Strafrecht

Fahrerlaubnisentziehung als Maßregel der Besserung und Sicherung neben Geldstrafe

Aktenzeichen  M 25 K 15.4003

Datum:
20.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StAG StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 12a
StGB StGB § 61

 

Leitsatz

§ 12a StAG ist nicht nur auf Maßregeln der Besserung und Sicherung nach § 61 Nr. 5 oder Nr. 6 StGB anzuwenden, sondern auch auf Maßregeln gegen Schuldfähige. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid vom 18. August 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf Einbürgerung (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
Die Beklagte hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ohne Ermessensfehler und insbesondere verhältnismäßig entschieden, dass die noch nicht tilgungsreife Entziehung der Fahrerlaubnis als Maßregel der Besserung und Sicherung gemäß § 61 Nr. 5 StGB im Einzelfall nicht außer Betracht bleibt und der Einbürgerung des Klägers nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG entgegensteht. Denn die Beklagte hatte wegen der Verurteilungen des Klägers zu Geldstrafen und der Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis im Einzelfall eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob die Maßregel der Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG als einbürgerungsunschädlich außer Betracht bleiben kann. Die gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgericht Augsburg, wonach es erst gar nicht zu einer Prüfung der Voraussetzungen von § 12a Abs. 1 StAG kommt, weil die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG in einer mit der hiesigen vergleichbaren Fallkonstellation verneint werden (VG Augsburg, U.v. 10.3.2015 – Au 1 K 14.1697 -juris, n.rk., zum mit § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG wortgleichen § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG), überzeugt das erkennende Gericht nicht.
1. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG ist ein Ausländer nach achtjährigem rechtmäßigem und gewöhnlichem Aufenthalt im Inland auf seinen Antrag einzubürgern, wenn er weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist. Mit der Neufassung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass jede rechtswidrig verwirklichte Straftat, die von einem Strafgericht sanktioniert wird, einer Einbürgerung entgegensteht (BT-Drs. 16/5065, S. 228). Es geht dabei nicht um die Sanktionierung Einbürgerungswilliger, sondern um Rechtsgüterschutz, der im Staatsangehörigkeitsrecht als öffentli ches Interesse im Vordergrund steht. Zuvor war höchstgerichtlich zur alten Fassung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG entschieden worden, dass auch die von einem Schuldunfähigen rechtswidrig verwirklichten Straftatbestände einbürgerungsschädlich sind (BVerwG, U.v. 29.3.2007 – 5 C 33/05 – juris Ls. 1, Rn. 11, Rn. 17).
Der Kläger wurde vorliegend zwei Mal wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Geldstrafe verurteilt. Diese Strafverurteilungen stehen seiner Einbürgerung somit gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG zunächst entgegen. Allerdings bleiben die Verurteilungen zu Geldstrafen wegen der Bagatellität der Verurteilungen letztlich außer Betracht (§ 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StAG).
2. Dies gilt nicht für die mit Strafbefehl vom 30. Juli 2012 angeordnete Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 61 Nr. 5 StGB (§ 12a Abs. 1 Satz 4 StAG). Hierbei hat die Beklagte ohne Ermessensfehler entschieden, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis beim Kläger nicht außer Betracht bleibt.
2.1. § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG ist anwendbar und erfüllt. Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 12a Abs. 1 Satz 4 StAG, der auch Maßregeln gegen Schuldfähige -wie vorliegend – erfasst, hatte die Behörde deshalb eine Einzelfallentscheidung über die Berücksichtigung der Maßregel zu treffen. Es erschließt sich nicht, weshalb der Anwendungsbereich der Norm über ihren Wortlaut hinaus nur auf Maßregeln der Besserung und Sicherung nach § 61 Nr. 5 oder Nr. 6 StGB, die gegen Schuldunfähige angeordnet werden, eingeschränkt werden sollte (so wohl VG Augsburg, U.v. 10.3.2015, a.a.O.). Neben der amtlichen Gesetzesbegründung zu § 12a StAG (BJ-Drs. 16/5065, S. 230) sprechen für die hier vertretene Auffassung sowohl der Wortlaut der Norm, die Gesetzessystematik, teleologische Gründe als auch der Wille des Gesetzgebers.
2.2. Der Ermessensspielraum der Beklagten ist nicht bereits ausnahmsweise auf Null reduziert (so wohl VG Augsburg, U.v. 10.3.2015, a.a.O., Rn. 37, dies offen lassend BayVGH, B.v. 2.12.2015, – 5 ZB 15.752 – juris Rn. 2) mit der Folge, dass nur die Entscheidung für die Außerbetrachtlassung der Maßregel rechtmäßig und jede andere Ermessensentscheidung fehlerhaft wäre.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist bei der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Interesse des Ausländers an der Einbürgerung neben der Frage, ob der Sicherungs- und Besserungszweck der Maßregel fortwirkt oder ob dieser durch die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erledigt ist, auch die Schwere und das Gewicht der strafbaren Handlung sowie die bewirkten Schäden in den Blick zu nehmen (BayVGH, B.v. 2.12.2015, a.a.O.) Dies hat die Beklagte getan.
