Strafrecht

Rechtmäßigkeit der sofortigen Vollziehbarkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Fahreignung

Aktenzeichen  M 26 S 16.2342

Datum:
29.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV FeV § 11 Abs. 7, Abs. 8, § 46 Abs. 1 S. 1
Anlage 4 zur FeV Nr. 9.2.2
VwGO VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Ein Erstkonsum von Cannabis ist dann nicht hinreichend schlüssig dargetan, wenn der Fahrer seine bei der Polizeikontrolle getätigten Angaben zu mehrfachen Konsumakten im Nachhinein damit erklärt, er habe die entsprechenden Angaben – wahrheitswidrig – in der Annahme gemacht, dass ein länger zurückliegender Konsum günstig für ihn sei. Er muss mindestens die näheren Umstände, die zur angeblich einmaligen Einnahme und Fahrt unter Drogeneinfluss geführt haben, näher darlegen. (redaktioneller Leitsatz)
Ebenso wenig ist es als tauglicher Vortrag zur Wiedererlangung der Fahreignung anzusehen, wenn der behauptet nur einmalige Erstkonsum weder näher erläutert wird noch in irgendeiner Weise Nachweise hierfür erbracht werden. Hier treffen den Fahrer Mitwirkungspflichten beim Nachweis. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 3750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A (79.03, 79.04), A1 (79.03, 79.04), AM, B und L.
Er wurde als Fahrer eines Pkw am … Juli 2014 gegen a… Uhr einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen und gab nach dem polizeilich festgestellten Sachverhalt im Gespräch an, innerhalb der letzten … Tage Marihuana konsumiert zu haben. Der letzte Betäubungsmittelkonsum (1 Joint) habe am Vortag (…7.2014 gegen b… Uhr) stattgefunden. Nach der Belehrung als Beschuldigter wollte sich der Kläger nicht mehr zur Sache äußern. Um c… Uhr wurde dem Antragsteller auf freiwilliger Basis eine Blutprobe entnommen, die einen Nachweis von a… ng/ml THC und b… ng/ml THC-Carbonsäure im Blut erbrachte.
Mit Schreiben vom … April 2015 ordnete das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten A… gegenüber dem seinerzeit in A… mit Hauptwohnsitz gemeldetem Antragsteller die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens zu Art, Umfang und Häufigkeit des Betäubungsmittelkonsums an. Nachdem der Antragsteller seinen Hauptwohnsitz am … Mai 2015 zurück nach B… verlegte, nahm der Antragsgegner die Gutachtensanordnung vom … April 2015 mit Schreiben vom … Juni 2015 zurück und hörte den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an.
Am … Juni 2015 beantragte der Antragsteller die Erweiterung seiner Fahrerlaubnis um die Klasse A2. Am selben Tag wurde dem Antragsteller auf seinen Antrag hin ein internationaler Führerschein zu den bisherigen Fahrerlaubnisklassen ausgestellt.
Mit Schreiben vom … Juni 2015 ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte mitteilen, dass er am … Juli 2014 erst- und letztmals Cannabis konsumiert habe. Wie häufig bei Erstkonsumenten, habe der Antragsteller keine Bewusstseinstrübung festgestellt und daher den Eindruck gehabt, fahrtüchtig zu sein. Der Grenzwert sei nur minimal überschritten gewesen und es hätten keine Ausfallerscheinungen festgestellt werden können. Die Angaben des Antragstellers gegenüber der Polizei zu seinem letzten Cannabiskonsum beruhten auf seiner Unerfahrenheit im Umgang mit Betäubungsmitteln und stellten reine Schutzbehauptungen dar. Der Antragsteller habe sich auf eine möglichst lange Zeitspanne zwischen Konsum und Fahren berufen wollen. Mit Schreiben vom … Juli 2015 und … September 2015 teilte die Bevollmächtigte auf Anfrage von Antragsgegnerseite die Haarlängen des Antragstellers mit; mit letztgenanntem Schreiben außerdem, dass der Antragsteller sich ab dem … Oktober 2015 für ein Jahr im Ausland („Travel&Work“) aufhalten werde.
Mit Schreiben vom … September 2015 ordnete der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller eine medizinisch psychologische Untersuchung und ein Drogenkontrollprogramm mit vier vorgegebenen Terminen zur Abgabe von Haaranalysen innerhalb eines Jahres durch eine Begutachtungsstelle für Fahreignung an. Die Anmeldung zum Drogenkontrollprogramm habe bis zum … September 2015 zu erfolgen. Das Gutachten sei bis zum … August 2016 vorzulegen.
