Strafrecht

Fahrerlaubnisentzug wegen gelegentlichem Cannabiskonsum

Aktenzeichen  11 CS 16.1036

Datum:
3.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 13, § 14

 

Leitsatz

Hat der Fahrerlaubnisinhaber zwei unabhängige Konsumakte zugegeben, ist er als gelegentlicher Cannabiskonsument anzusehen. Seine Einlassung, es habe sich bei seiner Angabe eines weiter zurückliegenden Konsums gegenüber den Polizeibediensteten im Rahmen der Verkehrskontrolle um eine Schutzbehauptung gehandelt, um auf diese Weise einem Strafverfahren zu entgehen, ist dann weder nachvollziehbar noch überzeugend. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass die Rechtsprechung, wonach der Fahrlässigkeitsvorwurf bei einer Fahrt nach Cannabiskonsum ausnahmsweise entfallen kann, wenn der Betreffende die Fahrt erst nach längerem Zuwarten angetreten hat und er zu diesem Zeitpunkt auch unter Berücksichtigung atypischer Rauschverläufe und der Unberechenbarkeit des THC-Abbaus davon ausgehen konnte, dass der Wirkstoff bei Antritt der Fahrt vollständig abgebaut war („Längere-Zeit-Rechtsprechung“) dem Fahrerlaubnisinhaber bekannt und bei der Verkehrskontrolle so präsent war, dass er sich spontan zu einer solchen taktischen Einlassung in der Lage sah. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

