Strafrecht

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Aktenzeichen  BayAGH II – 2- 12/1

Datum:
26.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44622
Gerichtsart:
Anwaltsgerichtshof
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Anwaltsgerichts für den Bereich der Rechtsanwaltskammer Nürnberg vom 18.05.2018, Az. AnwG I …, wird verworfen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Betroffenen auferlegt.
(Angewandte Vorschriften: §§ 43a Abs. 4, 113 Abs. 1, 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO; § 3 Abs. 1 S.1 BORA).

Gründe

I.
1. Mit Urteil vom 18.05.2018 hat die 1. Kammer des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Nürnberg (im Folgenden: das Anwaltsgericht) den Betroffenen schuldig gesprochen, gegen die Pflicht verstoßen zu haben, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich der Achtung und des Vertrauens würdig zu erweisen, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, wozu gehört, keine widerstreitenden Interessen zu vertreten (§§ 43a Abs. 4, 113 Abs. 1 BRAO, § 3 Abs. 1 S.1 BORA). Deshalb hat es ihm gem. § 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO verboten, für die Dauer von zwei Jahren auf dem Gebiet des Zivilrechts mit Ausnahme des Arbeitsrechts als Vertreter und Beistand tätig zu werden.
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22.05.2018 Berufung eingelegt. Diese hat er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 24.02.2020 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
2. Im mit Beschluss des Senats vom 08. Juni 2020 hinzuverbundenen Verfahren BayAGH II … lag dem Betroffenen zur Last, entgegen § 31a Abs. 6 BRAO kein besonderes elektronisches Anwaltspostfach vorgehalten zu haben sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das besondere elektronisches Anwaltspostfach nicht zur Kenntnis genommen zu haben und entgegen § 14 S.1 BORA das mit dem Datum versehene Empfangsbekenntnis unverzüglich zu erteilen. Insoweit wurde mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 154a Abs. 2 StPO mit Beschluss vom 26.04.2021 von der Verfolgung abgesehen.
II.
Die Berufung wurde form- und fristgerecht erhoben und ist auch im Übrigen zulässig. Außerdem wurde sie in zulässiger Weise nachträglich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt (§§ 318 Satz 1 StPO, 116 Abs. 1 S.1 StPO).
III.
Zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen hat der Senat auf Grundlage der glaubhaften Angaben des Betroffenen sowie der Auskunft aus dem Bundeszentralregister folgende Feststellungen getroffen:
1. Der … in … geborene Betroffene reiste im Jahr 2000 nach Deutschland ein und studierte hier Rechtswissenschaft. Im Jahr 2009 schloss er seine juristische Ausbildung mit der zweiten Juristischen Staatsprüfung ab.
Mit Urkunde vom 07.10.2009 wurde der Betroffene erstmals zur Rechtsanwaltschaft im Landgerichtsbezirk Nürnberg-Fürth zugelassen und war seitdem als Rechtsanwalt tätig. Die Zulassung wurde von der Rechtsanwaltskammer Nürnberg am 20.10.2015 wegen Vermögensverfalls widerrufen. Die dagegen gerichtete Klage wies der Bayerische Anwaltsgerichtshof mit Urteil vom 07.10.2016 ab. Der Bundesgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 24.03.2017 die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil ab.
Am 26.07.2017 wurde der Betroffene erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und ist seitdem weiterhin als Rechtsanwalt im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Nürnberg tätig.
2. Im Bundeszentralregister findet sich eine Eintragung. Der Betroffene wurde mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 18.12.2018, rechtskräftig seit 03.06.2020, wegen einer vorsätzlichen Insolvenzverschleppung und vorsätzlichen Verletzung der Buchführungspflicht in drei Fällen schuldig gesprochen und deshalb zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je 35,00 € verurteilt. Berufsrechtlich ist der Betroffene nicht vorgeahndet.
3. Befragt zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, der Einkommenssituation und der Mandatsstruktur, gab der Betroffene an, dass sich gegenüber der ersten Instanz nichts geändert habe. Da er monate- bzw. jahrelang aufgrund gesundheitlicher Probleme arbeitsunfähig gewesen sei, habe er nur im geringen Umfang gearbeitet. Erstinstanzlich gab er zuletzt an, er habe monatlich ca. 500,00 € Reingewinn erzielt.
IV.
1. Aufgrund der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch sind die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil sowie der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen und somit der Prüfung durch den Senat entzogen (§ 116 Satz 2 BRAO, § 318 StPO). Die vom Anwaltsgericht im Urteil vom 18.05.2018 getroffenen tatsächlichen Feststellungen geben den Unrechts – und Schuldgehalt der Pflichtverletzung hinreichend wieder und bilden eine ausreichende Grundlage für die Berufungsentscheidung des Senats.