Mit Schreiben vom … September 2015 wandte sich die Bevollmächtigte des Antragstellers gegen diese Gutachtensanordnung. Da höchstens der Verdacht des gelegentlichen Konsums von Cannabis bestehe, sei nur die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung möglich. Für den erst- und einmaligen Konsum durch den Antragsteller spreche der festgestellte THC-COOH-Wert von lediglich b… ng/ml. Eine gesetzliche Tatsachenvermutung, wonach derjenige, der einmal mit Cannabis verkehrsauffällig werde, gelegentlich konsumiere, lasse sich nicht ableiten. Es bestehe auch keine Verpflichtung, die Einmaligkeit des Konsums darzulegen und zu beweisen. Für die Heranziehung der Grundsätze des ersten Anscheins fehle es am typischen Geschehensablauf. Außerdem sei dem Antragsteller die Befolgung der Anordnung wegen seines Auslandsaufenthalts ab … Oktober 2015 faktisch unmöglich. Der Antragsteller sei jedoch bereit, bis zum … Oktober 2015 eine Haaranalyse in Auftrag zu geben. Das Haar sei mittlerweile 3 cm lang.
Nach Anhörung entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 7. Dezember 2015 die Fahrerlaubnis der Klassen A (79.03, 79.04), A1 (79.03, 79.04), AM, B und L (Nr. 1 des Bescheids), lehnte den Antrag auf Erweiterung der Fahrerlaubnis um die Klasse A2 ab (Nr. 2) und drohte für den Fall, dass der Antragsteller seinen am … März 2013 ausgestellten Führerschein und den am … Juni 2015 ausgestellten internationalen Führerschein nicht innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abliefere, ein Zwangsgeld in Höhe von a… EUR an (Nrn. 3 und 4). Unter Nr. 5 des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 3 angeordnet. Die Nr. 6 enthält die Kostenentscheidungen.
Der Antragsgegner begründete seine Entscheidungen unter Nrn. 1 und 2 mit der Nichtvorlage der Anmeldebestätigung einer Begutachtungsstelle bzw. des Ergebnisses zur ersten Haarananalyse, woraus gemäß § 11 Abs. 8 FeV der Schluss auf die Nichteignung des Antragstellers zu ziehen sei.
Mit Schreiben vom … Dezember 2015 legte die Bevollmächtigte des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 7. Dezember 2015 Widerspruch ein und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 4 VwGO, wobei sie u. a. darauf hinwies, dass sich der Antragsteller im Australischen Outback befinde. Zur Begründung des Widerspruchs wiederholte sie ihre bisherigen Ausführungen und konkretisierte diese.
Mit Schreiben vom … Januar 2016 lehnte der Antragsgegner den Antrag nach § 80 Abs. 4 VwGO ab. Mit Schreiben und Bescheid vom 11. April 2016, zugestellt am … April 2016, stellte der Antragsgegner das mit Bescheid vom 7. Dezember 2015 angedrohte Zwangsgeld fällig und drohte ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von nunmehr b… EUR an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2016, zugestellt am Folgetag, wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch gegen den Bescheid vom 7. Dezember 2015 zurück.
Am … Mai 2016 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers gegen den Bescheid vom 11. April 2016 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (Az. M 26 K 16.2225). Eine weitere Klage erhob sie mit Schriftsatz vom … Mai 2016, eingegangen am … Mai 2016 (Az. M 26 K 16.2341). Sie beantragte, den Bescheid vom 7. Dezember 2015 und den Widerspruchsbescheid vom 20. April 2016 aufzuheben. Außerdem beantragte sie für den Antragsteller
„die Aussetzung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Absatz IV VwGO“.
Zur Begründung der letztgenannten Klage und des Antrags nahm die Bevollmächtigte auf ihre bisherigen Ausführungen Bezug und ergänzte, dass der Antragsteller im Anschluss an seine Ausbildung zum A… und planmäßig nach einer saisonalen Anstellung in einem Hotel ein „Travel&Work-Jahr“ in Australien angetreten habe, um Englischkenntnisse, Auslandserfahrung und „Weltläufigkeit“ zu erwerben. Diese Pläne aufzugeben, sei nicht zumutbar gewesen. Der Antragsteller habe auch nicht damit rechnen müssen, dass man ihm die Fahrerlaubnis entziehe. Die … Behörde habe mit Schreiben vom … April 2015 nur eine ärztliche Untersuchung angeordnet. Der Antragsgegner habe zunächst nur die Haarlänge erfragt. Die Anfrage vom … September 2015, wie man die Teilnahme an einem Drogenkontrollprogramm im Ausland durchführen könne und das Angebot, noch vor Reiseantritt eine Haaranalyse durchführen zu lassen, seien von Antragsgegnerseite ignoriert worden. Bei der Interessenabwägung müsse auch der sehr geringe Wert, die Tatsache, dass der Antragsteller keine Ausfallerscheinungen gezeigt habe, und der Umstand, dass seit dem Vorfall im Juli 2014 keine weiteren Verdachtsmomente hinzugetreten seien, berücksichtigt werden. Zudem sei es aufgrund des Aufenthalts des Antragstellers in Australien bis Oktober 2016 unwahrscheinlich, dass dieser den deutschen Straßenverkehr – nur dieser könne für eine deutsche Behörde relevant sein – während des schwebenden Verfahrens gefährde.
