder habe er alleine konsumiert noch an dem Tag des Konsums ein Auto gefahren. Seit der Verkehrskontrolle habe er den Konsum mit sofortiger Wirkung eingestellt.
Mit Schreiben vom 19. Januar 2021 (zugestellt am 21. Januar 2021) forderte das Landratsamt den Antragsteller auf, bis zum 30. März 2021 ein medizinisch-psychologisches Gutachten mit folgender Fragestellung beizubringen:
„Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass sie/er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen wird (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme)?“
Auf Grund des toxikologisch festgestellten THC-Wertes stehe fest, dass der Antragsteller den Konsum von Drogen von der Verkehrsteilnahme nicht habe trennen können. Dies werde nach der Rechtsprechung bereits bei einem Überschreiten der THC-Konzentration von 1,0 ng/ml angenommen (BVerwG vom 23.10.2014 – 3 C 3.13). Es stehe fest, dass es sich nicht um den ersten Cannabiskonsum gehandelt habe. Der Stellungnahme des Antragstellers könne ein gelegentlicher Konsum entnommen werden. Die Fahrerlaubnisbehörde könne nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV ein medizinisch-psychologisches Gutachten verlangen, wenn eine gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliege und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung zum Führen von Fahrzeugen begründen würden. Dies sei wegen des festgestellten THC-Gehalts der Fall. Bei der Ermessensentscheidung sei berücksichtigt worden, dass durch die Teilnahme am Straßenverkehr unter Betäubungsmitteleinfluss bereits einmal die Verkehrssicherheit konkret gefährdet worden sei. Zwar sei die THC-Konzentration hier unter 3 ng/ml gelegen. Bei einem Wert ab 3 ng/ml werde nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angenommen, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem Konsum von Cannabis und der Teilnahme am Straßenverkehr bestehe. Es sei zumindest am 20. Oktober 2020 durch den THC-Wert belegt, dass der Antragsteller nicht das nötige Trennungsvermögen bewiesen habe. Zur Abklärung des künftigen Trennungsvermögens müsse daher ein Gutachten beigebracht werden (§ 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV). Die Angabe, keine Drogen mehr zu konsumieren, führe zu keiner anderen Entscheidung, da es nicht um die Wiedererlangung der Fahreignung gehe, sondern um die Frage, ob ein Verlust der Fahreignung vorliege.
Der Antragsteller legte daraufhin das Gutachten der … vom 4. März 2021 (Absendedatum 24. März 2021) vor. Der Antragsteller gab im Gutachten an, ab Anfang 2018 wöchentlich einen Joint geraucht zu haben, nach drei oder vier Wochen sei der Konsum auf drei- bis viermal pro Woche angestiegen. Nach zwei oder drei Monaten habe sich ein täglicher Cannabiskonsum eingestellt, der bis zum 20. Oktober 2020 angehalten habe. Seitdem lebe er drogenfrei. Den letzten Joint habe er Anfang Dezember 2020 geraucht. Die Frage zum Verhalten am 20. Oktober 2020 beantwortete er damit, dass es eine Gewohnheit gewesen sei, er habe täglich konsumiert und sei auch regelmäßig gefahren. Angefangen habe alles mit einem Joint in der Disco. Erst habe er einmal die Woche geraucht und schließlich täglich; er habe auch allein konsumiert bis zu drei Joints am Tag. In der Vergangenheit habe er zudem Alkohol getrunken, z.B. an Geburtstagen drei bis fünf Bier und drei bis vier Wodka-Energy. Es sei auch vorgekommen, dass er Alkohol zu den Drogen zu sich genommen habe, um den Rausch zu verlängern. Die Gutachterin stellte fest, dass von einem Drogenmissbrauch auszugehen sei. Die Drogenproblematik sei noch nicht angemessen bewältigt worden, eine suchttherapeutische Maßnahme, die ihn hierbei unterstützen könne, habe er nicht in Anspruch genommen. Der Zeitraum des Drogenverzichts müsse als zu kurz angenommen werden, um von einer stabilen Abstinenz auszugehen. Zudem lägen keine geeigneten Nachweise vor. Der Antragsteller habe keine Motive für eine dauerhafte oder tragfähige künftige Drogenabstinenz angegeben. Der Verweis auf die negativen Folgen des Fahrerlaubnisentzugs würde nicht ausreichen. Es sei geprüft worden, ob die Mängel durch einen Kurs zur Wiederherstellung der Fahreignung nach § 70 FeV behoben werden könnten. Der Antragsteller erfülle die Voraussetzungen nicht, da der Abstinenzzeitraum von zwei Monaten zu kurz sei. Es müsse auch künftig mit überdurchschnittlich erhöhter Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass der Antragsteller ein Kraftfahrzeug unter Drogeneinfluss führen werde. Die Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme sei nicht gegeben.