2. Bindend steht Folgendes fest:
Der Betroffene und sein Bruder … waren gegenüber ihrer Mutter unterhaltspflichtig. Die Mutter bezog jedoch von der Stadt Nürnberg Leistungen nach dem 4. und 7. Kapitel des SGB XII, weshalb die Stadt Nürnberg gegen beide Söhne nach § 94 SGB XII übergegangene Ansprüche geltend machte. Das Verfahren gegen den Betroffenen wurde beim Amtsgericht – Familiengericht – Nürnberg unter dem Az. 103 F … geführt, das Verfahren gegen den Bruder … unter dem Az. 102 F … In seinem eigenen Verfahren vertrat sich der Betroffene selbst, im Verfahren gegen seinen Bruder bestellte er sich als dessen anwaltlicher Vertreter. Dort trat er in insgesamt vier Terminen für seinen Bruder auf. Im Termin vom 25.02.2015 erkannte er den kurz zuvor erweiterten Auskunftsanspruch an, worauf TeilAnerkenntnisbeschluss vom 25.02.2015 erging. In Erfüllung dessen erteilte der Betroffene am 14.08.2015 für seinen Bruder teilweise Auskunft. Aufgrund der vom Betroffenen für seinen Bruder eingereichten Unterlagen bezifferte die Stadt Nürnberg den Zahlungsanspruch.
Mit Verfügung vom 26.04.2016 wurde der Betroffene durch das Gericht auf das Vorliegen einer Interessenkollision sowie auf § 356 StGB hingewiesen. Erst als im Termin vom 07.10.2016 eine Mitteilung der Rechtsanwaltskammer Nürnberg über deren rechtliche Einschätzung des Sachverhalts zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde, legte der Betroffene das Mandat nieder.
Aufgrund der vom Betroffenen für seinen Bruder vorgelegten Unterlagen wurde zwischen letzterem und der Stadt Nürnberg nach Niederlegung des Mandats durch den Betroffenen ein Vergleich über 13.300, – € geschlossen. Das Verfahren gegen den Betroffenen endete mit einem Anerkenntnisbeschluss über 3.333,10 €.
V.
Aufgrund des rechtskräftigen Schuldspruchs im Urteil des Anwaltsgerichts vom 18.05.2018 ist der Betroffene schuldig, gegen die Pflicht verstoßen zu haben, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und sich der Achtung und des Vertrauens würdig zu erweisen, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, wozu gehört, keine widerstreitenden Interessen zu vertreten (§§ 43a Abs. 4, 113 Abs. 1 BRAO, § 3 Abs. 1 S.1 BORA).
VI.
Der Ahndung der Pflichtverletzung durch den Senat (§ 113 Abs. 1 BRAO) liegen folgende Überlegungen zugrunde:
Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen gem. § 43a Abs. 4 BRAO stellt eine der Kernpflichten eines Rechtsanwalts dar. Grundlage der Regelung sind das Vertrauensverhältnis des Mandanten zu seinem Rechtsanwalt, die Wahrung der eigenen Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse des Gemeinwohls in Gestalt der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung (vgl. Weyland/Träger, 10. Aufl. 2020, BRAO § 43a Rn. 54; BVerfG NJW 2003, 2520; jeweils zitiert nach beckonline).
Im vorliegenden Fall wiegt besonders schwer, dass es sich nicht nur um eine einmalige, kurzfristige Verfehlung handelte, sondern der Betroffene über einen Zeitraum von rund zwei Jahren seinen Bruder vertrat und erst auf einen nochmaligen, massiven Hinweis des Gerichts das Mandat niederlegte. Hinzu kommt, dass es sich um widerstreitende Interessen in Bezug auf den Betroffenen selbst handelte und nicht um widerstreitende Interessen zweier Mandanten.
Zugunsten des Betroffenen wurde insbesondere gewertet, dass er die Pflichtverletzung eingeräumt hat und zum Zeitpunkt ihrer Begehung noch nicht strafrechtlich vorgeahndet war. Ebenfalls ist zu sehen, dass der Betroffene berufsrechtlich nicht vorgeahndet ist.
Nach Abwägung dieser Gesichtspunkte erschienen dem Senat weder die Aussprache eines Verweises (§ 114 Abs. 1 Nr.2 BRAO) noch die Verhängung einer Geldbuße (§ 114 Abs. 1 Nr.3 BRAO) ausreichend, da es sich um eine schwere vorsätzliche Pflichtverletzung des Betroffenen handelt. Erforderlich erschien vielmehr die Verhängung eines zeitlich beschränkten Vertretungsverbots gem. § 114 Abs. 1 Nr.4 BRAO für zwei Jahre auf dem Gebiet des Zivilrechts mit Ausnahme des Arbeitsrechts. Damit wird dem Betroffenen einerseits nicht die Erwerbsgrundlage genommen, andererseits stellt die Sanktion eine für ihn spürbare Ahndung dar.
Was die Ausnahme des Arbeitsrechts von dem Verbot, auf dem Gebiet des Zivilrechts tätig zu werden, angeht, ist – nach Rechtswegzuständigkeiten betrachtet – eine klare Abgrenzung möglich. Insoweit handelt es sich um ein bestimmtes, in sich abgeschlossenes Rechtsgebiet im Sinne des § 114 Abs. 1 Nr.4 BRAO.
VII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Abs. 2 S.1 BRAO.


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