Mit Schriftsätzen vom 10. Juni 2016 beantragte der Antragsgegner,
die Klagen abzuweisen und
den Antrag abzulehnen.
Mit Beschluss vom 22. Juni 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und in den Verfahren M 26 K 16.2225 und M 26 K 16.2341 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag, der gemäß § 88 VwGO dahingehend zu verstehen ist, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die in Nr. 1 und 3 des streitgegenständlichen Bescheids vom 7. Dezember 2015 enthaltenen Regelungen (zur Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Abgabeverpflichtung hinsichtlich der Führerscheine s. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris) sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der in Nr. 4 verfügten Zwangsgeldandrohung (s. Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG) und der in Nr. 6 enthaltenen Kostenentscheidungen (s. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) begehrt, ist zulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller seinen Führerschein bereits abgegeben hätte.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Grundlage dieser Entscheidung ist eine Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners, wobei insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen sind (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 72 ff.).
2.1. Der Antragsgegner hat das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug im vorliegenden Fall ausreichend einzelfallbezogen im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO begründet (zu den Anforderungen Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Zwar bedarf es regelmäßig der Darlegung besonderer Gründe, die über die Gesichtspunkte hinausgehen, die den Verwaltungsakt selbst rechtfertigen. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verpflichtet die Behörde aber nicht, eine Begründung zu geben, die ausschließlich auf den konkreten Sachverhalt zutrifft. Gerade dann, wenn wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen eine typische Interessenlage zugrunde liegt, kann sich die Behörde zur Rechtfertigung der Anordnung der sofortigen Vollziehung darauf beschränken, diese Interessenlage aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass sie nach ihrer Auffassung auch im konkreten Fall vorliegt. Das kommt insbesondere im Bereich des Sicherheitsrechts in Betracht, zu dem auch die Fälle des Fahrerlaubnisentzugs wegen fehlender Fahreignung gehören. Denn es liegt in der Regel auf der Hand, dass die Teilnahme eines für ungeeignet erachteten Kraftfahrers am Straßenverkehr zu erheblichen Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer führt und durch die Anordnung des Sofortvollzugs des Entziehungsbescheids schnellstmöglich auszuschließen ist (BayVGH, B.v. 10.8.2011 – 11 CS 11.1271 – juris Rn. 6, B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16).
2.2. Hier überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners, da die gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtete Klage des Antragstellers nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Der Bescheid vom 7. Dezember 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2016 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (s. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung des Widerspruchsbescheids als letzter Behördenentscheidung (s. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 13 m. w. N.).
2.2.1. Vorliegend kann dahinstehen, ob der Antragsgegner sich hinsichtlich seiner Entziehungsentscheidung (Nr. 1 des Bescheids vom 7.12.2015) auf § 11 Abs. 8 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – stützen und dementsprechend auf die Nichteignung des Antragstellers schließen durfte. Denn dem Antragsteller war die Fahrerlaubnis – ohne dass ihm ein Ermessen zugestanden hätte – nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV schon deshalb zu entziehen, weil seine Nichteignung aufgrund der sich aus dem Vorfall vom … Juli 2014 ergebenden Erkenntnisse feststand (s. § 11 Abs. 7 FeV; vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2010 – 11 CS 10.1145 – juris Rn. 16 ff). Die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis lagen auch bei Erlass des Widerspruchsbescheids weiterhin vor, auch wenn es sich dabei um andere handelte als die, mit denen die befassten Behörden ihre Entscheidungen begründeten.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Gemäß § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, wer gelegentlich Cannabis einnimmt und den Konsum und das Fahren nicht trennen kann.