Das Landratsamt hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 8. April 2021 zum Entzug der Fahrerlaubnis an.
Mit Bescheid vom 22. April 2021 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L (Nr. 1). Es ordnete die Ablieferung des Führerscheins innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Bescheids an (Nr. 2). Die Nrn. 1 und 2 des Bescheids wurden für sofort vollziehbar erklärt (Nr. 3). Das vorgelegte Gutachten komme zu dem Ergebnis, dass eine Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme beim Antragsteller nicht vorliege. Es sei von Drogenmissbrauch auszugehen. Beim Antragsteller habe noch keine angemessene Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und dessen Ursachen stattgefunden. Die Drogenproblematik sei noch nicht überwunden.
Mit Schreiben vom 20. Mai 2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 21. Mai 2021, ließ der Antragsteller gegen den Bescheid Klage erheben (B 1 K 21.619) und zugleich beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom heutigen Tag gegen den Bescheid des Landratsamts Bamberg vom 22. April 2021 (Aktenzeichen …*) wiederherzustellen.
Zur Begründung ist ausgeführt, dass die Staatsanwaltschaft … mit Schreiben vom 6. Dezember 2020 mitgeteilt habe, dass von einer Verfolgung gemäß § 45 Abs. 1 JGG in Verbindung mit § 109 Abs. 2 JGG abgesehen werde. Das Landratsamt habe mit Bescheid vom 4. Januar 2021 die Teilnahme an einem besonderen Aufbauseminar angeordnet. Ein beim Verwaltungsgericht gestellter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner hiergegen gerichteten Klage sei mit Beschluss vom 5. März 2021 …*) abgelehnt worden, weshalb die Klage zurückgenommen worden sei. Auch wenn der diesem Verfahren ebenfalls zu Grunde liegende Bußgeldbescheid rechtskräftig sei, sei ein Tatnachweis gegenüber dem Antragsteller nicht geführt worden. Der Antragsteller sei kein regelmäßiger Konsument von Betäubungsmitteln. Der Antragsteller habe in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass er am Abend vor der Fahrt Cannabis mit einem Freund geraucht habe. An diesem Tag sei der Antragsteller nicht gefahren. Er könne somit Konsum und Fahren trennen. Der Antragsteller habe seinen Konsum mit sofortiger Wirkung eingestellt. Es lägen keine Beweise zum tatsächlichen Konsumwert zum Zeitpunkt des Führens des Kraftfahrzeuges vor. Rechtliche Voraussetzung für die Anordnung wäre das Vorliegen einer schwerwiegenden oder zweier weniger schwerwiegender Zuwiderhandlungen. Dies läge hier nicht vor. Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs durch den Antragsteller seien nicht zu erkennen. Eine strafrechtliche Sanktion gegenüber dem Antragsteller sei nicht ausgesprochen worden. Die Feststellungen im Fahreignungsgutachten der … seien nicht verbindlich. Es sei die Frage zu stellen, inwieweit die dortigen Feststellungen auf die Konstitution des Antragstellers bezogen tatsächlich zuträfen. Der Antragsteller könne zwischen Konsum und Fahren trennen; er habe bis heute keine Betäubungsmittel konsumiert. Als milderes Mittel wäre es möglich gewesen, dem Antragsteller die Auflage zu erteilen, alle zwei Monate eine Abstinenz mit entsprechenden Nachweisen vorzulegen. Der Bescheid sei aus diesem Grund unverhältnismäßig. Der Antragsteller befinde sich bereits in fachpsychologischer Therapie. Es wurde eine Bestätigung des Diplom-Psychologen vom 29. April 2021 vorgelegt, wonach der Antragsteller am 16. April 2021 begonnen habe, an einer verkehrspsychologischen Therapie für drogenauffällige Kraftfahrer teilzunehmen. Der Antragsteller sei hochmotiviert und habe bemerkenswerte Erfolge in der Umbewertung des früheren Betäubungsmittelkonsums gemacht. Man könne vom Aufbau einer stabilen Motivation für ein drogenfreies Leben berichten. Es seien weitere Termine vereinbart worden. Der Antragsteller sei auf seine Fahrerlaubnis angewiesen, da die Berufsschule nur schlecht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sei. Der Antragsteller habe seinen Führerschein abgegeben, sodass sich die hierauf bezogenen Nrn. 2 und 3 des Bescheids erledigt hätten.