7 S 16.398 2016-04-27 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
Am 4. Januar 2016 gegen 22.50 Uhr unterzog die Polizeiinspektion Schwabmünchen den Antragsteller einer Verkehrskontrolle. Der Antragsteller gab nach dem Polizeibericht an, er habe am Vortag Cannabis konsumiert. In seiner Jackentasche fanden die Polizeibeamten ein Tütchen Marihuana. Die Untersuchung der am 5. Januar 2016 um 00.43 Uhr entnommenen Blutprobe ergab nach dem Gutachten des Universitätsklinikums Bonn vom 14. Januar 2016 einen Gehalt von 1,2 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) sowie 29,1 ng/ml THC-Metabolit (THC-COOH). Bei einer Hausdurchsuchung der Wohnung des Antragstellers übergab er den Beamten zwei weitere Tütchen Marihuana. Ob ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet wurde, kann den Akten nicht entnommen werden.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2016 hörte das Landratsamt Augsburg (im Folgenden: Fahrerlaubnisbehörde) den Antragsteller zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Der Antragsteller machte geltend, er habe am 4. Januar 2016 gegen 19.30 Uhr Cannabis konsumiert. Er habe den Konsumzeitpunkt falsch angegeben, da er Ermittlungen wegen einer Straftat verhindern habe wollen. Es habe sich um einen experimentellen Erstkonsum gehandelt.
Mit Bescheid vom 2. März 2016 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis, ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds die Abgabe des Führerscheins innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids und die sofortige Vollziehung an. Der Antragsteller sei gelegentlicher Cannabiskonsument und könne das Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr von dem Konsum von Cannabis nicht hinreichend trennen. Am 9. März 2016 gab der Antragsteller seinen Führerschein ab.
Über die dagegen erhobene Klage (Az. 7 K 16.397) hat das Verwaltungsgericht Augsburg noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. April 2016 abgelehnt.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, führt der Antragsteller aus, die Darlegungslast für gelegentlichen Cannabiskonsum trage die Behörde und nicht der Betroffene. Das Verwaltungsgericht habe auch zu Unrecht angenommen, dass der Antragsteller nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen könne. Die Grenzwertkommission, die die Bundesregierung berate und an deren Sachkunde keinerlei Zweifel bestünden, habe im September 2015 aufgrund neuer Erkenntnisse die Empfehlung herausgegeben, dass die gebotene Trennung zwischen Konsum und Fahren nicht mehr ab 1,0 ng/ml THC im Blutserum, sondern erst ab einem Grenzwert von 3,0 ng/ml THC zu verneinen sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig wäre.
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl I S. 904), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht (BVerwG, U. v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 36).
Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis den Konsum und das Fahren nicht trennt. Gelegentlicher Konsum von Cannabis liegt vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen. Ein gelegentlicher Konsument von Cannabis trennt dann nicht in der gebotenen Weise zwischen diesem Konsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs, wenn er fährt, obwohl angesichts des bei ihm festgestellten Tetrahydrocannabinol-Werts (THC) eine hierdurch bedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht auszuschließen ist (st. Rspr., zuletzt BVerwG, U. v. 23.10.2014 a. a. O.; BayVGH, B. v. 18.4.2016 – 11 ZB 16.285 – juris Rn. 11).
b) Der Antragsteller hat nach seiner eigenen Einlassung mindestens zweimal Cannabis in voneinander unabhängigen Konsumakten eingenommen und ist damit als gelegentlicher Cannabiskonsument anzusehen.
Zum einen steht aufgrund des Gutachtens des Universitätsklinikums Bonn vom 14. Januar 2016 fest, dass er in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Fahrt am Abend des 4. Januar 2016 Cannabisprodukte konsumiert hat. Das hat der Antragsteller im Übrigen auch selbst eingeräumt.
Zum anderen hat der Antragsteller bei der Polizeikontrolle selbst angegeben am Vortag Cannabis konsumiert zu haben. Bei der Blutentnahme gab er dann an, am 4. Januar 2016 gegen 3.30 Uhr einen kleinen Joint geraucht zu haben. Zudem wurden sowohl in seiner Jackentasche als auch in seiner Wohnung insgesamt drei Tütchen mit Marihuana aufgefunden. Ferner hat er einem Aktenvermerk der Polizeiinspektion Schwabmünchen vom 25. Februar 2016 zufolge in informatorischen Gesprächen angegeben, „gelegentlich Gras zu konsumieren“. Es erscheint daher nicht glaubhaft, dass es sich um einen einmaligen Probierkonsum gehandelt haben soll.
Darüber hinaus ist auch die Einlassung des Antragstellers gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde und dem Gericht, es habe sich bei seiner Angabe eines weiter zurückliegenden Konsums gegenüber den Polizeibediensteten im Rahmen der Verkehrskontrolle um eine Schutzbehauptung gehandelt, um auf diese Weise einem Strafverfahren zu entgehen, weder nachvollziehbar noch überzeugend. Zwar kann der Fahrlässigkeitsvorwurf bei einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2, Abs. 3 StVG (Fahrt nach Cannabiskonsum) ausnahmsweise entfallen, wenn der Betreffende die Fahrt erst nach längerem Zuwarten angetreten hat und er zu diesem Zeitpunkt auch unter Berücksichtigung atypischer Rauschverläufe und der Unberechenbarkeit des THC-Abbaus davon ausgehen konnte, dass der Wirkstoff bei Antritt der Fahrt vollständig abgebaut war („Längere-Zeit-Rechtsprechung“, kritisch hierzu KG Berlin, B. v. 14.10.2014 – 3 Ws (B) 375/14 – Blutalkohol 52, 32, und daran anknüpfend OLG Oldenburg, B. v. 4.8.2015 – 2 Ss OWi 142/15 – juris; ebenso Funke in Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, Bd. 1, 1. Auflage 2016, § 24a StVG Rn. 61; Krumm in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 1. Auflage 2014, § 24a StVG Rn. 28). Es erscheint allerdings äußerst zweifelhaft, dass dem Antragsteller als angeblich einmaligem Cannabiskonsumenten diese Rechtsprechung überhaupt bekannt und bei der Verkehrskontrolle so präsent war, dass er sich spontan zu einer solchen taktischen Einlassung in der Lage sah.
c) Ebenfalls nicht durchdringen kann der Antragsteller mit seinen Ausführungen, aus dem in der entnommenen Blutprobe vom 5. Januar 2016 festgestellten THC-Wert von 1,2 ng/ml ergebe sich nicht, dass er nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen von Kraftfahrzeugen trennen könne. Soweit er hierzu auf die Empfehlung der Grenzwertkommission für die Konzentration von THC im Blutserum zur Feststellung des Trennungsvermögens von Cannabiskonsum und Fahren (Blutalkohol 2015, 322) hinweist, sieht der Senat vor dem Hintergrund des insoweit zugrunde zu legenden Gefährdungsmaßstabs derzeit keine Veranlassung, von dem THC-Grenzwert von 1,0 ng/ml abzuweichen (vgl. ausführlich BayVGH, B. v. 23.5.2016 – 11 CS 16.690 – juris Rn. 15 ff.).
2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14).
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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