2.2.1.1. Der Antragsteller ist als gelegentlicher Konsument von Cannabis anzusehen.
Gelegentlicher Konsum von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV liegt schon dann vor, wenn der Betroffene in zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (s. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – NJW 2015, 2439 Rn. 16 ff.).
Aufgrund des Ergebnisses der Blutuntersuchung vom … Juli 2014 steht fest, dass der Antragsteller in einem Zeitraum von einigen Stunden zuvor Cannabisprodukte konsumiert haben muss (vgl. rechtsmedizinisches Gutachten zur Blutuntersuchung vom …9.2014, Bl. 63 f. der Akte des Antragsgegners). Ein Konsumakt am … Juli 2014 ist nach dem gesamten Vortrag der Bevollmächtigten des Antragstellers auch unstreitig. Soweit der Antragsteller das Vorliegen eines zweiten Konsumakts bzw. weiterer Konsumakte bestreitet, indem er vortragen lässt, der gegenüber der Polizei eingeräumte Konsum von Cannabis innerhalb von … Tagen vor dem … Juli 2014 bzw. am … Juli 2014 gegen b… Uhr habe sich nicht zugetragen und er habe die entsprechenden Angaben – wahrheitswidrig – in der Annahme gemacht, dass sich ein länger zurückliegender Konsum günstig für ihn auswirke, kann dem nicht gefolgt werden. Das Gericht erachtet diese Darlegungen nicht als glaubhaft. Es geht – neben der Einnahme am … Juli 2014 – von zumindest einem weiteren gegenüber der Polizei angegebenen Konsumakt, nämlich aufgrund der Konkretheit der Angaben, zumindest von dem am … Juli 2014 um b… Uhr aus. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Antragsteller als angeblich unerfahrener Erstkonsument in der bedrängenden Situation der Verkehrskontrolle die im Verwaltungsverfahren geschilderten taktischen Überlegungen zu seinem Aussageverhalten angestellt haben will, andererseits aber den Umstand eines Erstkonsums und hieraus ggf. resultierende Fehleinschätzungen seinerseits gegenüber der Polizei gerade nicht erwähnte. Im Übrigen könnte der Antragsteller mit der Motivation der Herbeiführung eines für ihn günstigeren Verfahrensverlaufs auch nur darauf verzichtet haben, den (nunmehr eingeräumten) Konsum vom … Juli 2014 als letzten Konsumakt anzugeben. Er muss sich daher an seinen nicht überzeugend entkräfteten Äußerungen anlässlich der Verkehrskontrolle festhalten lassen.
Darüber hinaus hat der Antragsteller seine Behauptung zu einem Erstkonsum nicht mit zusätzlichen Angaben unterlegt. Auch sonst spricht nichts für ihre Richtigkeit, insbesondere auch nicht der festgestellte THC-Carbonsäure-Wert von „nur“ b… ng/ml. Anhand eines Wertes unter 100 ng/ml THC-COOH kann zwar nicht auf gelegentlichen Konsum in Abgrenzung zu einem einmaligen Probierkonsum geschlossen werden (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2013 – 11 CS 13.219 – juris Rn. 14, B.v. 27.6.2006 – 11 CS 05.1559 – juris Rn. 20 ff.). Hieraus ergibt sich jedoch nicht der Umkehrschluss, dass ein Probierkonsum vorliegen müsse (s. VG München, B.v. 5.7.2013 – M 6b S 13.2428). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (s. z. B. BayVGH, B.v. 25.1.2016 – 11 CS 15.2480 – juris Rn. 14), der das erkennende Gericht in ebenfalls ständiger Rechtsprechung folgt (z. B. VG München, B.v. 15.1.2015 – M 6b S 14.5608, B.v. 30.5.2016 – M 26 S 16.1941), kann von einem einmaligen Konsum nur dann ausgegangen werden, wenn der Betreffende entweder erstmals im Rahmen eines Probierkonsums Cannabis zu sich genommen hat oder frühere Konsumakte derart weit zurück liegen, dass daran nicht mehr angeknüpft werden kann, und er aus besonderen Umständen heraus einmalig Cannabis eingenommen hat. Legt der Betreffende die Umstände des einmaligen Konsums nicht nachvollziehbar und substantiiert dar, besteht vor dem Hintergrund, dass es sich um einen äußerst seltenen Fall handelt, wenn eine Person nach einem einmaligen Cannabiskonsum zum einen bereits bald darauf ein Kraftfahrzeug führt und zum anderen dann auch noch trotz der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung in eine Verkehrskontrolle gerät, die zum Nachweis der Drogeneinnahme führt, keine Veranlassung, der Behauptung des Erst- oder Probierkonsums weiter nachzugehen. Die Richtigkeit der Angaben zu einem Erst- oder Probierkonsum unterstellt, wäre ohne nachvollziehbare Begründung auch nicht erklärlich, warum der Antragsteller keine Bereitschaft zeigt, die genauen Umstände, die zur angeblich einmaligen Einnahme und Fahrt unter Drogeneinfluss geführt haben, näher zu erläutern.