Das Landratsamt legte mit Schreiben vom 7. Juni 2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 8. Juni 2021, die Behördenakte vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Die Aussage, dass der Konsum nach der Verkehrskontrolle eingestellt worden sei, könne nicht berücksichtigt werden, da hierfür keine stichhaltigen Beweise vorliegen würden. Im Fahreignungsgutachten sei ausgeführt worden, dass es Phasen gegeben habe, an denen kein Konsum stattgefunden habe, er aber danach wieder zum Konsum zurückgekehrt sei. Auf Grund der festgestellten Ungeeignetheit im Fahreignungsgutachten habe das Landratsamt gemäß § 46 Abs. 1 FeV die Fahrerlaubnis entziehen müssen, ein Ermessen sei ihr nicht zugestanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Behördenakte ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO entsprechend).
II.
1. Der zulässige Antrag ist unbegründet. Nachdem der Bevollmächtigte des Antragstellers selbst davon ausgeht, dass sich Nummern 2 und 3 des Bescheids durch Abgabe des Führerscheins erledigt haben, wird der Antrag dahingehend ausgelegt, dass er ausschließlich auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 1 des Bescheids gerichtet ist.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen.
Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Gericht prüft im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auch, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind.
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der vorliegende Antrag abzulehnen, da die Klage des Antragstellers nach summarischer Überprüfung aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids wiegt insoweit schwerer als das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
Nach summarischer Prüfung erweist sich die Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (st. Rspr. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 = juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 4.12.2012 – 11 ZB 12.2667 – juris). Da hier unmittelbar Klage erhoben wurde, ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 22. April 2021 abzustellen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis (§ 3 Abs. 2 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 6 Satz 1 FeV).
§ 2a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StVG stellt klar, dass das Verfahren zur Entziehung einer Fahrerlaubnis nach § 3 StVG, § 46 FeV durch den besonderen Maßnahmenkatalog nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG (bei der Fahrerlaubnis auf Probe) nicht verdrängt wird. Hierdurch will der Gesetzgeber sicherstellen, dass in Fällen, in denen besonders schwerwiegende Zweifel an der Fahreignung des betroffenen Fahranfängers bestehen, im Interesse der Verkehrssicherheit und des Schutzes anderer Verkehrsteilnehmer eine Fahrerlaubnisentziehung oder Überprüfung der Fahreignung auch unabhängig vom Durchlaufen des Katalogs von § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG möglich bleibt. Da § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG der Fahrerlaubnisbehörde bei der Anordnung der probezeitbezogenen Maßnahmen jedoch keinen Ermessensspielraum einräumt, steht es der Behörde nicht frei, auf diese Maßnahmen bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen zu verzichten und stattdessen die Maßnahmen nach § 3 StVG, § 46 FeV in die Wege zu leiten. Vielmehr ist § 2a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 StVG so zu verstehen, dass die Behörde bei Vorliegen probezeitrelevanter Zuwiderhandlungen die Maßnahme nach § 3 StVG, § 46 FeV in der Regel lediglich zusätzlich zu den Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG ergreifen kann (Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. Stand: 26.3.2021, § 2a StVG Rn. 264 ff.).
