Strafrecht

Feststellungen zum BtM-Wirkstoffgehalt – Wiederaufleben des Verschlechterungsverbots für Einzelstrafen bei beiderseitiger Berufungsverwerfung

Aktenzeichen  3 OLG 8 Ss 28/17

Datum:
21.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StGB StGB § 64
BtMG BtMG § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 35
StPO StPO § 246a Abs. 1 S. 2, § 331, § 358 Abs. 2 S. 3

 

Leitsatz

1. Bei einem Betäubungsmitteldelikt stellt die Wirkstoffmenge, die notfalls im Wege der Schätzung zu ermitteln ist, einen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar (u.a. Anschluss an BGH, Beschl. v. 12.05.2016 – 1 StR 43/16 = NStZ-RR 2016, 247).
2. Das Verschlechterungsverbot gem. § 331 I StPO steht der Erhöhung einer Einzelstrafe auch dann entgegen, wenn zwar die StA Berufung zu Ungunsten des Angekl. eingelegt hatte, diese aber vom Berufungsgericht als unbegründet verworfen wurde (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschl. v. 19.11.2014 – 3 OLG 8 Ss 152/14 [bei juris] und 16.10.2014 – 3 OLG 7 Ss 132/14 = NStZ-RR 2015, 149).
3. Es ist rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB nicht in Erwägung zieht, obwohl im tatrichterlichen Urteil ausdrücklich festgestellt wird, dass der Angeklagte die Taten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat.

Gründe

1. Die Strafzumessung ist bereits rechtsfehlerhaft, soweit gegen den Angekl. eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln verhängt wurde. Die tatrichterlichen Feststellungen sind lückenhaft und bieten keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung. Das LG hat keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des vom Angekl. erworbenen Marihuanas, mithin zu einem bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt (vgl. nur BGH, Beschl. v. 12.05.2016 – 1 StR 43/16 = NStZ-RR 2016, 247 m.w.N.) getroffen. Steht das Betäubungsmittel für eine Untersuchung nicht mehr zur Verfügung, so muss das Gericht unter Berücksichtigung anderer sicher festgestellter Umstände (z.B. Herkunft, Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren) die Wirkstoffkonzentration – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – durch eine Schätzung festlegen (vgl. BGH a.a.O. m.w.N.).
2. Soweit das LG gegen den Angekl. eine Einzelstrafe von einem Jahr und zwei Monaten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge festgesetzt hat, hat es gegen das Verschlechterungsverbot des § 331 I StPO verstoßen. Das AG hatte für diese Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt. Da das Verbot der ‚reformatio in peius‘ nicht nur eine Erhöhung der Gesamtstrafe, sondern auch eine Erhöhung der Einzelstrafen ausschließt (vgl. BGHSt 1, 252; BGH NStZ-RR 2000, 39; Meyer-Goßner/Schmitt StPO § 331 Rn. 18 m.w.N.), kann das Berufungsurteil in Bezug auf die verhängte Einzelstrafe und die darauf aufbauende Gesamtstrafe keinen Bestand haben. Mit der Verwerfung der von der StA zu Ungunsten des Angekl. eingelegten Berufung lebte das Verschlechterungsverbot wieder auf (BayObLG NStZ-RR 2004, 22; OLG Bamberg Beschl. v. 19.11.2014 – 3 OLG 8 Ss 152/14 [bei juris] und 16.10.2014 – 3 OLG 7 Ss 132/14 = NStZ-RR 2015, 149; KK/Paul StPO 7. Aufl. § 331 Rn. 2, LR/Gössel StPO 26. Aufl. § 331 Rn. 26, jeweils m.w.N.).
3. Schließlich hat das LG rechtsfehlerhaft die sich nach den getroffenen Feststellungen aufdrängende Prüfung und Entscheidung der Frage der Unterbringung des Angekl. in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB, welche im Übrigen einer etwaigen Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG vorgeht (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ-RR 2016, 209), unterlassen. Der Umstand, dass nur der Angekl. Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der von seinem Rechtsmittelangriff nicht wirksam ausgenommenen Unterbringungsanordnung nach § 358 II 3 StPO nicht (BGHSt 37, 5; BGH, Beschl. v. 15.12.2015 – 1 StR 564/15 m.w.N. [bei juris]). Das landgerichtlich Urteil führt explizit aus, dass die Taten „Ausfluss einer Betäubungsmittelabhängigkeit des Angekl. und aufgrund Betäubungsmittelabhängigkeit begangen“ worden seien. In Anbetracht dessen und der in der Schilderung der persönlichen Verhältnisse wiedergegebenen Einlassung des Angekl. zu seinem Betäubungsmittelkonsum seit seinem 15. Lebensjahr, hätte sich – unter Heranziehung eines Sachverständigen gemäß § 246a I 2 StPO – die Prüfung eines Hangs zum Konsum berauschender Mittel und des symptombedingten Zusammenhangs mit den Taten auch mit entsprechenden Fakten geradezu aufgedrängt. Der Umstand, dass Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch den Drogenkonsum seitens des LGs nicht festgestellt wurden, schließt die Existenz eines Hangs nicht aus (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 12.01.2017 – 1 StR 604/16 m.w.N. [bei juris]). Bei dieser Sachlage muss über die Frage der Unterbringung des Angekl. in einer Entziehungsanstalt unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a I 2 StPO) neu verhandelt und entschieden werden. […]


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