2.2.1.2. Der Antragsteller hat auch nicht im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt. Denn er hat nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung am … Juli 2014 ein Kraftfahrzeug mit einer THC-Konzentration von a… ng/ml THC im Blutserum geführt und somit den insoweit maßgeblichen Risikogrenzwert von 1,0 ng/ml, ab dem von der Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit auszugehen ist (BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 Rn. 33; BayVGH, B.v. 23.5.2016 – 11 CS 16.690 – juris Rn. 15, B.v. 25.1.2016 – 11 CS 15.2480 – juris Rn. 17, B.v. 10.3.2015 – 11 CS 14.2200 – juris Rn. 12 ff; s. auch VG Gelsenkirchen, U.v. 20.1.2016 – 9 K 4970/15 – juris), überschritten. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob die Polizisten oder der blutabnehmende Arzt am … Juli 2014 Ausfallerscheinungen beim Antragsteller festgestellt haben. Auf die tatsächliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit kommt es nicht an.
2.2.1.3. Dass der Antragsteller die Fahreignung wieder erlangt hat, weshalb nicht mehr ohne weitere Aufklärung von seiner Ungeeignetheit ausgegangen werden könnte, ist – auch im Hinblick auf den in Betracht zu ziehenden Ablauf der sogenannten „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“ (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – juris; vgl. aber auch VG München, U.v. 9.12.2015 – M 6b K 15.1592; VGH BW, B.v. 7.4.2014 – 10 S 404/14 – juris) – nicht ersichtlich. Die Frage, ob die Fahreignung wiedererlangt wurde, kann sich im Entziehungsverfahren überhaupt nur dann stellen, wenn der Betroffene eine insoweit bedeutsame Verhaltensänderung plausibel behauptet und belegt oder unabhängig hiervon gewichtige und belastbare Anhaltspunkte vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris Rn. 18). Dies ist beim Antragsteller nicht der Fall.
Der Antragsteller hat bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens (und bis heute) lediglich pauschal vortragen lassen, dass er am … Juli 2014 erst- und letztmalig Cannabis konsumiert habe. Die angebliche Letztmaligkeit wurde – wie schon der behauptete Erstkonsum – weder näher erläutert, noch wurden in irgendeiner Weise Nachweise hierfür erbracht, obwohl dies seinen Mitwirkungspflichten entsprochen hätte. Es wäre dem Antragsteller nämlich ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, seinen Teil zur diesbezüglichen Sachaufklärung beizutragen und ihm musste nach der frühzeitig durchgeführten Anhörung zur beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung (mit Schreiben vom …6.2015) und dem weiteren Verfahrensfortgang auch bewusst gewesen sein, dass die näheren Umstände u. a. zur Fortdauer seines Konsums erheblich sein würden. In Anbetracht der Behauptung eines erst- und letztmaligen Konsums am … Juli 2014 ist – wie bereits angedeutet – schon in keiner Weise nachvollziehbar, dass sich der Antragsteller nicht konkret und detailreich zu den in seiner Sphäre liegenden Ereignissen äußerte, die zu der angeblich einmaligen Einnahme und Fahrt unter Drogeneinfluss führten. Da der Antragsteller sich jedoch in keiner Weise erklärte, hätte er die von ihm behauptete Abstinenz seit dem … Juli 2014 durch geeignete Nachweise belegen müssen. Lediglich zu signalisieren, zur Teilnahme an Drogenkontrollmaßnahmen bereit zu sein, genügt bei dieser Sachlage nicht. Nachdem die behauptete Drogenabstinenz auch anhand der Aktenlage in keiner Weise nachvollzogen werden kann, bestand und besteht kein Anlass, an der Fortdauer des Eignungsmangels zu zweifeln und die Entziehungsentscheidung von vorgeschalteten Aufklärungsmaßnahmen abhängig zu machen.
2.2.2. Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der einstweiligen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der im streitgegenständlichen Bescheid enthaltenen Anordnung, den nationalen und den internationalen Führerschein abzuliefern. Die – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung hierzu ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV. Es bestehen auch keine rechtliche Bedenken gegen die im Bescheid enthaltenen Festsetzungen zum Zwangsmittel bzw. zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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