Im Falle einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis ist nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Kraftfahreignung nur dann gegeben, wenn der Konsum und das Fahren getrennt werden, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen besteht und keine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt.
Vom erforderlichen Trennungsvermögen bzw. von der erforderlichen Trennungsbereitschaft kann beim Kläger nach den insoweit nachvollziehbaren und verwertbaren Ausführungen in dem vorgelegten medizinisch-psychologischen Gutachten nicht ausgegangen werden.
a) Der Antragsteller hat in einem Schreiben an das Landratsamt (Blatt 22 der Behördenakte) eingeräumt, dass er ein gelegentlicher Cannabiskonsument war. Gelegentlicher Cannabiskonsum ist nach der Rechtsprechung bereits bei zwei selbstständigen Konsumvorgängen anzunehmen, die einen gewissen zeitlichen Zusammenhang aufweisen (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – juris Rn. 20). Ein Verstoß gegen das Trennungsgebot ergibt sich aus der Fahrt am 20. Oktober 2020, die unter dem Einfluss von Cannabis erfolgte. Die am 20. Oktober 2020 (1 Stunde nach der Fahrt) entnommene Blutprobe ergab eine THC-Konzentration von 2,4 µg/l (bzw. 2,4 ng/ml). Die Rechtsprechung geht hierbei von einem Verstoß gegen das Trennungsgebot aus, wenn der maßgebliche Risikogrenzwert von 1,0 ng/ml THC überschritten ist, da dann eine durch den Drogeneinfluss bedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nicht auszuschließen ist und Zweifel an der Fahreignung begründet sind (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 = juris Rn. 28 ff.; BayVGH, B.v. 10.3.2015 – 11 CS 14.2200 – juris Rn. 12; B.v. 23.5.2016 – 11 CS 16.690 – NJW 2016, 2601 = juris Rn. 15 ff.). Der Nachweis einer konkreten Gefährdung des Straßenverkehrs oder „Gefahrerhöhung“ ist darüber hinaus nicht erforderlich (BayVGH, B.v. 22.4.2020 – 11 CS 19.2434 – juris Rn. 18).
Nach dem erstmaligen Verstoß eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten gegen das Trennungsgebot ist Voraussetzung für die Verneinung der Fahreignung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 FeV) die Prognose, dass er auch künftig nicht zwischen einem seine Fahrsicherheit möglicherweise beeinträchtigenden Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen wird. Damit diese Prognose auf eine tragfähige tatsächliche Grundlage gestützt werden kann, ist in der Regel die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV – BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 13/17 – juris Rn. 24). Dieses vom Landratsamt geforderte Gutachten hat der Antragsteller vorgelegt. Die Gutachterin hat im Rahmen der Begutachtung des Antragstellers am 4. März 2021 festgestellt, dass zu erwarten ist, dass der Antragsteller auch in Zukunft ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis und dessen Nachwirkungen führen wird und die Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme nicht gegeben ist (Seite 16 des Gutachtens).
Nach Nr. 2 Buchst. a Satz 1 der Anlage 4a zu § 11 Abs. 5 FeV muss ein erstelltes Gutachten nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Dazu müssen nach Nr. 2 Buchst. a Satz 3 der Anlage 4a zur FeV alle wesentlichen Befunde wiedergegeben und die zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen dargestellt werden. Das Gericht erachtet das gutachterliche Ergebnis, dass dem Antragsteller die Fähigkeit fehlt, zwischen dem Konsum von Cannabis und einer Verkehrsteilnahme zu trennen, als schlüssig und nachvollziehbar.