Zwar liegen die beiden strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers, die die Beklagte im Rahmen des Ermessens als tatsächliche Elemente trotz der Bagatellverurteilun-gen berücksichtigen darf (s.u.), unterhalb der Bagatellgrenze des § 12a Abs. 1 Satz 1 und 2 StAG, und es ist insbesondere bei der Trunkenheitsfahrt des Klägers niemand zu Schaden gekommen. Des Weiteren ist die Wiedererteilungssperre für die Fahrerlaubnis von zehn Monaten bereits seit 2013 abgelaufen, und der Kläger hat nach erfolgreicher Absolvierung der MPU und einer Drogentherapie seine Fahrerlaubnis am 12. Mai 2014 wieder erlangt. Andererseits hat der Kläger jedoch zwei Straftatbestände verwirklicht, die – unabhängig von den Bagatellverurteilungen im konkreten Fall -nicht dem Bereich der Bagatellkriminalität zuzurechnen sind: Sowohl das Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr unter Einfluss berauschender Mittel als auch die bewussten, zweifachen Falschangaben in statusrechtlichen Einbürgerungsverfahren sind keine Lappalien, sondern durchaus gewichtige Straftaten. Der Kläger hat seine Fahrerlaubnis auch nicht im unmittelbaren Anschluss an den Ablauf der Wiederertei lungssperre wieder erlangt, sondern erst ein Jahr später, weil er – nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung – zunächst eine Drogentherapie nach zwar nur gelegentlichem, aber langjährigem Drogenkonsum zwischen 2004 und 2012 absolviert hat. Außerdem ist der Kläger für seine private Lebensführung, etwa aus beruflichen Gründen, nicht unabdingbar auf die Einbürgerung angewiesen. Des Weiteren erfolgte eine strafrechtliche Verurteilung im Zusammenhang mit dem vorliegend zu beurteilenden Einbürgerungsbegehren.
Dies alles berücksichtigend, sieht das Gericht vorliegend keine Ermessensreduzierung auf Null.
2.3. Es liegen auch keine sonstigen Ermessensfehler, insbesondere Unangemessenheit als Unverhältnismäßigkeit im engeren Sinne, vor. Die Beklagte hat die tatsächlichen und rechtlichen wesentlichen Gesichtspunkte zulässiger Weise in den Blick genommen und bewertet und sich nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen.
Bei der Nachprüfung von Ermessensentscheidungen ist das Gericht darauf beschränkt, zu prüfen, ob die Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 Satz 1 VwGO). Das Gericht darf dabei nicht seine eigene Wertung an die Stelle der behördlichen setzen oder prüfen, ob eine andere Entscheidung sachgerechter gewesen wäre. Es ist auf die Prüfung beschränkt, ob Ermessensfehler vorliegen. Dies ist vorliegend zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt – gerade eben noch – nicht der Fall.
Die Beklagte durfte die Straftaten im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigen, auch wenn diese wegen Bagatellität der Verurteilungen der Einbürgerung nicht zwingend entgegenstehen.
Sie ist nicht wegen eines vermeintlichen Wertungswiderspruch zur Regelung des § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 StAG gehindert, die Straftaten im Rahmen ihrer Ermessensausübung zu berücksichtigen. Auch die die Gerichte zwar nicht unmittelbar bindenden, aber über den Gleichheitssatz des Art. 3 GG zu berücksichtigenden Vorgaben der Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht stellen hinsichtlich der Ermessensausübung in zulässiger Weise darauf ab, ob die Sozialprognose des Einbürgerungsbewerbers günstig ist (Nr. 12.a 1.4 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz, Stand 17. April 2009). Eine Sozialprognose basiert jedoch auf dem tatsächlichen Sachverhalt, zu dem vorliegend auch die Begehung der Straftaten gehört. Des Weiteren soll nach den Verwaltungsvorschriften berücksichtigt werden, wie lange die Maßregel der Besserung und Sicherung noch andauert und welche Folgen die Tat hatte.
Die Beklagte hat die vom Kläger verübten Straftaten zutreffend nicht als Bagatellkri-minalität gewertet. Darüber hinaus war für sie von Gewicht, dass es sich nicht um eine einmalige Verfehlung handelt und die Verurteilungen innerhalb eines kurzen Zeitraums und erst vor relativ kurzer Zeit erfolgten. Im Übrigen hat sie auf die Jilgungs-reife der Straftaten im Jahr 2019 abgestellt. Dass sie den Umstand, dass der Kläger die Fahrerlaubnis seit Mai 2014 wieder erlangt hat, im Ergebnis als nicht ausschlaggebend gewertet hat, ist nicht fehlerhaft.
Letztlich ist die Entscheidung im Ergebnis auch nicht unangemessen in dem Sinne, dass sie unverhältnismäßig wäre.
Denn zum einen ist der Kläger – wie die Beklagte zu Recht ausführt – nicht dringend auf die sofortige Einbürgerung angewiesen, jedenfalls wurde hierzu nichts vorgetragen. Allein der Umstand, dass berufliche Einsätze in der Zukunft als deutscher Staatsangehöriger unkomplizierter zu gestalten sein könnten, genügt nicht. Zum anderen darf vorliegend ins Gewicht fallen, dass der Kläger zwar zunächst zehn Jahre straffrei und völlig unbeanstandet in der Bundesrepublik gelebt hat, dann aber innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren und darüber hinaus erst jüngst zwei Mal strafrechtlich verurteilt wurde und eine dieser Verurteilungen in engem Zusammenhang mit dem hier zu beurteilenden Einbürgerungsverfahren steht.
Damit erweist sich die Ermessensausübung nach Auffassung des Gerichts im Ergebnis zwar als streng, aber dennoch – zumindest im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – als noch ermessensfehlerfrei. Ob eine andere Entscheidung angemessener oder sachgerechter gewesen wäre, spielt für die gerichtliche Überprüfung auf Ermessensfehler keine Rolle.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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