Aktenzeichen M 26 S 18.2179
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Fahreignungszweifel im Zusammenhang mit gelegentlichem Cannabiskonsum und fehlendem Trennungsvermögen sind nur dann begründet, wenn jemand unter Einfluss einer THC-Konzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, die objektiv das Risiko birgt, dass er nicht mehr hinreichend fahrtüchtig ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 12. März 2018 wird wiederhergestellt. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller binnen drei Tagen nach Zustellung dieses Beschlusses seinen Führerschein wieder auszuhändigen bzw. einen Ersatzführerschein auszustellen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse B.
Im Jahr 2017 wurde gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz durchgeführt. In diesem Zusammenhang gab er an, im letzten halben Jahr ca. zehnmal Marihuana in Form von Joints konsumiert zu haben. Am … Juli 2017 habe er ca. sechsmal an einem von einer anderen Person gedrehten und dann herumkreisenden Joint gezogen. Wenig später habe er ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt.
Daraufhin forderte ihn die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29. November 2017, gestützt auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV, auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, das die Frage klären sollte, ob zu erwarten sei, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen werde.
Nachdem der Antragsteller dieses Gutachten nicht beibrachte, entzog ihm die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 12. März 2018 seine Fahrerlaubnis und forderte ihn auf, innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids seinen Führerschein abzuliefern. Beide Verfügungen wurden für sofort vollziehbar erklärt.
Der Antragsteller ließ Anfechtungsklage erheben und den Antrag stellen,
die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, die Beibringungsaufforderung sei rechtmäßig gewesen, sodass aufgrund der Nichtvorlage des Gutachtens der Schluss auf die fehlende Fahreignung des Antragstellers gerechtfertigt sei.
Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist dahingehend auszulegen (§ 88 VwGO), dass er sich nur gegen die Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids richtet, nachdem der Antragsteller seiner Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins nachgekommen ist und sich die im Bescheid ebenfalls enthaltene Zwangsgeldandrohung damit erledigt hat.
In dieser Form ist der Antrag zulässig und begründet. Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, die sich in erster Linie – soweit bereits überschaubar – an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientiert. Im hier zu entscheidenden Fall bestehen durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids, sodass der Antragsteller hierdurch in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Fahrerlaubnisbehörde hat einem fahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Ein Fahrerlaubnisinhaber gilt als fahrungeeignet, wenn er ein von der Behörde zurecht gefordertes Fahreignungsgutachten nicht vorlegt (§ 11 Abs. 8 FeV).
Die Behörde war im hier zu entscheidenden Fall aber nicht nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV berechtigt, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu fordern. Nach dieser Vorschrift kann die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen. Solche sogenannten Zusatztatsachen sind im Fall des Antragstellers aber nicht mit hinreichender Sicherheit gegeben. Fahreignungszweifel im Zusammenhang mit gelegentlichem Cannabiskonsum und fehlendem Trennungsvermögen sind nur dann begründet, wenn der Betroffene unter Einfluss einer THC-Konzentration am Straßenverkehr teilgenommen hat, die objektiv das Risiko birgt, dass er nicht mehr hinreichend fahrtüchtig ist. In Rechtsprechung und Literatur wird ein solches Risiko unterhalb einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml jedoch verneint (BayVGH, B.v. 25.1.2006 – 11 CS 05.1711 – DAR 2006, 407; Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Auflage 2017, § 14 FeV, Rn. 15; Köhler-Rott, DAR 2007, 682; Pießkalla, NZV 2008, 545). Beim Antragsteller wurde eine konkrete THC-Konzentration gerade nicht festgestellt. Es reicht auch nicht aus, dass – wie die Antragsgegnerin meint – es wahrscheinlich war, dass er eine THC-Konzentration von mindestens 1,0 ng/ml erreicht hatte. Hierfür müssten gesicherte Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des gerauchten Joints sowie zur Intensität des „Ziehens“ hieran durch den Antragsteller getroffen worden sein, woran es aber fehlt. Weder dem Vorbringen der Beteiligten noch dem sonstigen Akteninhalt ist mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, dass der Antragsteller in der Vergangenheit nach dem Konsum von Cannabis in der Regel dazu geneigt hat, ohne selbstkritische Prüfung seiner Fahrtüchtigkeit am Straßenverkehr teilzunehmen. Dass der Antragsteller möglicherweise in einem Fall nicht reflektiert hat, dass er aufgrund eines vorhergehenden Cannabiskonsums nicht mehr ausreichend fahrtüchtig war, aber dennoch am Straßenverkehr teilgenommen hat, ist als Zusatztatsache im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nicht ausreichend.
Die Anordnung der Rückgabe des Führerscheins bzw. der Ausstellung eines Ersatzführerscheins beruht auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO. Die Kostenentscheidung erging aufgrund von § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung rechtfertigt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.