Im Kommentar zu den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, 3. Auflage September 2018, Anhang Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten, 4.2.4.) wird ausgeführt, dass für das Beurteilungskriterium Sucht (Abhängigkeit) und Intoxikationszustände der Gutachter folgende Konsumgruppen zu unterscheiden hat: Drogenabhängigkeit – Konsumgruppe 1, fortgeschrittene Drogenproblematik (Missbrauch nach DSM-IV) – Konsumgruppe 2, Drogengefährdung (z.B. gewohnheitsmäßiger bis zu täglicher Cannabiskonsum) – Konsumgruppe 3 und gelegentlicher Cannabiskonsum (seltener als wöchentlicher Konsum, Alkoholkonsum oder Beigebrauch anderer berauschender Mittel findet nicht statt) – Konsumgruppe 4. Nur bei der Konsumgruppe 4 steht allein die Frage nach dem Trennungsvermögen im Vordergrund. Bei Gruppe 2 ist in der Regel ein suchttherapeutischer Behandlungsbedarf erforderlich oder alternativ andere Therapieformen.
Die Gutachterin geht beim Antragsteller von einer fortgeschrittenen Drogenproblematik im vorgenannten Sinne (Missbrauch nach DSM-IV – Seite 13 des Gutachtens) und somit von Konsumgruppe 2 aus. Hierfür hat sie folgende Punkte benannt: Der frühere Drogenkonsum hat wiederholt dazu geführt, dass der Antragsteller andere für ihn wichtige Verpflichtungen nicht erfüllt hat, trotz immer wieder auftretender sozialer und zwischenmenschlicher Probleme als Folge des Drogenkonsums wurden weiterhin Drogen genommen, dem Drogenkonsum lagen problematische Motive zugrunde, der Antragsteller zeigt keinerlei Bedürfnis nach einer angemessenen Verhaltens- und Wirkungskontrolle beim Drogenkonsum (zudem hat der Antragsteller Mischkonsum mit Alkohol betrieben, um den Rausch zu verlängern). Dies wurde schlüssig mit den vom Antragsteller bei der Begutachtung zuvor gemachten Angaben begründet, die die Gutachterin für glaubhaft hält. Der Antragsteller hat zum Zeitpunkt der Begutachtung weder Abstinenznachweise vorgelegt noch suchttherapeutische Maßnahmen ergriffen. Dauerhafte und tragfähige Motive für eine künftige Drogenabstinenz hat der Antragsteller laut der Gutachterin nicht angegeben (Anlass für die Abstinenz war die MPU und die Enttäuschung der Mutter). Selbst die behauptete Abstinenz von zwei Monaten ist zu kurz. Auf Grund der unzureichenden Auseinandersetzung mit der individuellen Drogenbeziehung ist nach den Ausführungen der Gutachterin damit zu rechnen, dass der Antragsteller zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Drogeneinfluss führen wird.
Zwar ist bei einem gelegentlichen Cannabiskonsum nach den Begutachtungs-Leitlinien die Kraftfahreignung nicht a priori ausgeschlossen, da auf die Fähigkeit zur Trennung abzustellen ist. Nicht zu beanstanden ist, dass die Gutachterin hier das Trennungsvermögen verneint hat.
Das VG Augsburg führt in seinem Beschluss vom 18. September 2019 – Au 7 S 19.837 (juris Rn. 35, 39 f.) aus: „Die Trennungsfähigkeit (Trennen von Cannabiskonsum und Fahren) ist nur bei Einschlägigkeit der Hypothese D4 (Konsumgruppe 4) als ein Kriterium zur Problembewältigung, das im Hinblick auf eine günstige Prognose erfüllt sein muss, anerkannt. Bei den übrigen Hypothesen (D1 bis D3) (Konsumgruppe 1 bis 3) spielt die Trennungsfähigkeit keine Rolle; hier kann nur die Erfüllung der jeweiligen Kriterien für eine stabile bzw. ausreichende Drogenabstinenz zu einer positiven Prognose führen. (…) Aber selbst wenn beim Antragsteller nicht die Hypothese D2, sondern die Hypothese D3 einschlägig wäre, kann die (Wiedergewinnung der) Fahreignung in beiden Fällen nur bejaht werden, wenn eine Drogenabstinenz ausreichende lange und stabil eingehalten wird (vgl. Hypothese D2) bzw. ein nachvollziehbarer Einsichtsprozess zu einem dauerhaften Drogenverzicht geführt hat (vgl. Hypothese D3). (…)
Das Landratsamt hatte im Zeitpunkt der Gutachtensanordnung nach Aktenlage nur Hinweise darauf, dass es sich beim Antragsteller, als er die Fahrt unter relevantem Cannabiseinfluss vornahm, um einen gelegentlichen Cannabiskonsumenten handelte, so dass es nur die aus diesen Umständen resultierenden Eignungszweifel im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV (hier: Trennungsfähigkeit) seiner Gutachtensanordnung (§ 14 Abs. 1 Satz 3 FeV) zugrunde legen konnte bzw. durfte. Mit seiner Frage nach der Trennungsfähigkeit des Antragstellers forderte das Landratsamt eine fachliche Entscheidungshilfe dafür an, ob es dem Antragsteller seine Fahrerlaubnis belassen könne oder ob es dem Antragsteller wegen Fahrungeeignetheit die Fahrerlaubnis zu entziehen habe. Bei der medizinisch-psychologischen Beurteilung der Fahreignung obliegt es aber den Gutachtern, die anlassbezogenen Hypothesen (hier Untersuchungsanlass Betäubungsmittel) im Einzelfall festzustellen und die Entscheidung zu treffen, ob die der jeweiligen diagnostischen Hypothese zugeordneten Kriterien erfüllt sind oder nicht, also Fahreignung gegeben ist oder nicht. Da der Gutachter aufgrund der Angaben des Antragstellers die (diagnostische) Hypothese D4 (Vorliegen eines ausschließlich gelegentlichen Cannabiskonsums) ausschließen musste, war die Trennungsfähigkeit nicht zu überprüfen. Denn die Trennungsfähigkeit stellt weder im Fall der Hypothese D2 (die der Gutachter hier festgestellt hat) noch im Fall der Hypothese D3 ein Kriterium dar, welches bei der Frage, ob eine angemessene Problembewältigung stattgefunden hat, zu überprüfen ist. Vielmehr kann die Fahreignung in diesen Fällen nur bei einer sowohl ausreichend langen als auch stabilen Abstinenz bejaht werden, setzt also einen tiefgreifenden und hinreichend stabilen Einstellungswandel voraus. … Dies zeigt, dass der Gutachter, wenn er – wie im vorliegenden Fall – die Fahreignung mangels stabiler Abstinenz verneint, auch die Gutachtensfrage nach der Trennungsfähigkeit, die auf das Bestehen oder Nichtbestehen der Fahreignung abzielt, verneinen muss.“
Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an.
Der Stellenwert des Drogenkonsums beim Antragsteller war nach den schlüssigen Ausführungen der Gutachterin nicht von untergeordneter Bedeutung. Dies ergibt sich aus den oben angeführten Kriterien, die dazu führen, dass die Gutachterin von einem Missbrauch nach DSM-IV ausgegangen ist (Konsumgruppe 2) und aus den Angaben des Antragstellers zum Beigebrauch von Alkohol und zur Häufigkeit seines Drogenkonsums (die zumindest eine Einordnung in die Konsumgruppe 3 erfordern): Der Antragsteller hat im Gutachten eingeräumt, dass er seit Anfang 2018 Cannabis konsumiert, zunächst einmal wöchentlich, nach drei oder vier Wochen drei bis viermal pro Woche und schließlich täglich Cannabis konsumiert hat. Es habe in dieser Zeit Phasen gegeben, in denen er weniger oder überhaupt nicht konsumiert habe. Nach der Fahrt unter Drogeneinfluss habe er Anfang Dezember 2020 einen Joint geraucht (Seite 5 des Gutachtens). Als er von der Gutachterin auf die Fahrt am 20. Oktober 2020 gegen 22.30 Uhr angesprochen wurde, gab er an, dass es Gewohnheit gewesen sei, er habe täglich konsumiert und sei auch regelmäßig gefahren (Seite 10 des Gutachtens). Dies zeigt, dass der Antragsteller bereits die Tendenz zu einem regelmäßigen Konsum hatte. Dieser wird dann angenommen, wenn der Konsum bestimmten Regeln und Gesetzmäßigkeiten folgt, in etwa gleichen zeitlichen Abständen, täglich oder nahezu täglich (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 29.8.2002 – 11 CS 02.1606 oder vom 8.2.2008 – 11 CS 07.3017 – juris). In einem Fall, in welchem von einem regelmäßigen Cannabiskonsum oder einer fortgeschrittenen Drogenproblematik auszugehen ist und der Antragsteller angibt, nur noch gelegentlich Cannabis (oder gar nicht) konsumieren zu wollen und Konsum und Fahren trennen zu können, ist, da die Fahreignung ausgeschlossen war (vgl. Nr. 9.2.1. der Anlage 4 zur FeV), die Anforderung (des Trennungsvermögens) nur dann gegeben, wenn Abstinenz vorliegt. Dies ist nach dem Kommentar zu den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, 3. Auflage September 2018, Anhang Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten, 4.2.4.) deswegen nachvollziehbar, da eine zweckbedingte Veränderung des Konsummusters im Hinblick auf die angestrebte Fahrerlaubnis von nur sehr geringer Stabilität sein dürfte und angenommen werden muss, dass nach Erreichen des vordergründigen Ziels schnell wieder ein regelmäßiger Konsum entwickelt wird. Schlüssig ist die Gutachterin deshalb davon ausgegangen, dass die allein behauptete Drogenfreiheit (ohne Angabe von Abstinenznachweisen) seit Dezember 2020 auf Grund der anstehenden MPU und des drohenden Fahrerlaubnisentzugs nicht genügt, um ein Trennungsvermögen des Antragstellers anzunehmen.
b) Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Fahreignungsgutachten unabhängig davon, ob die Anordnung gerechtfertigt war, verwertet werden (vgl. BVerwG, U.v. 28.6.2012 – 3 C 30.11 – NJW 2012, 3669 = juris Rn. 23; U.v. 28.4.2010 – 3 C 2.10 – BVerwGE 137, 10 Rn. 27 ff.; BayVGH, U.v. 8.8.2016 – 11 B 16.595 – juris Rn. 24 m.w.N.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 26). Hat der Kraftfahrer das von ihm geforderte Gutachten vorgelegt, kann er nicht einwenden, die Behörde habe ihre Erkenntnisse rechtswidrig erlangt oder das Gutachten enthalte Ausführungen zu Fragen, die von der behördlichen Beibringungsanordnung nicht erfasst seien. Das Ergebnis des Gutachtens schafft eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat. Ein Verbot, diese Tatsache für die Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung zu verwerten, lässt sich aus der Fahrerlaubnis-Verordnung oder sonstigem innerstaatlichen Recht nicht ableiten. Einem Verwertungsverbot steht auch das Interesse der Allgemeinheit entgegen, vor Kraftfahrern geschützt zu werden, die sich aufgrund festgestellter Tatsachen als ungeeignet erwiesen haben. Insofern ist es auch unerheblich, wenn der Antragsteller angibt, dass die Staatsanwaltschaft das dem Drogenkonsum zu Grunde liegende Strafverfahren eingestellt hat.
c) Die behauptete Abstinenz des Antragstellers führt nicht dazu, dass das Landratsamt dem Antragsteller als milderes Mittel zur Fahrerlaubnisentziehung hätte auferlegen müssen, dass er alle zwei Monate eine Abstinenz mit entsprechenden Nachweisen vorzulegen hat. In entsprechender Anwendung der Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV kann die Fahreignung nach regelmäßigem Cannabiskonsum wiedererlangt werden, wenn der Betroffene einen einjährigen Abstinenzzeitraum absolviert und die Nachhaltigkeit des Einstellungswandels durch eine positive medizinisch-psychologische Untersuchung belegt hat. Die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Entziehungsverfahren zu prüfen, wenn eine Wiedererlangung in zeitlicher Hinsicht bereits möglich ist (sog. „verfahrensrechtliche Einjahresfrist“) und der Betreffende eine beachtliche Abstinenzbehauptung erhoben hat (VG München, B.v.17.2.2020 – M 26 S 19.6322 – juris Rn. 22 unter Berufung auf BayVGH, B.v. 5.12.2018 – 11 CS 18.2351 – juris).
Dies ist vorliegend nicht der Fall; insbesondere war eine Wiedererlangung der Fahreignung weder in zeitlicher Hinsicht möglich noch hat der Antragsteller eine beachtliche Abstinenzbehauptung erhoben, da er hierfür keinerlei Nachweise vorgelegt hat.
2. Schließlich hat die Fahrerlaubnisbehörde bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung den formalen Begründungserfordernissen des § 80 Abs. 3 VwGO in ausreichendem Umfang Rechnung getragen. Es wurde zu Recht festgestellt, dass das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegenüber den Belangen der Verkehrssicherheit zurückzustehen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es bei einer Fahrerlaubnisentziehung aus, die für den Fall typische Interessenlage aufzuzeigen; die Darlegung besonderer zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung ist nicht geboten (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2011 – 11 CS 11.1963, B.v. 11.5.2011 – 11 CS 10.68, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139, B.v. 19.7.2010 – 11 CS 10.540, B.v. 25.5.2010 – 11 CS 10.227 und B.v. 25.3.2010 – 11 CS 09.2580; VGH BW, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11 – alle juris). Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheids gerecht.
Insgesamt überwiegt auch bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen eigenständigen Interessenabwägung des Gerichts das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs deutlich das Interesse des Antragstellers, vorerst weiterhin Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führen zu dürfen. Dies gilt vor dem Hintergrund, dass das Fahrerlaubnisrecht als Spezialmaterie des Rechts der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerade dazu dient, Gefahren zu verhindern, die sich aus der Teilnahme ungeeigneter Personen am Straßenverkehr ergeben, grundsätzlich auch bei beruflicher oder privater Betroffenheit (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 16.6.2009 – 11 CS 09.373 – juris). Da eine Wiedererlangung der Fahreignung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehbar ist, da weder ein ausreichend lang zurückliegender Abstinenznachweis vorliegt noch eine stabile Verhaltensänderung auf Grund psychologischer Intervention über einen längerfristigen Zeitraum (Seite 16 des Gutachtens) stattgefunden hat, kann keine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unter Auflagen (Drogenkontrollprogramm) ergehen. Bei erwiesener Ungeeignetheit ist eine Beschränkung des Führens von Fahrzeugen oder die Anordnung von Auflagen nicht ausreichend, um den Verkehr in hinreichendem Maße vor Gefahren zu schützen. Die Gutachterin hat festgestellt, dass zu erwarten sei, dass der Antragsteller auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss führen wird. Dem Gutachten ist auch zu entnehmen, dass (unabhängig vom Fahrerlaubnisstatus des Antragstellers) ein Kurs zur Wiederherstellung der Kraftfahreignung nach § 70 FeV derzeit als nicht erfolgversprechend beurteilt wird.
3. Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).


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